Deutsche Verkehrspolitik, eine Gefangene der Autoindustrie

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Ernst machen beim Energiesparen. Die neue Energiekrise hat das Tempolimit wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Der ewige Streit um die Zähmung des Autos ist aktueller denn je. Souveräne Gemächlichkeit oder das süße Gift Geschwindigkeit. Eine kleine Geschichte der deutschen Raserei.

Kaum ist das Automobil geboren, muss es schon gebändigt werden. 1886 meldet Carl Benz in Mannheim das Patent für sein „Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb“ an, sieben Jahre später wird dort das erste Tempolimit verhängt. Am 30. November 1893 erteilt das Großherzogliche Ministerium des Inneren in Karlsruhe der Rheinischen Gasmotorenfabrik Benz & Cie in Mannheim die Erlaubnis, die öffentlichen Straßen mit dem Patent-Motorwagen versuchsweise zu befahren. Die Geschwindigkeit ist streng reglementiert. Sie darf „außerhalb der Ortschaften 12 km/h und innerhalb der Orte und in starken Krümmungen 6 km/h nicht übersteigen“. Dieses Tempo ist bei Begegnungen „mit Fuhrwerken, Zugthieren oder Reitpferden“ nochmals zu mäßigen.

Die mutige „Mannheimer Chauffeuse“

Wie schnell können die ersten Autos überhaupt fahren? Am 29. April 1899 durchbricht der belgische Rennfahrer Camille Jenatzy die Schallmauer. Unweit von Paris erreicht er mit einer elektrisch angetriebenen Spezialkonstruktion – halb Seifenkiste, halb Torpedo – auf einer Kurzstrecke die Geschwindigkeit von 105,88 km/h. Im Straßenverkehr sind die Autos sehr viel langsamer. Am 8. Januar 1903 veröffentlicht die Fachzeitschrift Der Automobilist einen Artikel über die mutige „Mannheimer Chauffeuse“ Elisabeth Neidig. Sie gehört zu den ersten Frauen mit Führerschein. Die als allerliebst beschriebene Frau sei mit ihrem Luxwagen mit Tempo 45 nach dem Odenwald dahin gesaust. Viel schneller geht es nicht.

Mannheim ist Tempolimit-Vorreiter, andere Städte folgen. Bald gibt es im Deutschen Reich 30 verschiedene Verkehrsordnungen mit eigenen Vorschriften zu Nummernschild, Führerschein und Geschwindigkeit. Die badische Verordnung von 1901 lässt sogar 16-Jährige ans Steuer und erlaubt in Ortschaften „auf freier Bahn“ 12 km/h. Berlin begrenzt die Höchstgeschwindigkeit im selben Jahr auf 15 km/h. In anderen Städten dürfen Automobile nicht schneller als Pferdefuhrwerke fahren oder, wie in Chemnitz, als „ein mäßig trabendes Pferd“. Die badische Stadt Kehl überwacht das Tempolimit besonders streng. Es hagelt Geldbußen. Ein motorisierter US-Tourist wird nach Verhängung von zwei Strafmandaten verhaftet und im nahen Gengenbach festgesetzt, sein Fahrzeug konfisziert.

Autos besitzen noch keinen Tachometer, die Fahrer können die Geschwindigkeit nur schätzen, die Polizei muss sie umständlich messen. Dazu stoppen zwei Ordnungshüter auf einer Strecke von meist 300 Metern die Durchfahrtszeit mit einfachen Taschenuhren.

Die als „aristokratische Herrenfahrer“ beschimpften Autler fahren meist schneller als Kutschen und Fuhrwerke, das Gefühl der Überlegenheit fährt mit. Vor allem auf dem Land werden Automobile als rasende Geschosse empfunden, Feldarbeiter ergreifen bei Herannahen der schwarzen Kisten schreiend die Flucht. Autos sind zu Beginn des 20. Jahrhunderts ruckelnde und stinkende Monster, begleitet von Staub- und Rauchwolken, knallenden Zündgeräuschen und kreischenden Zahnrädern, den explosiven Treibstoff gibt es in der Apotheke.

