Eines der meist gebrauchten Worte rund um die Besetzung und Räumung der früher einmal bewohnten Häuser von Lützerath lautet „Widerstand“. Widerstand gegen wen oder was?
Grund und Boden sowie die Häuser des früheren Dorfes Lützerath gehören einem Unternehmen. Diese Häuser durch Betreten, Bewohnen und Verändern in Besitz zu nehmen wird als Widerstand gegen das Hausrecht des Unternehmens bezeichnet. Und zwar von den Besetzenden. In diesen Häusern entscheiden nun die neuen „Besitzer“, wer ein Haus betreten darf und wer nicht. Auch das wird als Widerstand bezeichnet. Als Widerstand gilt auch, die Umgebung dieser Häuser so zu „ertüchtigen“, dass ein Barrikaden-Zustand entsteht, der für jeden und jede eine Gefahr für Leib und Leben werden kann, der diese Barrikaden überwinden will. In Räumen, die gegen ein Hausrecht genutzt werden, wird sogenannte Pyrotechnik gestapelt und werden wurfbereite Flaschen mit entzündlichem Inhalt bereitgehalten, durch die Menschen bei Gebrauch zu Tode kommen können. Es wird Widerstand genannt.
Neutrale Polizei?
Jedenfalls ist nicht bekannt, dass die führenden Persönlichkeiten einer Aktion „Rettet Lützerath“ durchgesetzt hätten, solche de facto Waffen zu vernichten beziehungsweise nicht zu nutzen. Angelegte Fallen mit Verletzungsgefahr, in die Polizei hineintappen könnte (soll?), zählen ebenfalls zum Widerstandsrepertoire. An einem Haus Lützeraths war die Parole angebracht worden: „Zwischen Bullenhelm und Nasenbein, passt immer noch ein Plasterstein“. Dieser Satz entstammt einem Hasslied einer brandenburgischen Band namens Freizeitpunks. Es ist auch nicht bekannt, dass von den führenden Persönlichkeiten der Demonstranten verlangt worden wäre, die Hasszeile abzuhängen. So wurde der Satz Teil des Widerstands Designs. Und Greta Thunberg, die zentrale Persönlichkeit der Umweltbewegung ruft angesichts dieser Verhältnisse nicht etwa zur Besonnenheit auf, sondern fordert Widerstand. Nachzulesen in der Welt, der SZ oder auch in der FAZ. Der Klimaaktivist David Dresen fordert am 11. Januar in einer Phoenix Runde, die Polizei solle gegenüber dieser Häuser- Besetzung „neutral“ sein, sie solle sich nicht zum Organ des Innenministeriums machen. Er schüttelte in der Diskussion verneinend den Kopf, als der Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, auf die Verantwortung Demonstrierender hinwies, ihre Aktionen nicht auf die Spitze zu treiben und zu begreifen, dass die Polizei nicht neutral sein könne, sondern ein „klares Mandat“ habe.
Das Wort Widerstand wurde erwartungsgemäß breit aufgegriffen. Beispiele: „Widerstand um jeden Preis?“(Monitor); „Aktivisten leisten Widerstand“(Die Tagesschau); „Letzter Widerstand in Lützerath“ (ORF); „Widerstand in Lützerath ist Pflicht“ (Der Freitag).
Unterfüttert wurden Widerstands- Berichte durch prominente Stimmen: In der Sendung von Anne Will am 15. Januar 2023 sagt die Fridays for Future-Sprecherin in der Bundesrepublik, Luisa Neubauer, im Jahre 2023 stelle sich die Bundesregierung, die „Hauptverursacherin für die Klimakrise schützend vor die fossile Zerstörung“. Danach bezweifelt sie, dass der Konzern, obgleich mit einer höchstrichterlichen Entscheidung auf seiner Seite, überhaupt ein Abbaurecht habe. Das habe ihr eine Rechtsanwältin gesagt.
In den Widerstand gehen?
Diese Argumentation stützt sich auf eine Auslegung, die Stephan Hebel im Freitag präzise erläutert hat: „Formaljuristisch gibt es … das Recht auf Widerstand in Lützerath – momentan nicht. Auch das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das künftigen Generationen das Recht auf Klimaschutz ausdrücklich zuspricht, dürfte nach Meinung von Expertinnen und Experten keine juristische Grundlage abgeben für das Verhindern konkreter Aktionen wie der Zerstörung des nordrhein-westfälischen Dorfes. Aber die Klimabewegung hebt die Debatte mit Recht auf eine andere Ebene…“.
