Grundeinkommen: Wichtige Fragen sind längst beantwortet

Bild: Lightfoof for chicago auf wikimedia commons

«Willst du wissen, ob das Grundeinkommen faul macht?» Diese Frage stellen die Initianten, die aus der Stadt Zürich ein Testlabor fürs bedingungslose Grundeinkommen machen wollen. Am 25. September wird über das Pilotprojekt abgestimmt. Gelder für ihre Kampagne sammelten die Initianten per Crowdfunding, mit dem Versprechen: «Dein Beitrag macht es möglich, dass wir endlich wissen werden, ob Grundeinkommen in einer Gesellschaft funktionieren kann oder nicht.» Der Artikel erschien zuerst auf Infosperber.

Das klingt, als würde die Stadt Zürich zum weltweiten Vorreiter. Dabei wäre ein solcher Versuch international nichts Neues. Allein in Europa experimentierten unter anderem Finnland, Deutschland, die Niederlande und Spanien damit. Und weltweit gibt es bereits Programme, die einem bedingungslosen Grundeinkommen zumindest sehr nahe kommen: So etwa im US-Staat Alaska, in Iran oder in der Mongolei. In Kenia läuft zudem seit fünf Jahren der weltweit grösste wissenschaftliche Test zum Thema.

Kurzum: Einige Fragen, welche die Initianten endlich geklärt haben wollen, sind längst beantwortet.

Vorweg: Faul macht das bedingungslose Grundeinkommen nicht. Kaum ein Aspekt des Themas wurde derart ausgiebig erforscht, und praktisch alle Untersuchungen kommen zum selben Schluss: Trotz Grundeinkommen wird nicht weniger gearbeitet. Am wohl eindeutigsten zeigt das eine Studie aus dem Iran – dem weltweit einzigen Land, wo derzeit ein Grossteil der Bevölkerung (schätzungsweise 90 Prozent) bedingungslos Geld vom Staat erhält (zu Beginn 45 US Dollar pro Person und Monat, was damals etwa zwei Drittel des Existenzminimums entsprach). Laut der Untersuchung arbeiteten manche, die ein Grundeinkommen erhielten, beispielsweise im Transport- oder Servicewesen, sogar etwas mehr (36 Minuten pro Woche). Dies könnte mit einer höheren Risikobereitschaft unter Selbständigen zusammenhängen, die den Unterstützungsbetrag investierten. Weniger arbeiteten einzig 20- bis 30-Jährige. Diese investierten den Zustupf in der Regel aber in eine höhere Bildung, so die Studienautoren.

Zum selben Schluss wie die Studie aus dem Iran kommen andere Pilotprojekte aus Europa sowie Untersuchungen aus Alaska, wo seit 1982 jeder Einwohner einen jährlichen Scheck zwischen 1000 und 2000 US Dollar erhält. Die Studie fand «keinen signifikanten Rückgang» bei der geleisteten Arbeit, lediglich die Teilzeitarbeit stieg an, wenn auch nur sehr leicht. «Alles verfügbare Wissen weist darauf hin, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen zu keinen signifikanten Fehlanreizen bei der Arbeit führt», fasst ein Bericht der Weltbank zusammen.

2500 Franken für jeden: Zürich stimmt über Pilotversuch ab
Am 25. September stimmt Zürich darüber ab, das bedingungslose Grundeinkommen in der Stadt zu testen. Beim Pilotprojekt sollen 500 Einwohnerinnen und Einwohner während drei Jahren ein Grundeinkommen von 2500 bis 3000 Franken erhalten. Dies entspricht dem sozialen Existenzminimum. Wer Einkommen erzielt, bekommt entsprechend weniger. Hinter der Initiative steckt der gemeinnützige Verein Grundeinkommen. «Wir haben die Chance auf das weltweit erste, demokratische Ja zum Grundeinkommen», so Lara Can vom Initiativkomitee.

