Arbeit, Spiel und Geld: Drei nicht gerade kleine Themen in rund 45 Minuten, das ist ein verrücktes Angebot, vielen Dank an die Veranstalter, dass sie es trotzdem angenommen haben. Als der Siegeszug des Computers in vollem Gange war, fiel als erstes auf, dass nun zu jeder Zeit und an jedem Ort gearbeitet werden kann. Als zweites stellte man fest, dass jetzt auch immer und überall gespielt werden kann.
Arbeit und Wirtschaft kennen sich gut seit der Landwirtschaft. Auch Spiel und Geld sind alte Bekannte und seit der Digitalisierung unzertrennlich. Beide sind ohne die Zahlung heute kaum noch vorstellbar.
„The great affair, we always find, is to get money“, schrieb Adam Smith quasi als Vorschau schon im 18. Jahrhundert. Und Peter Sloterdjik hat im Rückblick formuliert, „die Haupttatsache der Neuzeit ist nicht, dass die Erde um die Sonne, sondern das Geld um die Erde läuft.“
Arbeit und Spiel sind wie zwei Seiten einer Münze; auf der einen Seite steht notwendig, auf der anderen Seite optional. Das Nötige, dringend Erforderliche und das Gewünschte, Gewählte haben in unserer heutigen Welt keine klaren Grenzen mehr. Wir sprechen von Arbeitsgesellschaft, aber wir sprechen auch von Multioptionsgesellschaft und vom ludischen Jahrhundert.
Keine Angst – wir fügen den Hunderten von Definitionen keine weitere hinzu, sondern fragen explizit nach der Funktion von Arbeit und Spiel und werden zunächst so antworten: Arbeit sichert den Unterhalt und kann darüber hinaus viel mehr. Spiel dient der Unterhaltung, aber nicht rezeptiv, sondern aktiv. Arbeit, Spiel und Geld: Fangen wir mit der Arbeit an.
Der Beitrag ist die gekürzte schriftliche Fassung eines Vortrags von Fabian Arlt und Hans-Jürgen Arlt im Rahmen der öffentlichen Ringvorlesung von TU, HU und UdK Berlin “Wer nicht denken will, fliegt raus” am 3. Februar 2024.
1 Vom Sinn der Arbeit
Lebewesen müssen sich versorgen oder versorgt werden, wenn sie weiterleben wollen. Versorgung, sei es mit dem Nötigsten, sei es mit dem Üppigsten, kann als Funktion der Arbeit verstanden werden. Ausgangspunkt ist ein Bedarf, auf den mit einer Leistung reagiert wird, die Produkte herstellt oder Dienste verrichtet. Das Erzeugnis, das Produkt bzw. der Dienst, findet einen Gebrauch, andernfalls befriedigt es keinen Bedarf und die Leistung läuft ins Leere. In diesem Fall hat Arbeit nicht stattgefunden, genau wie keine Kommunikation stattfindet, wenn die Mitteilung keine Rezipienten erreicht. Ist das Erzeugnis konsumiert, also verbraucht, entsteht neuer Bedarf. Die Form der Arbeit kann man sich vorstellen als Einheit der drei Komponenten Bedarf, Leistung und Gebrauch.
Der Bedarf umfasst unabdingbare Notwendigkeiten, aber er kann auch tief hinein reichen in die Komfortzonen des süßen Lebens. Die Leistung kann selbst dort, wo sie anstrengend ist, sehr positiv erlebt werden. Die Freude über ein gelungenes Werk, das gute Gefühl, etwas Nützliches, von anderen Benötigtes oder Erwünschtes zu bewerkstelligen, können sehr stark sein; vor allem wenn die Tätigkeiten weitgehend selbstbestimmt ausgeübt werden, also eigene Entscheidungen zulassen, was ich wie, wo, wann und mit wem mache. Der Gebrauch kann genussvoll sein, es kann ein großes Vergnügen sein, Produkte zu nützen und Dienstleistungen entgegen zu nehmen. Kurzum, Arbeit kann mit jeder ihrer Komponenten eine Quelle guten Lebens sein. Obgleich sie unter Bedingungen der Arbeitsteilung nicht im strengen Sinn selbstbestimmt sein kann, denn das Ergebnis meiner Arbeitsleistung muss von jemand anderem gebraucht werden.
