Der Einsatz von Streubomben missachtet humanitäres Völkerrecht, immer und überall

Denkmal für Kriegsopfer aus dem Dorf Pjesjaniki in der Ukraine, 2008 (Foto: Maxim560 auf wikimedia commons)

Unexplodierte Sprengkörper („Blindgänger“) aus Streubomben, die die USA vor über 50 Jahren in Vietnam, Laos und Kambodscha sowie vor 20 Jahren im Irakkrieg eingesetzt hatten, fordern nach wie vor jährlich Hunderte Todes-und Verstümmelungsopfer unter der Zivilbevölkerung der betroffenen Länder. Humanitäre Hilfsorganisationen wie Handicap International, die sich bei der Räumung dieser Munition engagieren, rechnen mit bis zu weiteren 50 Jahren bis zu ihrer vollständigen Beseitigung. Eine ähnliche, möglicherweise jahrzehntelange Gefährdung droht der ukrainischen Zivilbevölkerung.

Verantwortlich dafür ist zunächst die Streumunition, die die russischen Angreifer seit Kriegsbeginn in Hunderten wohl dokumentieren Fällen, aber auch die ukrainischen Verteidigungsstreitkräfte in – bislang noch- deutlich geringerem Umfang eingesetzt haben. Die jetzt von der Biden-Administration geplante Lieferung von Streubomben an Kiew wird die Gefährdung der ukranischen Zivilbevölkerung weiter erhöhen.

Bis zu 3,7 Millionen über 20 Jahren alte Streubomben mit jeweils 72 oder 88 Sprengkörpern könnte das Pentagon der Ukraine zur Verfügung stellen. Die von der Präsident Bidens nationalem Sicherheitsberater Jake Sullivan demonstrierte „Zuversicht“, von diesen insgesamt rund 300 Millionen Sprengköpfen würden lediglich „unter 2,35 Prozent“ als unexplodierte Blindgänger liegenbleiben, ist grob verharmlosend und irreführend. Denn das wären immer noch rund sieben Millionen Blindgänger. Zudem sind die 2,35 Prozent das Ergebnis von Labortests. In realen Kriegen, in denen diese US-Streubomben in den letzten 20 Jahren zum Einsatz kamen – Irak, Libyen oder durch Saudiarabien im Jemen – lag die Blindgängerquote zwischen 20 und 40 Prozent.

Größte Zweifel an den Zusicherungen

Die Biden-Administration hat sich vor ihrer Entscheidung zur Lieferung von Streubomben an die Ukraine „schriftliche Zusicherungen“ des Verteidigungsministeriums in Kiew über die Verwendung dieser Bomben geben lassen, die der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev, am Wochenende so zusammenfasste: „Keine Nutzung auf russischem Gebiet; keine Nutzung in Stadtgebieten; strenges Monitoring der Einsatzzonen; Priorisierung dieser Zonen bei der Minenräumung; transparente Berichterstattung an Partner.“

Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksji Resnikow zitierte die Zusicherung seiner Regietung an Washington mit folgenden Worten:

Streumunition wird nur auf Feldern eingesetzt werden, wo es eine Konzentration russischen Militärs gibt Sie wird genutzt, um Verteidigungsstellungen des Feindes mit minimalen Risiko für das Leben unserer Soldaten zu durchbrechen. Die Ukraine wird den Einsatz dieser Waffen und ihrer Einsatzorte genau dokumentieren. Auf Grundlage dieser Dokumente werden nach der Beendigung der Besatzung unseres Staatsgebietes und nach unserem Sieg diese Gebiete für Minenräumung priorisiert. Dies wird uns ermöglichen, das Risiko von unexplodierten Submunitionen zu eliminieren.