Elektrisierend war noch etwas anderes: WDR 5 am 10.Januar um 12 Uhr 10. Der Titel des Tagesgesprächs lautet: „Räumung Lützerath – Symbol wichtiger als Rechtslage?“ Eine durchaus Protestform- kritische Frau namens Barbara Dembowski sagt, sie sei grundsätzlich gegen Gewaltanwendung und vor allem gegen Feindbilder, nicht zuletzt gegen die, die auf Polizisten gemünzt seien. Steinewerfer schadeten der Sache des Klimaschutzes. Anschließend folgte ein auf andere, protestierende Frauen gemünzter Satz: „Die gingen in den Widerstand.“ Im Gespräch mit dem WDR fiel das Wort Widerstand so, als sei Widerstand in Teilen der Protestbewegung geläufig, als sei es gewohnter Sprachgebrauch.
Was meint das: In den Widerstand gehen? „In den Widerstand gehen“ kommt mir in den Sinn in Verbindung mit der Rèsistance, also der Widerstandsbewegung gegen die Naziherrschaft in Frankreich; beispielsweise auch im Gedenken an den ermordeten Attentäter Georg Elser oder an Karl Heinrich, den von Nazis wie Kommunisten so genannten „Knüppel-Heinrich“. Das war der Polizeimajor, der den Reichstag bis 1933 zu schützen hatte, der in Spandau ein Widerstandsnetz gegen die Nazis aufzog, der in Zuchthaus und KZ kam, und den die sowjetische Militäradministration 1946 umbrachte. „In den Widerstand gehen“ ist verbunden mit Unfreiheit im unterdrückenden Staat; mit Polizeistaat, der Bürgerrechte abbaut und abschafft und faire Verfahren unmöglich macht. Ist das denn bei uns so?
Das Wort „Widerstand“ hat in der Bundesrepublik eine lange Geschichte. Abonniert auf dieses Wort waren bis weit in die 70er Jahre die Rechtsradikalen. Als Antwort auf ein dauerhaftes Ausbleiben des Erfolgs in den Parlamenten wurde 1970 eine hässliche „Aktion Widerstand“ aufgezogen, die sich vor allem gegen die Ost- , Friedens- und damit gegen eine Anerkennungspolitik wandte. Aber nicht nur. Die Aktion Widerstand wirkte noch lange nach. So lief beispielsweise die mittlerweile verstorbene Kölner Rechtsradikale Erwine Lehming noch 2004 mit einem umgehängten Plakat herum, auf dem stand: „Wir informieren“ – „keine Steuergelder für die Synagoge“.
Später übernahmen gegen Kernkraftwerke und gegen Rüstungsbeschlüsse Demonstrierende das Wort Widerstand in ihren Wortgebrauch. Anzunehmen ist, dass sie die Bedeutung des Wortes für die rechtsradikale Seite des Landes nicht kannten. Aber wirklich geklärt wurde nie, wo die Demonstration endet und der selbstbestimmte Widerstand beginnt.
Weder Fakten noch Norm
Was heißt das? Was bedeutet Neutralität der Polizei? Sollen Polizisten eine Art Schiedsrichter zwischen Fordernden und Ablehnenden sein? Gelten Gerichtsurteile nur bedingt, sind sie von Ausmaß einer Demonstration oder einer gehörten Meinung abhängig? Wird künftig die bodenlose, alte Diffamierung durch Stalinisten und Nazis gleichermaßen „wer hat uns verraten, Sozialdemokraten“ auf Grüne angewendet? Wer heute zum Widerstand aufruft, in den Widerstand gehen will und Widerstand in sein Protestverhalten integriert, der kann weder Fakten noch Norm für sich reklamieren. Ein wie auch immer gesehenes Recht auf Widerstand kann er nicht für sich beanspruchen. Für den Fall der Fälle hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes bis heute geltend festgelegt: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ So steht es in Artikel 20 des Grundgesetzes – mit Ordnung ist nach übereinstimmender Auffassung der Verfassungsjuristen die demokratische Ordnung im Land gemeint. Das Wort Widerstand kommt in den 146 Artikeln des Grundgesetzes nur ein Mal vor – und zwar im erwähnten Artikel 20.