Sozialer Sprengstoff
Wer keinen Bedarf hat, braucht keine Arbeitsleistung zu erbringen. Auf welche Weise Arbeitstätigkeiten verrichtet werden, ist innerhalb der Vorgaben der Natur sozial frei entscheidbar. Wer entscheidet? Die Form der Arbeit legt den Gedanken nahe, dass man es auch gemütlich angehen kann. Sind die natürlichen Umstände günstig, lässt es sich sozusagen von der Hand in den Mund leben. Aber es ist auch leicht zu erkennen, dass die drei Komponenten der Arbeit sozialen Sprengstoff bergen. Wessen Bedarf wird befriedigt? Menschen verhungern, verdursten, erfrieren, sterben an heilbaren Krankheiten, weil ihr Bedarf nicht beachtet wird. Wer erbringt die Leistungen unter welchen Bedingungen? Zwangsarbeit hat viele Gesichter. Wer hat Zugang zum Konsum der Erzeugnisse, wer nicht und warum nicht?
Solche Fragen stellen sich unweigerlich, sobald Arbeit bewirtschaftet wird wie im ersten historischen Ernstfall, der Landwirtschaft. Mit ihr machen sich Herrschaft, Patriarchat und Krieg auf dem Planeten breit. Nicht notwendiger Weise, aber faktisch.
Die Verführung, andere Leute die Arbeitsleistungen erbringen zu lassen und sich selbst auf den Gebrauch, den Konsum zu konzentrieren, scheint sehr groß zu sein.
Was heißt es, Arbeit zu bewirtschaften? Die Wirtschaft nimmt das Verhältnis zwischen Leistung und Gebrauch wichtig, sie will im Idealfall mit weniger Leistung mehr Gebrauchsmöglichkeiten realisieren. Wir kennen dieses Verhältnis unter verschiedenen Namen wie Aufwand und Nutzen, Kosten und Ertrag, Ausgaben und Einnahmen. Immer steckt dahinter die wirtschaftliche Grundfrage: Was bleibt am Ende des Tages über den aktuellen Gebrauch hinaus? Und was geschieht damit? Hier liegt der große Vorteil der Wirtschaft, dass sie über die Versorgung hinaus Vorsorge trifft. Sie versucht heute schon die Versorgung von morgen sicher zu stellen, indem sie die Produktivität der Arbeitsleistung steigert. Schon in der Landwirtschaft zeigt sich, dass die Erzeugnisse der Arbeit ökonomisch eine Doppelfunktion haben, nämlich entweder konsumiert zu werden oder als Ressourcen in den Arbeitsprozess zurückzufließen, also investiert zu werden. Höhere Produktivität braucht nicht zwangsläufig mehr Erzeugnisse zu bedeuten, sie kann auch die Arbeitszeit verkürzen und so mehr Freizeit bescheren – vielleicht um zu spielen.
2 Vom Sinn des Spiels
„Das Spiel ist die Arbeit des Kindes“, sagt Maria Montessori. Denken Sie, dass dieser Satz zutreffend ist oder ist er eher schräg und daneben?
Das Spiel wird oft zum Gegenteil der Arbeit erklärt. Diese Grenzziehung erscheint uns zu eng.
Das Interessante am Spiel ist, dass es innerhalb der Gesellschaft stattfindet, aber außerhalb der gesellschaftlichen Normalität. Soziale Normalität lebt davon, dass sie sich auf komplementäre Verhaltenserwartungen verlassen kann. Also ihr könnt euch jetzt darauf verlassen, dass wir hier, wie angekündigt, einen Vortrag halten und nicht etwa Hallenfußball spielen. Fußball wäre unerwartet für euch.
