„Leute kauft Hering, so fett wie der Göring“

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Der Karneval, der Fasching, Fastelovend, Fasteleer, wie auch immer die „tollen Tage“ im Februar genannt werden, sie sind eine verdammt ernste Angelegenheit. Es ist nämlich so: Beim Geld und im Karneval hört der Spaß rasch auf. Dass das so ist, merkt Mensch am Streit um selbigen. So hatte das Kölner Arbeitsgericht 2018 festzustellen, wie lange der Kölner Fasteleer überhaupt dauert. Andere würden sagen: anhält beziehungsweise: nervt. Der dauert von Donnerstag („Wiivefastelovend“) bis zum nächsten Mittwoch (Aschermittwoch), allerdings nicht den vollen Donnerstag. Die Deutsche Welle, gewissermaßen die Speerspitze der weltweiten Information über die deutsche Kultur, hat nachgerechnet. Sie kam 2019 bezüglich der Dauer des Karnevals auf 132 Stunden und 49 Minuten.

Folgendes ist ein sehr häufiges Streitthema: An diesen „tollen Tagen“ kommen riesige Menschenmengen über Stunden auf engem Raum zusammen, die zudem meist irgendetwas Alkoholisches zu sich nehmen, mehrfach, manche mehr als mehrfach, um locker zu werden oder um locker zu bleiben. Daraus resultiert – na was den wohl? Genau: Wildpinkeln. Tausendfaches ekelhaftes Ärgernis an Mauern und erst recht in Hauseingängen, was jedes Jahr massenhaft Anwohner in Wut und Rage bringt. Die Staatsmacht wird gerufen und das Ordnungswidrigkeitenrecht nimmt seinen Lauf. In Hannover kostet „wild pee“ bis zu 5000 € in schwerwiegenden Fällen, in Karnevalshochburgen im Schnitt zwischen 30 und 50 €, in Berlin ist die Tätigkeit gegen 20 € möglich. Einzige Möglichkeit derartiges abzuwenden, wenn man angezeigt worden ist: ein ärztliches Attest auf Blasenschwäche.

Fun facts

Einerseits werden Karneval und Fasteleer also Zügel angelegt, sofern das machbar ist, andererseits Verhaltensgrenzen erweitert. Das rheinische „bützen“ – für hochdeutsch küssen – gehört zum Brauchtum! Wer sich dagegen wehrt, ist selbst schuld! Brauchtum hat Macht! Im Mittelhochdeutschen hatte „tum“, ein zum Hauptwort gewordenes Suffix, auch die Bedeutung von Macht. Und das vorausgestellte „brauchen“ signalisiert: Da ist etwas, was man für erforderlich, notwendig hält. Legt euch also nicht mit Brauchtum an!

Bützen mit Anwaltsaugen gelesen, aus der Anwaltsauskunft also: Wer das als sexuelle Belästigung verstehen wolle, der bleibe am besten dem Karneval fern. Wie gesagt: Der Karneval ist eine sehr ernsthafte Beschäftigung. Wohl auch deswegen hat der gemeinnützige Verein Tourismus NRW, unterstützt von der Landesregierung, einen Ratgeber „Karneval für Einsteiger“ herausgegeben. Der Titel ist nicht gegendert, die Unterzeile im vertraulichen Du gehalten: „Was Du zu den bunten Tagen im Rheinland wissen musst“. Daran knüpfen sich elf „Fun Facts“, die zum Beispiel mitteilen: „Ertönt ein Lied mit Schunkelrhythmus, wird die angeborene und fließende Bewegung gemeinsam mit dem Nachbarn (einfach einhaken, auch wenn man ihn nicht kennt) ausgeführt. Das Hin- und Herwiegen funktioniert sowohl im Stehen als auch im Sitzen.“ Ach ja ? Angeboren? Fließend? Gemeinsam? Einhaken? Im Stehen, im Sitzen? Inklusiv? Nebenbei bemerkt – meine Großmutter hätte dazu, auf Platt (ripuarisch) etwas distanziert und kurz angebunden, gesagt: „Wenn´ste meens, …..“ (Wenn sie das so sehen).

Konjunkturprogramm aus Musik, Alkohol, Kammellen

Wer das gerafft hat, sollte sich außerdem vergegenwärtigen, dass diese 132 Stunden und 49 Minuten prall gefüllt mit Ökonomie sind. Boston Consult hat auf der Basis des Jahres 2018 geschätzt, dass allein im Kölner Fasteler fast 600 Millionen Euro an Erlösen anfallen.

Hält man die Rheinschiene und die bis nach Thüringen und Brandenburg reichenden Arme der „fünften Jahreszeit“ im Blick, kommt Mensch auf ein ordentliches Konjunkturprogramm aus Musik, Alkohol, Kammellen, Fahrdienste etcetere pp von einigen Milliarden Euro. Die Kosten der Staatsmacht: Polizei, Ordnungsamt, Gesundheitsbehörden nicht mitgerechnet. Mehr jedenfalls als der Bund den Kommunen 2022 für die Beherbergung und Hilfen zugunsten der Asylsuchenden und Flüchtlingen zur Verfügung stellte. Das Institut der Deutschen Wirtschaft kam schon 2003 auf eine Größe zwischen vier und fünf Milliarden Euro. Weniger wird das nicht werden nach den Corona-Jahren.

