Kleben und kleben lassen

Bild: Dall-E von OpenAI (Dall-E ist ein von OpenAI entwickeltes Computerprogramm, das Bilder aus vorgegebenen Text generiert).

ACHTUNG: Nach dem Lesen dieses Artikels wollen Sie sich an Reiche kleben… 
Wir schreiben das Jahr 2029 und Melanie B. und Jan A. verlassen ihre Wohnung, um sich wie jeden Freitag an einen Reichen zu kleben. Doch wie ist es dazu gekommen und was motiviert die jungen Menschen, eine lange Haftstrafe zu riskieren?
… weil Sie wissen, warum nicht Klima-Kleber extremistisch sind, sondern die Gesellschaft, und wie ein Kompendium des absurden Widerstands in einer extremen Gesellschaft aussehen könnte. 

Die Debatten über die Klimakatastrophe werden in weiten Teilen der Gesellschaft nicht über Ursachen oder Lösungen geführt. Der Diskurs dreht sich zu einem großen Teil nur noch um zivilgesellschaftliche Selbstverständlichkeiten, politische Protestformen und deren Legitimität, Radikalisierung, oder sagen wir es kurz: Klima-Kleber. Ein großer Anteil der rar gesäten Aufmerksamkeitsspanne wird genutzt, um darüber zu philosophieren, in welcher Form ziviler Ungehorsam oder Protest legitim oder auf dem Weg ist, sich zu einem extremistischen Widerstand zu formieren.

Diese Debatten sind Ablenkung. Aber sie offenbaren, dass ein Großteil der daran partizipierenden Akteure die Auswirkungen der Klimakatastrophe nicht greifen können und sich der tiefgreifenden Veränderung nicht bewusst sind. Ein viel genutzte Formulierung lautet “Anpassung an den Klimawandel“. Dies ist eine sehr schöne Umschreibung für eine Zukunft die, nach den wissenschaftlichen Studien, aus Genozid, Massensterben, Bürgerkriegen, Ressourcenkriegen, tiefgreifender Armut und Hunger bestehen wird. Kurz: dem Ende der menschlichen Zivilisation und damit auch der Demokratie.

In Anbetracht dieser Erkenntnisse ist es sinnvoll, einen Perspektivwechsel zu vollziehen: 

Bild: Dall-E von OpenAI

Extremistisch ist nicht das Individuum, das dagegen aufbegehrt und versucht, Aufmerksamkeit auf die drohende Zukunft zu lenken wie die mythologische Figur Kassandra. Extremistisch ist die Gesellschaft, die diese drohende Zukunft ausblendet und den Wohlstand der Gegenwart gegen die Zerstörung jeglicher Lebensgrundlagen in der Zukunft ausspielt.
Kassandra, vom griechischen Gott Apollon dazu befähigt, die Zukunft vorauszusehen, warnte die Trojaner vor dem drohenden Krieg mit den Griechen und auch davor, das hölzerne Pferd in die eigene Stadt zu ziehen. Doch niemand wollte ihr Glauben schenken. Das Ende der Geschichte ist bekannt.

Menschen im Protest gegen die Untätigkeit und die Verschlimmerung der Klimakatastrophe haben keine hellseherischen Fähigkeiten. Sie brauchen diese auch nicht. Die Wissenschaft kann den gegenwärtigen und zukünftigen Verlauf der Klimakatastrophe exakt genug messen, um Spekulationen überflüssig zu machen. Was Kassandra und Klimakleber 2022 einte: Beide vermittelten Zukunftsängste vor etwas Ungewissem. Beide Geschichten wurden aufgeschrieben. Im Nachgang erinnert man sich aber lieber an den Schrecken, an die Katastrophe als an Warnerinnen und Warner.  

