Mene, mene, tekel u-parsin

Bild von Jennifer auf Pixabay

Im Programmheft für original deutsche Stücke steht gegenwärtig an erster Stelle die Trauzeugen-Aufführung. In Köln läuft die Trauzeugengeschichte mit dem Untertitel: „Echte Fründe ston zesamme, ston zesamme su wie eine Jott un Pott.“ Den ersten Teil der Zeilen (einem Lied der Mundart-Band „de Höhner“ entnommen), muss man nicht übersetzen; es ist ratsam die zweite einzudeutschen: Sie stehen zusammen, wie sie zu einem Gott beten und gemeinsam aus einem Napf, einer Schüssel (“Pott“) essen. Die beigefügte Theaternotiz lautet: Komödie mit ernstem Anstrich und ungewissem Ausgang in mehreren Akten. Das Publikum ist begeistert. Ein wenig Hintergrund zur Trauzeugengeschichte und dem „ston zesamme“ ist freilich in jedem Fall hilfreich.

Die Bundesrepublik befindet sich in der schwierigsten Phase ihres Bestehens. Viel schwieriger als die Ölkrise der siebziger Jahre, schlimmer als die Jahre der Massenarbeitslosigkeit mit mehr als fünf Millionen registrierten arbeitslosen Menschen; schlimmer als die Nullerjahre, als das Land als der kranke Teil Europas bezeichnet wurde, schwieriger als während der Bankenkrise. Denn im Land muss der Treibstoff für alles auf allen Ebenen, das Mittel für alle Mobilität, Produktivität, ja für pures wärmendes Stillehalten in den eigenen vier Wänden ausgetauscht werden. Das muss in Verbindung mit Verzicht auf Ressourcenverbrauch im Privaten, Staatlichen und Ökonomischen geschehen. Die soziale Gerechtigkeit darf dabei nicht unter die Räder kommen. All das soll unter enormem Zeitdruck sowie gegen viele beharrende, auch unbelehrbare Kräfte durchgesetzt werden. Und schließlich auch gegen jene, die den Leuten erzählen, so arg werde es schon nicht werden und überdies habe man mehr Zeit als die Alarmisten behaupteten.

Nun stellt sich heraus, dass sich die Verfechter und Verfechterinnen des energisch bis radikal betriebenen Umbaus – der Bundeskanzler und andere sagen dazu „Transformation“ – gut vorbereitet und sortiert zusammengetan hatten, sich gegenseitig mitziehen und hoch hieven. Ja, sie haben Netzwerke gebildet, Seilschaften zusammengefügt – im Grunde genommen all das getan, was zuvor bereits die Tonangebenden, die die Strippen zogen und die die Beschlüsse formulierten, über viele Generationen stets getan haben. Die Neuen, die Grünen haben sich Expertise geschaffen und sich derer bedient. Da gibt es Aspekte, die unschön sind und die abgestellt beziehungsweise geheilt werden müssen, weil Dienstrecht verletzt wurde.

Amigos in vollem Einsatz

Wall Street Journal Economics Conference 2012; Kaliforniens Gouverneur Jerry Brown bereitet sich mit Amory B. Lovins, Vorsitzender und Chefwissenschaftler des Rocky Mountain Institute; Dominik Knoll, CEO des World Trade Center New Orleans; Hal Harvey, CEO der ClimateWorks Foundation und Governors Office Senior Advisor Clifford Rechtschaffen auf eine Energie-Podiumsdiskussion vor.
(Foto: Lawonk auf wikimedia commons)

Freilich tun manche nun so, als ob eine Welle der „grünen“ Korruption über das Land schwappe, als ob es um eine heimliche „Machtergreifung“ gehe, soll heißen: um die Verschwörung des grünen Robert zu Lübeck bis Freiburg statt zu Genua. Über anderes hat man sich nie so besonders aufgeregt: Drei CSU angehörige Bundesverkehrsminister – Ramsauer, Dobrindt und Scheuer (Christian Schmidt rechne ich nicht hinzu, weil dessen Amtszeit zu kurz war) haben zwischen 2009 und 2021 die Bahn AG bei vollem Tempo gegen die Wand gefahren und gleichzeitig überproportional viel Geld – zu ungunsten anderer Länder – nach Bayern gesteuert. „Amigos“ in vollem Einsatz.

Zwielichtig ist in diesem Zusammenhang ein Herumspielen mit dem Einfluss reicher Leute auf „Thinktanks“, die der Energiewende Beine machen wollen. Natürlich haben sich Habeck und Co der Vorstellungen und Konzepte solcher Einrichtungen bedient und Leute aus deren Reihen angeheuert. Wo hätten sie denn sonst Unterstützung erfahren können? Im Buchladen der Linkspartei? In den Reden von Chef Merz? Beim BDI? Nun heißt´s, die Grünen wollten die deutsche Wirtschaft US- Milliardären ausliefern, die deren Beratungseinrichtungen sponserten. Laut Süddeutscher Zeitung vom 12. Mai sagte AfD-Sprecher Chrupalla: „Die Grünen werfen unser Land ganz offensichtlich Oligarchen zum Fraß vor.“ Da will oder kann die CDU- Wirtschaftssprecherin Julia Klöckner nicht fehlen. So jemand wie der Sponsor Hal Harvey “macht das bestimmt nicht aus reinem Altruismus“ (beide Zitate aus der SZ: Die Politikfabrik. 12. Mai 2023 Seite 6). Das liegt hart an der Grenze zum antisemitischen Narrativ. Quasi wie von selbst drängen sich in den Gehörgang wüste Anschuldigungen des Victor Orban gegen Georg Soros, weil der sich als Finanzier jüdischer Herkunft in Ungarn einmische.

Das schlimmste, was im Rahmen dieser Aufführung mit ungewissem Ausgang passieren kann, das ist Nachlassen der konzeptionellen Arbeit, der Produktion von Ideen. Dann wäre das Trauzeugen-Spiel auch Menetekel. Kann Mensch in der hebräischen Bibel nachlesen, im Buch Daniel. Derselbe habe dem babylonischen König Belšaza erläutert, was es mit einer geheimnisvollen Zeile an der Wand des Königspalastes auf sich habe. mənē təqēl uparsīn soll da gestanden haben, was Daniel, der Erzählung nach ein erprobter Weissager, Belšaza so übersetzte: Deine Tage sind gezählt, du bist zu leicht und folglich als zu wenig wert befunden worden, dein Reich wird an andere fallen.

Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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