Jede Generation hat ihre eigene Baseline, beschreibt Umgebung, Landschaft, Bestände, Natur als das, was sie vorfindet. Nimmt dies als Grundlage dafür, was gegenwärtig verloren geht. Und hat schon längst vergessen, was mal da und wie es gewesen war. »Kippelemente sind Bestandteile des Erdsystems von überregionaler Größe, die ein Schwellenverhalten aufweisen. Sofern das Hintergrundklima sie schon nahe an einen Schwellenwert gebracht hat, können sie also bereits durch kleine externe Störungen in einen qualitativ neuen Zustand versetzt werden.« So sachlich klingt es auf der Webseite des Potsdam-Instituts für Klimaforschung (PIK). Wem das Angst macht, verschließt entweder die Augen oder geht for future auf die Straße.
Als 1972 aus 29.000 Kilometern Entfernung zur Erde das berühmteste Bild aus der Serie Der blaue Erdball mit einer 70-Millimeter Hasselblad fotografiert wurde, bekam es den Namen Blue Marble und die Nummer As17148-22727. Harrison Schmitt fotografierte die blaue Kugel von der Apollo 17 aus. Und sah: Wasser im Überfluss. 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser. Das konnte er zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen.
Von diesen 1,4 Milliarden Kubikkilometern jedoch beträgt der Anteil des Süßwassers nur knapp 2,5 Prozent, von denen mehr als zwei Drittel in Gletschern, Schneedecken und Eis gebunden sind. 30 dieser 2,5 Prozent sind Grundwasser, knapp ein Prozent machen Bodenfeuchtigkeit, Grundeis, Dauerfrost und Sumpfwasser aus. Bleiben 0,3 Prozent Süßwasservorräte, an die wir wirklich rankommen. Wir könnten, umgeben von Wasser, verdursten, vertrocknen, verdorren. Was angesichts der Fotos von der Erde schwer zu begreifen ist.
Blaues Wasser und grünes
Flüsse, Seen und Grundwasser sind sogenanntes blaues Wasser. Und dann – die Erkenntnis ist in Zeitläuften gerechnet, noch recht jung – gibt es das grüne Wasser. Jenes Wasser also, das den Pflanzen zur Verfügung steht: Terrestrischer Niederschlag, Verdunstung und Bodenfeuchtigkeit. »Wasser ist der Blutkreislauf der Biosphäre. Aber wir sind dabei, den Wasserkreislauf tiefgreifend zu verändern. Dies wirkt sich auf die Gesundheit des gesamten Planeten aus und macht ihn deutlich weniger widerstandsfähig gegen Schocks«, sagt die Wissenschaftlerin Lan Wang-Erlandsson vom Stockholm Resilience Centre (SRC) an der Universität Stockholm.
Die Gesundheit des Planeten ist uns erst als begehrenswertes Gut in den Sinn gekommen, als einige von uns begannen, sich über dessen Krankheiten Sorgen zu machen. Aus der Geschichte wussten wir, dass es hin und wieder Schockeinwirkungen gegeben hatte, die nichts mit dem Menschen zu tun hatten. Der Meteoriteneinschlag beispielsweise, dem nachgesagt wird, dass er für das Aussterben der Dinosaurier verantwortlich war. Die Erkenntnis, dass nach dem Zeitalter Holozän die größte Schockeinwirkung auf unser Konto gehen wird – es sei denn, ein weiterer Meteorit kommt dem zuvor – hat lange gebraucht und bislang nicht ausreichend Menschen erreicht. Der Wissenschaft ist kein Vorwurf zu machen. Sie sammelt uns alle Fakten zusammen, bereitet sie auf, stellt Zusammenhänge her, führt Beweise an, liefert aufwändige Studien, warnt, erklärt, bietet jenen, die zum Handeln in der Lage und aufgefordert sind, ihre Expertise an. Sie irrt hin und wieder, aber mit ihrem Handwerkszeug ist sie in der Lage, Irrtümer zu korrigieren.