Die Individuen, die diese Erkenntnisse ernst nehmen, sehen sich mit einer Gesellschaft konfrontiert, die ganz offensichtlich beschlossen hat, jegliche Warnungen in den Wind zu schlagen. Weder blind noch taub noch unwissend, sondern sehr bewusst gehen wir kollektiv in eine dunkle Zukunft. Die Fragestellung „by design or by disaster?“wird ganz klar mit DISASTER beantwortet. DISASTER durch Untätigkeit gegen einen weltweit aus den Fugen geratenen Finanzmarktkapitalismus, der nicht mehr aufhaltbar scheint. Die Rückeroberung der gemeinschaftlichen Kontrolle über Ressourcen scheint unwiederbringlich ins Private übergegangen sein. Die Gesellschaft erliegt diesem Zustand in Schockstarre. Fast schon täglich werden die Regeln/das Design angepasst, um das wabernde System, das unsere Hoffnung gelöscht hat, nicht kollabieren zu sehen. BY DESIGN wäre, die gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsformen so zu verändern, dass sie eine Verschlimmerung der Klimakatastrophe verhindern. 

Eine Gesellschaft, die den Tod von unzähligen Menschen und Lebensformen in Kauf nimmt, ist extremistisch. Extrem gegen das Leben. Extrem untätig. Kurz: EXTREMELY INACTIVE FOR DISASTER.
Daraus folgt, dass der Protest und Widerstand gegen diese “Untätigkeit“ lebendig ist.

Der Perspektivwechsel ermöglicht die Betrachtung eines besonders extremen und unnötigen Bestandteils dieses gesellschaftlichen Einsatzes für ein Disaster, den der sozialen Ungleichheit und deren Auswirkung auf die Beschleunigung der Klimakatastrophe. Kurz: Reichtum. Klima (DISASTER) & Ungleichheit.

Wie Abramowitsch, Musk, Bezos & Co. die Erde zerstören

Die weltweiten Einkommens- und Vermögensunterschiede sind eng mit ökologischen Ungleichheiten und ungleichen Beiträgen zum Klimawandel verbunden. Im Durchschnitt stößt der Mensch pro Kopf und Jahr 6,6 Tonnen Kohlendioxidäquivalent (CO2) aus. Die oberen 10 % der Emittenten sind jedoch für fast 50 % aller Emissionen verantwortlich, die unteren 50 % verursachen 12 % der Gesamtemissionen. Diese Ungleichheit ist absolut radikal. Die Zahlen stammen aus dem World Unequality Report 2022.

Der Bericht zeigt auch, dass die arme Hälfte der Bevölkerung in den reichen Ländern die von diesen reichen Ländern für 2030 gesetzten Klimaziele bereits erreicht hat (oder nahe daran ist), wenn diese Ziele auf Pro-Kopf-Basis ausgedrückt werden. Bei der oberen Hälfte der Bevölkerung hingegen ist dies nicht der Fall. Große Ungleichheiten bei den Emissionen legen nahe, dass die Klimapolitik stärker auf reiche Verschmutzer abzielen sollte. Bislang haben klimapolitische Maßnahmen wie Kohlenstoffsteuern oft unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf Gruppen mit niedrigem und mittlerem Einkommen, während die Konsumgewohnheiten der reichsten Gruppen unverändert blieben.

Superreiche – Superverschmutzung

Die Auswirkungen von Ungleichheit auf das Klima werden jedoch noch absurder. Die Superreichen, also die 2 095 Milliardäre auf der Forbes-Liste gehören zu den rund 300.000 „Ultra High Net Worth Individuals“, die jeweils mehr als 30 Millionen US-Dollar an Vermögenswerten (Wealth-X 2018) und zusammen ein Vermögen von 31,5 Billionen US-Dollar besitzen, was schätzungsweise 11 % des gesamten Geldvermögens der Welt entspricht.

Bild: Dall-E von OpenAI

Wenn man sich den Beitrag zur Umweltverschmutzung der Superreichen anschaut, wird die Radikalität besonders deutlich: Allein die reichsten 1 % (ca. 63 Millionen Menschen) waren verantwortlich für 15% der kumulierten Emissionen und 9% des Kohlenstoffbudgets – doppelt so viel wie die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung  

Eine Studie untersuchte die Emissionen von zwanzig der reichsten Milliardäre der Welt und kam zu dem Ergebnis, dass jeder von ihnen im Durchschnitt 8000 Tonnen Kohlendioxid ausstößt – zum Vergleich: Der Durchschnittsbürger in einem reichen Land kommt auf etwa 6 Tonnen, und die Menge, die benötigt wird, um das globale Sicherheitsziel von 1,5 Grad zu erreichen, liegt bei etwas mehr als 2 Tonnen pro Person. Eine neue Analyse der Privatjetflüge der Superreichen hat außerdem ergeben, dass die Prominenten und Milliardäre in einer Minute mehr Kohlendioxid ausstoßen als normale Menschen in einem Jahr.