Unerwartetes hat im normalen Alltag häufig etwas von einem Unfall, auf jeden Fall ist es ungewohnt und wirkt zunächst als Störung, auch wenn es sich später vielleicht als reizvoll erweist. Zu den Besonderheiten unserer Gegenwartsgesellschaft gehört, dass sie Unerwartetes sowohl fürchtet als auch unter der Bezeichnung Innovation erfindet und als Neuigkeit feiert. Das ist einer der Gründe für die gestiegene Reputation des Spiels.
Wie Bälle fliegen und Würfel fallen
Mit Unerwartetem zu tun zu haben, ist natürlich viel spannender und aufregender als die Routinen des Erwartbaren zu vollziehen. Spiele steigern den Anteil des Unerwarteten absichtlich , indem sie dem Zufall Tür und Tor öffnen. Niemand kann sicher sagen, wie Bälle fliegen oder Würfel fallen werden. Das Spiel ist der Sozialraum, in dem der Umgang mit Lockungen und Drohungen des Unerwarteten ausdrücklich gewollt und gesucht wird. Ihn zu betreten, setzt die Entscheidung zu spielen voraus, Kleinkinder ausgenommen, solange sie zwischen Normalität und Spiel noch nicht unterscheiden können.
- Die Teilnahme am Spiel ist freiwillig und sie geschieht mit der Gewissheit, dass der ludische Raum einen Ausgang hat, dass das Spiel ein Ende finden kann und muss.
- Die ludischen Aktionen selbst sind in vielen Fällen identisch mit normalem Alltagshandeln – und sind es doch nicht, denn sie finden in einem anderen Modus statt, im Modus des unverbindlichen Tuns als ob. Unverbindlich heißt, sobald ich den ludischen Raum verlasse, ist es, als ob nichts gewesen wäre, obwohl sich im Spiel wahrscheinlich die größten Dramen ereignet haben.
- Tun als ob meint die Paradoxie, dass man etwas macht und doch nicht macht. Es entsteht der Eindruck, dass sich etwas ereignet, das sich tatsächlich nicht ereignet. Vor allem aber öffnet der Modus des unverbindlichen Tuns als ob einen Möglichkeitshorizont, der nur Sinngrenzen kennt, keine Grenzen praktischer Machbarkeit. Wer alleine spielt, hat nur sein Vorstellungsvermögen als Schranke. Wer mit anderen zusammen spielt, ist auf den kollektiv akzeptierten Sinn angewiesen. Nur solange alle Teilnehmer:innen in dem abgebrochenen Ast ein Laserschwert sehen, ist er ein Laserschwert.
Die Anziehungskraft des Spiels speist sich zunächst daraus, dass es – darin von den meisten Arbeitsverhältnissen markant unterschieden – im Mittelpunkt freier Entscheidungen steht.
Die Teilnahme, die Auswahl des einzelnen Spiels, Ort und Zeitpunkt, jeder einzelne Spielzug, die anderen Teilnehmer, mit Einschränkungen auch die Dauer, nichts geschieht ohne Zustimmung der Spielenden
Hinzu kommt der Reiz der ludischen Aktion selbst, die offene Zugänge zu erwünschten Erlebnissen bereit hält. Spielende tauchen in eine ungetrübte Gegenwart ein, unabhängig von jeder Vergangenheit, unbehelligt von jeder Zukunftsfrage. Stets geht es um die momentane Erfahrung, deren einfachste Formel lautet „Spielen macht Spaß“.
Und doch wird nicht selten vergessen: Was im „Spielraum“ stattfindet, sind trotz aller Freiheiten gleichwohl soziale Aktionen, die auch auf Erwartbarkeiten angewiesen sind. Im Chaos funktioniert kein Spiel, es braucht Regeln, an die sich alle halten. Ein Spiel zu entwickeln oder ein einzelnes, fertiges Spielformat nachzuspielen, sind deshalb zwei sehr verschiedene Vorhaben – trotz aller Möglichkeiten, während des Spiels die Regeln gemeinsam zu ändern. Ein Spiel zu entwickeln, ist heute meistens – eine Arbeitsleistung.