Den Planeten wird es nicht aus der Umlaufbahn werfen
»In den vergangenen fünf Jahrhunderten, seit Christoph Kolumbus erstmals vor der Küste Amerikas Anker warf, hat die Menschheit ein gigantisches globales Großexperiment gestartet. Genau genommen ist es eine Vielzahl von parallelen Großversuchen, jeder für sich ebenso unkontrolliert wie weltumspannend«, schreibt der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht in Das Ende der Evolution. »Wir sind als erfolgreiche Lebensform derart übermächtig geworden, dass wir alles um uns herum verändern – von der Atmosphäre und den Ozeanen bis in den letzten Winkel des Landes.« Heißt, als Bestimmer über die Evolution sind auch wir es, die sie beenden können. Gegenwärtig müsste man in Anbetracht der Verfasstheit unsere Spezies sagen: Beenden werden. Was den Planeten nicht aus der Umlaufbahn wirft und als Hort für Lebendiges weiterexistieren lassen wird.
»Wir verlieren sowieso alles. Es gibt nur eine Möglichkeit. Wir können versuchen, es auf eine einigermaßen stubenreine Art zu verlieren.«
Peter Hoeg, »Das stille Mädchen«
Im April 2022 veröffentlichten die beiden Institute Potsdam und Stockholm eine Neubewertung der planetaren Grenze im Bereich Süßwasser: “Freshwater boundary exceeds safe limits“. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren zu dem Schluss gekommen, dass diese Grenze überschritten ist. Das resümierten sie, weil sie nicht nur das blaue, sondern auch das grüne Wasser in ihre Betrachtungen einbezogen. Warum dies bis dahin so nicht getan wurde, ist nicht ganz klar. In der Erklärung des Stockholm-Instituts heißt es:
»Grünes Wasser wird jedoch im Rahmen der bestehenden planetarischen Grenzen, die einen globalen sicheren Betriebsraum für die Menschheit abstecken, nicht ausdrücklich berücksichtigt. In dieser Perspektive schlagen wir eine planetarische Grenze für grünes Wasser vor und schätzen ihren aktuellen Status ein. Die planetarische Grenze für grünes Wasser kann durch den Prozentsatz der eisfreien Landfläche dargestellt werden, auf der die Bodenfeuchtigkeit in der Wurzelzone in jedem Monat des Jahres von der holozänen Variabilität abweicht. Vorläufige Schätzungen der Abweichungen von den Holozän-ähnlichen Bedingungen sowie Hinweise auf eine weit verbreitete Verschlechterung der Funktionsweise des Erdsystems deuten darauf hin, dass die planetarischen Grenzen des grünen Wassers bereits überschritten ist.«
Trotz all seiner Nüchternheit bedarf es eigentlich keiner allzu großen Übersetzungsleistung, um panisch zu werden. Aber es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft, uns in Panik zu versetzen. Sie hat uns die Informationen und Fakten zu liefern und natürlich zu warnen. Was sie tut. Schon lange tut sie das. Dass die Zerstörung von Wäldern wahrscheinlich zu langanhaltenden und lebensbedrohlichen Dürreperioden führen wird, hat ist uns erklärt. Als die beiden Institute die Ergebnisse ihrer Untersuchungen in Bezug auf grünes Wasser veröffentlichten, passierte nicht viel. Auch einige Wochen später spucken die Suchmaschinen außer der Nachricht selbst nicht allzu viel aus. Jedenfalls nichts, was darauf schließen lässt, dass nationale, regionale und Weltpolitiken an einer Roadmap arbeiten. Roadmaps sind eigentlich sehr beliebt, um zumindest erst einmal zu signalisieren, dass man den Schuss gehört hat.