Der Konsum von Milliardären ist nicht nur deshalb problematisch, weil er kohlenstoffintensiv ist, sondern auch, weil er letztlich den öffentlichen Konsens untergräbt, der politische Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen und zur Abwendung einer Klimakatastrophe unterstützen könnte. Was bedeutet das nun konkret? Wie viel mehr Umweltverschmutzung wird durch einen einzigen Superreichen erzeugt?

Oxfam: Milliardäre auf der ganzen Welt „plündern den Planeten“

Der Besitzer des FC Chelsea Roman Abramowitsch bläst so viel CO2 in die Atmosphäre wie ein Drittel der (13,3 Millionen) Einwohner Ruandas. Die größten milliardenschweren Klimaverbrecher wurden in einer Studie ermittelt. Der russische Oligarch Roman Abramowitsch ist an der Spitze. Laut Ecowatch stößt der 55-Jährige jedes Jahr 33.859 Tonnen CO2 in die Atmosphäre, wenn er mit seiner Superyacht im Mittelmeer umher fährt und mit einem Privatflugzeug mit 30 Plätzen im Speisesaal davon jettet. Das ist 4.200 Mal mehr als der durchschnittliche Brite. Oxfam verweist in einer eigenen Studie darauf, dass Milliardäre wie Abramowitsch ihre persönlichen Treibhausgasemissionen radikal reduzieren müssen, wenn die Welt einen katastrophalen Klimawandel vermeiden will. 

Die radikalen gesellschaftlichen Gegebenheiten, die zur Klimakatastrophe führen, werden so gut wie nicht diskutiert. Insbesondere wenn es um Ungleichheit geht, gibt es nur ein mediales Flüstern und ein politisches Schulterzucken. Dabei ist der Zusammenhang zwischen extremem Reichtum und unvergleichbarer Klimaverschmutzung enorm hoch. Während die Normalsterblichen Verzicht üben sollen, fliegen die Superreichen mit dem Privatjet von Yacht zu Yacht und emittieren so viele CO2 Emissionen, dass jeglicher Verzicht der breiteren Bevölkerung dagegen ins Lächerliche gezogen wird.

Was soll man also tun, wenn Musk & Friends den Planeten vernichten? Wenn man eher das DESIGN, statt das gesellschaftlich akzeptierte DISASTER bevorzugt. Kurz: Widerstand. Sich an Reiche kleben.

Bricolage der Protestformen

Widerstand gegen die gesellschaftliche Handlungslosigkeit ist wichtig. Doch was tun wir, wenn die Gesellschaft an sich extremistisch ist und jede Form zielgerichteter ziviler Widerstände absolut absurd wirkt? Wie demonstriert man gegen etwas Abstraktes wie systemisches Versagen? Es gilt den größten Hebel zu finden und an die Wurzel des Problems vorzudringen. Sowohl soziale Ungleichheit, als auch Klimaverschmutzung haben einen nicht zu unterschätzenden Faktor: Reiche, die sich nicht als Teil des gesellschaftlichen Miteinanders verstehen.

Absurden gesellschaftlichen Zuständen kann man nur mit absurden Protestformen entgegentreten. Deshalb hier eine unvollständige Liste absurden Widerstands in einer radikalen Gesellschaft:
Statt auf der Straße genervte Autofahrende aufzuhalten und damit Mittelstand und ärmere Bevölkerungsschichten zu drangsalieren, sollte sich der Protest auf eine Zielgruppe konzentrieren: „Ultra High Net Worth Individuals“, die jeweils mehr als 30 Millionen US-Dollar an Vermögenswerten besitzen. 

Straßen und öffentliche Museen treffen vielleicht Aufmerksamkeits-Nerven der Gesellschaft, aber das tun auch Superreiche. Reiche verursachen die meisten ihrer Emissionen über ihre luxusgetriebene Mobilität. Sich an sie zu kleben, hindert sie effektiv an der Wahrnehmung dieser Mobilitätsmöglichkeiten. Dies beinhaltet auch Beförderungsmittel der Superreichen-Klimaverbrecher: Privatjets und Superyachten. 

