Was haben Resilienz und Regenschirm miteinander zu tun außer den gleichen Anfangsbuchstaben? Was hatten die Gestalter:innen der vielen Publikationen zum Megathema Resilienz im Sinn, als sie mit der Kreativität eines Einfaltspinsels Regenschirme aufspannten und zum Symbol für Resilienz machten?
Die Struwwelpeter-Geschichte vom fliegenden Robert jedenfalls nicht, denn die verkündet eine andere Moral.
Wenn der Regen niederbraust,
Wenn der Sturm das Feld durchsaust,
Bleiben Mädchen oder Buben
Hübsch daheim in ihren Stuben. —
Robert aber dachte: Nein!
Das muß draußen herrlich sein! —
Und im Felde patschet er
Mit dem Regenschirm umher.Hui, wie pfeift der Sturm und keucht,
Daß der Baum sich niederbeugt!
Seht! den Schirm erfaßt der Wind,
Und der Robert fliegt geschwind
Durch die Luft so hoch, so weit;
Niemand hört ihn, wenn er schreit.
Vielleicht stand der verfilmte Kinderbuchklassiker SAMS Pate? Zumindest in „Sams im Glück“ produziert ja eine Wunschmaschine haufenweise Schirme. Ich denke bei Regenschirmen unweigerlich an die austrocknenden Regionen Italiens.
Getreu dem Motto, es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung, steigert der Regenschirm die Robustheit des Menschen. Aber ein Schirm wehrt nur ab und macht ansonsten weitgehend handlungsunfähig, schon weil er ständig festgehalten werden muss. Die Bedingungen für Resilienz wären damit allerdings abgewehrt, denn die Idee der Resilienz stammt ursprünglich aus der Werkstoffwissenschaft. Dabei geht es um Verformbarkeit und die Frage, wie die Elastizität von Materialien der Verformung standhalten kann. Der Elastizitätsmodul ist der Materialkennwert, der das Verhältnis von Spannung und Dehnung bei der Verformung beschreibt.
Gesellschaftsfähig wurde die Idee der Resilienz aber vor allem in psychologischen Studien mit Kindern. Diese entwickeln überraschenderweise Fähigkeiten, traumatische Situationen unbeschadet für ihre weitere Entwicklung zu überstehen. Resilienz bezeichnet also die Fähigkeit, etwas elastisch aushalten und widerstehen zu können. Der ursprüngliche Zustand bleibt erhalten, so wie die psychische Gesundheit als Normalzustand der Resilienz.
Mit Regenschirmen hat das nichts zu tun. Eher erinnert es an Paternalismus und das leere Versprechen von Sicherheit. Weiter gedacht, verstehen Andreas Galling-Stiehler et al. Resilienz als „subjektives Sinn-Erleben, das sich gegen die Krise stellt und darauf beharrt, dass die Krise im Gegensatz zur Katastrophe einen offenen subjektiven und objektiven Ausgang hat“. Sie erinnern dabei unter anderem an den Umgang mit traumatischen Erfahrungen der Holocaust-Überlebenden Edith Eva Eger.
Der Mathematiker und Risikoforscher Nassim Nicholas Taleb bezeichnet den produktiven Umgang mit Grenzerfahrungen mit „Antifragilität“. Antifragilität geht über Wiederherstellung hinaus. Für Taleb ist es eine „Erstarkung unter Schädigung“. Das erinnert an homologe Phänomene wie z. B. die Hypothese der Hormesis des Paracelsus, also der Nützlichkeit des Giftigen. Über Erstarkung durch Symbiose hätte auch die Biologin Lynn Margulis viel erzählen können.
Postskriptum
Als die Menschen begannen, sich vor zigtausend Jahren in Bildern schriftlich zu äußern, waren die gestalterischen Mittel beschränkt und die Ausdrucksfähigkeit sensationell. Offenbar steigen die Möglichkeiten der Bilderstellung und Verbreitung so exponentiell wie die Fähigkeit abnimmt, in Bildern noch etwas Sinnvolles auszudrücken. Unter dieser Bildverlorenheit leiden dann auch die Inhalte und das intellektuelle Niveau. Hinter dummen Bildern sind meistens dumme Texte verborgen.
Wem das alles zu viel und zu kompliziert ist, dem bleibt Wilhelm Buschs Fromme Helene „Es ist ein Brauch von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör!“
Literatur
Galling-Stiehler, Andreas; Schulz, Jürgen & Müller, Robert Caspar (2021). Selbstgewiss ins Ungewisse. Auftragskommunikation in der Krise. Wiesbaden: Springer VS, S. 7
Eger, Edith Eva (2017). The Choice: Embrace the Possible. New York: Scribner
Margulis, L. (1989). Symbiotic planet. Basic Books.
Taleb, Nassim Nicholas (2013). Antifragilität. Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen. München: Knaus.