Das Erstaunliche an Gesellschaften ist deren Fähigkeit, Dinge zur Kenntnis zu nehmen und weiterzumachen, wie bisher. Der französische Schriftsteller André Malraux (1901-1976) befand einmal, dass ein Übermaß an historischem Perfekt den Mut zum Anfangen nehme, da man nur wiederholen könne. Ein Übermaß an Gegenwart tue dies ebenfalls: »Anfangen, aber was eigentlich? Da man nicht weiß, wohin man will.«
Was die Erkenntnisse über den Zustand des Planeten, unserer natürlichen Umwelt anbelangt – so weit sie noch natürlich genannt werden kann nach all den Eingriffen und Umformungen –, haben wir es möglicherweise mit einem Übermaß an Gegenwart zu tun. Und einem völligen Auseinanderdriften der Vorstellungen, wohin man eigentlich will. Kapitalisten träumen von stetig steigenden Profiten in einer unendlich ausbeutbaren Welt mit einem stetig wachsenden Reservoir ebenfalls ausbeutbarer lebendiger Arbeit. Wenn sich das mittels Green Economy genauso gut realisieren lässt, sind sie bereit dafür. Solutionisten sind überzeugt, dass sich für jedes Problem, das der Mensch mit seinem Tun in die Welt schafft, eine technische Lösung finden wird. Die ganz harten von denen meinen, künstliche Intelligenz übernimmt bald diesen Job, dann sind wir ihn los und können uns in der Matrix schöneren Dingen widmen. Optimisten glauben an die Vernunft einer Weltgesellschaft, die angesichts übermächtiger Problemlagen Formen finden wird, gemeinsam an den Gegenstrategien zu arbeiten und diese auch gemeinsam umzusetzen. Wer Angst hat, verschließt entweder die Augen oder geht for future auf die Straße, um sich dann von jenen lächerlich machen zu lassen, die es immer schon besser wussten und davon ausgehen, dass Nahrung, Sauerstoff und Wasser noch so lange reichen werden, wie sie leben. Zumal sie dafür bezahlen können.
Das Konzept der planetaren Grenzen ist inzwischen 13 Jahre alt. Der Mitautor der Studie zum Grünen Wasser, Johan Rockström, einst Stockholm-Institut, heute Direktor am Institut in Potsdam, hat es vorgestellt. Planetare Grenzen beschreiben den sicheren Handlungsspielraum, der uns zur Verfügung steht. Es gibt eine ganze Reihe davon und sechs Grenzen sind bereits überschritten: Klimawandel, Integrität der Biosphäre, biogeochemische Kreisläufe, Veränderung des Landsystems, neuartige Stoffe (Plastik zum Beispiel) und andere hergestellte Chemikalien und nun auch Süßwasser.
Den Ärger mit der sechsten überschrittenen Grenze hat uns die Wissenschaft eingebrockt. Ginge es nur ums blaue Wasser, hätten wir noch ein bisschen Zeit, bis auch diese Grenze geknackt ist. Könnten also schalten und walten. Denn die ursprüngliche Süßwassergrenze hatte die Entnahme von Wasser aus Flüssen, Seen und Grundwasser als Bezugspunkt. Da sind wir schon dicht dran, an der Grenze, aber eben noch nicht drüber. Kein Grund zur Panik also.
Großartige Fähigkeit zur Selbsttäuschung
Die Erkenntnis der beiden Institute hat keine allzu hohen Wellen geschlagen. Sie schaffte es nicht, Spitzenmeldung in den Nachrichten zu werden. Denn dass der Amazonas Regenwald droht, in savannenähnliche Zustände zu geraten, liegt in der Zukunft. Die sich aus dem Handeln in der Gegenwart nährt. Eine schwer verdauliche Erkenntnis. Und vielleicht sind die Menschen auch gar nicht in der Lage, sowohl zu dieser Erkenntnis zu gelangen als auch daraus eine andere Art des Handelns abzuleiten. Was ihre Rolle auf die eines zeitweiligen Gastes auf dem Planeten zurechtstutzen würde. Die Anpassungsfähigkeit der Spezies Mensch ist zugleich Segen und Fluch. Gäbe es sie nicht, wären wir nicht so weit gekommen. Vom aufrechten Ufertier zum alles verändernden Demiurgen, der Grenzen nicht anerkennt und der Hybris erliegt, selbst bestimmen zu können, wo sie liegen. Dagegen helfen auch Fotos mit dem Namen »Blue Marble« nicht und wissenschaftliche Erkenntnisse über die Endlichkeit von Ressourcen und auch Geduld des Planeten stören eher.
Shifting baselines stehen für diese großartige und vielleicht am Ende tödliche Fähigkeit der Menschen zur Selbsttäuschung. So können sie dramatische Veränderungen nicht nur erträglich gestalten, sondern auch kollektive Amnesie zur Grundlage ihrer Anpassungsfähigkeit machen. Indem sie ständig die Referenzrahmen bei der Bewertung ihrer Umwelt verschieben. Was wird als selbstverständlich genommen und deshalb gar nicht hinterfragt? Welcher Umweltzustand wird als normal betrachtet?