Superyachten sind das ultimative Statussymbol der Klima-Verbrecher, nach unsinnige penisförmige Raketen ins All schießen. Es wäre doch sehr schade, wenn diese Yachten als Mahnmal der Schande gelten und stetig in jeglichen Häfen von Protesten und oranger Farbe begrüßt würden. Drohnen mit Farbbeuteln und eine interaktive Karte, die diese Klimaverpester mappt und ihren CO2 Ausstoß gegenüber dem Durchschnitt der Bevölkerung deutlich macht, sind ein effektives Mittel, das Statussymbol in ein Mahnmal der Schande zu transformieren. Dies gilt auch für die Konzerne, die diese Superyachten produzieren und die Werften, in denen sie gebaut werden.

Fun Fact: Jeff Bezos forderte die Stadt Rotterdam auf, einen Teil einer historischen Brücke abzureißen, um seiner Yacht die Durchfahrt zu ermöglichen. Die Brücke versperrte dem Schiff den einzigen Weg aus der Werft zum Meer und hatte eine zu geringe Durchfahrtshöhe, um es passieren zu lassen. Er scheiterte.

Privatjets in den Flugsimulator verbannen

Bild: Dall-E von OpenAI

Ein aktueller Bericht von Yard, einer in Großbritannien ansässigen Agentur für Nachhaltigkeitsmarketing, analysierte die Flugdaten der Prominenten mit den schlimmsten Privatjet-Emissionen. Taylor Swift führte die Liste mit mehr als 170 Flügen seit Januar an, die insgesamt 15,9 Tage in der Luft waren und 8.293,54 Tonnen CO2-Emissionen verursachten – das entspricht dem gesamten Energieverbrauch von über 1.000 Haushalten in den USA in einem Jahr.

Der Twitter Account Celebjets trackt diese Flüge bereits. Privatjets bieten eine wunderbare Fläche für Kleb- und Farbaktionen jeglicher Art. Der einzige Ort, wo diese Form des Reisens existieren sollte, ist in einem Flugsimulator.

Kunst kleben: Kunst, die sich in Sammlungen von Superreichen befindet, ist eine bessere Klebefläche als öffentliche Museen. Kleb them if you can.

Melanie B. schaut Jan A. an und grinst. Sie sagt mit schwerwiegender Miene:
„Sie bitten uns damit aufzuhören. Sie fragen, wann stoppt ihr die Proteste? Wann können wir wieder auf die Straße, ohne dass sich jemand an uns klebt, oder an unsere Yacht, den SUV, oder das Privatjet. Wann verschwinden unsere Leben wieder im Schutz der Privatsphäre?“ 
„Wir arbeiten daran“, sagen wir. „Es dauert aber noch. Wir machen viel, um die Proteste zu stoppen und das Kleben an Reiche zu verhindern. Es ist unsere größte Priorität. Wir diskutieren, wir debattieren darüber. Doch Veränderung braucht Zeit. Es gibt leider sehr laute Stimmen in der Bewegung, die Einwände haben und zweifeln. Wir müssen auch diese Leute mitnehmen. Es gibt deshalb einen Klebe-Deckel, der verhindert, dass zu viele Reiche beklebt werden. Unser Ziel ist, bis 2040 das Kleben an Reiche auf ein Minimum reduziert zu haben. Kleben und kleben lassen.“

Unter dem Titel „Sich an Reiche kleben“ erschien eine kürzere Fassung des Beitrags im Freitag.

Partei Als Ob
Die Partei Als Ob ist die Nadel im Heuhaufen der Demokratie. Ein politisch, experimentelles und künstlerisches Kollektiv aus dem Kontext der Universität der Künste Berlin. [https://mobile.twitter.com/ninja_toertel] [https://toertel.blog/blog/t-oertel/]

1 Kommentar

  1. @Celebjets auf Twitter:
    Account suspended
    Twitter suspends accounts that violate the Twitter Rules.

    War zu erwarten, da sie auch Musk’s Flieger auf dem Schirm hatten.‘

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