Eins, zwei, drei: Luzern ist auch mit dabei. (Foto: Pilotprojekte Grundeinkommen Schweiz) Siehe auch das Video “Goldene Aktion

Armut wird effektiv bekämpft

Auch zu anderen Fragen gibt es längst wissenschaftliche Evidenz. Allen voran: Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen kann Armut effektiv bekämpft werden. In Alaska wurde sie um rund 20 Prozent reduziert, im Iran sank die Armutsquote kurzfristig um rund die Hälfte, in der Mongolei um einen Drittel. Und auch die ersten Resultate aus Kenia zeigen, dass während der Pandemie weniger Menschen Hunger litten und krank waren. Anders gesagt: Die Geldtransfers sind nicht bloss ein Tropfen auf den heissen Stein. Sie wirken nachhaltig.

Auch scheint sich die monetäre Unterstützung positiv auf die Gesundheit auszuwirken. Bei einer Untersuchung in Finnland fanden Arbeitslose, die ein Grundeinkommen erhielten, zwar nicht eher einen Job. Sie waren aber signifikant weniger gestresst und gesünder. Ähnlich positive Effekte auf die Gesundheit­ – weniger Arztbesuche sowie medizinische Einweisungen ­– sind aus einem etwas älteren Versuch in Manitoba (USA) bekannt. Dort erzielten Schüler sogar bessere Highschool-Noten. In Namibia wiederum nahm die Kriminalität ab und Kinder gingen häufiger zur Schule.

Finanzierung als Knackpunkt

Fehlanreize bestehen also keine, und die positiven Folgen eines Grundeinkommens sind wissenschaftlich erwiesen. Doch der Knackpunkt ist bekanntlich ein anderer: Lässt es sich auch finanzieren?

Diese Frage ist primär vom politischen Willen abhängig. Die Mongolei schaffte das bedingunglose Grundeinkommen 2012 nach zwei Jahren wieder ab. Die Staatsschulden waren innerhalb von zwei Jahren von 31 Prozent auf 48 Prozent des Bruttoinlandproduktes gestiegen, wobei unklar blieb, inwiefern das Grundeinkommen dafür verantwortlich war. Auf jeden Fall verlor es den politischen Rückhalt und wurde zu Gunsten von anderen Unterstützungsleistungen gekippt.  

Es existieren demgegenüber Berechnungen, wonach die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens vergleichsweise günstig wäre.

  • Erstens würden andere Sozialausgaben wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Rente, Ausbildungs- oder Kindersubventionen überflüssig.
  • Zweitens würde die Bürokratie vereinfacht, womit der Verwaltungsaufwand abnähme.
  • Drittens würden zwar alle ein Grundeinkommen erhalten. Wer aber ein Einkommen erzielte, würde jenes über den Arbeitgeber gleich wieder zurückzahlen – womit Mehrausgaben letztlich nur durch jene entstünden, die kein oder zu wenig Einkommen für ein Leben über dem Existenzminimum erzielen.

Auf diese Weise argumentierten beispielsweise die Initianten der letzten Volksabstimmung für ein bedingungsloses Grundeinkommen, die 2016 vom Schweizer Stimmvolk deutlich abgelehnt wurde. Das Grundeinkommen sei kein zusätzliches Einkommen, sondern mit den jetzigen Geldströmen finanzierbar. Derzeit sammelt ein Komitee unter dem ehemaligen Bundesratssprecher Oswald Sigg erneut Unterschriften für eine zweite nationale Abstimmung.

Auch andere Berechnungen kommen zum Schluss, dass ein Systemwechsel finanziell tragbar wäre. Im Jahr 2015 sorgten US-Wissenschaftler für Aufsehen, als sie die Kosten für ein bedingungsloses Grundeinkommen, das allen US-Bürgern ein Leben über der Armutsgrenze ermöglichte, auf lediglich 229 Milliarden US Dollar veranschlagten – und dabei erst noch angaben, konservativ gerechnet zu haben.