Der Meereswissenschaftler Daniel Pauly (*1946) hat das Phänomen beschrieben und machte es an den Fischbeständen fest. Deren verlässlicher Schwund ermöglichte gute Rückschlüsse darauf, wie sich Menschen gewöhnen. An das, was sie anrichten und das, was die Natur mit sauberer Rückhand kontert. Er nannte es shifting baseline syndrome (SBS).
Stets wurde von den Fischern und Fischerinnen die vorgefundene Bestandsgröße zum Referenzpunkt erklärt. Ein immer kleinerer gemeinsamer Nenner, eine ewig fortwährende Anpassungsleistung und die Fähigkeit, sich dreinzuschicken und die Rückschau den Geschichtsschreibern zu überlassen. Ja, es war schon mal besser. Der Anfang eines Märchens. Es war einmal. Natürlich. Aber lohnt es, sich damit aufzuhalten? Die Sommer und Winter der eigenen Kindheit werden zum Maßstab dessen, was man sich wünscht. Was dazu führt, dass wir nach nur wenigen Hitzesommern anfangen zu schimpfen, wenn es mal wirklich wieder ein feuchter und kalter Frühling wird. Wie blöd, vor zwei Jahren konnten wir Ostern schon baden gehen und das bis Ende Oktober. War doch schön. Dass ein noch kaltes und nasses Frühjahr mal sozusagen die Regel und Ostern in Badehose eher die Ausnahme war – zumindest in unseren Breiten –, scheint vergessen. Ist vergessen.
Kulissenschieber am Werk
Die Sommer und Winter, wie sie Großeltern beschreiben, gehören ins Märchenland. Es war einmal. Und wenn sie dann gestorben sind. So gewöhnt sich der Mensch an das schleichende Verschwinden. Von hier und heute aus betrachtet soll es, wenn möglich, nicht schlechter, kann es vielleicht etwas besser werden. Den Satz, es sei schon schlimmer gewesen, hört man oft. Aber auch den Satz, es würde nun wieder besser. Dass es gut wird, sagte jedoch kaum jemand. Auch dafür fehlen die Referenzpunkte, die sich ständig verschieben. Was wäre unter den gegenwärtigen Bedingungen gut zu nennen? Blieben uns alle Arten, die wir noch nicht vernichtet haben, erhalten? Bliebe es wirklich bei zwei Grad Erwärmung, was zum jetzigen Zeitpunkt fast illusorisch ist? Hielten sich die Naturkatastrophen auf dem Niveau dessen, woran wir uns in den vergangenen Jahren gewöhnt haben? Ist es dann gut?
Menschen, die sich darum bemühen, gebrauchte, verbrauchte Landschaft wiederzubeleben, zu renaturieren, übernehmen mehr und mehr die Rolle von Kulissenschiebern. Kaum jemand von den Kulissenschiebern behauptet, es würde so werden, wie es mal gewesen ist. Die sich langsam füllenden Becken einstiger Tagebaue waren ja zuvor nicht dagewesen. Ihnen musste eine neue Bedeutung zugeschrieben werden und es lässt sich darauf bauen, dass in ein oder zwei Generationen die neuen Seen schon fester Bestandteil der Mythenbildung sein werden. Als seien sie schon immer da gewesen. Die Sommer der Kindheit speisen sich dann aus dem, was man an den Ufern der Seen erlebt hatte. Die Generationen jener Menschen, die auf dem Areal des Sees mal mit eisernen Ungetümen Braunkohle aus der Erde geholt haben, leben in dieser nahen Zukunft nicht mehr. Aus Kulisse ist wieder Landschaft geworden, die baseline ein weiteres Mal verschoben.
Das hat seine guten Seiten, denn nur so war Fortschritt möglich. Als die ersten Schienen gebaut wurden, auf denen Züge fahren sollten, und viele Menschen dachten, jetzt wird ihnen ihre Landschaft zerstört durch diese Eisenungeheuer, hat dies nicht dazu geführt, die Eisenbahnen nicht zu bauen. Heute finden die Leute Windräder hässlich, in dreißig Jahren wird es kaum noch jemanden geben, der oder die sich Landschaft ohne die Dinger vorstellen kann.
