Der Deutsche Evangelische Kirchentag übt Zensur aus

Screenshot: Website Flüchtlingskinder im Libanon

Jetzt ist die Zeit!“ – unter diesem biblischen Motto aus dem Markus-Evangelium findet vom 7. bis 11. Juni in Nürnberg der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) statt. Erwartet werden bis zu 100.000 Teilnehmer*innen. „Wichtige Themen der Zeit werden diskutiert, Fragen nach Frieden und Gerechtigkeit … und der Würde des Menschen gestellt“, kündigt der DEKT in seinen Einladungen und Werbematerialien für die Großveranstaltung an. Doch die Vertreibung und Flucht von 750.000 Palästinenser:innen im Jahr 1948 darf man dort nicht thematisieren.

Thomas de Maizière, 2014
(Foto: Kosinsky auf wikimedia commons)

Der Präsident des Kirchentages, Bundesminister a.D. (Verteidigung und Innen) Thomas de Maizière (CDU) betont: „Wir brauchen einen offenen, ehrlichen Austausch untereinander, um der Zeit gerecht zu werden und gemeinsame Schritte zu gehen.“ Diese wohlklingenden Ankündigungen gelten allerdings nicht für das Konfliktthema Israel/Palästina. Die Wanderausstellung „Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“, die Ausstellung wurde schon in über 150 Städten gezeigt, thematisiert die Vertreibung und Flucht von rund 750.000 Palästinenser*innen im Jahr 1948 – zunächst durch jüdisch-zionistische Milizen und nach der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 durch die Streitkräfte des Landes – darf ausgerechnet zum 75. Jahrestag dieses Geschehens auf dem Kirchentag DEKT in Nürnberg nicht gezeigt werden.

Nur mit dieser Verbotsauflage erhielt der Verein „Flüchtlingskinder im Libanon“ (FiL) e.V., der die Nakba-Ausstellung im Jahr 2008 aus Quellen israelischer Historiker konzipiert hatte, von der DEKT-Geschäftsstelle in Fulda die Zulassung für einen Stand auf dem Markt der Möglichkeiten beim Nürnberger DEKT.

Die Verantwortlichen drücken sich um eine Begründung

Dieses von DEKT-Generalsekretärin Kristin Jahn und der für das Kirchentagsprogramm verantwortlichen Studienleiterin Stefanie Rentsch im November letzten Jahres übermittelte Verbot kam sehr überraschend. Denn auf vergangenen Kirchentagen seit 2010 wurde die Nakba-Ausstellung ohne Probleme gezeigt. Ebenfalls seit 2008 in über 150 Städten im In- und Ausland, auch in Basel, Bern, Biel, St. Gallen, Zürich und Bülach sowie bei der EU in Brüssel und der UNO in Genf.

Für die Verbotsentscheidung gaben Jahn und Rentsch auch auf mehrfache Nachfragen hin keine Begründung. Die Entscheidung habe das für „das Programm des Kirchentages gesamtverantwortliche DEKT-Präsidium getroffen“ nach vorheriger Durchsicht und Prüfung „der Bewerbung des Vereins Flüchtlingskinder im Libanon durch ein vom Präsidium eingesetztes Expertengremium“.

Auch zahlreiche schriftliche Nachfragen bei dem „gesamtverantwortlichen“ Präsidium nach den Gründen für das Verbot seit November letzten Jahres wurden bis Ende Februar nicht beantwortet. Selbst langjährige ehemalige Mitglieder des Präsidiums wie die frühere Kirchentagspräsidentin Elisabeth Raiser und ihr Mann, der ehemalige Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Konrad Raiser, erhielten keine Antwort.

Der aktuelle Kirchentagspräsident Thomas de Maizière reagiert auf Briefpost an seine Dresdner Anschrift bisher nicht. Anfragen per E-Mail-Schreiben an sein Büro lässt der Kirchentagspräsident durch seine Mitarbeiterin, die Flensburger CDU-Landtagsabgeordnete Uta Wentzel mit diesen Worten abwimmeln: „Das Schreiben wurde gar nicht gelesen und daran besteht auch überhaupt kein Interesse. Wenn Sie vom DEKT keine Antwort auf Ihre Frage erhalten, müssen Sie sich halt damit abfinden.“

Von den übrigen 30 Mitgliedern des Präsidiums (darunter Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, BWI-Staatssekretär und ATTAC-Mitbegründer Sven Gigold sowie BGH-Präsidentin Bettina Limperg) und den acht „ständigen Gästen“ des Präsidiums aus der für den DEKT in Nürnberg gastgebenden Bayerischen Landeskirche, darunter Bischof Heinrich Bedford Strohm, antworteten nur wenige, die an die DEKT-Geschäftsstelle in Fulda verwiesen.