Unbeantwortete Schlüsselfrage

Warum ist das Rheinland das karnevalistische Kernland? Oft diskutiert, oft auf Holzwegen gelandet. Die einen sagen, die Römer hatten den Karneval ins Rheinland eingeschleppt. Wenn das der Grund wäre, hätte der Karneval auch unter den Pikten entstehen können oder in Nordafrika. Andere erklären, das sei eine Art Protest gegen christliche Gängelung und gegen den Zwang von Abgaben. Da könnte etwas dran sein. Wieder andere legen die Preußen in die Karnevals-Wiege. Da lagen aber bereits die Franzosen. Der Rheinländer sei eben irgendwie lustig, meint man schließlich, um auf Konrad Adenauer zu verweisen. Der sei wegen seines Humors eine Art Parade- Rheinländer. Da liegen Sie ziemlich daneben. Der hat mal gesagt, als er gefragt wurde, warum er Nazis in der Bundesverwaltung beschäftige, man schütte kein dreckiges Wasser weg, wenn man kein klares Wasser habe. Wer so was sagt, hat keinen Humor. Denn Dreck ist Dreck.
Das alles ist bedeutsam. Aber die Schlüsselfrage des Warum hier und nicht dort, bleibt unbeantwortet.

Bild: Joseph Stolzen auf wikimedia commons

Nein, zum Kernland des Karnevals wurde die erwähnte linksrheinische Gegend, weil die Bewohner und Bewohnerinnen dort dreisprachig aufwachsen. Drei Sprachen! Das unterscheidet sie von anderen. Sie lernen, Platt zu sprechen (Sprache 1). Zudem lernen sie hochdeutsch zu reden, manchmal, wie man so sagt „mit Knubbeln“ (Sprache 2). Und ferner lernen sie „över anger Lück“ reden, was man nicht zu übersetzen braucht (Sprache 3): Platt un Huh und över angere Lück. Da liegt der wahre, der Urgrund. Denn im Karneval spricht man eigentlich nicht über sich sondern über andere, und wem das mit der Muttermilch auf den Weg gegeben wurde, der hat eben einen Vorteil.

Nehmen sie das berühmteste Mainzer Karnevalslied des ebenso berühmten Sängers Ernst Regen:

„Heile, heile Gänsje, ist bald wieder gut.
Kätzje hot e Schwänzje, ist bald wieder gut.
Heile, heile Mausespeck,
In hundert Jahr ist alles weg!“

Der zum Palindrom gewordene Sänger beschäftigt sich mit Katzen, Katzenschwänzen, Mäusen, Mausespeck und mit der Zeit. Nix über sich oder andere. Das ist wirklicher Karneval.

Selbst der Auftragsgesang für Kölner Bier, „Kölsch“ ist so angelegt:

Drink doch eine met, stell dich nit esu aan! Du steis he de janze Zick eröm…“

Was und wie viel der Sänger/die Sängerin trinken oder getrunken haben wird verschwiegen. Das Lied ist parademäßig objektorientiert.

Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Sehr selten. Nehmen sie ein Lied der Kölner Sänger „Drei Lachduuve“ (Lachtauben) aus dem Jahr 1938. Das geht so:

„Nä, nä, dat wesse mer nit mih, janz bestemp nit mih,
Un dat hammer nit studiert.
Denn mer woren beim Lehrer Welsch en d'r Klass
Do hammer sujet nit jeliehrt.
Dreimol Null es Null es Null….“

Dieses Lied aus der Paläolitikum der deutschen Bildungsreformen fällt gleich mehrfach aus dem Rahmen: „hammer nit studiert“ – das haben wir nicht studiert. Da spricht der Karnevalist von sich, da ist er Subjekt. Nix mit Mauseschwanz. Sehr beachtlich, sehr selten. Das Lied nimmt ferner ein Rätsel auf, das die meisten von uns überfordert: „Mathematisch gesprochen die Kardinalität der leeren Menge“(Wikipedia) – gemeint ist die Null. Und die gleich drei Mal! Schließlich beschäftigt sich das Lied mit dem Lehrer Welsch. Der war eine richtige Nummer seiner Zeit. Lehrer Heinrich Welsch brachte im 19. Jahrhundert Köln-Kalker Arbeiterkindern Lesen, Schreiben und Rechnen bei. Nun bitte keine „Verzällchen“ erfinden – der August Bebel ist zwar in Kalk/Deutz geboren, aber einige Jahre später als Welsch. Der wurde übrigens nicht im Schatten des Kölner Doms geboren, sondern im Schatten der Antoniuskapelle zu Arzdorf bei Bonn.

