Freier Autor – krasser Job

You’re still young, that’s your fault.
Cat Stevens, Father and Son

Für meinen Sohn Michael

F: Du träumst von einem Beruf, der sich gar nicht ergreifen lässt, weil es ihn nicht gibt. Man nennt sowas Tagträume. Dusche kalt, mach Dich nüchtern, und überlege, was der Arbeitsmarkt nachfragt, und was Du ihm anbieten kannst.
S: Kalt duschen, sich abhärten, ich dachte, das sind die Sprüche von deinem Vater. Ich will doch nicht werden, was der Arbeitsmarkt nachfragt, das ändert sich sowieso ständig, sondern was mein Ding ist, und das ist nun mal, als Freelancer für Zeitungen schreiben.
F: Du hast eine völlig verkehrte Vorstellung davon, was free in diesem Zusammenhang bedeutet. Ein freier Autor ist einer, der meistens frei hat, während andere ihre Texte tippen, veröffentlichen und dafür am Monatsende ihr Geld bekommen. Das Wort ist ein Euphemismus, laut Duden also etwas, was eine beschönigende, verhüllende oder sprachlich mildernde Wirkung hat.

S: Du willst doch nicht behaupten, dass es den Beruf des freien Autors oder, weniger euphemistisch, des nicht fest angestellten Journalisten gar nicht gibt?

F: Ich will behaupten, dass der (Chef)Redakteur der Zeitung sich von Dir gestört fühlt, wenn Du mit Deinem Freier-Autor-Artikel an seinem Laptops anklopfst.

S: Wieso gestört? Ich biete ihm doch Stoff, bringe neue Ideen, liefere ein Produkt!

F: Du machst ihm Arbeit, müllst sein Outlook zu und raubst ihm Zeit. Und die fehlt, um seine eigenen Sachen zu schreiben, oder die bestellten ins Blatt zu hieven. Daher lehnt er Deinen angebotenen Text ab. Es ist ja einer von zig jeden Tag. Übrigens bekommst Du auf Deine E-Mails nicht mal eine Antwort. Ablehnen ist zeitaufwendig; das Motto der Redaktionen heißt, nicht mal ignorieren.

S: Dann schicke ich den Artikel per Post.

F: Willst Du als alter Mann rüberkommen? Das Medium ist doch die Botschaft. Antiquiert und aufdringlich, schöne Selbstreklame!

S: Eine Redaktion wird meine Texte ablehnen, falls sie nichts taugen. Wenn die Sachen aber gut sind, nutzt es ihr doch selbst, weil meine Texte das Ansehen ihres Blattes erhöht.

F: Das Ansehen der Zeitung hebt vielleicht ein Autor mit Prof.-titel, aber den kannst Du nicht aufweisen.

S: Dann müssten ja alle, die als Freie schreiben, in der obersten akademischen Liga angesiedelt sein.

F: Sehr viele sind es, weil dieser Titel sie als Experten ausweist.

S: Aber es gibt doch nicht für alles im Leben Experten und Lehrstühle.

F: Sehe ich auch so. Warum soll ein Volkswirtschafts-Prof. besser Bescheid wissen, was eine Industriegesellschaft braucht, die vom Benzinantrieb zum Elektromotor wechselt, als ein, sagen wir, Automechaniker?

S: Mal abgesehen von deinem Proletarierfimmel: Du sprichst mir aus der Seele. Warum soll ein Freier, der sich sprachlich ordentlich ausdrücken kann, in einem Metier scheitern, wo es auf das Allgemeingut Sprache und ein entsprechendes Sprachgefühl ankommt?

F: Die Angestellten dieser Branche sehen Dich als einen Stümper an, der ein Handwerk ausübt, das sie viel besser können. Wer war denn auf einer Journalistenschule und stand schon auf der Vorschlagsliste für die diversen Kurt Tucholsky- und Henri Nannen-Preise? Etwa Du mit Deinem Germanistikstudium, für das Du acht Semester an der Uni rumgehängt bist?

S: Germanistik ist ja wohl nicht die schlechteste Voraussetzung für den Schreibberuf.

F: Dein Schreiben als Nobody kommt gegen die Esoterik von Sachverstand und Expertenurteil nicht an. Das hat Habermas geschrieben, als er den Zerfall der Öffentlichkeit untersucht hat.