Inflation als Risiko

Dennoch: Ganz so einfach ist die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht. Gerade mögliche Folgen für die Gesamtwirtschaft machen die Sache komplex, wie das Beispiel Iran zeigt. Im Jahr 2010 hatte die damalige Regierung Ahmadinejad Geldtransfers an (fast) die ganze Bevölkerung beschlossen. Sie dienten als Kompensation für gleichzeitig abgeschaffte Energiepreissubventionen. Anfänglich waren die Transfers äusserst effektiv, doch mit den Jahren machte die Teuerung einen Grossteil des ursprünglichen Effekts zunichte. Experten vermuten, dass die Geldtransfers die Inflation beschleunigt hatten. Sie kritisierten, dass sich die Regierung das Geld bei der eigenen Zentralbank lieh, statt es etwa über Steuern einzuholen. Mit einer anderen Finanzierung «würde das Programm nicht die Inflation fördern und beträchtliche Vorteile in Bezug auf die Einkommensverteilung, die Armut und die Ausweitung produktiver Investitionen von Haushalten mit niedrigen Einkommen bringen», heisst es im Bericht.

Bedingungslose Geldtransfers müssen aber nicht zwingend zu Inflation führen. In Alaska wurden in 40 Jahren, in denen die Schecks nunmehr ausgegeben werden, nie derartige Probleme festgestellt. Auch die Arbeitslosigkeit erhöhte sich nicht. Vielmehr heisst es in einem Bericht der Weltbank, die Zahlungen hätten «die Wirtschaft stimuliert und über 7000 Jobs geschaffen». So sind die Probleme, die Alaska mit seinem Quasi-Grundeinkommen hat, nicht grundsätzlicher Natur. Für Diskussionen sorgt lediglich, dass die Höhe der Beiträge schwankt, da sie vom Ölpreis abhängt. Zudem wurde das Grundeinkommen von Politikern als Wahlkampfthema missbraucht und so in Verruf gebracht

Finanzierung über Einkommens- oder Mikrosteuer

Als geeignete Finanzierungsform wird unter Befürwortern heute eine Reform der Einkommenssteuer gehandelt, zum Beispiel unter Einbezug einer negativen Einkommenssteuer: Wer weniger als das Existenzminimum verdient, erhält die Differenz vom Staat als negative Einkommenssteuer zurück, so die Idee. Als eine mögliche Alternative haben die Initianten der neuen Schweizer Initiative, für die derzeit Unterschriften gesammelt werden, eine Mikrosteuer auf Finanztransaktionen aufs Tapet gebracht.

Weltweit grösster Test in Kenia
Gespannt darf man auf die Resultate aus Kenia sein, wo die von Wirtschaftswissenschaftlern gegründete NGO GiveDirectly seit 2017 das weltweit grösste Experiment mit einem bedingungslosen Grundeinkommen durchführt. Während zwölf Jahren erhalten 20’000 Menschen ein garantiertes Einkommen von umgerechnet 22 Franken pro Monat. Das ist ungefähr der Betrag, den man auf dem Land zum Überleben braucht.
GiveDirectly verteilt schon länger bedingungslos Geld in Kenia. Aus vergangenen Studien ist bekannt, dass mit den Geldtransfers nicht nur erfolgreich Armut bekämpft wird, sondern dass auch die Wirtschaft insgesamt profitierte: Wer mehr Geld hatte, gab mehr Geld aus, zum Beispiel bei den Nachbarn.

Print Friendly, PDF & Email
Andres Eberhard
Andres Eberhard hat Publizistik studiert und die Reportageschule in Reutlingen besucht. Er war Redakteur bei Tages-Anzeiger und Zürcher Oberländer und schrieb für verschiedene Magazine. Seit 2018 ist er Reporter beim Surprise Strassenmagazin. Er schreibt vorwiegend über soziale Themen.

2 Kommentare

  1. Alle praktischen Versuche zu einem bedingungslosen Grundeinkommen kranken an dem Defizit, dass sie gerade nicht bedingungslos sind. Es erhalten nicht alle theoretisch Anspruchsberechtigten dieses Einkommen. Es ist also zunächst nichts anderes als ein zusätzliches Einkommen für einen beschränkten Kreis. Das funktioniert ohne Probleme. Spannend wird die Umsetzung, wenn sie faktisch bedingungslos ist, also alle dieses Einkommen bekommen. In diesem Fall ist es, wenn es armutsfest sein soll, nicht finanzierbar. Der Hinweis auf den Wegfall der tradierten Sozialleistungen ist insofern trügerisch, weil er für die Renten nicht gilt. Hier hat jeder Rentenberechtigte einen eigentumsähnlichen Schutz seiner Rentenansprüche, die in vielen Fällen auch höher sind wie das Niveau dieses Grundeinkommens. Die Einkommenssteuer hat nicht ansatzweise die Größenordnung, um ein bedingungsloses Grundeinkommen zu finanzieren. Insofern ist der Artikel makroökonomisch schlicht inkompetent.

