Die AfD gefährdet den Wirtschaftsstandort

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Wen die aktuellen Umfragezahlen für die AfD überraschen, der hat sich lange schon in die Tasche gelogen. Seit vielen Jahren gibt es die sogenannte Leipziger Mittestudie, eine alle zwei Jahre durchgeführte Untersuchung, die letzte unter dem Titel Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten publiziert. Das Wort Mittestudie ist eigentlich ironisch zu nehmen; die Leipziger Sozialforscher konstatieren, die berühmte Mitte der Gesellschaft fühle sich am rechten Rand ganz gut aufgehoben. Wie auf den von der Demoskopie dokumentierten und sich vermutlich in den nächsten Landtagswahlen niederschlagenden Erfolg der AfD reagieren? Der Autor dieses Artikels sieht die deutschen Konzerne in der Pflicht. Die Vorstände der DAX-Unternehmen und ihre Verbände als Antifa? Sicherlich nicht. Aber als Stimme der Öffentlichkeit, die der rechten Partei den Weg nach ganz oben verlegen kann, sind die Unternehmensvorstände von größtem Wert.

Die genannte Studie macht die weit verbreitete autoritäre Charakterstruktur sichtbar, das antidemokratische Potenzial, an das die AfD erfolgreich andockt. Den Satz Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land unterschreiben 43 Prozent der Ost- und 37 Prozent der Westbürger. Wir brauchen starke Führungspersonen, damit wir in der Gesellschaft sicher leben können finden 27 Prozent der Bundesbürger. Dass die Bundesrepublik …durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet ist, glauben acht Prozent. Letztere Zahl erscheint beinahe gering; aber es ist bloß die Sicht der Eingefleischten. Dazu sind noch die latente Zustimmung signalisierenden 18 Prozent der Befragten zu addieren. Die Ausländer kommen hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen: Elf Prozent stimmen dem Satz völlig, weitere 16 Prozent mit leichter Einschränkung zu.

Zwar ist der klassische Antisemitismus in Deutschland tabuisiert, aber dieses Tabu verdeckt ihn bloß und bringt ihn nicht zum Verschwinden. Die Fragetechnik der Leipziger Soziologen macht das scheinbar Verschwundene sichtbar. Es macht mich wütend, dass die Vertreibung der Deutschen und die Bombardierung deutscher Städte immer als kleinere Verbrechen angesehen werden – das ist eine solche Frage. 31 Prozent der Deutschen sehen dies so. Israels Politik in Palästina ist genauso schlimm wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg. 19 Prozent manifeste, 30 Prozent latente Zustimmung. Die Sozialpsychologie spricht von einer Umweg-Kommunikation. Wer den Umweg wählt, vermeidet es, mit dem Tabu zu kollidieren und die gesellschaftlich unerwünschte Antwort zu geben.

Keiner will’s gewesen sein

Sobald die Leipziger mit ihren Zahlen auf dem Markt sind, läuft alle zwei Jahren das gleiche Ritual ab: Der Bote bekommt den Unmut für seine Botschaft ab. Die FAZ geht immer vorneweg und neuerdings trottet eine mäßig interessante Zeitschrift mit dem großen Namen Cicero hinterher. Dort war von der Zauberwelt der Villa Kunterbunt aus dem Hause der „kritischen Theorie“ zu lesen; ihr entstamme das hyperkritische Zeug. Es ist die sich gerne als Qualitätsjournalismus feiernde konservative Presse, die aus Gründen der Selbstberuhigung zur Politik des Vogel Strauß‘ neigt. Die deutschen Konservativen haben mit Leidenschaft die Historikerdebatte gegen Habermas und Konsorten geführt; Martin Walser hat ihnen mit seiner Paulskirchenrede aus der Seele gesprochen. Mittlerweile ist die elaborierte rechte Ideologie im restringierten Code der AfD angelangt, aber keiner will’s gewesen sein.

Die rechtsextreme AfD gefährdet den ökonomischen Reichtum dieser Gesellschaft. Das ist die Schelle, die dieser Partei anzuhängen wäre. An diesem Reichtum partizipieren die Gesellschaftsmitglieder in ganz ordentlichem Maß. Diese Gefährdung herauszustellen, ist gegenwärtig die einzig erfolgversprechende Strategie. Und glaubwürdig lässt sie sich nur von mit ökonomischer Macht ausgestatteten Personen vertreten. Die politische Konkurrenz wird von der AfD mit einem Gestus attackiert, den die Frankfurter kritische Theorie einmal rebellischen Konformismus nannte. Wenn die Vorstände namhafter Unternehmen sich gegen diese Partei wenden, wird dieser Gestus rasch an Attraktivität verlieren.