Es ist nichts geschehen oder getan worden, was den Artikel 20, Satz vier hätte aktivieren können.
Danke, Klaus Vater, sehr gut + präzise auf den Punkt gebracht. Man könnte noch ergänzen: Wenn die – ob von rechts oder links -, die sich auf ein „Widerstandsrecht“ berufen, so weitermachen und damit unsere parlamentarische Demokratie aushölen, wäre DAGEGEN Widerstand tatsächlich angesagt. Gemäß dem zitierten Art. 20.4 GG. Auch kein noch so hehres, wichtiges Ziel rechtfertigt Gewalt. Auch nicht die falsche Verwendung des Widerstandsbegriffs in div., sympathisierenden Medien.
Dank auch von mir! Ein hervorragender und leider notwendiger Beitrag zur Klärung einer unsäglichen Begriffsverwirrung.
Der Beitrag von Klaus Vater „ Widerstand! Gegen wen oder was?“ wird dem legitimen und notwendigen Widerstand gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen und des Mensch-Planeten-Systems meines Erachtens nicht wirklich gerecht.
Dem letzten Satz des Beitrages: „Es ist nichts geschehen oder getan worden, was den Artikel 20, Satz vier hätte aktivieren können“ stimme ich zwar zu. Dass aber etwas nicht geschehen oder getan worden ist, heißt nicht, dass es nicht möglich ist oder sein wird, dass etwas geschieht bzw. getan wird, was den Artikel 20 Absatz 4 betrifft.
Hierzu ein paar Gedanken:
Die Absätze 3 und 4 des Artikels 20 des Grundgesetzes lauten:
„(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Textlich liegt es nahe, „diese Ordnung“ in Absatz 4 auf die „verfassungsmäßige Ordnung“ des Absatzes 3 zu beziehen.
Diese „verfassungsmäßige Ordnung“ in Absatz drei dürfte allerdings mehr sein als „die demokratische Ordnung“ , wie sie Klaus Vater im letzten Absatz im Beitrag ausführt, und dürfte auch über den Artikel 20, der die demokratische Ordnung begründet, insgesamt hinausgehen.
Der Absatz 3 des Artikels 79 weist die Richtung für das „Mehr“ der verfassungsmäßigen gegenüber der demokratischen Ordnung:
„(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“
Entsprechend dieser Bestimmung dürfte die verfassungsmäßige Ordnung durch die Gliederung des Bundes in Länder und die Grundsätze des Artikels 1 und 20 gebildet werden.
Zu den Grundsätzen des Artikel 1 dürfte ohne Zweifel die Bestimmung gehören, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und dass es Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, diese unantastbare Würde zu achten und zu schützen.
Zur Verpflichtung, die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen dürfte auch gehören, die planetaren Lebens- und Existenzgrundlagen so zu schützen, dass die Fortexistenz des Mensch-Planeten-Systems gewährleistet ist und die Drohung des Kollapses des Mensch-Planeten-Systems abgewendet wird.
Denn wenn Menschen auf dem Planeten nicht mehr existieren (können), ist auch die Achtung und der Schutz der Würde des Menschen nicht mehr möglich und jede verfassungsmäßige Ordnung ist dann faktisch abgeschafft.
Deshalb ist im Artikel 1 des Grundgesetzes durchaus enthalten, dass es auch Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, Aktivitäten, die zur Zerstörung der Existenzgrundlagen führen, zu verhindern.
Dass alle staatliche Gewalt dieser Verpflichtung zum Schutz der Existenzgrundlagen nicht hinreichend nachkommen, liegt heute zumindest im Bereich des Möglichen, ist aber offensichtlich (noch) nicht der Fall.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutzgesetz zeigt , dass die dritte Gewalt in der Lage sein kann, ein Versagen von Legislative und Exekutive anzusprechen und zu korrigieren. Insofern scheint es (noch) nicht so zu sein, dass „andere Abhilfe nicht möglich ist“
Solange das so ist und solange die Gewaltenteilung funktioniert, wird man sich für einen Widerstand deshalb nicht auf den Artikel 20 des Grundgesetzes berufen können.