Die Bevölkerung wehrt sich. Zwischen 1902 und 1932 veröffentlichen Motorzeitschriften 425 Berichte über Automobil-Attentate: Steinwürfe, blockierte Straßen und Beschuss oder schlicht Prügel und Peitschenhiebe für die Insassen. Immer wieder werden auch Nägel und Scherben gestreut und Drahtseile gespannt, die bei den Autoinsassen zu tödlichen Kopfverletzungen führen können. Die friedliche Fraktion der Autogegner fordert strenge Begrenzungen der Geschwindigkeit sowie Warnsignale bei Annäherung an Viehherden. 1905 verlangen nordfriesische Bauern den Einbau verplombter Geschwindigkeitsregistratoren, die bei hohem Tempo Alarm schlagen. 1906 diskutiert der Deutsche Landwirtschaftsrat erstmals über eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung außerhalb von Ortschaften.

Das Rennfieber zieht Tausende an

Mit den ersten Autorennen wird die Geschwindigkeit zum Fetisch. Anfangs bewertet man noch Zuverlässigkeit und Spritverbrauch der Boliden, dann zählt nur noch das Tempo, dem Schnellsten gehört der Lorbeerkranz. Wettfahrten auf offener Straße wie das Rennen Paris-Berlin im Jahr 1901 entwickeln sich zu Massenveranstaltungen, das Rennfieber zieht Tausende an. Das ist lebensgefährlich: Das Rennen Paris-Madrid muss nach mehreren tödlichen Unfällen abgebrochen werden.

„Schnelligkeitswahnsinn“, urteilt selbst die Motorpresse, Autoerfinder Benz verurteilt „die Sucht, sich bei Wettfahrten in immer größerer Schnelligkeit zu überbieten.“ Auch im Normalverkehr nehmen die Unfälle zu. 1911 kritisieren die Berliner Zeitungen verantwortungslose Raser, die sich vor allem „aus Sportsleuten, Protzen, Lebemännern und gut situierten Tagedieben“ rekrutieren. Anzeigen häufen sich, eine bei Magdeburg lebende Gastwirtin zeigt an einem Tag 60 wilde Autler an. Vereinzelt schließen sich Autogegner zu Denunzianten-Vereinen zusammen. Mediziner warnen vor einem Schnelligkeitsrausch, der den Geisteszustand trübe.

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Die Zahl der Autos nimmt dynamisch zu, ebenso die Geschwindigkeit. 1909 ist sie in Ortschaften reichseinheitlich noch auf höchstens 15 km/h festgelegt. Die Verordnung vom 15. März 1923 erlaubt den Chauffeuren hinter „dem köstlichen Platz am Steuer“, so das ADAC-Jahrbuch, schon 30 km/h. Abgestraft wird aber erst ab Tempo 40, weil eine Fehlertoleranz bei den Handmessungen zugunsten der Autos ausgelegt wird. Außerhalb von Siedlungen herrscht Anarchie, dort gibt es kein Limit.

Die anfängliche Autofeindlichkeit bröckelt, als die Branche eine volkswirtschaftliche Bedeutung bekommt. Elf Jahre lang gilt nun Tempo 30 in Ortschaften. Dann lassen die Nationalsozialisten am 28. Mai 1934 mit der Reichs-Straßenverkehrsordnung den Tiger aus dem Käfig. Die „kleinlichen Reglementierungen“ durch Höchstgeschwindigkeiten werden abgeschafft, der neue Schnellverkehr „bedarf einer Regelung, die einfach, großzügig und einheitlich sein muss und alle Hemmungen (…) forträumt. Die Förderung des Kraftfahrzeugs ist das vom Reichskanzler und Führer gewiesene Ziel.“ Erstmals taucht in der Nazi-Propaganda eine bis heute aktuelle Denkfigur auf: Die Dynamik der Autobranche könnte durch Tempobegrenzungen abgewürgt werden. Kontrollen sollen deshalb unterbleiben, die Verwendung von Stoppuhren wird verboten. Nur an krassen Gefahrenstellen wird behördlich gebremst.

