Ein liberaldemokratisch-bürgerlich-anständiges Manifest

Bild: Peggy_Marco auf Pixabay

Im Bonner General-Anzeiger war am vergangenen Samstag eine spannende Geschichte aus der Feder des Chefs der überregionalen Tagespolitik der Rheinischen Post, Martin Kessler zu lesen. Zur Mediengruppe Rheinische Post gehören neben den beiden erwähnten Tageszeitungen die Saarbrücker Zeitung, die Aachener Nachrichten, der Trierische Volksfreund, digitale Medien, Anzeigenblätter und lokale wie regionale Rundfunke. Alles in allem gewiss kein kümmerliches Bäumchen im deutschen Blätterwald. Kessler, ein promovierter Volkswirt, schrieb nun im journal, in einem “Magazin für Kultur und Wissen“ genannten Zeitungsteil, über eine ganze Seite verteilt „sieben gute Gründe“ auf, „links zu sein.“

Es gebe eben gute Gründe „jenseits von Klassenkampf und dem Gegensatz von Kapital und Arbeit pragmatisch links zu sein…“ Kesslers Auffassung allein ist das offenkundig nicht, denn er schrieb, wie dieses pragmatische Linkssein über viele „kleine Verbesserungen“ aussahen könnte, das hat „unsere Redaktion in sieben Punkten zusammengestellt.“ („Sieben gute Gründe, links zu sein“, „journal“ des GA vom 6. und 7. 1. 2024, Seite eins | [https://rp-online.de/politik/analyse-und-meinung/sieben-gute-gruende-links-zu-sein_aid-102333127 | Bezahlschranke])

Was Martin Kessler mittels Teilnahme seiner Redaktion aufgeschrieben hat, ist tatsächlich eine Art Manifest. Also eine Positionsbeschreibung sicherer Hand und Art, ein seit dem 17. Jahrhundert immer mal wieder genutztes Genre, von Revolutionären (“Kommunistisches Manifest“) ebenso wie von Herrschenden (Kaiser Franz-Joseph: „An meine Völker“); aber auch in der Kunst gebraucht (André Breton: „Manifest des Surrealismus“).

Linke Gebrauchswerte

Was bieten die Redakteure und Redakteurinnen als „gute Gründe“ für Linkssein an? Da sind der „Einsatz für die kleinen Leute“, dann „Verbesserungen der Arbeitsbedingungen“, denen ein „Vorrang für die Schwarmintelligenz“ folgt. Fortgesetzt wird die Aufzählung mit „Gesundheit und Bildung“, Besteuerung nach der „Leistungsfähigkeit“, „Vorrang für Gleichberechtigung“, um schließlich in den „Einsatz für Frieden und Zusammenarbeit“ einzumünden. Man hat hier das Linkssein gewissermaßen auf seine „Gebrauchswerte“ hin untersucht, in denen sich (das bisschen Besserwisserei sei gestattet) für Karl Marx der eigentliche Reichtum einer auf Märkte und Verbrauch orientierten Gesellschaft barg. Der an die Materie gebundene Reichtum, versteht sich.

Es ist ein zivilgesellschaftlich eingefärbtes, liberaldemokratisch-bürgerlich-anständiges Manifest ohne Fetzerei mit anderen Auffassungen. Es verzichtet auf eine Woke-Grundstimmung; es kommt auch ohne Erinnerung an linke Dramatik aus – etwa die Erinnerung daran, dass Nicaragua aus einer faschistischen Diktatur in eine linke Volksrepublik verwandelt und dann von den Verwandlern in eine erneute Diktatur umgedreht wurde, deren Praxis stalinistisch ist. Man meint in diesem Manifest lediglich, die klassische demokratische Linke sei in vielen westlichen Ländern auf dem Rückzug, es gebe stattdessen ökologischen Aktivismus und „politische Korrektheit“. Wie gesagt: Gebrauchswerte.

Wer das Manifest rasch konsumiert hat, sollte sich eine kleine Pause gönnen. Um nachzudenken; so können die gesträubten Augenbrauen allmählich wieder sinken, Nackenhaare sich wieder legen und die Nasen die Kräuselung verlieren, also wieder glatt werden. Denn es ist ja schon so: Der Kesslersche etcetra-Text beschäftigt sich mit einem Thema, bei dem den einen sofort die Spucke wegbleibt, weil ausgerechnet Journalisten der Rheinischen Post solches publizieren, die der Nachgiebigkeit gegen linke Versuchungen kaum verdächtig sind. Bei anderen wird rasch Zorn ausbrechen, weil das Linke, die Linke, linkes Wollen und Streben „trivialisiert“ würden. Dritte werden den Text sofort als unangemessen und vor allem als historisch falsch verwerfen (Motto: Ich sag euch: Historische Erfahrung, unser Auftrag, ja die Dialektik werden dieses bürgerliche Zeugs zu Sand zermahlen!). Schließlich werden wiederum andere bemerken: Bis auf die antidemokratischen Extreme könnten sich nun alle, ja alle, alle unter einen solchen linken „Schirm“ stellen. Am Ende werde nur noch die Frage bleiben: Wo ist da das Besondere, wo der Abstand zu Mitte, zu Mitte-rechts und Mitte-links, zu oben und unten?

Diebisches Vergnügen

Ich muss zugeben, dass ich dieses Manifest mit einem gewissen diebischen Vergnügen gelesen habe. Warum diebisches Vergnügen? Zum einen weil es mitten hinein in die Bemühungen platzt, der CDU ein neues, standhaft konservatives Grundsatzprogramm anzupassen. Dies Bemühen ähnelt den sieben wacker- tölpelhaften Schwaben im Grimmschen Märchen, die hintereinander her laufend und die Hand am Spieß haltend einem Drachen zu Leibe rücken wollen. So wie diese stolpern Linnemann, Merz und Co. einer Zukunft entgegen, in welcher das mit „l“ beginnende Fünf-Buchstaben-Wort keine Rolle mehr spielen soll.

Mein hauptsächliches Vergnügen wurde durch den „Gebrauchswert“ ausgelöst. Gebrauchswerte ändern sich nämlich. Sind nicht für die Ewigkeit. Bedeutung für den Einzelnen wechselt, Wertigkeit sinkt oder steigt während der Lebensverläufe, Haltbarkeit, Design, Preis und Zahl ebenfalls. Linkssein klebt nicht an der Gegenwart, an dem, was ich feststelle – etwa in einem Manifest. Linkssein bleibt nicht beim Tages- Nutzen stehen, sondern fragt nach Ursachen, Bedingungen, Folgen, nach den Spuren der Vernunft, des Messens und Vergleichens, nach dem Zustandekommen von Dingen, fragt nach den Erben und den Zusammenhängen, der Dynamik und den Wirkungen auf Leben und Gesundheit. Bon Voyage liebe Schreiber und Schreiberinnen der „guten Gründe“ für Linkes.

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Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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