S: Eine Nummer kleiner hast Du’s nicht? Übrigens könnte Dein Habermas ein wenig Journalismus gut gebrauchen, so wie der schreibt.

Bild: Mohamed_hassan auf Pixabay

F: Und worüber willst Du schreiben?

S: Über deutschen Gangsta Rap fürs Erste. Gab’s ein tolles Seminar an der Uni.

F: Nie gehört, es sei denn, das ist diese hektische Ey-Alder-Lyrik, die aus deinem Handy kommt. Ich dachte, bei Musik in Germanistik geht’s ums Minnelied.

S: Unsere Profs. sind halt nicht stehen geblieben.

F: Die schmeißen sich an Euch ran.

S: Sie hören unsere Musik, statt drüber herzuziehen. Wie ging nochmal das N-Wort mit dem hessischen G in der Mitte, womit Deine Eltern über Deine schwarze Soulmusik abgelästert haben?

F: Das Wort Fremdschämen gab’s noch nicht. Bei Deinem Gangster Rap, geht’s da um Sex and Crime?

S: Ja und um dicke Autos.

F: Sex and Crime ist eigentlich nicht schlecht, was Anrüchiges kommt in den Redaktionen immer gut an. – Löst aber leider Dein Problem nicht. Du hast keinen Namen. Du müsstest erst Promi werden.

S: Wir wollen doch mal die Realität prüfen, wie eins Deiner Lieblingswörter lautet. Fakt ist: Texte von Freien werden von Redaktionen angenommen und ordentlich bezahlt.

F: Über Euphemismus haben wir schon gesprochen. Du musst Dich privat krankenversichern, Du zahlst in keine Rentenkasse, musst für Dein Alter also Geld zur Seite legen. Hast Du daran schon mal gedacht? Außerdem rennst Du Deinem Honorar permanent hinterher.

S: Meine Generation bekommt sowieso keine Rente mehr; die habt Ihr Alten bis dahin längst verfrühstückt. Ich spar mit einem Sparplan fürs Alter. ETF, schonmal gehört?

F: Das reden Dir die Fondsmanager und die Sozialstaatsverächter ein. Die wollen die Rentenkasse abschaffen und auf Kapitaldeckung umstellen. Aktien gehen aber nicht permanent durch die Decke, sondern können ganz schön in den Keller rauschen. Wo bleibt dann Deine kapitalgedeckte Altersversorgung?

S: Bitte keinen Deiner Vorträge über Neoliberalismus. Redundanz als Stilmittel im Rap: gerne. Aber im Tischgespräch ermüdet das. Über Kapital kann man mit Dir nicht reden. Du kennst nur das gleichnamige Buch. Du bist da ziemlich verblendet, auch wenn Du glaubst, verblendet wären immer die anderen.

F: Deine Wertschätzung für den Mammon hat einen Vorteil: Mit Deinen Texten eckst Du bei der Chefredaktion jedenfalls nicht an. Es sei denn, Du legst zu viel Wert auf Dein Originalgenie.

S: Will heißen?

F: Für das bisschen Geld, das Du bekommst, musst Du Verzicht auf Deine Formulierungen leisten. Falls Dein Text angenommen wird, wirst Du Dein Wunder erleben.

S: Du meinst, die Redakteure verändern ihn? Was soll an einer guten Textredaktion falsch sein?

F: Daran wäre gar nichts falsch, aber Deine Texte werden nicht redigiert, sondern verhunzt. Das Wort Globalisierung steht bei Dir auf dem Index, prompt taucht es in Deinem Text auf. Oder Du schreibst doch, daraus wird noch.

S: Das klingt jetzt ein bisschen kleinkariert.

F: Du schreibst über die Gesellschaft des Warenreichtums, in der doch alles da ist. Daraus wird dann die Gesellschaft, in der noch alles da ist. Das ist nun mal kein kleiner Unterschied, sondern einer ums Ganze.

S: So einen Marxismus für die gehobenen Stände würde ich gar nicht schreiben.

F: Es war ein kritischer Blick, den ich auf die Gesellschaft geworfen habe. Die will sich nicht als Klassengesellschaft begreifen, nur weil ihre Mitglieder am Wochenende Golf spielen.