Die Nationalsozialisten wollen Ja-Sagen zum Fortschritt. Doch die Verkehrszucht lässt zu wünschen übrig, die Zahl der Verkehrstoten steigt bis 1936 rasant auf 8388, dazu kommen zwei Jahre später schon 180.335 Verletzte. „Auf persönliche Weisung des Führers“ wird der von allen Fesseln befreite Verkehr am 3. Mai 1939 neu geordnet. Jetzt gilt Tempo 60 in Ortschaften und Tempo 40 für Lkw und Busse; auf Landstraßen und Reichsautobahnen ist die Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h begrenzt. Es dauert ganze fünf Monate bis am 3. Oktober 1939 nochmals verschärft wird: 40 km/h in Ortschaften und 80 auf Landstraßen und Autobahnen. Es geht nicht mehr um die Verkehrssicherheit, sondern um militärisch relevante Ressourcen. Langsam fahren heißt Benzin sparen für den Krieg des „Tausendjährigen Reiches“.

In der Nachkriegstrümmerwelt haben die Menschen andere Sorgen als Verkehrsregeln. Erst am 19. Dezember 1952 bringt der zuständige Bundesminister ein neues Straßenverkehrsgesetz auf den Weg. Das Tempolimit der „Nazi-Gesetze“ aus dem Kriegsjahr 1939 wird im Namen von Freiheit und Eigenverantwortlichkeit ersatzlos gestrichen. Vier Jahre später beharrt auch die Straßenverkehrsordnung vom 29. März 1956 trotz beängstigender Unfallzahlen auf freier Fahrt – selbst in den Ortschaften.

Die DDR geht andere Wege und verfügt 1956 neben striktem Alkoholverbot am Steuer auch Tempoobergrenzen von 50 km/h in Ortschaften, 80 auf Landstraßen und 100 auf der Autobahn. Die Raserei des Westens wird als Ausdruck eines menschenverachtenden Systems kritisiert. Die „kapitalistische Jagd nach dem Profit“ bestimme in der BRD das Tempo, sagt im Juni 1957 Josef Anstett, Leiter der Hauptabteilung Verkehrspolizei der DDR. Auch im Verkehr will die DDR das bessere Deutschland sein.

Unfall- und Todeszahlen in den Städten sinken

In der Bundesrepublik zieht einen Monat später, im Juli 1957, Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm von der nationalkonservativen Deutschen Partei die Notbremse: Das Freiheitsexperiment ist gescheitert. 1956 sind mehr als 13.000 Menschen im Verkehr gestorben, deshalb gilt in Ortschaften nun 50 km/h für alle Fahrzeuge. Das zeigt sofort Wirkung. Trotz wachsenden Verkehrsaufkommens sinkt die Zahl der Verkehrstoten in den Städten. Es ist schlichte Physik: Je schneller die Fahrzeuge, desto kürzer die Reaktionszeit und höher die Aufprallenergie. Während die Unfall- und Todeszahlen in den Städten sinken, wird auf Landstraßen und Autobahnen bei ungezügelter Fahrt immer häufiger gestorben. Doch für die Autolobby ist selbst Tempo 50 im Ort noch „Kadavergehorsam“; von einem „erschütternden Angriff“ auf die Freiheit ist in der Wirtschaftszeitung Industriekurier die Rede.