3 Arbeit unter der Regie des Geldes
Arbeit kann mit jeder ihrer Komponenten eine Quelle guten Lebens sein, haben wir festgehalten, aber das Wort hat in vielen Sprachen Nebenbedeutungen wie Mühsal, Qual, sogar Folter. Deformationen der Arbeit beruhen bis zum Aufkommen des Industriekapitalismus auf Herrschaftsverhältnissen, die sich meist auf religiöse Legitimation und als ultima ratio immer auf Gewalt stützen. Sklavenhaltung und die Unterdrückung der Frauen bilden die offenkundigsten Erscheinungsformen. Religionsführer lassen Kirchen bauen, Adlige Burgen und Schlösser, der Bedarf von Frauen, Bauern, Handwerkern, Soldaten rangiert weit hinten unter ferner liefen. Das ändert sich in der modernen Wirtschaft, in der alle – im Rahmen ihrer Zahlungsfähigkeit –Bedarf anmelden können. Der Markt ist offen. Aber gleichzeitig verliert der Bedarf seine Schlüsselrolle für die Arbeit, an seine Stelle tritt der Gewinn, gemessen in Geldgrößen. Die Ausweitung der Slums, in denen global mehr als eine Milliarde Menschen leben, ist dafür ein drastischer Beweis. Und gleich noch ein Aber: Obwohl der Bedarf auf Platz zwei zurückfällt, war nie mehr Bedarfsbefriedigung als im Kapitalismus. Verwirrende Verhältnisse.
Seit dem 19. Jahrhundert hat sich in Westeuropa und Nordamerika im Nachgang zu den bürgerlichen Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts ein ganz besonderes Wirtschaftsverständnis immer stärker durchgesetzt. Sein Fundament ist das Erfolgsmedium Geld, das als allgemeines Äquivalent gegen alles eingetauscht werden kann, das käuflich ist. Möglichst alles käuflich zu machen, gehört zu diesem Wirtschaftsverständnis wie Wasser zum Fisch.
Die Voraussetzungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise sind bekannt. Eine besonders wichtige ist der typische soziale Zustand moderner Einzelmenschen: Sie haben Bedarf, sie haben ihre Arbeitskraft und sie haben Entscheidungsfreiheiten. Das war’s. Was sie nicht haben, ist ein offener Zugang zu Arbeitsleistungen, sofern ihnen Grundeigentum und Produktionsmittel fehlen. Wenn sie nicht erben, Banken überfallen, im Lotto gewinnen oder als Mafiosi Schutzgelder erpressen, müssen sie anderweitig versuchen, zu Geld zu kommen, in der Regel mittels bezahlter abhängiger Arbeitsleistungen.
Armut und Reichtum systematisch erzeugt
Wer aus einem Arbeitnehmer-Status heraus versuchen muss, sich zu versorgen und seine soziale Existenz abzusichern, ist in einer kapitalistischen Wirtschaft davon abhängig, dass Kapitaleigner die Aussicht haben, reicher zu werden.
Die Konsequenzen wurden und werden immer wieder beschrieben. Auf der Leistungsseite Produktivität steigern, Arbeitskräfte und Natur ausbeuten. Auf der Gebrauchsseite Produkte und Dienste exklusiv für zahlungsfähigen Bedarf anbieten. Armut und Reichtum werden systematisch erzeugt. Doch die große bürgerlich-liberale Erzählung, dass alle ihres Glückes Schmied seien, dass für Wohlstand Fähigkeit und Fleiß, für Notstand Unfähigkeit und Faulheit der Individuen verantwortlich seien, hat eine große gläubige Anhängerschar.