Der Glaube, dass alles noch irgendwie gut wird
Trotz vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse, gescheiterter Bemühungen um Abkommen oder Erlangen unmutiger und unzureichender Kompromisse überwiegt in der sogenannten Ersten Welt des Globalen Nordens der Glaube daran, dass alles noch irgendwie gut wird. Und jener – überwiegende Teil der Menschheit, der unter den Folgen einer 500-jährigen umweltzerstörenden und profitstrebenden Wirtschaftsweise so zu leiden hat, dass nicht mal ausreichend Kraft und Zeit für Angst bleibt, ist zum großen Teil der Möglichkeiten beraubt, sich den Katastrophen anders als durch Flucht zu entziehen.
Nachdem Daniel Pauly das Phänomen shifting baseline beschieben hat, nahmen sich später Wissenssoziologen der Frage an, wie umweltrelevante Veränderungen wahrgenommen werden. Welcher Umweltzustand wird als selbstverständlich genommen? Wie funktioniert das mit dem Vergessen vergangener Zustände? Welche Rolle spielt dabei die generationelle Verschiebung von Referenzpunkten? Woran liegt es, dass bei allen und doch recht umfangreichen Erkenntnissen, die vorliegen, die Transmission von Wissen nicht ausreichend stattfindet? Woher kommt also diese weit verbreitete Blindheit gegenüber dem Wandel? Die zur Folge hat, dass es auch keine ausreichend genaue Vorstellung von in der Zukunft liegenden, bzw. in der Zukunft möglichen Zuständen gibt.
Dietmar Rost, Mitarbeiter am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen veröffentlichte 2014 ein kluges Buch über shifting baselines mit dem Titel Wandel (v)erkennen. Der Wissenssoziologe beschrieb vier für die Wahrnehmung von Wandel bedeutsame Bereiche: Das Erinnern und Vergessen einstiger Zustände, die weit zurückreichen, die Nicht-Transmission von Wissen um solche Zustände, das biografische Erinnern, Vergessen und Verzerren solcher Zustände und – was er mit seinen Forschungen hinzufügte – die (Nicht-)Wahrnehmung von in der Zukunft liegenden bzw. in der Zukunft möglichen Zuständen, um künftigen Wandel antizipieren zu können. Daran scheint auch nichts zu ändern, dass wir uns in einer Gegenwart befinden, in der wir, wie der Autor Jaron Lanier einmal schrieb, in Informationen ertrinken und nach Wissen dürsten.
Ein fataler Prozess
An Informationen mangelt es nicht. Zumindest liegen ausreichend vor, um die Dringlichkeit des Handlungsbedarfes zu erkennen und daraus Tun abzuleiten. Gleichzeitig aber findet ein fataler Prozess der Gewöhnung an die ökologischen Folgen des Klimawandels und der menschlichen Eingriffe in die Natur statt. Erst, wenn uns unsere eigenen Lebensgrundlagen entzogen werden – nicht die der anderen – sind wir wirklich gezwungen, zu handeln. Die Unfähigkeit oder Unmöglichkeit, eine weiter entfernte Zukunft zu antizipieren wird verstärkt durch die kurzen Taktungen politischer Verantwortlichkeit.
Dietmar Rost beschreibt vorsichtig, worauf es ankäme: Die Kompetenzen zur Wahrnehmung von Veränderungen müssten gestärkt werden. »Eine Stärkung der Wahrnehmung von Wandel scheint insofern also nicht in einer – sicher illusionären – Erweiterung individuellen Wissens um immer weitere einzelne Veränderungen, die sich in der Umwelt vollziehen, zu liegen, sondern in der allgemeinen Stärkung des Vermögens, überhaupt längerfristigen Wandel wahrnehmen zu können.«
Grünes Wasser. In vielleicht nicht allzu ferner Zeit werden in Naturkundemuseen Dioramen zu sehen sein, in denen Regenwald nachgestellt ist, mit Verweis auf eine abgeschlossene Vergangenheit.
Kopernikus hat uns gelehrt, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Von Darwin haben wir gelernt, dass der Mensch keine zentrale Rolle in der Evolution spielt, und Freud hat uns beigebracht, dass wir nicht Herren und Frauen im eigenen Haus (Hirn) sind. Leider haben sich diese Erkenntnisse bislang nicht ausreichend durchgesetzt.