Der blasse Herr Bartsch oder Das politische Lazarett Linkspartei

Foto: Martin Heinlein auf Flickr CC VON 2.0

Bei diesen Ergebnissen zeugt die folgende Frage nicht von Panik, sie ist angemessen: Ist die Partei Die Linke dem Untergang geweiht? Bei der Bundestagswahl hat sie sich, im Vergleich 2017, fast halbiert; und damals schon war das Ergebnis (9,2 Prozent) zwar ordentlich, aber nicht berauschend. Zumal das 2021er Ergebnis noch desaströser ist, als es auf den ersten Blick zu sein scheint. Denn in ihm spiegelt sich die Verfassung einer Partei, die kein Erbarmen mit sich hat.

Gerade dort, wo Die Linke (mit-)regiert, wo sie also beweist, was sie kann und was nicht, sind ihre Ergebnisse deprimierend schlecht. So sackte sie in Thüringen bei dem Zweitstimmenanteil mit einem Minus von mehr als fünf Prozent auf 11,4 Prozent ab; dabei regiert dort seit 2014 der weithin populäre Bodo Ramelow, der erste linke Ministerpräsident. Ähnlich in Berlin, wo sie seit Jahren mitregiert und bei den Zweitstimmen ebenfalls bei 11,4 Prozent landete, mit einem Minus von über sieben Prozent.

Was fällt an Dietmar Bartsch auf – dass nichts auffällt

So stellt sich die alles entscheidende Fragen: Was machen Partei und Bundestagsfraktion, um sich wenigstens erst einmal ans rettende Ufer zu ziehen?
Die erste nennenswerte Reaktion: Als ob nichts gewesen wäre, bestätigte die Bundestagsfraktion Ende Oktober ihre beiden Vorsitzenden im Amt, Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch. Obwohl es hinter den Kulissen brodelt.

Was sagt diese Wiederwahl? Sie ist vielsagend und führt mit einem — zugegebenermaßen ersten oberflächlichen Blick — zu einer bemerkenswerten politischen Person: zu Dietmar Bartsch. Warum? Dietmar Bartsch ist seit zwei Jahrzehnten in der Linkspartei eine entscheidende Figur: viele Jahre Schatzmeister, dann Bundesgeschäftsführer der Partei, seit 2010 stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion, seit 2015 durchgehend Co-Vorsitzender von ihr und 2017 wie 2021 Spitzenkandidat zur Bundestagswahl.

Was fällt auf? Dass erst einmal nichts auffällt. Denn es gibt kein Thema, keine Initiative, die spontan mit Dietmar Bartsch in Verbindung gebracht werden kann. Er ist also entscheidend und politisch blass. Eine interessante Mischung. In den Jahren des Aufstiegs war er in bedeutenden Positionen in der zweiten Reihe. In den Jahren des Abstiegs stand er immer in der vordersten Reihe; als Co-Vorsitzender der Bundestagsfraktion war er allein aufgrund der Ressourcen und des Prestige des Amtes immer deutlich mächtiger als beispielsweise die langjährige Parteivorsitzende Katja Kipping. Das Spannende an Bartsch: Er schafft es, nie mit den letztlich von ihm wesentlich mitzuverantwortenden Niederlagen in Verbindung gebracht zu werden. Er wird einfach immer wieder gewählt, egal wie klein seine Fraktion in der Zwischenzeit geschrumpft ist; so auch jetzt. Das Bieder-Soziale, das er verkörpert, scheint der kleinste gemeinsame Nenner dieser Partei zu sein.

Hufeisenbündnispartner auf der Festveranstaltung “Zehn Jahre Die Linke” (2017). Foto: Ferran Cornellà, wikimedia commons

Sein machtpolitisches Erfolgsrezept: Er schloss vor vielen Jahren mit seinen Leuten, die sich Reformer nennen, ein offensichtlich unzerstörbares (eisernes) Bündnis mit dem Flügel um Sarah Wagenknecht — das sogenannte Hufeisen-Bündnis. Eine Formation, die sich allein im Destruktiven findet, stimmt es doch alles nieder, was jenseits dieser beiden machtpolitisch orientierten Hardcore-Fraktionen, versucht, die Linkspartei programmatisch und organisatorisch lebendig zu machen.

Was kann aus diesen eher oberflächlichen Eindrücken geschlossen werden? Wenn Dietmar Bartsch im Amt ist und bleibt, sind die Zeichen weiter auf Selbstblockade gestellt. Aber der einzige Blockierer ist er sicher nicht (siehe unten).

