Russland hat eine Welt zu gewinnen, wenn es sich von Putin befreit  

Bild: MabelAmber auf Pixabay

„Wir sind allein, um unser Land zu verteidigen. Wer wird jetzt mit uns kämpfen? Um ehrlich zu sein, sehe ich niemanden“. So brachte Präsident Wolodymyr Selenskyi die verzweifelte Lage seines Landes am zweiten Tag des Krieges in einer Videobotschaft an seine Landesleute auf den Punkt. Ukrainer und Ukrainerinnen kämpfen mit dem Mut der Verzweiflung gegen die russische Aggression. Die Ukraine braucht internationale Solidarität und Hilfe. Dabei ist jede Rechthaberei nutzlos, ob nun „Putin-Versteher“ oder „Nato-Expansionisten“ die Verantwortung dafür haben, dass Putin das tut, was er jetzt tut.

Westliche politische Fehler mögen dazu beigetragen haben, dass das heutige Desaster stattfindet, die Verantwortung und Schuld dafür liegt aber letztendlich allein und ausschließlich bei Putin. Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Krieg. Das Gerede vom Genozid im Donbass ist pure russische Propaganda. Haltlos die Lügen, in Kiew seien Faschisten in an der Macht. Wie in vielen anderen europäischen Ländern gibt es eine extreme Rechte in der Ukraine, aber im Gegensatz zu Deutschland, Schweden oder Frankreich scheiterten in Kiew alle rechtsradikalen Parteien bei den letzten Wahlen an der 5 % Klausel.

Putin braucht einen Blitzsieg

Die Versuche Deutschlands und Frankreichs, über das Normandie- Format eine diplomatische Lösung zu finden, konnten Putin genauso wenig vom Überfall abhalten, wie die konfrontativere Strategie der USA. Mit dem Scheitern der Vermittlungsbemühungen entfällt der überzeugendste Grund für Deutschland, Waffenlieferungen an die Ukraine auszuschließen. Wer glaubwürdig vermitteln will, kann nicht gleichzeitig eine Seite mit Waffen versorgen. Doch jetzt ist der Krieg da, und die Ukraine braucht internationale Unterstützung. Deshalb ist die Entscheidung des Bundeskanzlers Waffen zu liefern, der neuen Lage angemessen.

Putin hat der Welt per Fernsehen mitgeteilt, dass er das russische Imperium wieder auferstehen lassen will. Die Ukraine ist für ihn nur Teil eines viel größeren Spiels. Er wird nicht aufhören, wenn er nicht aufgehalten wird. Mit der Drohung Nuklearwaffen einzusetzen, versucht der russische Präsident den Rest der Welt davon abzuschrecken, ihnen militärisch zu Hilfe zu kommen. Angesichts Putinscher Kriegsbereitschaft können seine Worte nicht als Bluff abgetan werden und weil niemand – außer Putin – einen Atomkrieg auch nur in Betracht ziehen will, kämpft die hoffnungslos unterlegene Ukraine allein. Es braucht hier und heute Antworten auf einen Diktator, der sein eigenes Volk ausraubt und unterdrückt, politische Gegner vergiften und ermorden lässt, die Ukraine überfällt und der Welt mit einem atomaren Inferno droht.

So furchtbar die Opfer jedes Krieges auch sind, so ist doch klar, dass jeder Tag erfolgreichen Widerstands eine Niederlage Putins ist. Putin braucht einen Blitzsieg. Jeder Tag an dem junge russische Soldaten sterben und ukrainische Männer, Frauen und Kinder Opfer des Krieges werden, zeigt der Welt Putins Verantwortung für dieses Leid. Und die Bilder und Todesnachrichten gelangen trotz russischer Medienzensur durch soziale Medien auch in russische Wohnzimmer und zu russischen Familien.

Wirtschaftssanktionen

Putin hat sich gründlich auf diesen Krieg vorbereitet und keine noch so scharfen Wirtschaftssanktionen werden den Vormarsch der russischen Armee aufhalten. Weder der Ausschluss aus dem SWIFT, noch die Beschlagnahmung von Oligarchenvermögen oder die Weigerung russisches Öl oder Gas zu kaufen, werden Putin kurzfristig stoppen. Aber das heißt nicht, auf diese Mittel zu verzichten, sondern sich darüber im Klaren zu sein, dass diese Maßnahmen ihre volle Wirkung nicht in den nächsten Wochen, sondern in Monaten und Jahren entfalten werden.