Die kapitalistische Wirtschaftsweise kommt damit durch, in ihrer öffentlichen Kommunikation das Gegenteil dessen zu behaupten, was sie tatsächlich praktiziert. Man weiß, dass die Erzeugnisse mit geringst möglichem Aufwand, also billig, billiger, am billigsten hergestellt und mit höchst möglichen Einnahmen, also teuer, verkauft werden sollen. Gleichzeitig liest, hört und sieht man 24 Stunden am Tag Werbung, die niedrigste Preise für beste Erzeugnisse verspricht. So ist das Leben, sagen capitalistic natives mit einem Schulterzucken.
Geld ist nicht gleich Kapital, Wirtschaft nicht gleich Kapitalismus. Das ist banal. Interessant ist, dass die dominierende Selbstbeschreibung der Moderne im Kapital die Bestform des Geldes und im Kapitalismus die Idealform der Wirtschaft sieht.
Als bloßes Tauschmittel ist Geld ein ebenso praktisches wie friedliches Medium. Gefährlicher wird es schon in seiner zweiten Funktion, der Schatzbildung. Schätze laden dazu ein, geraubt zu werden. Am gefährlichsten ist es als Kapital. Kapital begutachtet alles, was auf dem Planeten kreucht, fleucht, wächst oder als leblose Materie herumliegt, ob es zur Geldvermehrung zu gebrauchen ist; inzwischen hat es auch den Weltraum im Blick. Noch das Schenken wird, an Weihnachten und Ostern, am Valentins- und am Muttertag, zu einem Mittel, aus Geld mehr Geld zu machen. Wie geht es noch? Zum Beispiel mit Spielen.
4 Ökonomische Kolonialisierung des Spiels
Wir haben das Spiel als gegenwartsfixierten Erlebnisanbieter charakterisiert. Mit Zukunft belastet, wird es sofort, wenn es als Glücksspiel stattfindet, denn es verliert dadurch seine Zweckfreiheit; es wird zum Instrument für das Erreichen eines zukünftigen Zustandes, nämlich mehr Geld zu besitzen.
Geld im Spiel zu gewinnen, ist ohne Zweifel attraktiver, als es sich mit Arbeitsleistungen zu verdienen. Ob im Spiel oder in der Wirtschaft, für jede Investition, Spekulation oder Wette gilt allerdings, um aus Geld mehr Geld zu machen, muss man Geld haben, dessen Verlust man riskieren kann.
Seit der Digitalisierung begegnet uns das Glücksspiel als permanente öffentliche Einladung. Im Internet kann man Tag und Nacht an Lotterien, Casino- und Poker-Spielen, an Online-Wetten auf Sportereignisse aller Art teilnehmen. Die ‚Werbemarktanalyse Glücksspiel 2020‘ von research tools hält fest: „Das Werbevolumen im Glücksspielmarkt schießt nach oben“, 2020 habe es in Deutschland 540 Millionen Euro betragen. Eine relativ aktuelle Überschrift auf Spiegel-Online heißt „Glücksspielsucht macht Familien mitten in unserer Gesellschaft kaputt«. 1,3 Millionen Menschen in Deutschland seien glücksspielsüchtig.
Die Geschichte von Geld und Spiel hat mehr Seiten als das Spielen um Geld. Dazu vier Stichwörter.
Spielen für Geld, wie es vor allem im Profisport gang und gäbe ist. Bei vielen Fußballspielen, eigentlich bei den Spitzenevents aller publikumswirksamen Sportarten, stehen heute nur noch Millionäre auf dem Spielfeld.
Bezahlschranken, die sich vor die Teilnahme am Spiel schieben, weil das Spielzeug erst gekauft werden muss; Deutschland, allen voran die fränkische Stadt Nürnberg, war vom 15. bis ins 20. Jahrhundert ein zunächst europäisches, dann auch globales Zentrum der Spielzeugherstellung und der Spielwarenindustrie.