Auffällig viele der Angefragten erklärten zudem, sie seien gar nicht auskunftsfähig. Denn sie hätten an der Präsidiumssitzung, auf der das Verbot der Nakba-Ausstellung beschlossen wurde, gar nicht teilgenommen. Das wirft Fragen auf: Gab es überhaupt eine solche Sitzung? Und wenn ja: Existiert ein ordentliches Sitzungsprotokoll, aus dem Beschlüsse und ihre Begründungen hervorgehen? Wenn nicht: Von welchem Personenkreis wurde das Verbot tatsächlich beschlossen?

Wer die Mitglieder des „Expertengremiums“ waren, das zum Verbot der Nakba-Ausstellung geraten hat, hält der DEKT bislang ebenfalls geheim. Nach informellen Informationen aus Kirchentagskreisen soll ein Experte (möglicherweise der einzige?) Christian Staffa gewesen sein, der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Staffa ist auch im Vorstand der seit 1961 bestehenden „AG Juden und Christen“ beim DEKT.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist auskunftspflichtig

Das Verbot der Nakba-Ausstellung auf dem Nürnberger Kirchentag ist ein unakzeptabler Akt der Zensur und des Eingriffs in die Meinungsfreiheit. Der DEKT verhindert damit den demokratischen Dialog. Der bisherige Umgang des DEKT mit Fragen nach einer Begründung des Verbots ist willkürlich und selbstherrlich. Und das DEKT-interne Verfahren, das zu dem Verbot geführt hat, ist offensichtlich nicht einmal für Mitglieder des „gesamtverantwortlichen“ Präsidiums transparent.

Der DEKT ist zwar ein Verein. Aber die Großveranstaltung in Nürnberg ist keine Privatveranstaltung. Sie wird außer durch Ticketverkäufe, Spenden und Sponsoring ganz wesentlich mit öffentlichen Geldern (Kirchensteuern und anderen Zuschüssen) finanziert. Aus diesem Grund ist der DEKT auskunftspflichtig.

Der Beitrag erschien zuerst im Online-Magazin seemoz

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Andreas Zumach
Andreas Zumach ist Journalist und Autor. Von 1988 bis 2020 war er Schweiz- und UN-Korrespondent für die tageszeitung (taz) und andere Zeitungen mit Sitz in Genf. Er arbeitet als freier Korrespondent für deutsch- und englischsprachige Print- und Rundfunkmedien. 2021 erschien von ihm „Reform oder Blockade – welche Zukunft hat die UNO?“, Zürich: Rotpunkt.

3 Kommentare

  1. Thematisiert werden müsste auf dem Ev. Kirchentag dann auch die Vertreibung und Ermordung Hunderttausender Juden aus den arabischen Ländern nach der Staatsgründung Israels (basierend auf dem Teilungsplan der UN) und der Vernichtungskrieg der arabischen Länder gegen die aus der Asche der Shoah wiederentstandene junge Nation. Und alle arabischen Angriffskriege seitdem, genauso wie die Terrorangriffe bis heute. Die Nachkommen der 1948 aus dem israelischen Staatsgebiet vertriebenen oder geflohenen arab. Palästinenser leben in fünfter, sechster Generation immer noch in sog. Flüchtlingslagern, weil die arabischen Potentaten incl. Hamas und Fatah/Abbas sie als politische Mittel der Aggression benutzen. An ihrem Schicksal haben sie in Wahrheit kein Interesse. Sonst müssten sie ja nicht von der Staatengemeinschaft versorgt werden. Die Hunderttausend vertriebenen Juden wurden dagegen in Israel integriert. Deshalb redet darüber niemand mehr.

    Fazit: Der Nahostkonflikt ist viel zu komplex, um ihn in so vereinfachter Form auf einem Kirchentag (!) auf ein Teil der Geschichte zu reduzieren – ohne dass dies gleich wieder Antisemitismus und Judenhass Auftrieb gibt. Deshalb wohl hat die Leitung sich dagegen entschieden, die Ausstellung diesmal dort nicht zuzulassen (nicht: sie “zu verbieten”).

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