S: Du willst nicht begreifen, dass Redaktionen keine Lust haben, Deine geworfenen Blicke aufzufangen. Die sehen die Welt mit anderen Augen. Was Du Klassengesellschaft nennst, würden drei Viertel der Menschheit als gelobtes Land begreifen, und genauso sehen das die Redakteure auch. Du kommst als Spaßbremse daher, die den Leuten alles vermiesen will.

F: Auf den Unterschied zwischen Realität und Illusion kommt es mir an. Man kann Golf spielen und dennoch ein kleiner Angestellter sein.

S: Und den Unterschied kennst du, Gottvater? Was ist übrigens schlimm daran, Angestellter zu sein?

F: Irgendwie ahnst Du es, sonst wäre Deine Freelancer-Phantasie nicht so groß. Das Büro ist eine Familienbande, die Dir den Kleinkinderstatus zuweist. Was Du an sinnvoller Arbeit machst, ist nur ein Bruchteil dessen, womit Du beschäftigt wirst.

S: Du verallgemeinerst. Überall lese ich von New Work, agilem Arbeiten, Empowerment und flachen Hierarchien. Und das Home Office hat die Pandemie auch endlich durchgesetzt.

F: Ich gebe wieder, was ich erlebt habe.

S: Vielleicht hast Du nur Pech gehabt.

F: Was Du Pech nennst, ist das Realitätsprinzip.

Bild: geralt auf Pixabay

S: Was Dich am Realitätsprinzip stört, ist für einen anderen vielleicht der Sechser im Lotto. Wat den Eenen sin Uhl, is den Annern sin Nachtigall – Den Spruch habe ich öfter von Dir gehört.

F: Du hast mir da nicht richtig zugehört, das war nicht als Lebensweisheit gedacht.

S: Dann lass mich an Deiner originalen Weisheit teilhaben.

F: Ich war dabei, Dir Gründe zu nennen, warum Dein Freiberuf ein Frustberuf ist. Du musst als Freier Dein Honorar als Schmerzensgeld verstehen. Der Redakteur ergreift Dein getipptes Wort und misshandelt es.

S: Warum sollen Festangestellte die Artikel von Freien nicht ordentlich redigieren?

F: Weil es an der narzisstischen Besetzung des Textes fehlt. Es ist ja nicht ihr eigener, sondern einer, der vielleicht auf Anordnung eines Chefs ins Blatt gerückt werden soll. Wie lieblos er behandelt wird, macht sich besonders bei Kürzungen bemerkbar, an den Anschlüsse, die nicht mehr stimmen.

S: Damit wir uns recht verstehen: Wir reden von journalistischen Texten, also, entschuldige, von Gebrauchsartikeln für den Tagesbedarf, nicht von sprachlichen Kunstwerken. Legst Du die Latte nicht etwas arg hoch?

F: Ich lege die Latte nicht höher als ein Deutschlehrer im Gymnasium.

S: Wusste gar nicht, dass die gymnasiale Oberstufe jetzt zu Deiner sprachästhetischen Berufungsinstanz geworden ist.

F: Es geht um die Standards korrekten Schreibens, um ganze Sätze, Subjekt, Prädikat, Objekt, eigentlich die Klippschule. Schon diese Standards kommen oft genug unter die Räder.

S: Klingt nach Verschwörungstheorie. Was Du den arglistigen Journalisten unterstellst, geht doch aufs Konto ihrer Produktionsverhältnisse, um mal in Deinem Jargon zu reden. Permanente Unterbesetzung in den Ressorts, immer höhere Schlagzahl beim Schreiben und Redigieren. Da passiert halt so etwas.

F: Du stimmst mir also zu. Das ist mein zweites Argument, um Dir Deine Schnapsidee auszureden: Zur ökonomischen Unsicherheit käme die ständige Sorge um die Unversehrtheit Deines Produkts dazu. Wer etwas fabriziert hat, liefert doch mit Produzentenstolz ab. Aber den kannst Du Dir in Deinem erträumten Beruf abschminken.

S: Damit ich Dich richtig verstehe: Du rätst mir also, statt Freelancer Angestellter einer Zeitung mit Rentenanspruch zu werden. Gerade Du! Dein Rat hat übrigens einen Nachteil: Ich bräuchte dann dein Sponsoring fürs journalistische Zweitstudium. Die Bafög-Lösung geht ja nicht mehr.

