Sozialisation in Randale-Gruppen: Gang ist das Schlüsselwort

Screenshot Twitter

In der Silvesternacht hatten sich in einer Reihe von Städten Gruppen Jugendlicher verabredet, um – wie es umgangssprachlich heißt – “die Sau raus zu lassen”; also Spektakel zu veranstalten, Böller und Silvesterraketen als Waffen gegen sich und andere zu verwenden, die Feuerwehr an der Arbeit zu hindern, dabei Feuerwehrleute zu verletzen, der Polizeigewalt Widerstand zu leisten, in der Summe zu zerstören, was die Jugendlichen in die Finger bekamen und Leben sowie die Gesundheit anderer zu gefährden. Und sofort ging die parteipolitische Böllerei los.

Es waren keine Dumme-Jungen-Streiche, sondern dieses Treiben war kriminell und daher in keiner Weise zu beschönigen oder gar zu tolerieren. Freilich: Viel wissen wir alle bis heute nicht. Bekannt sind Zahlen darüber, wie viele Jugendliche von Polizeien festgesetzt wurden, wie viele dieser oder jener Ethnie zuzurechnen sind, wie viele davon einen deutschen Pass haben oder nicht. Über die Strukturen in den Gruppen der Handelnden wissen wir so gut wie nichts. Ausgehen können wir davon, dass manche der Jugendlichen aus Ländern stammen, in denen der Staat wie ein Räuber auftritt; Repressallien und Korruption an der Tagesordnung sind. Der Staat ist nicht der Freund und Helfer, sondern der ist Gegner. Zweitens wissen wir, dass solche Gruppen heute bestens untereinander vernetzt sind, ständig untereinander kommunizieren und kommunale Infrastruktur zu nutzen wissen.

Drittens ist klar, dass es sich um absolute Minderheiten handelt. In Bonn waren es nach Auskunft der Polizei nicht viel mehr als 50 kriminell Handelnde, die sich aber – möglicherweise auf eine größere Zahl lediglich Sympathisierender stützen können.

Screenshot: Twitter

Sehr rasch waren im Anschluss an die Silvesternacht 2022 auf 23 unterschiedliche Meinungen zu hören. Die einen argumentierten vor allem mit dem Hinweis auf den sogenannten migrantischen Hintergrund der Randalierer. Folgemeinung: Die schon wieder. Kann man nicht endlich…. Andere sprachen von sozial abgehängten Jugendlichen und vom Versagen der Integration. Darauf folgt: Da hat die Gesellschaft ganz schön versagt.

Ist das so?

Ein kurzer Rückblick: Der amerikanische Journalist Harrison E. Salisbury, mehrfacher Pulitzer-Preisträger, hat 1958 ein Buch geschrieben, das den Titel hat: “The shook up- Generation“, in der deutschen rororo-Ausgabe wenige Jahre später: “Die zerrüttete Generation.” Darin ist zu lesen: “Für sie ( die zerrütteten Jugendlichen, Anm des Verfassers) existiert die Gang seit langem, und keiner von ihnen kann sich seine Welt oder irgendeine Welt ohne eine Gang vorstellen. Diese Welt ist eng und wird fast vollständig von dem Leben in der Bande ausgefüllt.”
Einige Jahre später (1965) las Mensch im Berliner Tagesspiegel: “Die Bühne wurde im Sturm genommen und erklommen. Polizeiknüppel fuhren machtlos dazwischen. Leiber flogen hinauf zur Bühne und wieder herunter auf die Häupter des nächsten Stoßtrupps.” Und so weiter und so weiter.
Zerstören und verletzen durch Randale ist demnach nichts neues. Wurde von Leuten wie Salisbury bereits vor bald 70 Jahren präzise beschrieben und auf den Kern gebracht. “The Gang” – das ist in vielen, vielen Fällen das Schlüsselwort.

Das erste, was dazu einfällt, ist die Tatsache, dass in Randale-Gruppen der erwähnten Art die eigentliche “Erziehung”, die Sozialisation von Jugendlichen stattfindet; nicht mehr daheim oder in der Schule, sondern unter den Regeln solcher Gruppen, was heißt: Das Recht des Stärkeren und der Stärksten, Brutalsten zu akzeptieren und unter Beweis zu stellen, dass man zu denselben Taten bereit ist wie die übrigen. Das ist der wichtigste Teil dieser “Lebensschule”. Früher hieß es: Auf der Straße groß geworden. Nicht jeder und jede auf die das zutrifft, wurde kriminell. Keineswegs. Aber viele wissen aus eigener Kenntnis, was das hieß. Nämlich “Erziehung” zu mitleidloser Anpassung.

Da helfen Böllerverbote wenig

Die Jugendforschung zeigt, dass manche/viele in solchen Gruppen – Täter wie Mitläufer – in der Familie geprügelt wurden. Prügel, Schläge und Tritte, Herabsetzen und Verhöhnen. Andere blieben sich völlig selbst überlassen, weil die Eltern ihre ganze Kraft tagein tagaus in die Existenzsicherung stecken mussten. Auch damals war es so (es wird heute nicht anders sein), dass viele der Randalierer nicht gerade zu den hellsten Köpfen zählen. Die “docken” irgendwo an, um “irgendwie klar zu kommen”, wie man sagt. Die Integrationsbeauftragte Neu Köllns, Gülen Balci, nennt die heutigen “Dumpfbacken”.

Da helfen Böllerverbote wenig. Die sind aus anderen Gründen notwendig. Das Wichtigste ist, dass Jugendliche, die wegen Brutalität, des Fehlens von Achtung vor Leben, Gesundheit und Besitz anderer gefasst wurden, unmittelbar danach vor Gericht stehen – und dann, wenn sie als Täter festgestellt wurden, mit saftigen Strafen rechnen müssen. So wie ein Raucher inhaliert, so müssen jugendliche Täter der erwähnten Art “inhalieren”, dass Staat und Gesellschaft sich nicht alles gefallen lassen. Es ist übrigens gesichert, dass Straßen und Stadtteile, aus denen die 50 oder 100 oder 150 Randalierenden jeweils stammen, nicht hinter denen stehen.

Und dann beginnt der schwierigste Teil. Eltern (vor allem die Eltern), Schulen, Jugend- und Sozialämter, auch die Polizei und die oft genannte Zivilgesellschaft müssen zusammen gebracht werden, damit nach der Strafe Wege für diese Jugendlichen gefunden werden. Einen anderen erfolgversprechenden Weg gibt es nicht.

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Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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