Aufarbeiten, was war: Exekutive, Regierung, Cum-Ex-Skandal

Am heutigen Freitag wird Bundeskanzler Olaf Scholz als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft befragt zur „Klärung der Frage, warum der Hamburger Senat und die Hamburger Steuerverwaltung bereit waren, Steuern in Millionenhöhe mit Blick auf Cum-Ex-Geschäfte verjähren zu lassen und inwieweit es dabei zur Einflussnahme zugunsten der steuerpflichtigen Bank und zum Nachteil der Hamburgerinnen und Hamburger kam“. Die Vorberichterstattung dazu hat es in sich, das Verhalten der SPD auch.

Die Aufgabenbeschreibung des Untersuchungsausschusses ist kompliziert. Das Manager Magazin hat im Januar dieses Jahres geholfen, einen Blick für die Abläufe in der Hamburger Finanzverwaltung zu bekommen und auch einen Eindruck des jahrelangen Gezerres um die illegale Bereicherung von Finanzdienstleistern durch sogenannte cum-ex- oder cum-cum-Geschäfte vermittelt.

Der Text des Magazins ist in großen Teilen wirklich lesenswert. Denn es ist nicht so, dass sich die Finanzbehörde des Landes Hamburg wie ein Mann/eine Frau gegen die Befreiung einer Privat-Bank von einer Rückzahlpflicht ausgesprochen hätte. Man war sich nicht sicher und insofern blieb die Behörde gewiss hinter dem Erkenntnisstand und der Handlungsfähigkeit anderer Bundesländer wie beispielsweise NRW mit dem damaligen Finanzminister Norbert Walter-Borjans zurück. Und die Frage, warum während der vergangenen Jahrzehnte die Finanzbehörden der Länder insgesamt nicht in der Lage waren, Bürger und Staat vor Betrugsmanövern zu schätzen, die Milliardenlöcher in die öffentlichen Haushalte rissen, diese Frage spielt leider nur eine untergeordnete Rolle.

„Geronnene Erinnerungen“

Dazu gehören dann auch zwei Einsichten: Exekutive, die Behörden also, brauchen die Gewissheit, dass es an der Spitze einen wahrnehmbaren lenkenden Willen gibt; dieser lenkende Wille ist freilich über die Zeit der Verantwortung gesehen vom Zustand der Behörde abhängig. Ist die mit sich selbst beschäftigt, mit ihren Strukturen und inneren Sparzwängen sowie politischen Intrigen, dann ist es mit der Spitze nicht so weit her.

Man sollte in diesem Zusammenhang an Folgendes erinnern: Die publizistische, wissenschaftliche oder auch juristische Beschäftigung mit dem, was war, erfolgte bis vor wenigen Jahren nahezu ausschließlich auf der Grundlage schriftlicher „Hinterlassenschaften“ Gutenbergscher Art:

  • Aktenvermerken,
  • Briefen (!),
  • biografischen Angaben
  • sekundären Berichten, also Informationen und Kommentare Dritter.

Das sind die „geronnenen Erinnerungen“. Dies hat sich gravierend geändert. Heute sind es überwiegend digital erzeugte „Quellen“ – die neben Aktenvermerken und archiviertem Material existieren. Sie sind rascher und oft ohne vorausgehende „Denkarbeit“ gefertigt; sie sind viel stärker als frühere Quellen Stress unterworfen, weil sie unter Zeitdruck angefertigt wurden, unter dem – für Außenstehende schwer nachvollziehbaren – unglaublichen Druck auf den verschiedenen Ebenen mit persönlicher Verantwortung, ständig und immer rascher zu entscheiden. Sie sind zudem löschbar, hinterlassen lediglich eine Spur, die darauf hindeutet, dass sie mal existiert haben.

Das Aufarbeiten dessen, was war, wird risikobehafteter, die Gefahr von Fehlannahmen wird größer. Das gilt für die Zeitgeschichte wie auch für ermittelnde Stellen, die Staatsanwaltschaft. Wie wir alle aus einer Fülle von Berichten wissen (Beispiel Kachelmann), führt das aber nicht zu größerer Zurückhaltung, sondern es führt zu einer stärkeren Politisierung von Ermittlungen und deren Preisgabe für die Öffentlichkeit. Das Wissen, dass die Verhältnisse heute so sind, durchzieht Finanzbehörden ebenso wie Staatsanwaltschaften und Redaktionen.

Ich bin da vorsichtig

Sitz des Hamburger Bankhauses M.M.Warburg & CO KGaA in der Ferdinandstraße (Foto: 2005, Garcia auf wikimedia commons)

Das muss Mensch wissen. Wer längere Zeit in der Exekutive gearbeitet hat, Verantwortung hatte und Einblick in die Funktionszusammenhänge, der weiß das. Jetzt dreht sich mit Blick auf die anstehende Scholz –Befragung alles um einen Aspekt: Hat der heutige Bundeskanzler auf cum-Ex-Geschäfte einer Hamburger Privatbank bezogen gegenüber Parlament und Öffentlichkeit die Wahrheit gesagt oder hat er das nicht. Die Vorberichterstattung dazu hat es in sich – Beispiel Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Die berichtete, dem Bundeskanzler fehle „zu entscheidenden Treffen in der Cum-ex-Affäre die Erinnerung“. Scholz folgten „ die Schatten seiner Vergangenheit“. Es könnte „ein fader Beigeschmack“ bleiben. Auch bei „neuen Details“ bleibe „wieder ein fader Beigeschmack“. In Ermittlungen gegen die SPD-Politiker Kahrs und „ einen früheren SPD-Innensenator“ liege die „große Unbekannte für den Kanzler“.

Im Bericht des Blattes finde ich freilich auch die Aussage: Es gebe „merkwürdig anmutende Details“, es fehlten aber „Beweise“. Diesem Text gingen über Wochen hinweg neue Aspekte dieses Skandals voraus, die in die Öffentlichkeit sickerten. Hinweise zu Terminvermerken, Chat-Wiedergaben und Tagebuch-Berichte, Vergleiche zwischen dichterer und weniger dicht dokumentierten Phasen der Beschäftigung mit dem Thema. Scholz tritt als Zeuge vor den erwähnten Ausschuss, dem Sinn mancher Kommentierung nach ist er jedoch bereits de-Facto- Angeklagter. Es fehlt nur noch der Stempel: Erdrückende Last der Indizien.

Ich bin da vorsichtig: Olaf Scholz ist nach meiner Kenntnis seines Werdeganges kein Lügner. Er ist ein „Normalo“ sozusagen. Für ihn und sein Verhalten spricht, aus der Sachebene geurteilt, dass er als Bundesfinanzminister ab Herbst 2017 keine der erwähnten Privat-Bank entgegenkommende Politik vertreten hat. Auch Versuchen der Einflussnahme von hochrangigen Parteifreunden zugunsten dieser Bank gab er nicht nach. Die Süddeutsche Zeitung hat darauf kürzlich aufmerksam gemacht.

Für auffällig erachte ich, dass die SPD, bis auf den Vorsitzenden Lars Klingbeil, zuschaut, wie Scholzens Ansehen zerstört werden soll, statt dagegen zu halten. Nach den Stimmen des so eifrigen Thomas Kutschaty aus NRW oder der nimmermüden Manuela Schwesig sucht Mensch vergeblich. Scholz scheint sich fast allein wehren zu müssen.

Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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