F: Ausbildung für ein Medium, das der Vergangenheit angehört! Hast Du schon mal etwas vom Zeitungssterben gehört? Willst Du Deine erste Illusion mit einer zweiten upgraden?

S: Bitte kopiere nicht, was Du für die Sprache von jungen Leuten hältst. Die analoge Gutenberg-Galaxie stirbt, aber es gibt ja zum Glück die digitalen Formate: Texte, Nachrichten, Geschichten werden im Internet gelesen. Die Startups dort mischen die alte Zeitungslandschaft auf. Für die werde ich schreiben.

F: Bitte kopiere nicht diese Feuilletonsprache: Gutenberg-Galaxie, digitale Formate – wenn ich das schon höre. Deine Start-Ups sind in die Jahre gekommen und haben immer noch einen kleinen Nachteil: Sie zahlen nichts, denn sie nehmen ja nichts ein. Keines der Bezahlmodelle für die ins Netz gestellten Texte funktioniert.

S: Aber diese Online-Zeitschriften existieren doch, Du liest doch selbst welche.

F: Die ich lese, existieren, weil die Macher und Schreiber für lau arbeiten. Wer auf diesen Seiten schreibt, hat das Privileg, dass sein Schreibprodukt sorgsam behandelt wird. Dafür bezahlt er, indem er auf Bezahlung verzichtet. Das macht für ihn Sinn, auch wenn er an seine Sachen kein Preisschild dranhängen kann.

S: Macher, Schreiber – Frauen sind da keine zugange?

F: Doch, ja, aber die können die Regeln auch nicht ändern. Etwas schreiben, was man verantworten kann, setzt voraus, dass man sein Geld woanders herbekommt. Womit wir wieder beim Thema wären.

S: Mein Geld werde ich mit meinen Texten verdienen, und Dein Widerspruch löst sich in Luft auf.

F: Deine Katze beißt sich bloß in den Schwanz. Zudem gilt das zweite Murphysche Gesetz.

S: Ich kenne nur das erste: Was schiefgehen kann, geht schief.

F: Die zweite ist eine berufsbezogene Abwandlung: Verdienst Du mit Deinem Beruf Dein Geld, machst Du Erfahrungen, kommst aber nicht zum Schreiben. Kommst Du dann endlich zum Schreiben, hast Du den Kontakt mit der Realität verloren und machst kaum noch richtige Erfahrungen. Übrigens ist Schreiben als Kulturtechnik bald völlig out.

S: Deinen Kulturpessimismus kenne ich zur Genüge. Das ist die übliche Beilage beim Abendessen. Der Weltuntergang fällt aber aus, denn das geschriebene Wort steht im Internet, was viel Papier und abgeholzte Bäume erspart.

F: Der Text ist dort nicht das Hauptmenu, sondern die Beilage. Das Geschriebene verlinkt nur noch zum nächsten TikTok-Video oder am besten gleich zum Werbeclip. Deine Online-Zeitungen schämen sich schon für jede längere Textpassage. Eine gibt die Minuten an, die man zum Lesen eines Artikels braucht. Zeit ist schließlich Geld. Wer am wenigsten Zeit stiehlt, bietet am meisten Qualitätsjournalismus.

S: Dein üblicher Sarkasmus, und Du argumentierst puristisch. Warum soll ein Hörbeispiel keine Theorie über einen musikalischen Stil verdeutlichen?

F: Weil Redaktionen keine Theorie mögen. Das ist ein Gesetz. Wer auf eine Theorie hinweist und ein Zitat benutzt, gilt als Angeber.

S: Keine Redaktion will ihre Leserschaft mit Fachchinesisch vergraulen.

F: Fachchinesisch und gute Theorie, das schließt sich gegenseitig aus.

S: Graue Theorie und saftiger Text schließen sich aus. Ich werde mir den Spaß beim Schreiben nicht nehmen lassen. Und meine Leser sollen auch ein Vergnügen haben. Mit YouTube werden sich meine Texte toll bebildern lassen. Außerdem habe ich noch andere Eisen im Feuer. Klappt es nicht mit FAZ-Online, mache ich meinen eigenen Blog, und stelle meine Sachen in Social Media.

F: Und davon kann man leben?