In den 1960er Jahren beschleunigt sich die Massenmotorisierung, das Auto wird zur glitzernden Wunschmaschine breiter Schichten und zum neuen Freiheitssymbol. Aus dem Wirtschaftswunder mit den Exporterfolgen der Autoindustrie saugt die von Krieg und Massenmord gezeichnete Nachkriegsgesellschaft ihr neues Selbstbewusstsein. Der Pkw-Bestand springt in zehn Jahren von knapp zwei auf über acht Millionen im Jahr 1964. Der Boom wird mit naturgesetzlicher Regelmäßigkeit von steigenden Unfallzahlen begleitet. Heinrich Praxenthaler, Chef der Bundesanstalt für Straßenwesen, fasst die 60er Jahre so zusammen: „Beobachten und Abwarten“, über dem Tempolimit im Außerortsverkehr „liegt ein Tabu“.

Als 1966 der Sozialdemokrat Georg Leber das Verkehrsministerium übernimmt, ist er gewarnt: Ein Tempolimit, so hat man ihm eingetrichtert, sei ein Spiel mit dem Feuer, bei dem er Kopf und Kragen riskiere. Doch das Gemetzel auf den Straßen lässt ihm keine Wahl. 1970 sterben 19.193 Menschen im Verkehr (zum Vergleich: 2021 waren es 2569), mehr als eine halbe Million werden verletzt. Wichtigste Unfallursache ist überhöhte Geschwindigkeit. Am 16. März 1972 begrenzt Leber – versuchsweise – die Höchstgeschwindigkeit außerhalb von Ortschaften auf 100 km/h. Nur die Autobahnen bleiben verschont. Das Echo ist verheerend. „Zwangsjacke“, wettert das Hamburger Abendblatt. Der Spiegel packt Leber auf die Titelseite und giftet: „Mit Tempo 100 aufs Abstellgleis“.

Doch Leber hat Erfolg, die Unfallzahlen gehen dramatisch zurück. Dann, 1973, wird der Streit ums Tempolimit mit einem Schlag ausradiert. Die Ölkrise eskaliert. Die als „Ölscheichs“ verhöhnten arabischen Förderländer drosseln die Produktion, um den Westen wegen der Unterstützung Israels im Jom-Kippur-Krieg zu bestrafen.

Schon ein Jahr zuvor haben „Die Grenzen des Wachstums – Der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“ die Politik mit planetaren Grenzen konfrontiert. „Eine gewaltige Erschütterung“, erinnert sich der damalige Staatssekretär im Innenministerium, Gerhart Baum (FDP). Der explodierende Ölpreis macht die Endlichkeit fossiler Rohstoffe nun für alle sichtbar. Die Industrieländer rationieren die Benzinverkäufe, der Barrel-Preis stürmt von drei auf fünf und schließlich auf zwölf Dollar. Die Bundesregierung unter Willy Brandt (SPD) reagiert mit Sonntagsfahrverboten und scharfen Tempolimits: 80 km/h auf Landstraßen, 100 auf der Autobahn. Brandt wollte ein Signal setzen und „den Menschen zeigen, dass wir anders leben müssen“, blickt Gerhart Baum auf den Schock der Ölkrise zurück.

Autofriedhof in Philadelphia (Foto: Dick Swanson auf wikimedia commons)

Der Spuk geht vorüber, die Ölquellen sprudeln wieder. Der ADAC startet im Februar 1974 die Kampagne „Freie Bürger fordern freie Fahrt“. Doch die SPD-geführte Bundesregierung will das Tempolimit auf Autobahnen dauerhaft installieren, zumal die Unfall- und Todeszahlen stark gesunken sind. Verkehrsminister Lauritz Lauritzen (SPD) setzt auf Tempo 130. Lauritzen ist gleichzeitig SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein und fordert dort Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg (CDU) heraus. Der lässt Lauritzen gegen die Wand fahren, indem er das Tempolimit als sozialistische Gleichmacherei und bürokratische Vollbremsung diffamiert. Am Ende fehlt Lauritzen am 8. März 1974 im Bundesrat eine einzige Stimme. Die unionsregierten Länder, eingeschworen von Stoltenberg, votieren gegen das Tempolimit und besiegeln Lauritzens politisches Ende. Auf westdeutschen Autobahnen gilt fortan nur die freiwillige Richtgeschwindigkeit 130 km/h. Sie bleiben damit die letzte freie Rennstrecke der Welt. Und sind es bis heute.

