Papstrede: Lichtblick und Ärgernis

Gründe, die katholische Kirche als Ärgernis zu bezeichnen, gibt es in den letzten Jahren und Monaten genug. In immer kürzeren zeitlichen Abständen kommen neue Gründe hinzu. Das Verhältnis Staat Kirche kann und wird so nicht auf Dauer Bestand haben. Und da kommt dann plötzlich bei einem aktuellen Thema ein kleiner Lichtblick: Der von vielen geschätzte Papst Franziskus hält im September (am 22.09.2023) in Marseille bei dem Mittelmeer-Treffen eine Rede, in der er vom „Schiffbruch der Zivilisation“ spricht, von einem „Schmerzensschrei“ der Migranten und von Migration nicht als Notfall, sondern als der „Gegebenheit unserer Zeit“.

Foto: Ggia auf wikimedia commons

Er bezeichnet die Seenotrettung als „Pflicht der Menschlichkeit“ und fordert ohne Einschränkung, die Aufnahme aller Geflüchteten müsse „mit kluger Weitsicht und in europäischer Verantwortung gestaltet werden“. Zuwanderung sei unvermeidlich und mit enormen Zukunftschancen verbunden, so der Papst, Zuwanderer seien keine Last, sondern „Geschwister“. So weit so gut. Jeder Mensch, dem ein humane Flüchtlingspolitik am Herzen liegt, kann diesen Worten nur zustimmen. Also Anstoß in einer Zeit, in der in fast allen europäischen Ländern heftig über Asylpolitik, über Obergrenzen für Flüchtlinge und den Umgang mit Geflüchteten heftig gestritten wird. Und eine humane Asyl- und Flüchtlingspolitik angesichts der unbewältigten Probleme und dem Vorgaukeln einfacher Lösungen durch das rechte politische Spektrum den Bach runter zugehen droht.

Das mare nostrum wird zum Massengrab

Nicht nur in Deutschland wird zunehmend darüber diskutiert, dass die Europäische Menschenrechtskonvention ebenso wie die Genfer Flüchtlingskonvention restriktiv überarbeitet werden und Grundlagen dafür geschaffen werden sollen, dass Militärschiffe im Mittelmeer Bootsflüchtlinge nicht mehr retten, sondern zurückweisen sollen, wie immer das konkret geschehen mag. Das „mare nostrum“ wird immer mehr zum Massengrab. Italien, Polen und Ungarn, aber auch Österreich sind dabei, sich von einer humanen und aufnahmebereiten Flüchtlingspolitik zu verabschieden. Und in Deutschland gewinnen angesichts des Dissenses der demokratischen Parteien nur die AfD und der Rechtsextremismus.

Ohne Zweifel, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa stellt die Aufnahme von hunderttausenden Flüchtlingen zusätzlich zu den Millionen Kriegsflüchtlingen und -vertriebenen aus der Ukraine vor gigantische Herausforderungen In dieser Situation wäre in der Tat eine Politik der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern „mit kluger Weitsicht und in europäischer Verantwortung“, so der Papst, dringend geboten, zum einen, um Geflüchteten zu helfen aber auch, um Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Bild: 10634669 auf Pixabay

Und hier beginnt das Ärgernis. Die katholische Kirche rühmt sich bis heute ihrer zentralen Leitungs- und Lehrgewalt sowie ihres weitreichenden Einflusses. Aber wo werden denn die Inhalte der Papstreden von den nationalen Bischofskonferenzen in Italien, in Polen oder Ungarn, in Österreich oder Deutschland in eigenes Reden und Handeln umgesetzt? Wo erinnert denn das jeweilige Episkopat die Regierenden in Ungarn oder Polen, die sich ständig bemüßigt fühlen, sich ihrer Katholizität zu rühmen, ihren Verpflichtungen aus dem Asylkompromiss in europäischer Verantwortung nachzukommen und Geflüchtete aufzunehmen? Wo werden CDU/CSU und ÖVP von den jeweiligen Bischofskonferenzen dazu ermahnt und ermuntert, öffentlich dafür einzutreten, dass Geflüchtete „Geschwister“ und nicht Last sind? Wo stellen Bischöfe als Signal der Solidarität, vielleicht halbleere Priesterseminare und aus der Feudalzeit stammende Bischofssitze wenigstens teilweise als Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung? Und wo mahnen in all diesen Ländern die Vertreter des Laienkatholizismus die Politiker aller Parteien, mehr Geld in Schul- und Kindergärtenplätze, in Wohnräume und Sprachkurse, in Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten für Geflüchtete zu investieren?