Sich mit den ökonomisch Mächtigen anzulegen, verbietet den Weidels und Höckes ihr politischer Instinkt. Im ARD-Sommerinterview betonte die Fraktionsvorsitzende die Wirtschaftsfreundlichkeit ihrer Partei, was im deutschen Politsprech bedeutet: Wir halten es mit den Unternehmern. Aber die halten es nicht mit der AfD. Die Manager der deutschen, am funktionierenden Export interessierten Konzerne haben für einen aggressiven Nationalismus keine Verwendung. Sie suchen händeringend nach ausländischer Arbeitskraft. Sie können nicht warten, bis der Lebensborn sprudelt und die deutsche Frau wieder mehr Kinder gebärt, so Frau Weidels Strategie gegen den Arbeitskräftemangel. Xenophobie erscheint den CEOs geradezu als geschäftsschädigend. Das ist aber das Attraktivste, was die AfD ihren Wählern zu bieten hat. Xenophobe Stimmung aufzugreifen und anzuheizen, macht ihre Stärke aus. Aber zugleich ist es die Achillesferse der AfD. Sie gilt es zu durchtrennen, um das Projekt der Rechten lahm zu legen.

Screenshot: ARD-Sommerinterview

Es gibt im Lager der Unternehmer durchaus Leute, die für eine solche Strategie zu gewinnen sind. Der frühere Vorstandsvorsitzende der Daimler AG war nicht erfreut über die sich in seinem Haus breit machende rechtsradikale Truppe, die bei der letzten Betriebsratswahl antrat und einige Mandate errang. Ein Bild von schönen Limousinen, leider gebaut in einem braun angehauchten Sindelfingen, behagte ihm nicht. Wir verfolgen diese Entwicklung mit Sorge, ließ er sich vernehmen. Sein Nachfolger, Ola Källenius, äußert sich so: Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz haben bei uns keinen Platz. Man ist gut beraten, solchen Statements (auch wenn sie wie gestanzt klingen) in der öffentlichen Debatte wieder und wieder Resonanz zu verschaffen.

Ostdeutsche Betriebe: Sechsmal mehr Absagen von Bewerbern

Der alte Faschismus war für weite Teile der ökonomisch Mächtigen vor allem der Schwerindustrie funktional, der drapierte neue ist es nicht. Als es vor ein paar Jahren in Chemnitz zu Jagdszenen auf Ausländer kam, erklärte die dortige Industrie- und Handelskammer, man sei auf der ganzen Welt aktiv und deshalb auf offene Märkte, stabile Handelsbeziehungen und gleichsam darauf angewiesen, in anderen Ländern der Welt willkommen zu sein…Fachkräfte kommen nur, wenn ein Klima der Weltoffenheit herrscht. Gleiches gilt für Unternehmen.“

Ein in Dresden produzierender Chiphersteller erklärte im Handelsblatt folgendes: Es sei derzeit nicht einfach, einen Ingenieur aus dem Ausland davon zu überzeugen, nach Sachsen zu ziehen und seine Familie mitzubringen. Wir müssen ihm erklären, dass die Region Dresden sicher ist, dass Kinder alleine zur Schule gehen können und man durch das Tragen eines Kopftuches nicht ausgegrenzt wird. Und weiter: Für die Sicherung des Wohlstandes in Sachsen ist sowohl die Offenheit gegenüber ausländischen Fachkräften als auch das Bekenntnis zur Internationalität existenziell. Eine auf der Befragung von 600 Unternehmen beruhende Studie aus Halle kam zu dem Ergebnis, ostdeutsche Betriebe bekämen sechsmal mehr Absagen in Bewerbungsgespräche als Westfirmen. Rassismus macht das Geschäft kaputt. Die Studie stammt aus einer Zeit, als der sogenannte Fachkräftemangel noch gar nicht richtig akut war; die Verhältnisse im deutschen Osten dürften sich kaum verbessert haben.

Wir müssen aufpassen, dass wir die Menschen nicht komplett an die Radikalen verlieren, so der Chef von Jenoptik. Ich sehe schon das Risiko, dass unsere Demokratie hier in Gefahr geraten könnte, sagte er neulich der Süddeutschen Zeitung. Der Konzernchef bilanziert seine Inlands- und Auslandsumsätze, und projetziert er die in eine nationalistisch eingefärbte Zukunft, kommt nichts Erbauliches heraus. In der optischen Industrie wird es sich wie in den großen, tonangebenden Branchen verhalten: Mehr als die Hälfte der Beschäftigten sind dem Exportgeschäft zuzuordnen, und die Länder der Europäischen Union sind extrem wichtig. Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann, kreischt Herr Höcke, und die Unternehmer sind ob solcher Töne schockiert. Nationalistische Propaganda können sie nicht gebrauchen und ein Zurück zur Deutschen Mark ebensowenig.

