Können Betonflugzeuge fliegen, wenn sie lichtblau lackiert werden?

Gutes persönliches Miteinander mag ich. Auch in der Politik. Besonders schätze ich Konsensorientiertheit – im Gegensatz zu Zank aus Prinzip. Darum glaube ich den Ampel-Verhandlern ihr Hochschätzen des Verhandlungsstils.
Nur: Kann ein nettes Miteinander quasi Naturgesetze außer Kraft setzen? Konkret: Kann die größte Transformation der deutschen Industrie seit 150 Jahren, kann die Investitionslücke der Infrastruktur (allein dafür 50 Milliarden JÄHRLICH), kann die sozialpolitische Bombe Bezahlbares Wohnen, kann die Corona-Finanzlücke bewältigt werden – ohne höhere Belastung der Besserverdienenden und ihrer Vermögen? Von dieser These geht das gemeinsame Sondierungspapier von FDP, SPD und Grünen aus!

Foto: Simon Maage auf unsplash

Um auf meine Ausgangsfrage zurück zu kommen: Ja, in der Politik können Betonflugzeuge starten. Wenn sie lichtblau lackiert sind, sprich: Wenn Anfangseuphorie, medialer Unterhaltungsdrang und der Appetit auf Regierungsämter rationale Bedenken verdrängen! Die Frage ist nur, wie lange? Wie lange kann das Betonflugzeug in der Luft bleiben? Wenn der Sprit nicht ausreicht? Und interessiert sich beim Absturz noch jemand für die lichtblaue Lackierung?

Der Wunsch nach Neuigkeiten, nach einer neuen Regierung, nach dem Fußball-Kitzel von Regierungsaufstellungen ist übermächtig geworden und hat die Medien, einen Teil der Bevölkerung und natürlich die Politiker von Rot-Gelb-Grün erfasst. Wer sich dem entgegenstellt (wie dieser Beitrag) stößt auf Spaßverderber-Reaktionen. Es ist die Stunde des Wunschdenkens.

Zwei historische Voodoo-Beispiele

Wer auch nur einen Hauch von Volkswirtschaft versteht, weiß: Bei extrem unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeit sind auch unterschiedliche Währungen notwendig. So wie Schleusen bei Gewässern unterschiedlicher Höhe. Anfang 1990 wurde von der Alt-BRD die Erlösungshoffnung „D-Mark auch in der DDR“ nicht nur zugelassen, sondern von Kohl sogar angestachelt.

Mit der logischen Folge, dass 80% der DDR-Industrie innerhalb kürzester Zeit zusammenbrach. Und zwar auch sehr viele Betriebe, die bei einem längeren Übergang mit einer dann frei-konvertierbaren DDR-Mark hätten gut überleben können. So wie in Tschechien. Selbst wenn jeder DDR-Bürgerin 1000 DM-West auf ein Konto überwiesen und dringend benötigte Mangelwaren an Medikamenten, an Ersatzteilen, an Baustoffen zur Sanierung der maroden Gebäude einer frei gewählten demokratischen DDR-Regierung zur gratis Verfügung gestellt worden wären – das alles wäre extrem viel billiger (500 statt 2000 Milliarden Vereinigungskosten) und vor allem sozial viel verträglicher gewesen. Dann gäbe es wahrscheinlich heute keine ostdeutsche Volkspartei AfD.

Viele Ökonomen und auch Oscar Lafontaine haben diese Entwicklung vorausgesagt. Letzterer ist für seine Zweifel am Betonflugzeug von Medien und gesamtdeutscher Wählerschaft 1990 abgestraft worden. Um schon ab 1991 dramatisch von den Fakten bestätigt zu werden. Das lichtblau lackierte Betonflugzeug konnte nicht die Schwerkraft besiegen!

Auch bei der Euro-Einführung spielte der „lichtblaue Lack“ die entscheidende Rolle. Wie toll: Ein Geld für ganz Europa! Kein Wechseln mehr an den Grenzen! Der ultimative Kick europäischer Vereingung. Für nüchterne Ökonomen war bei der Euro-Einführung klar: Schwächere Ökonomien wie Italien und Griechenland würden ohne Währungsschleuse mehr importieren als exportieren, weil die eigenen Waren und Tourismusangebote nicht mehr durch Währungsabwertung billiger werden können. Eine Zeit lang wurden die wegbrechenden Wirtschaftssektoren durch staatliche Programme auf Pump ausgeglichen. Dann mit der Finanzkrise standen diese und andere Länder am Abgrund. Vor allem aber große Teile der Bevölkerungen. Deren reale Not und die Diktate von den Sieger-EU-Ländern führten zum Gegenteil des „lichtblauen Lacks“, also zu EU-Feindschaft statt zu EU-Verbrüderung, mit der die Euro-Einführung gegen die Warnungen vieler Ökonomen eingeführt worden waren.

Zusammengefasst: Die schönen Anfangsillusionen können harte ökonomische Fakten nicht besiegen. Und das auch gilt für die finanzpolitische Basis der „Ampel-Koalition“. Sie ruht (bei allen wünschenswerten kleinen positiven Ergebnissen) im Wesentlichen auf Voodoo!

Eine Koalition mit dem FDP-Prinzip: Keine Steuererhöhungen für Besserverdienende stellt fast eine Garantie dafür dar, dass die kommende Regierung für Umwelt und Soziales kaum etwas Relevantes erreichen kann.

Hendrik Auhagen
Hendrik Auhagen war in den 1980er Jahren für die Partei Bündnis 90/Die Grünen (Grüne) im Deutschen Bundestag. Er ist Mitglied der Expertengruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn und Mitgründer des Bündnisses Bahn für Alle. In den Jahren 1999 und 2000 unterrichtete er Deutsch an einem Kolleg in Legnica (Polen), von 2001 bis 2004 Deutsch und Gemeinschaftskunde in Bad Säckingen am Scheffel-Gymnasium, später am Friedrich-Wöhler-Gymnasium in Singen.

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