S: Man schaltet Werbung und bekommt dafür Geld von einer Social Media Agentur. Die vermittelt die Kunden. Ich kenne schon eine, die heißt Philosophy Brands. Ein ehemaliger Kommilitone ist Kreativer bei denen.

F: Und Du bist die Brand, der die Agentur eine Philosophie verpasst? Da lachen die Hühner. Du musst schon wer sein und das nötige Kleingeld haben, damit Dein Kreativer auf Social Media für Dich etwas tut. Und Social Media klingt für mich wie Kirche.

S: Merkwürdige Assoziation!

Bild: Sasiepre auf Pixabay

F: Von Kirche reden, statt von der Kirche war mal das Erkennungszeichen progressiver Protestanten. Und von dieser Pseudo-Progressivität haben Deine Social Media entschieden etwas. Mit einem Unterschied: Sola scriptura, nur die Schrift, heißt es bei den eingefleischten Lutheranern. Bloß keine Schrift, heißt es bei Instagram und Co.

S: Dein Protzen mit der Altphilologie und Deine Aversion gegen Instagram passen gut zusammen. Schlicht reaktionär, würde jemand sagen, den Du gut kennst.

F: Der spricht aus, was er sieht. Dein Instagram-Journalismus ist die Instant-Version von Journalismus. Wenig Stoff und viel heiße Brühe drüber.

S: Du kalauerst!

F: Und Du wirst mit Deinem YouTube-Journalismus Deinen Beitrag zum Zerfall der Sprache leisten.

S: Statt ADAC für die liegengebliebene Germanistik zu spielen? Apropos: Wieso rätst Du mir eigentlich von etwas ab, das Du selbst machst, Texte anbieten?

F: Bei mir ist das was anderes. Ich bin alt, und will nur meine Rente aufbessern.

S: Hast wohl im Studium ein bisschen gebummelt und bist zu spät in den Beruf eingestiegen? Daher die knappe Rente!

F: Ich hatte mich auf den langen Marsch durch die Institutionen vorbereitet. Das hat Zeit gekostet.

S: Und jetzt bist Du durch mit dem langen Marsch, schreibst über Deine Erfahrungen und keiner will das haben. Du kommst daher wie die alte Fassnacht.

F: Ich bin als Politrentner enttäuschungssicher, und habe ein dialektisches Verhältnis zum Misserfolg. Mir würde es reichen, wenn Du meine Lebenserfahrung haben wolltest.

S: Meine Lebenserfahrung besorge ich mir lieber selbst. Dein Rentnerstatus ist übrigens selbstevident: Immer kritisieren, immer recht haben. Nur eins habe ich nie kapiert: deinen Lieblingsbegriff. Erkläre mir Dialektik!

F: Je mehr meine Artikel auf Ablehnung stoßen, desto sicherer bin ich, meine kritische Reflexion trifft ins Schwarze.

S: Genial, Deine Rentnerdialektik! Es bleibt dabei, Du hast immer recht. Und Deine kritische Reflexion hat weitere Vorteile. Du musst für Dein Schreibgewerbe nie Umsatzsteuer zahlen.

F: Zu meiner Zeit musste man den 68er mimen, um im Funkhaus oder bei der Zeitung unterzukommen, heute muss man mit einer neuen Herde blöken. Ist dieses konformistische Geschäft wirklich erstrebenswert? Lass die Finger von der Sache!

S: Und was schlägt Mister Nonkonformist nun vor, nachdem er mir rät, auf meinen Lebenstraum zu verzichten?

F: Ich habe Dir damals geraten, studiere Germanistik nicht aufs Geratewohl sondern aufs Lehramt.

S: Toller Rat, Studienrat! Ich konnte ihn nicht befolgen, lag wohl an Deinen Genen.

F: Mein Job als Vater ist undankbar, ich bin der Überbringer der schlechten Nachrichten.

S: Ey Alder, komm mir jetzt bloß nicht mit dem beliebten Lebkuchenspruch. Dass es kein richtiges Leben im falschen gibt, man hat’s schonmal gehört.

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Peter Kern
Peter Kern hat Philosophie, Politik und Theologie in Frankfurt am Main studiert, war kurzzeitig freier Journalist, dann langjähriger politischer Sekretär beim Vorstand der IG Metall und ist nun wieder freier Autor und Mitarbeiter der Schreibwerkstatt Kern (SWK).

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