  2. Ich möchte zwei prinzipielle Gedanken zum bedingungslosen Grundeinkommen anreißen und einbringen:

    Zum einen halte ich ein staatlich bzw. gesellschaftlich organisiertes Grundeinkommen für normativ geboten, zum anderen halte ich es menschheits- und nachhaltigkeitspolitisch für notwendig, die Ausgestaltung eines solchen Grundeinkommens an der Beanspruchung der Natur auszurichten.

    Zum ersten Gedanken: Das normative Gebot leitet sich auch aus der unantastbaren Würde des Menschen und aus der obersten Norm des Grundgesetzes ab. Diese Norm besagt, dass alle staatliche Gewalt die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen hat (vgl. Art 1 Absatz 1 Satz 2 GG).

    Dabei wird die staatliche Gewalt allerdings ihrer Verpflichtung, die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen, nur dann entsprechen können, wenn sie dem Menschen, dem einzelnen wie der Menschheit insgesamt es grundsätzlich ermöglicht, zu existieren.

    Weil die Unantastbarkeit der Würde des Menschen selbst bedingungslos ist, kann auch die Achtung und der Schutz durch die staatliche Gewalt und damit die Ermöglichung der menschlichen Existenz selbst grundsätzlich keiner der für die staatlichen Gewalt disponiblen Bedingung unterworfen sein.

    Daraus folgt, dass entsprechend unserer Verfassungsordnung es nicht darum gehen kann, ob es ein “bedingungsloses” Grundeinkommen geben soll, sondern nur darum, wie ein solches Grundeinkommen aussehen kann und muss, so dass es die Existenz des einzelnen Menschen ermöglicht.

    Die Ermöglichung der menschlichen Existenz könnte u.U. von der staatlichen Gewalt auch dadurch garantiert werden, dass ein Mensch, der sich der staatlichen Gewalt und der Gesellschaft grundsätzlich entziehen will, durch diese staatliche Gewalt ein “Naturraum” zur Verfügung gestellt wird, der diesem Menschen quasi als Natur ein Einkommen und damit seine Existenz ermöglicht.

    Die menschheitsgeschichtliche und zivilisatorische Entwicklung hat indes dazu geführt, dass es von staatlichen Gewalten unberührte und unberührbare Naturräume, die es dem einzelnen Menschen ermöglichen würden sich von der Gesellschaft in eine Gesellschaftslosigkeit zu verabschieden, ohne zugleich die Voraussetzungen für seine materielle Existenz zu verlieren, kaum noch oder überhaupt nicht mehr gibt.

    Zum zweiten Gedanken: Die menschheitspolitische Notwendigkeit der Gestaltung eines Grundeinkommens an der Beanspruchung der Natur folgt aus der Gleichheit der Menschen im Hinblick auf die Unantastbarkeit seiner Würde einerseits und den planetaren Grenzen unsere Natur- bzw. Ökosphäre andrerseits.

    Aus der Gleichheit in der Würde des Menschen folgt prinzipiell, dass jeder Mensch einen gleichen Anspruch auf Beanspruchung der natürlichen Lebensgrundlagen besitzt. Wenn die Naturbeanspruchung quantitativ begrenzt ist, folgt daraus, dass jeder Mensch auch einen gleichen Anteil an dieser begrenzten Quantität hat.

    Die Höhe eines daraus resultierenden Grundeinkommens würde sich dann ggf. nach den durch die staatlichen Gewalten festgelegten monetären Bestimmungen dieser begrenzten Quantität ergeben.

Schreibe einen Kommentar zu Thomas Weber Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

bruchstücke