Sonst sind sie nur Schall und Rauch und Ärgernis

Ich weiß, dass ich hier schwieriges Terrain betrete, weil ja schon von all dem – bis auf die Arbeits- und Ausbildungsplätze – für die hier ansässige Bevölkerung zu wenig zur Verfügung steht. Aber das wäre doch erst recht Grund darüber zu sprechen, dass ein Land, das zu Recht Sondervermögen für unsere militärische Sicherheit zur Verfügung stellt, dies auch für soziale Sicherheit und humanes Zusammenleben aller hier Lebenden können muss, wenn Migration, wie Papst Franziskus zutreffend sagt, als „Gegebenheit unserer Zeit“ begriffen wird. Die Bemühungen um schnellere rechtsstaatliche Asylverfahren, um mehr Einsatz gegen kriminelle Schlepperorganisationen, um mehr Hilfe für die und stärkere Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern der Geflüchteten – nicht nur mit den Transitstaaten –, um Fluchtursachen zu verringern, um Auffanglager und Sachleistungen werden dadurch nicht überflüssig, aber bekommen dann einen humanen Rahmen.

Europa steht vor Wahlen, in denen entschieden wird, ob in einem künftigen europäischen Parlament rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien mit ihrer fremdenfeindlichen und rassistischen Politik eine dominierende Rolle spielen oder die Möglichkeit bestehen bleibt, eine humane Asyl- und Migrationspolitik in europäischer Verantwortung fortzuführen. Die Reden des Papstes zu diesem Thema sind ein ermutigender Anstoß, wenn sie von Episkopat und Katholizismus in den einzelnen Ländern offensiv vertreten und umgesetzt werden. Sonst sind sie nur Schall und Rauch und Ärgernis.

Print Friendly, PDF & Email
Klaus Lang
Dr. Klaus Lang studierte Katholische Theologie, Psychologie und Politik. Er war zunächst Pressesprecher des Vorstandes der IG Metall, 1981 wurde er Leiter der Abteilung Tarifpolitik, später leitete er die Abteilung des 1. Vorsitzenden und war Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, 2003 wurde er Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Er ist Mitglied im Rat der Stiftung Menschenrechte, der Förderstiftung von Amnesty International und im Sozialethischen Arbeitskreis Kirchen und Gewerkschaften.

2 Kommentare

  1. In der Tat: “kluge Weitsicht und europäische Verantwortung” sind gefordert. Klaus Lang beschreibt klar und differenziert die gegenwärtige Situation. Seine Fragen an die katholische Kirche mit all ihren Gliederungen erweitern den Blick auf diejenigen, die ihren Einfluß geltend machen können. Ein starker Text.

  2. Klaus Land beschreibt die Lage mit den kritischen Bemerkungen sehr gut.
    Die “katholische Kirche” ist im Besitz enormer Mengen an Immobilien und Reichtümern aller Art – eine “Teilhabe”, eine Verwendung für die Menschen ist nicht erkennbar, schon seit Jahrhunderten nicht – und erst recht nicht in dieser heutigen Situation. Tatsächlich scheint die “katholische Kirche” (die evangelische auch?) in vielen Ländern des Südens mit ihrer überkommenen (Sexual-)Moral, insbesondere in Bezug auf die Frauen, und mit aus der Welt gefallenen patriarchalen Machtstrukturen selbst eher Teil des Problems zu sein als dessen Lösung.

Hinterlasse einen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

bruchstücke