Sich nicht auf diese explizite Widerstandsrecht des Grundgesetzes stützen zu können, heißt allerdings nicht, sich nicht mit angemessenen Mitteln gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen nicht nur durch den Kohleabbau, sondern durch alle der in der Agenda2030 dargestellten Fehlstellungen und Fehlprozesse im Mensch-Planeten-System, stellen zu können und zu stellen.
Im Einsatz und Widerstand gegen diese Zerstörung der Lebensgrundlagen kann und sollte sich die Nachhaltigkeits- und Klimabewegung auf das Grundgesetz berufen und kann sich dabei auch der Legitimität vor dem Grundgesetz – nicht zuletzt durch das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichtes – sicher sein.
Sehr geehrter Herr Weber,
das Bundesverfassungsgericht hat dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gegen deren Zerstörung Verfassungsrang zugesprochen. Damit ist freilich nichts über die Rechtmäßigkeit von Protestformen gesagt.
Zentral ist in diesem Zusammenhang der Abbau der Energieerzeugung durch fossile Vorräte. Im vorliegenden Fall hat eine Vereinbarung dazu geführt, dass der mögliche Abbau von über 500 Millionen Tonnen Braunkohle bis 2038 auf den Abbau von 280 000 Millionen Tonnen bis 2030 reduziert worden ist. Ob das tatsächlich realisiert wird, daran habe ich Zweifel. Es kann auch rascher gehen.
Und das liegt daran: Ab 2023 müssen für jede Tonne Braunkohle CO2 Zertifikate gekauft werden. Der Preis solcher Zertifikate steigt kontinuierlich, ab 2026 wird gleichzeitig die Zahl solcher Zertifikate Jahr für Jahr verringert. Es gibt also Druck auf die Braunkohleförderung von zwei Seiten.
Dahinter steckt ein Konzept, das der CO2 Belastung durch diese Kohle ein Ende setzt, das aber gleichzeitig Zeit für Anpassungen gibt.
Eine Idee, wie sie der erwähnte Aktivist Dresen verbreitete (bei Lanz), innerhalb von zwei Jahren die Klimaneutralität im Sektor Verkehr herzustellen, bedeutet millionenfache Arbeitslosigkeit und ökonomische Schwächung. Das zu fordern und durch illegale, gewalttätige Aktionen zu untermauern ist das eine; die andere Seite ist, dass nur eine sozial und ökonomische stabile Bundesrepublik in der Lage ist, die Klimaneutralität innerhalb von 25 Jahren technisch und vom Investitionsvolumen her zu bewältigen. Alles andere ist zum Scheitern verurteilt. Dann allerdings könnte der Satz vier Artikel 20 relevant werden. Freundliche Grüße
Es tut gut, in solch aufgeregten Zeiten die Debatte zu versachlichen. Dafür herzlichen Dank Klaus Vater. Eine Anmerkung noch zu Herrn Weber: Nicht die Quantität (Länge des Schriftsatzes) sondern die Qualität der juristischen Argumentation ist entscheidend für die Beurteilung eines Sachverhaltes. Ihre Argumentation weckt bei mir den Verdacht, dass sich im Zweife, folgt man Ihrer Argumentation, Jede und Jeder, „sein Recht“ selbst zurechtbasteln darf. Das allerdings hat mit meinem Verfassungsverständnis dann nichts mehr zu tun.
Die Verfassung eines demokratischen Rechts- und Sozialstaates als repräsentative Demokratie gehört zum Besten, das die politische Geschichte kennt. Sie gilt es gegen gewaltbereite Angreifer zu verteidigen.
Gewiss nicht nur, aber auch im Rahmen dieser Verfassung finden gesellschaftliche, vor allem ökonomische Entwicklungen statt, die nicht nur größte soziale Ungerechtigkeiten erzeugen, sondern auch die natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planeten massiv beschädigen. Die Artenvielfalt reduziert sich drastisch, die Zustände von Boden, Wasser und Luft sind schon jetzt in manchen Regionen lebensgefährlich.
Ein kritisches Reden über Widerstand, dass diese gesellschaftlichen Entwicklungen zur Randnotiz macht und sich auf ein Plädoyer für unsere Verfassung beschränkt, unterschlägt so viele Wirklichkeiten, dass es keinen Beifall verdient.