Nach allen bisherigen Erfahrungen mit dem Einsatz von Streubomben und der Beseitigung von Blindgängern im bisherigen Verlauf des Ukrainekrieges sowie in/nach vergangenen Kriegen sind größte Zweifel an diesen Zusicherungen angebracht. Zum einen erfolgten die bislang dokumentierten Einsätze von Streubomben durch die ukrainischen Streitkräfte überwiegend gegen städtische Zonen zur Bekämpfung der dortigen russischen Besatzungssoldaten – und mit Opfern unter der ukrainischen Zivilbevölkerung (zum Beispiel der von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentierte Einsatz zwischen März und September 2022 gegen die damals von russischen Truppen besetzte ostukrainische Stadt Izium – https://www.hrw.org/news/2023/07/06/ukraine-civilian-deaths-cluster-munitions). Und in jenen wenigen Kriegen der Vergangenheit, in denen es überhaupt Zusagen der einen und/oder anderen Konfliktpartei gab zur genauen Dokumentation der genauen Einsatzorte und Ziele von Streumunition oder auch von Land- und Antipersonenminen (zum Beispiel in den Kriegen in Bosnien und Kroatien Anfang der 1990er Jahre) sowie zur Räumung von Blindgängern, wurden diese Zusicherungen nicht eingehalten.

Mahnmal gegen den Krieg von Alfred Hrdlicka (1928-2009), Teil der Denkmalanlage Dammtordamm in Hamburg-Neustadt
(Foto: Ajepbah auf wikimedia commons)

Bundesregierung verstößt gegen Oslo-Abkommen

Die Entscheidung der Biden-Administration zur Lieferung von Streubomben an die Ukraine wird nicht nur von einer Reihe demokratischer Abgeordneter und Senatoren im US-Kongress kritisiert, sondern internationaal auch von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sowie von NATO-Verbündeten wie Spanien und Großbritannien, die sich ansonsten an der Lieferung von Waffen und Munition an die Ukraine beteiligen. Die spanische Verteidigungsministerin Margarita Robles erklärte, sie sage zwar “Ja zur legitimen Verteidigung der Ukraine“, aber “Nein zu Streubomben“. Ihr Land vertrete den Standpunkt, dass bestimmte Waffen und Bomben unter keinen Umständen geliefert werden dürften.

Die deutsche Bundesregierung zeigte hingegen Verständnis für die Entscheidung der USA. In der Ukraine bestehe „eine besondere Konstellation“, da „die Ukraine eine Munition zum Schutz der eigenen Zivilbevölkerung einsetzt“, erklärte der Berliner Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Zudem habe „Russland bereits in großem Umgang Streumunition eingesetzt“. Mit dieser Haltung missachtet die Bundesregierung das humanitäre Völkerrecht. Denn dessen Bestimmungen zum Schutz der Zivilbevölkerung gelten unterschiedslos sowohl für den Angreifer wie für den Angegriffenen in einem Krieg.

In der Logik ihrer Position im aktuellen Fall könnte die Ampelkoalition demnächst auch die bereits im Februar von der Regierung Selensky geforderte Lieferung von Phosphorwaffen an die Ukraine rechtfertigen, sollte Russland derartige Waffen einsetzen.

Zudem missachtet die Bundesregierung ihre Verpflichtungen aus dem Oslo-Abkommen zum Verbot von Streumunition. Danach müsste die Bundesregierung „sich nach besten Kräften bemühen, Staaten, die dem Abkommen nicht angehören (wie die Ukraine, die USA und Russland, A.Z), vom Einsatz von Streumunition abzubringen“ und „diese Staaten ermutigen, diesem Abkommen beizutreten und es zu ratifizieren“.

Andreas Zumach
Andreas Zumach ist Journalist und Autor. Von 1988 bis 2020 war er Schweiz- und UN-Korrespondent für die tageszeitung (taz) und andere Zeitungen mit Sitz in Genf. Er arbeitet als freier Korrespondent für deutsch- und englischsprachige Print- und Rundfunkmedien. 2021 erschien von ihm „Reform oder Blockade – welche Zukunft hat die UNO?“, Zürich: Rotpunkt.

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