Pay to win/ in game Käufe, also sich Erfolge im Spiel erkaufen; oft sind solche Spiele free to play, aber ab einem gewissen Stadium hängen dann Fortschritte wesentlich davon ab, wie viel Geld Spieler ausgeben. Ende 2023 hat die zuständige chinesische Behörde angekündigt, bei Online-Spielen künftig zu verbieten, Spielern Belohnungen zu gewähren, wenn sie sich täglich einloggen, wenn sie zum ersten Mal Geld für das Spiel ausgeben oder wenn sie mehrmals hintereinander Geld für das Spiel ausgeben. Die Börsenkurse der beiden größten Spieleproduzenten sind daraufhin um 80 Milliarden Dollar abgesackt. Und die Behörde hat ihr Vorhaben zurückgezogen.
Advergames und serious games. Advergames dienen als Werbung für eine Marke oder ein Produkt. Serious games sind auf auf Trainingseffekte und Lernziele angelegt sind. Für beide Spielarten fließt Geld.
Die Wirtschaft greift nicht als einzige auf das Spiel zu. Die Erziehung, die Pädagogik, instrumentalisiert das Spiel schon lange, es ist ein besonders beliebtes Mittel der Erziehungsarbeit. Und von da aus entstehen dann so schiefe Sätze, wie das Spiel sei die Arbeit des Kindes.
Schließlich noch einige wenige Impressionen, wie viel Geld in der Gamesbranche steckt:
- Der Umsatz des globalen Videospielemarktes wurde für 2023 auf etwa 235 Mrd. € geschätzt; das entspricht, um es in Relationen zu setzen, etwa dem halben deutschen Bundeshalt. Die Spitzenposition hält das chinesische Unternehmen Tencent mit einem weltweiten Umsatz von rund 7 Mrd. € gefolgt von Sony, Apple und Microsoft.
- Das bislang meistverkaufte Game ist Minecraft, der Star unter den sogenannten Sandbox-Spielen. Seit 2009 auf dem Markt wurde es, die Angaben schwanken, rund 300 Millionen Mal verkauft.
- Die bislang meistverkaufte Spielkonsole aller Zeiten ist die PlayStation 2 von Sony. Seit dem Jahr 2000 wurden rund 160 Millionen Exemplare verkauft.
- Im eSport, wo siebenstellig dotierte Turniere keine Seltenheit mehr sind, gibt es inzwischen auch die ersten Gaming-Millionäre. Der Däne Johan Sundstein führt die Liste gegenwärtig an mit einem gewonnenen Gesamtpreisgeld von rund 7,2 Millionen US-Dollar.
Also man sieht – ohne Zahlung geht, wie auch sonst im modernen Leben, wenig bis nichts.
5 Ludische Anmutungen des Zahlungsverkehrs
Die Zahlung begleicht eine Schuld, zum Beispiel gegenüber dem Gemüsehändler, der ein Kilo Tomaten abgibt. Anderen nichts zu geben, für andere nichts zu machen, ohne angemessen dafür bezahlt zu werden, der Expansion dieser Verhaltensmaxime verdankt das Geld seinen unaufhaltsamen Aufstieg. Auf Münzen und Geldscheinen steht eine Zahl, die die Höhe der einlösbaren Schuld beziffert, sowie ein Hinweis auf die Instanz, welche die Einlösung des Versprechens in dieser Höhe garantiert, zum Beispiel die Europäische Zentralbank. Solange dieser Instanz vertraut wird, kann der Gemüsehändler davon ausgehen, dass er mit dem eingenommenen Geld seinerseits Schulden begleichen kann, etwa gegenüber dem Vermieter seines Ladens.
In seiner sozialen Konstruktion als Zahlungsversprechen ist schon angelegt, dass sich Geld nicht nur gegen Güter und Dienstleistungen tauschen lässt, sondern auch gegen andere Zahlungsversprechen. Wenn ich mir 100 Euro leihe, tausche ich ein Zahlungsversprechen des Gläubigers gegen ein später einzulösendes meinerseits. Zahlungsversprechen sind verkäuflich, sie lassen sich bündeln, aufkaufen und wieder verkaufen, bis an solchen Wertpapieren kaum noch erkennbar ist, was daran Wert und was nur noch Papier ist.