Die Dinge sind eben kompliziert. Rheinländer sind sich ihrer Dinge nicht immer richtig sicher. Der Normal-Rheinländer sagt beispielsweise, wenn er zum selten gewordenen Bäcker geht: „Ich hätte gern ein Graubrot… gehabt.“ Plusquamperfekt Konkjunktiv, grammatikalisch immer mit einem Bein im Irrealis. Diese mit Vorsicht verknüpfte Unsicherheit führt uns zum Grundsatz, dem wir nun deutlicher folgen:

Wir folgen enger werdenden konzentrischen Kreise, um so zum Kern des Karnevals zu gelangen. Der hat etwas mit Herrschaft zu tun, beziehungsweise mit denen, die beherrscht werden. Der Karneval-Affine bewegt sich wie ein Fisch zwischen Herrschen und Beherrscht werden. Zwischen diesen beiden Polen mäandert der Karneval. Herrschende geben für kurze Zeit ihr Regelungsmonopol an die Beherrschten ab.

  • Religionsbedingte Repression wird zeitweilig ausgesetzt;
  • oder eine verhasste beziehungsweise unbeliebte Staatsmacht lässt vorübergehend Leine;
  • erlaubter Schabernack gibt Herrschaft ein Stück Legitimation; macht aus Untertanen keine Anhänger, bessert aber die Laune auf.
  • in Demokratien wird Karneval nolens volens zum Geschäftsmodell: Es wird Sehnsucht nach weiter gelockerten Bindungen erzeugt. Dazu werden das sogenannte Brauchtum genutzt, der immerwährende Wunsch nach Unterhaltung in Gesellschaft und der immerwährende Genuß, wenn jemand durch den Kakao gezogen wird.

Das hat eine lange Geschichte. In dieser Geschichte wurden oft auch Grenzen gezogen, wenn´s den Herrschenden denn doch zu bunt wurde.
Der französische Historiker Jaques Heers (2013 verstorben) hat ein in Deutschland recht bekanntes Buch zum Thema geschrieben: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäische Festkultur im Mittelalter, Fischer: Frankfurt a. M. 1986. Darin findet man den Hinweis, dass bereits Ende des 12. Jahrhunderts in Teilen des katholischen Wirkungskreises den Geistlichen verboten wurde, während der – heute würden wir sagen Karnevalstage – in Frauenkleidern herum zu laufen oder sich – noch mal gegenwartsmäßig geschrieben – als Mann von der Straße zu verkleiden. Das geschah nicht wegen einer wie auch immer gearteten „kulturellen Aneignung“, sondern wegen der Auswüchse solchen Verhaltens.
Dreihunder tJahre später, 1536, wurde der Geistlichkeit untersagt, sich während toller Tage als edle Adelige auszugeben. Und zwar ausgerechnet auf dem Kölner Konzil. Das klingt schon eher nach Ablehnung kultureller Aneignung.

Titelblatt des Festprogramms des Kölner Karnevals 1885
(Bild: Anonymus auf wikimedia commons

Karneval ade! RiP

Man wird weitere Beispiele finden. Aus der Zeit der französischen Besatzung um die Wende ins 19. Jahrhundert sind Verbote bekannt. Aus der Zeit der Preußen im Rheinland sind ebenfalls Einschränkungen überliefert. War ja auch nicht nett, was die Karnevals- „Soldaten“ zu Köln in ihren Phantasieuniformen trieben: Sie stellten sich nicht gegeneinander auf, sondern traten Rücken zu Rücken an, um die Hinterteile gegeneinander zu reiben. Stippeföttche hieß das. So ziemlich das Unsoldatischste, was man sich damals vorstellen konnte.

Zur Nazizeit hatten sich die etablierten Karnevals Garden rasch arrangiert. Karneval ist eben nichts Revolutionäres. Es gab aber Ausnahmen. Über den landfahrenden Händler Josef Liepert aus Beltheim wurde berichtet, er habe auf dem Markt zu Kastelaun seinen Heringsverkauf mit den Worten angepriesen: Leute kauft Hering, so fett wie der Göring. Er wurde von der Staatsmacht gefasst, konnte aber eine Woche später wieder Heringe verkaufen. Motto: Leute kauft Hering, so fett wie in der vorigen Woche. Ob das so geschehen ist, ist nicht sicher dokumentiert. Aber mal ehrlich: Erfinden lässt sich so etwas schwerlich.

Und heute? Der Bonner Funktionär der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Rolf Haßelkus hat die NRW Landesregierung gebeten, amtlich festzustellen, welche Verkleidung zu Karneval politisch korrekt sei und welche nicht.
Damit ist der Karneval, der Fastelovend, der Fasching, der Fasteleer zu seinem Ende gekommen: Denn der quasi natürlich gegen die Obrigkeit jedweder Art gerichtete Karneval fragt dieselbe, ob sie nicht feststellen könne, was im Karneval erlaubt sei und was nicht. Karneval Ade! RiP.

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Es gibt im Text dialektische Differenzen: Kölner schreiben Wievefastelovend; in meiner Heimat Wiivefastelovend und anderes mehr – gestützt auf: „Liif on Siel“ (Leib und Seele ) – Mundartwörterbuch und -lesebuch aus der Antweiler Senke, herausgegeben vom Verein der Geschichts- und Heimatfreunde des Kreises Euskirchen e.V. 1989.

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Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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