Alle anderen Industrieländer haben nach der Ölkrise scharfe Tempolimits verhängt. Auf den Highways der USA bremst Präsident Richard Nixon die große Autonation 1974 auf 55 Meilen herunter, das entspricht 88 km/h. Nach Studien von US-Verkehrsforschern rettet diese Maßnahme in den folgenden acht Jahren 54.600 Menschenleben. Deutschland ist mit seinem Alleingang isoliert, die Verkehrspolitik habe sich „zum Gefangenen der Autoindustrie gemacht“, kommentiert der Historiker Dietmar Klenke in seiner Geschichte der bundesdeutschen Verkehrspolitik (Freier Stau für Freie Bürger).

Großflächiges Waldsterben

Der Sturz des Schahs und die islamische Revolution im Iran lösen 1979 die zweite Ölkrise aus, der Ölpreis springt bis auf 38 Dollar je Fass. Doch auch diese Erschütterung bringt keine verkehrspolitische Wende. Dafür häufen sich die Alarmrufe aus dem siechenden deutschen Wald. Saurer Regen, Schwefel aus Kraftwerken und Stickoxide aus Autoabgasen haben ein großflächiges Waldsterben ausgelöst. Zugleich markieren die 80er Jahre den Aufbruch der neuen Ökologie-Bewegung. 1983 ziehen die Grünen in den Bundestag ein, getragen von der „Landplage der Bürgerinitiativen“ (FAZ).

Die Wahlerfolge der Grünen verunsichern die etablierten Parteien, ebenso die Walduntergangsstimmung. „Gelingt es uns nicht, die Wälder zu retten“, sagt Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) am 4. Mai 1983 im Bundestag, „wäre die Welt, in der wir leben, nicht wiederzuerkennen.” Der Druck auf die Kohl-Regierung wächst, ein Tempolimit wäre die naheliegende Lösung: „Hohes Tempo, viel Kraftstoff, viel Schadstoff“, heißt die schlichte Formel der Wissenschaft. Mercedes behauptet dagegen in einer eigenen, falsch berechneten Studie, bei niedriger Geschwindigkeit nähmen Kohlenmonoxide und Kohlenwasserstoffe zu. Das Verkehrsministerium verkündet prompt, es werde keine Politik „Wald gesund – Mensch tot!“ betreiben.

Die Bundesregierung spielt auf Zeit. Sie beschließt im Oktober 1984 einen Tempolimit-Großversuch, allerdings ohne strikte Polizeikontrolle. Anfang 1986 legen die Regierungsparteien das Ergebnis vor. Fazit: Ein Tempolimit bringe wenig, weil es sowieso nicht eingehalten werde. Zuvor haben sich Verkehrsminister Friedrich Zimmermann (CSU) und die Autoindustrie auf einen Kuhhandel verständigt: Zimmermann verzichtet aufs Tempolimit, wenn die Autoindustrie dafür ihren Widerstand gegen den Abgaskatalysator aufgibt. Der Kat wird 1989 Pflicht, das Auto bekommt eine Windel.

1990 verschwinden mit der DDR auch deren Tempolimits. Die neue Mobilität in Ostdeutschland, das Umsteigen auf höher motorisierte Autos und die neue Freiheit fürs Gaspedal haben blutige Folgen – eine Verdreifachung der tödlichen Unfälle. Erst 2002 erreicht die Zahl der Verkehrstoten in den neuen Bundesländern wieder den Wert von 1989. Für die Jahre dazwischen verzeichnet die Statistik einen Leichenberg von 14.400 zusätzlichen Toten auf ostdeutschen Straßen.