Arbeit gegen Kapital, eine Konfliktrhetorik, die in die Sackgasse führt

Letztlich sind solche Betrachtungen jedoch belanglos anekdotisch. Deutlich relevanter ist die Intervention von Hans-Jürgen Arlt, als Reaktion auf einen Podcast, den wir mit Horst Kahrs, dem Politikanalysten und Wahlforscher der Rosa Luxemburg-Stiftung, gemacht haben. Kahrs gräbt meines Erachtens schon sehr tief, um zu den Ursachen des Elends zu kommen. Aber Arlt meint, Die Linke müsse noch tiefer graben. Seine Grundthese, vorausgesetzt ich habe sie richtig verstanden: Die Linkspartei habe sich, wie zuvor jahrzehntelang die Traditionslinke generell, in einen verbissenen Kampf: Arbeit gegen Kapital verstrickt. Dabei sei Kapital ja nur eine historische Form wirtschaftlicher Investitionen, eine besondere Art und Weise des Investierens, die Profit über Bedarfsbefriedigung stellt. Es komme also darauf an, wie Investitionen eingesetzt werden, zu welchen Bedingungen und mit welchem Ziel. Entscheidend sei das andere Wirtschaften, ausgerichtet primär am Bedarf der Menschen, nicht am Profit. Arlt konstatiert einen „schiefen“ Kampf der Traditionslinken, der enorme politische Energien fehlsteuere, weil deren Rhetorik den Eindruck zulasse, oft sogar fördere, sie sei gegen jegliche Art des Investierens, letztlich gegen ‘die Wirtschaft’. Dabei müsse sie doch deutlich machen, dass investive Ressourcen wichtig seien, um sie für ein positives menschengerechtes Wirtschaften einzusetzen.

Frage: Was muss Die Linke grundlegend ändern, um auf Bundesebene auf Dauer deutlich über zehn Prozent zu kommen? Anderes Personal? Andere Programmatik? Eine andere politische Rhetorik? Oder eine andere politische Mentalität? Oder muss sich alles ändern, weil eine politische Grundsanierung ansteht?
Auf diese Frage von Horand Knaup und mir antwortete Horst Kahrs in unserem Podcast: Sie muss endlich überhaupt erst einmal Partei werden. Und dann müssen alle jetzigen Amtsinhaber endlich abtreten und die vielen Jungen müssen ran.

Wie? Die Linke ist keine Partei. Was ist sie dann?

Jüngst erschien auf dem Schweizerischen Onlinemagazin infosperber ein Text, der sich mit der deutschen Linkspartei beschäftigte. Akribisch listet der Autor auf — als wolle er zusätzliches empirisches Material liefern, um die These von Kahrs zu stützen—, wer sich in der Partei Die Linke alles organisiert. Seine Liste ist lang:

  • Kommunistische Plattform,
  • Antikapitalistische Linke,
  • Sozialistische Linke,
  • Bewegungslinke,
  • Emanzipatorische Linke,
  • Forum Demokratischer Sozialismus,
  • Netzwerk Reformlinke,
  • Ökologische Plattform,
  • Marxistisches Forum.

Fehlt da was? Kann gut sein, denn von der Schweiz aus ist es noch schwerer, das politische Gewusel bei der Linkspartei — zwischen orthodox-links, reformorientiert, revolutionärem Umbruch, Systemüberwindung und sozialdemokratischem Reformismus — adäquat im Blick zu behalten.

Pressekonferenz nach der Bundestagswahl 2021. Foto: Martin Heinlein auf Flickr CC VON 2.0

Intrigen und Denunzationen

Nun kann man ja sagen: Das ist doch toll! Wer, wenn nicht die Linkspartei soll lebendig sein, soll debattieren auf Teufel komm`raus — das ist doch ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber all den anderen Parteien, die in Berlin wie gleichgeschaltete Automaten herumlaufen.
Einerseits ist das richtig. Andererseits nicht. Denn die entscheidende Frage lautet: Wie gehen diese gefühlt 30 bis 40 Fraktionen miteinander um? Fruchtbare Debatten, die gute linke Zukunft fest und kreativ im Blick? Oder zerstörerische Intrigen und Denunziationen, deren Ziel es allein ist, meine eigene Gruppe soll die stärkste sein, bedenkenlos auf Kosten der anderen?