Es geht um die politische Entschlossenheit, sich von russischen Rohstoffen unabhängig zu machen, Russland von modernen Technologien und den internationalen Finanzmärkten auszuschließen. Ob dabei einzelne Maßnahmen heute, morgen oder in nächster Zukunft ergriffen werden, ist unter dem Gesichtspunkt des angestrebten wirtschaftlichen Schadens nicht so entscheidend, entscheidender ist, ein umfassendes Paket von Sanktionen ohne Schlupflöcher gemeinsam zu beschließen und strategisch so umzusetzen, dass die Differenz zwischen Kosten für den Westen und Schaden für Russland maximal ist. Gleichzeitig sollte Europa sich an die russische Bevölkerung wenden, dass diese Maßnahmen sich gegen das Regime und nicht grundsätzlich gegen Russland richten. Russland hat eine Welt zu gewinnen, wenn es sich von Putin befreit.

Praktische und symbolische Maßnahmen

Andere Schritte können eine schnellere praktische und symbolische Wirkung haben. Allen Regierungsmitgliedern, Parlamentsabgeordneten, Oligarchen, höheren Militärs und leitenden Staatsbediensteten sollte ab sofort kein Visum mehr erteilt werden. Kinder oder enge Verwandte dieser Personen, die sich zu Studien oder sonstigen Zwecken dauerhaft in westlichen Ländern aufhalten, sollten ausgewiesen werden. Russischen Superreichen sollte der Aufenthaltsstatus in westlichen Staaten entzogen werden und russische Privatvermögen oberhalb von 100 000 Euro sollten eingefroren werden.

Russland sollte von internationalen Sport- und Kulturveranstaltungen, Kongressen, Handelsmessen etc. ausgeladen werden. Gleichzeitig sollte alles unternommen werden, um die mutigen Menschen zu unterstützen , die in Moskau, St. Petersburg und vielen anderen Städten auf die Straße gehen oder mit Online-Aufrufen gegen den Krieg protestieren.

Neben Waffenlieferungen an die Ukraine braucht es zusätzlich Wirtschaftshilfe, medizinische Hilfe und elementare Unterstützung bei der Versorgung der Bevölkerung. Solidaritätskundgebungen sind wichtig, um den Ukrainern und Ukrainerinnen jeden Tag zu zeigen, dass die Welt an ihrer Seite steht. Die gewaltige Großdemonstration in Berlin am Sonntag war ein starkes Zeichen der Anteilnahme. Den Kundgebungen muss die praktische Hilfe folgen, auch wenn damit wirtschaftliche Nachteile bei uns verbunden sind.

Offene Grenzen

Darüber hinaus müssen die EU-Grenzen für Menschen, die vor dem Krieg fliehen müssen, geöffnet werden. Den Anrainerstaaten muss bei dieser Aufgabe umfassend von der EU geholfen werden und alle Länder müssen ihren solidarischen Beitrag bei der Aufnahme Geflüchteter leisten. Dies ist nicht nur eine staatliche, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe. 2015 haben Millionen Menschen in Deutschland mit großem Engagement Geflüchtete aus Syrien begrüßt und geholfen, in Deutschland anzukommen. Diese Hilfsbereitschaft ist heute wieder von Staat und Gesellschaft gefordert. Die deutschen Gewerkschaften können und sollten zusammen mit Kirchen, Wohlfahrtverbänden und andere Organisationen der Zivilgesellschaft eine Führungsrolle übernehmen.

Diplomatie

Jede Möglichkeit zu Verhandlungen muss selbstverständlich genutzt werden, um den Konflikt zu lösen. Die Sehnsucht einer Entspannungspolitik im Geiste Willy Brands ist gerade in Deutschland tief verwurzelt – aber dazu gehören immer zwei. Sinnvolle Gespräche sind unmöglich, ohne die echte Bereitschaft Russlands, eine friedlichen Lösung statt eines Kriegsdiktats zu wollen. Putin hat diese Bereitschaft zurzeit erkennbar nicht.

Kurzfristig kann nur ein ukrainisches Wunder auf dem Schlachtfeld Putin an den Verhandlungstisch bringen. Der Westen muss aber mit politischer Isolierung, wirtschaftspolitischen Sanktionen und militärischer Abschreckung unzweifelhaft deutlich machen, dass Putin selbst mit einem militärischen Sieg nichts gewinnen kann. Russland muss vor die Wahl gestellt werden, die Souveränität der Ukraine zu respektieren und Probleme am Verhandlungstisch zu lösen oder auf absehbare Zeit ein wirtschaftlich stagnierender Paria der Weltgesellschaft zu sein.