Braun läuft auf Katastrophenpolitik hinaus

Man kontrastiere die Sicht der Unternehmer mit dem Weltbild der in der Mittestudie erfassten Befragten: 18 Prozent der Ostdeutschen sehen sich als Mitglieder einer Nation an, die anderen überlegen ist; neun Prozent der Westdeutschen unterliegen dem gleichen Wahn. Mut zu einem starken Nationalbewusstsein wünschen sich 41 Prozent der Ostdeutschen und 33 Prozent hegen im Westen denselben Wunsch. Hart und energisch möchten 28 Prozent der Ost- und 18 Prozent der Westdeutschen die Interessen Deutschlands durchgesetzt sehen. Mehr als 50 Prozent der Befragten mit der Parteipräferenz AfD stehen zu ihrem Ausländer raus; das kann nicht überraschen. Eher schon überraschend ist es, dass sich Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft und Xenophobie keineswegs ausschließen.

Ein Ende der Europäischen Union und ihrer gemeinsamen Währung wäre das Ende der Ambition, in der ökonomischen Champions League um die Meisterschaft mitzuspielen. Den drohenden Abstieg den AfD-Anhängern unter die Nase reiben, ist das einzige Argument, das sie überzeugen kann. Das Argument ist im Wortsinn natürlich keins. Wäre die AfD-Propaganda rational angelegt, könnte man sich auf Argument und Widerlegung beschränken. Aber Parteitagsbeschlüsse sind nur die Oberfläche, hinter der die psychische Schicht liegt, an welche die Hetzpropaganda anknüpfen will. Die AfD-Propagandisten haben einen feinen Instinkt für die niedrigen Instinkte, die in den Individuen schlummern.

Adorno, in einem Rundfunkvortrag einmal der Frage nachgehend, wie den für Verhetzung anfälligen Menschen zu begegnen sei, nannte als das wirksamste Gegenmittel de(n) durch seine Wahrheit einleuchtende(n) Verweis auf ihre Interessen und zwar auf die unmittelbaren…Erinnert man die Menschen ans Allereinfachste: dass offene oder verkappte faschistische Erneuerungen…auf Katastrophenpolitik hinauslaufen, so wird sie das tiefer beeindrucken als der Verweis auf Ideale oder selbst der auf das Leid der anderen, mit dem man ja…immer verhältnismäßig leicht fertig wird. Man mag Adornos Argument arg schlicht und utilitaristisch schelten, bezeugt damit aber ein großes Zutrauen in die Wirksamkeit einer moralischen Argumentation.

Das kann man sich nicht leisten

Screenshot: Handelsblatt

Vor wenigen Jahren äußerte sich der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG auf seinem Facebook-Account so: Lieber Kopftuchmädchen als Bund Deutscher Mädchen.“ Frau Weidel schade dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Will man die AfD ins Abseits stellen, wird man an den Vorständen nicht vorbeikommen. Die müssen gegen die neulackierten Braunen Farbe bekennen. Sie dazu zu veranlassen, wird nicht einfach sein. Als Joe Kaeser, der zitierte CEO, seinen Kopftuch-Spruch absetzte, blieb die Unterstützung seiner Kollegen aus. Seine Einschätzung damals: Die Vertreter der Industrie, soweit sie Konsumgüter für den deutschen Markt produzieren, würden sich von der AfD nicht offen distanzieren, weil sie als Kaufmänner dächten. Umfrageergebnisse von 20 Prozent, dazu eine Dunkelziffer an Sympathisanten, da käme leicht ein Viertel der deutschen Gesellschaft zusammen. AfD-Distanzierung? Das kann man sich nicht leisten, fasste Joe Kaeser die Reaktion seiner DAX-Kollegen zusammen.

Es ist nun die Sache der demokratischen Parteien, der Kirchen und der Gewerkschaften, den Unternehmern Courage abzuverlangen und sie daran zu erinnern: Vom Heimatmarkt lässt sich nicht leben.

Peter Kern
Peter Kern hat Philosophie, Politik und Theologie in Frankfurt am Main studiert, war kurzzeitig freier Journalist, dann langjähriger politischer Sekretär beim Vorstand der IG Metall und ist nun wieder freier Autor und Mitarbeiter der Schreibwerkstatt Kern (SWK).

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