Wahlberechtigte, die keine Wohnung innehaben (so steht es auf der Website der Bundeswahlleitung), werden nur auf eigenen Antrag in ein Wählerverzeichnis eingetragen. […] Wenn ein Wohnungsloser in das Wählerverzeichnis eingetragen ist, kann er auch wie jeder andere Wahlberechtigte an dem Briefwahlverfahren teilnehmen.
Ist Freiheit auch für wohnungslose, nicht sesshafte Menschen ein großes Thema? Menschen ohne festen Wohnsitz, Menschen ohne Zuhause, Menschen, die vagabundisch unterwegs sind, Nomaden der Neuzeit – Mobilität als Lebensentwurf und als Schicksal, es sind viele, die es betrifft. Mit einzelnen von ihnen bin ich im Gespräch, auch über das Thema Freiheit.
Einige Gespräche habe ich aufgezeichnet, natürlich mit dem jeweiligen Einverständnis, das dürfte klar sein.
„Was bedeutet eigentlich dieser Freiheitsbegriff“, fragte ich beispielsweise Holger. Holger lebt „eine Art sesshaftes Nomadentum“, so beschreibt er seine Situation selbst. Er meint damit, dass er, zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern, für zwei bis drei Jahre ein Haus im Ausland mietet und von dort aus digital für seine Kunden in Deutschland arbeitet. „Und dann guckt man, wo es sonst hingeht“, erläutert er. Ich versuche, meine Frage zu präzisieren: „Ja, frei von Zwängen, so verstehe ich das. Ich lebe in Berlin, aber man ist ja hier letztendlich auch nicht eingesperrt. Ich kann mein Leben leben. Bin natürlich in Arbeitsstrukturen gefangen, wenn man so will, aber das wäre man im Ausland dann wohl auch, nur eben anders und woanders.“
Eine Menge Freiheitsabstufungen
Holger antwortet darauf: „Also ich bin ja auch abhängig vom Kunden, sozusagen. Wenn die was wollen, muss ich auch was machen, das ist nicht besonders frei. Wenn ich viel zu tun habe, kann ich manchmal 10 Stunden arbeiten und das ist auch nicht frei sein.“
An einer anderen Stelle bringt Holger Freiheit in Zusammenhang mit einem kapitalistischen Ausstieg (nicht zu verwechseln mit einem Ausstieg aus dem Kapitalismus), wenn er sagt: „Also es gibt ja schon eine Menge Freiheitsabstufungen sozusagen oder Aussteigerabstufungen, finde ich. Und es gibt auch eine große Community im Internet […], die befasst sich tatsächlich mit einem kapitalistischen Ausstieg, vielleicht eher so eine Art andere Lebensweise. Also so viel Geld zu verdienen, das dann in Aktien anzulegen und dann von den Aktien, Dividenden oder Aktien-Kurssteigerungen irgendwann zu leben.“ Geld sparen, monetär viel einnehmen und/oder wenig ausgeben, scheint demnach zu Freiheit zu führen?
Beat, Anfang 50 und Mitorganisator des Vagabundenkongresses 2020 in Berlin (bruchstücke berichtete), beschreibt es folgendermaßen: „Aber die Sache mit dem Geld ist auch etwas in meinem Leben, dass ich versuche, meine Ausgaben für meine Fixkosten möglichst gering zu halten. Und das finde ich, gibt schon eine Freiheit. Ich habe kein Auto, ich kaufe meine Klamotten bei Humana oder finde sie irgendwo, ich kaufe eigentlich nie was, das war schon immer so.“
Dirk, Anfang 40, lebt und arbeitet mit seiner Partnerin in Berlin und Gomera. Dort bewohnt er mit seiner Partnerin und seiner Tochter ein Strandhäuschen, welches einer deutschen Frau gehört, die sich auf der kanarischen Insel niedergelassen hat. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt hauptsächlich dadurch, dass sie einen Online-Shop für ökologische Produkte führen. Dirk scheint die These, dass wenige Ausgaben zu Freiheit führen, zu untermauern, wenn er sagt: „Die Lebenshaltungskosten sind geringer. Das schafft natürlich die Freiheit, dass ich dann dafür auch weniger arbeiten muss, um mein Geld zu verdienen.“
Auch Max ist Anfang 40. Er bewohnt zur Zeit in einer Gartenlaube auf dem Grundstück seiner Mutter. Er lebte u. a. ein paar Monate im Auto, abgestellt auf einem öffentlichen Platz in Berlin-Prenzlauer Berg und auch mal ein paar Monate in einem Zelt in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs. Den Entschluss, in ein Zelt zu ziehen, fasste er, „im Prinzip mit dem Moment, als die Firma so richtig erfolgreich war, das war die Ironie, (…) mit dem Moment wollte ich nur noch meine Freiheit, das heißt, Leute, die mich nicht so gut kannten, haben mich alle komisch angeguckt und meinten‚ warum gehst du jetzt, jetzt, wo du richtig Kohle machen kannst?‘ (…)Ich hab’s genossen. Ich habe diese Freiheit genossen. Ich habe das Draußensein genossen.“
Richard, Ende 50, war über die Hälfte seines Lebens wohnungslos. Er hat diese Wohnungslosigkeit aber nun hinter sich gelassen. Ich frage ihn, „was würdest du sagen, das fehlt dir jetzt, das du in den 30 Jahren hattest und jetzt nicht mehr?“. Er antwortet: „Was mir fehlt, ist die Freiheit, unbeschwert das Leben zu leben. Diese räumliche Distanz. Heute hier, morgen dort. Diese Ungezwungenheit. Du bist nicht gezwungen, irgendetwas Bestimmtes jetzt tun zu müssen oder machen zu müssen, sondern du bist ungezwungen, eben frei. Du kannst jeden Tag neu entscheiden. Willst du jetzt nochmal einen Tag länger bleiben oder willst du einfach wieder weitermachen? (…) Das Gefühl der Freiheit oder wirklich frei zu sein. Verantwortung nur für dich selbst und deines Gleichen tragen zu dürfen (…). Das ist das wahre Nomadenleben, dieses Einzelgänger-Leben. Ich bin zwar heute immer noch Einzelgänger und im Grunde lebe ich wie ein Nomade. Ich habe zwar jetzt eine Wohnung und wenn ich mal für paar Tage weg bin, habe ich ein billiges Pensionszimmer. Aber im Grunde bin ich lieber für mich alleine. Einsamkeit ist die Quelle meiner Resilienz. Weißt du, was für mich Einsamkeit bedeutet? Einsamkeit bedeutet für mich, inneren Frieden und innere Freiheit“.