Die Nebelkerze: Geld arbeitet
Sachlich gesehen sind Kredite ein Unding, denn es wird in der Gegenwart eine Zahlung gegen eine Nichtzahlung getauscht; man kann auch sagen, es wird ein Leerverkauf getätigt. Aber mit Blick auf die Zukunft, also mit Hilfe des Zeitfaktors, und dem mit Zinsen belasteten Rückzahlungsversprechen wird aus dieser Operation die Schlüsselstelle für Wirtschafts- und Vermögenswachstum. An dieser Schlüsselstelle operieren in Europa Banken seit dem 13. Jahrhundert, Börsen seit dem 15. und Vermögensfonds seit dem 20. Jahrhundert. Die dazugehörige verbale Nebelkerze aus dem Fanblock des Kapitalismus lautet: Das Geld arbeitet.
Mit Krediten, das war ihr ursprünglicher ökonomische Sinn, lassen sich die für Arbeitsleistungen benötigten Ressourcen, Maschinen und Arbeitskräfte bezahlen. Aber lässt sich die Operation Zahlung gegen Nichtzahlung auch so organisieren, dass ohne den Umweg über den Arbeitsprozess mehr Geld daraus hervor geht? Nicht für alle Beteiligten, aber im Gewinner- und Verlierermodus durchaus. Die Grundidee ist sehr alt und unter dem Namen Wette bekannt: Alle, die teilnehmen, bezahlen. Die Verlierer haben Pech, sie tauschen eine Zahlung gegen eine Nichtzahlung, die Gewinner haben Glück, sie tauschen ihre Zahlung gegen eine höhere Auszahlung. Der Umgang mit Geld nimmt bei der Wette ludische Züge an. Inwiefern?
Prinzipiell kann auf jeden zukünftigen Unterschied gewettet werden, ob er das Wetter, die Rohstoffpreise, die Lottozahlen oder einen Hahnenkampf betrifft. Hedgefonds etwa wetten auf steigende oder fallende Aktienkurse (oder auch auf beides gleichzeitig), auf die Preisentwicklung von Devisen oder auch auf die Kursentwicklung von Staatsanleihen. Der Hedgefondsmanager Steve Eisman wettete vor der Finanzkrise 2007 gegen Immobilienkredite und Banken. Der Film „The Big Short“ erzählt seine Geschichte. Mit seinem großen Wurf, seiner erfolgreichen Wette gegen die faulen Immobilienkredite der Banken hat er, so wird geschätzt, etwa eine Milliarde US-Dollar eingenommen. In der globalen Finanzkrise haben wir allerdings auch gelernt, dass es verschiedene Arten von Verlierern gibt. Die einen verloren ihr Geld, für die anderen, die systemrelevanten, galt: Kopf – „ich gewinne“; Zahl – „der Staat zahlt“.
Was ist das Spielerische an der Wette? Sie erfüllt, anders als die Arbeitsleistung, die ludischen Voraussetzungen der freiwilligen Teilnahme und der – im Rahmen der Regeln – freien Entscheidung über den nächsten Schritt, den nächsten Spielzug.
Es geht dabei ein Anreiz zur Wiederholung von ihr aus nach der Devise „neues Spiel neues Glück“. Vor allem geht die Wette mit dem Unerwarteten um. Sofern es gegen alle Erwartungen eintritt, geht der höchste Gewinn an diejenigen, die auf das Unerwartete gesetzt haben. Siegt zum Beispiel ein Außenseiter in einem Wettkampf, ist die Gewinnquote besonders hoch. Die „Spieler“ unter den Finanzspekulanten setzen auf das, was die anderen nicht erwarten. Das Finanzsystem, deshalb spricht man auch von Casino-Kapitalismus, hat sehr viel mehr mit einem Spiel als mit Arbeit zu tun. Aber was sich dabei ereignet, ist kein unverbindliches Tun als ob, sondern, wenn es gut geht, ein privater Geldsegen, geht es richtig schief, eine globale Finanzkrise. Die nächste Finanzkrise ist keine Ob-Frage, sondern eine Wann-Frage.
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