Der Beitrag wird auch bei Gegenblende, dem Debattenmagazin des Deutschen Gewerkschaftsbundes, erscheinen

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Frank Hoffer
Dr. Frank Hoffer ist ehemaliger Mitarbeiter der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und Associate Fellow an der Global Labour University Online Academy. Zuvor war er als Sozialreferent in der Deutschen Botschaft in Moskau und Minsk sowie als Geschäftsführer der Initiative ACT tätig, die sich für existenzsichernde Löhne in der Textilindustrie einsetzt.

8 Kommentare

  1. Natürlich ist Putin ein übler Autokrat, aber man sollte bei jeder Maßnahme gegen ihn doch besonnen bleiben.
    Der Autor schreibt: “Kinder oder enge Verwandte dieser Personen, die sich zu Studien oder sonstigen Zwecken dauerhaft in westlichen Ländern aufhalten, sollten ausgewiesen werden.”
    Das nennt man Sippenhaft, und die kennen wir aus einer unseligen Epoche unserer eigenen Geschichte. Sollen wir uns wirklich auf ein solches Niveau herabbegeben?

  2. Studierenden, deren Eltern in leitender Funktion an Putins Regime mitwirken und von ihm profitieren, mitzuteilen, dass sie, die es sich nur wegen des Geldes ihrer Eltern leisten können in Harvard, Oxford oder München zu studieren, nicht länger bei uns willkommen sind, scheint mir ein gerechtfertigte Maßnahme.
    Niemand wird verhaftet. Sie müssen nur zurück in Mama und Papas Villen in Russland. Den Vorschlag mit der Inhaftierung und Ermordung von Familienangehörigen in der Nazizeit in Verbindung zu bringen, geht am Sachverhalt vorbei.

  3. Ich möchte mich für den nächtlichen Fehler entschuldigen: Es sollte Sippenhaftung heißen (nicht Sippenhaft). Die war schon im Mittelalter Usus. In einem modernen Rechtssystem wie dem unseren werden aber nur individuelle Verfehlungen bestraft, nicht die des Vaters oder Bruders. Herr Hoffer möchte offenbar die Rechtsstaatlichkeit über Bord werfen. Damit reiht er sich wunderbar ein in die Scharfmacher, die mit Schaum vor dem Mund ihre überbordenden Vergeltungsphantasien in die Tastatur hacken. Er begibt sich damit auf das Niveau von Wladimir Putin. Wie gesagt: Von Besonnenheit keine Spur.

  4. Lieber Herr Winzen, auf diesem Niveau (ab “Herr Hoffer möchte…”) wollen wir auf bruchstücke nicht diskutieren. Wir lassen Ihren Kommentar auf dem Blog, weil schlechte Beispiele Lerneffekte haben sollen.

    1. “Lieber” Herr Arlt,
      die Leser dieses Blogs machen sich hoffentlich selbst ein Bild, wer hier ein schlechtes Beispiel abgibt und wer nicht.
      Ich kann die Bruchstücke jedenfalls nicht mehr ernst nehmen; nach den Ergüssen von Herrn Greven und jetzt diesem ist für mich Schluss. Viel Spaß noch beim Weitermachen auf Putin-Niveau!

      1. Das ist schade, lieber Herr Winzen, dass Sie Bruchstücke nicht mehr ernst nehmen können. Dabei geht es in unserem kleinen Disput doch nur darum, dass wir uns auf dem Blog nicht gegenseitig beschimpfen, sondern mit möglichst vielen und aussagekräftigen Argumenten auseinandersetzen wollen. Gegenargumente sind sehr willkommen, persönliche Verunglimpfungen bitte nicht.

        1. Hallo Herr Arlt, ich bin nicht Ihr “lieber” Herr Winzen!
          Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, sprich: Auf die Hetze von Herrn Hoffer gab ich eine adäquate Antwort, die vor allem deshalb gerechtfertigt ist, weil er offenbar auf rechtsstaatliche Grundsätze pfeift, wenn es gegen Putin geht. Noch mal: Er begibt sich damit auf dasselbe Niveau wie Putin. Offenbar ist das für die Bruchstücke in Ordnung. Nein danke!

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