Unzählige Debatten zum Tempolimit gibt es auch nach der Wiedervereinigung, immer neue Vorstöße von Grünen, SPD, Umwelt- und Klimaschützern, dazu regelmäßig neue wissenschaftliche Gutachten, die den sozialen und ökologischen Nutzen eines Tempolimits herausstellen . Vergeblich. Nur in den Städten und Ortschaften wird der Verkehr in vielen Quartieren auf Tempo 30 abgebremst. In der Koalitionsvereinbarung vom November 2021 verweigert auch die Ampel mit Rücksicht auf die FDP ein Tempolimit auf Autobahnen.

Am 24. Februar entfacht der Überfall russischer Truppen auf die Ukraine eine neue Energiekrise. Öl wird plötzlich knapp und teuer. Das Thema Tempolimit steht unter neuen Vorzeichen plötzlich wieder auf der Tagesordnung. Das Umweltbundesamt hat schon mal gerechnet: „Reduzieren die Bürgerinnen und Bürger die Geschwindigkeit auf Autobahnen auf maximal 100 km/h und auf 80 km/h auf Straßen außerorts, spart das rund 2,1 Milliarden Liter fossilen Kraftstoff.“ Ein Tempolimit als notwendiger Schritt für die Energiesicherheit? Trotz der Notlage siegen auch 2022 wieder die alten Reflexe. Ein Tempolimit auf Autobahnen ist weiterhin nicht durchsetzbar – es bleibt bei der deutschen Raserei.

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Manfred Kriener
Manfred Kriener ist freier Journalist für Umwelt und Wissenschaft. Er gehört zur Gründergeneration der Tageszeitung taz und wurde mehrfach mit Journalistenpreisen ausgezeichnet. Er lebt seit 1980 in Berlin.

1 Kommentar

  1. AUTOWAHN

    Das Auto, der Deutschen liebstes Kind,
    immer freie Fahrt und das geschwind.
    Ein Tempolimit ist kaum Option
    in der autoverrückten Nation.

    Ich fahre Auto, also bin ich!
    Klima und Umwelt, was kümmert’s mich.
    Und steig ich noch aufs E-Gefährt um,
    steht’s auch im Stau oder nutzlos rum.

    Im Trend SUV und Zweitwagen,
    die Straßen und Plätze zuparken.
    Es ist an der Zeit, neu zu denken,
    den Blechkisten Raum zu beschränken.

    Städte brauchen Bäume und viel Grün,
    nicht den Duft von Gummi und Benzin.
    Keiner braucht ein Auto alleine,
    drum teilt oder fahrt im Vereine.

    Benutzen wir Fahrrad, Bus und Bahn,
    beenden endlich den Autowahn.
    Ein sauberes Zeitalter beginnt,
    das Heilige Blech hat ausgedient.

    Nicht nur im Verkehr ist weniger mehr.😉
    WACHSTUMSWAHN

    Man produziert und produziert,
    plündert Ressourcen ungeniert.
    Gewinnmaximierung ist Pflicht,
    die intakte Natur zählt nicht.
    Börsenkurse steh’n im Fokus,
    Umweltschutz in den Lokus.

    Plastikflut und Wegwerftrend,
    man konsumiert permanent.
    Nur unser ständiges Kaufen
    hält das System am Laufen.
    Unser westlicher Lebensstil
    taugt nicht als Menschheitsziel.

    Die Jagd nach ewigem Wachstum
    bringt letztlich den Planeten um.
    Das oberste Gebot der Zeit
    muss heißen Nachhaltigkeit.
    Statt nur nach Profit zu streben,
    im Einklang mit der Natur leben.

    Zu viele Buchen und Eichen
    mussten schon der Kohle weichen.
    Retten wir den herrlichen Wald,
    bewahren die Artenvielfalt.
    Kämpfen wir für Mutter Erde,
    dass sie nicht zur Wüste werde.

    Wir alle stehen in der Pflicht,
    maßvoll leben ist kein Verzicht.
    Teilen und Second Hand der Trend,
    Repair vor Neukauf konsequent.
    Bei allem etwas Enthaltsamkeit,
    nehmen wir uns die Freiheit.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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