Es spricht viel dafür, dass die Linkspartei so etwas wie eine Holding ist. Eine Holding, die den gemeinsamen Namen liefert ebenso wie den notwendigen rechtlichen Rahmen, den Zugang zur Parteienfinanzierung …, eben das alles, was eine wirtschaftliche Holding auch so liefert; bei letzterer stehen die einzelnen Tochtergesellschaften auch autonom, gesellschaftsrechtlich und organisatorisch für sich.

Das Zerstörerische auf Platz 1

Und bei der Linkspartei steht (wie bei einer richtigen Holding) jede einzelne Fraktion für sich: Deren Ziel ist es nicht, das Ganze möglichst stark zu machen, sondern nur die eigene Gruppe. Wie anders könnte erklärt werden, dass die Linkspartei sich seit vielen Jahren in härtesten öffentlich ausgetragenen — öffentlich, auf offener Bühne, nicht einmal darum bemüht, das alles in den Hinterzimmern auszutragen — Denunziationen, Intrigen, Fraktionskämpfen und verbissendsten Debatten um jedes Komma in uferlosen abstrakt formulierten Beschlussvorlagen ergeht; ihrer offiziellen Kernbotschaft zum Trotz, nach der es ihr nur um Solidarität, Empathie und das Gute geht. Das Zerstörerische hat immer einen prominenten Platz.

Es ist über die Jahre auch bei demjenigen, der nur einen Ausschnitt dieser Welt wahrnehmen kann, der Eindruck aufgekommen: Wenn in der Linkspartei gestritten wird, dann oft so böse, so verletzend, so maß- und rücksichtslos, dass die Chance auf Wiedergutmachung, auf ein Zurückholen des im Zorn Gesagten von vornherein ausgeschlossen ist. Kein Erbarmen. So wird die Produktion negativer Emotionen zu einer weithin ausgeübten und geduldeten linken Fingerfertigkeit.

Ein Gedankenexperiment

Machen wir ein Gedankenexperiment: Ich stelle mir vor, es gibt etwa 300 oder 500 Leute in Kommune, Land und Bund, welche die Geschicke dieser Partei als wichtige Funktionäre und verantwortliche PolitikerInnen im weitesten Sinne mitbestimmen. Und diese Gruppe würde mit einem technischen Verfahren fotografiert, das in der Lage wäre, Verletzungen in Gedanken, Seelen und Herzen sichtbar zu markieren – der Betrachter sähe ein Lazarett.

Damit macht sich diese Partei nicht nur selbst kaputt, damit schürt sie sogar in der ihr zugeneigten Öffentlichkeit Misstrauen: Will man einer politischen Holding, die so untereinander miteinander umgeht, Macht anvertrauen? Denn, wenn solche Leute Macht in Händen haben — wie rücksichtslos gehen die dann erst mit Dritten um?

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Wolfgang Storz
Dr. Wolfgang Storz (sto), (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau. Das Foto gibt eine jüngere Ausgabe der Person wieder.

4 Kommentare

  1. Die Situation dieser Partei ist treffend beschrieben. Sie ist eine Holding, ein gemeinsames Dach über ein rundes Dutzend Sekten, die hier ihre Heimat gefunden haben. Was sie verbindet ist eine erklärte Unwilligkeit aus der Geschichte zu lernen verbunden mit dem Anspruch gegenüber den anderen Sekten jeweils die Avantgarde zu sein, die weiß, wo es politisch in Zukunft langgeht. In der Zukunft wird das “Hufeisen” aber als Steuerungszentrum der Fraktion nicht mehr funktionieren, die Gruppe um Wagenknecht ist zu schwach geworden, es wird daher keine klaren Mehrheiten, sondern noch mehr Streit in der Fraktion, wie in der Partei geben.

  2. Lieber Wolfgang Storz, die gut von Dir beschriebenen Lagerkämpfe sind sicher EINER der Gründe des Desasters, aber nicht der wichtigste. Kern ist das PROFIL der Partei, mit dem sie von den Mescnhen wahrgenommen wird, ein Profil für die ganz unten – und damit der fehlende Zugang zum Alltagsbewusstsein breiter Teile der lohnabhängig Beschäftigten. In der Partei wird seit Jahren die Diskussion über da Alltagsbewusstsein und darüber verweigert, dass sie laut infratest bei den BTW bei Arbeitern und Angestellten 4 bzw. 5% Punkte verliert und bei den Arbeitslosen mit 11% konstant bleibt.

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