Wahrscheinlich geht es Ihnen wie mir: Sie sind so wie ich kein Experte für Waffen, deren Wirkung, Vorzüge oder Nachteile beim Einsatz in Kriegen. Auch vom Krieg Führen habe ich keine Ahnung. Mein gesamtes Leben habe ich während hiesiger Friedenszeiten zugebracht. Erfahrung aus Kriegen habe ich nicht.
Viele unter uns haben gegen Kriege demonstriert. Laut und deutlich. Dabei stützten wir uns auf das, was wir vorgesetzt bekamen: Betroffenen- und Korrespondenten-Berichte, Lektüre, Ton- und Filmaufnahmen, hinzu kamen teilnehmende Diskussionen. Das alles hat mit Krieg wenig bis nichts zu tun.
Dennoch begegnet uns allen Krieg seit einigen Jahrzehnten anders als zuvor. Seit Ende des System-Gegensatzes zwischen Real-Sozialismus und repräsentativer Demokratie ist das so. Dieses Ende hatte aber in und an den Rändern Europas entsetzliche Folgen: Auf dem westlichen Balkan. Auf der arabisch-israelischen und der afrikanischen Seite des Mittelmeeres bis hin zum Golf von Aden und darüber hinaus. In der Kaukasus-Region. Und nun in der Ukraine.
Die meisten von uns haben, wie erwähnt, Gott sei Dank keine Kriegserfahrung, dennoch steht der Krieg faktisch jeden Tag elektronisch in unseren Wohnungen und Häusern. Wir lassen ihn in unseren vier Wänden „gewähren“ oder knipsen ihn aus wie das Deckenlicht. Wie eine solche Erfahrung langfristig und in der Breite wie in der Masse wirkt, wissen wir nicht. Krieg in der Ferne lässt unsere Nervenenden wie über Glaspapier schleifen. Manchen berührt seine elektronische Anwesenheit freilich nicht.
Dieser Tage habe ich wieder in eine Talkshow geguckt, dem SPD-Bundestagsabgeordneten Stegner einerseits und dem Stellvertretenden Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Christian Mölling, andererseits zugehört. Der eine sagte, die Bundesrepublik habe getan, was sie könne, um der Ukraine militärisch zu helfen, wenngleich langsam, der andere bezweifelte das, befürchtete ein böses Ende für Land und Leute der Ukraine. Lanz befragte auch das Gründungsmitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial, die wunderbare Irina Scherbakowa, die freilich im Unterschied zu den beiden genannten Männern wie hilflos wirkte.
Kein Wort über Verständigung und Verhandlung
Später habe ich mir den Tort angetan und Wladimir Putins Rede zur Lage Russlands gelauscht. Drohungen, Geschenke für´s Volk, kein Wort über Verständigung und Verhandlung, keine Andeutung, dass er bereit sind könnte, die Waffen ruhen zu lassen.
Nun frage ich mich, wie „der Westen“ in zehn oder mehr Jahren über die gegenwärtige Situation denken und urteilen wird. Offenkundig geht es ja nicht mehr lange so weiter wie bisher. Wird sich in zehn oder mehr Jahren so viel geändert haben, dass sich eine Putin- freundlichere Geschichtsschreibung etablieren konnte, unter Umständen, die uns erschrecken würden?
Werden die Namen Scherbakowa und Selenskyj in die Fußnoten verbannt sein? Könnte es sein, dass wir in einigen Jahren vor allem von Leuten aus verhältnismäßig jungen Parteien hören: Das viele schöne Geld, das in die Ukraine geflossen ist! Wir haben davor immer gewarnt. Das hätten wir selbst gut brauchen können. Sie wissen, wen ich meine. Würde es „den Westen“, wie wir ihn kennen und erleben, überhaupt noch geben? Sie halten es nicht für nicht möglich, dass es so kommen könnte. Sind Sie sich da sicher?
Was wäre dann noch mit dem Namen Irina Scherbakowa, mit dem der Julija Borissowna Nawalnaja verbunden? Würden die wegen Text-Optimierung nach neuen, mit neuen Freunden verabredeten KI-Regeln entfallen? Was erinnerte noch an einen Kiewer Vorort namens Butcha, in welchem im April 2022 460 tote Ukrainer entdeckt worden waren, offenbar ermordet von russischen Besatzern. Würde das auch von KI-Erinnerungsregeln erledigt? Würde es Julija Borissowna so ergehen wie einst Antigone? Ein Fall für „die Bühnen“, beziehungsweise für die Ur-Ur-Urenkel Hegels in ihren Seminaren über Sittlichkeit und Staat?
Sind wir gegen Barbarei geschützt?
Unmöglich? Nicht vorstellbar? Ein Hirngespinst? Vorsicht. Im Vergessen sind wir ja nicht so schlecht. Selenskyj hat vor wenigen Tagen gesagt, 31.000 Soldaten seines Landes seien bis jetzt im Krieg gegen Putin und seine Diktatur gefallen. Ermordet also. Das entspricht in etwa der Zahl, die auch die US-Streitkräfte zu beklagen hatten, als sie 1944 den Westen Deutschlands von den Nazis befreiten und in der Eifel, im Hürtgenwald, auf Hitlers Wehrmacht stießen. Wenigstens all diejenigen, die den USA Ade sagen möchten, haben das vergessen. Den Holocaust möchten sowieso viele vergessen, der gehört zum „Vogelschiss“, wie der unsägliche Herr Gauland sagte.
Saddam Hussein hat sein Unwesen viele Jahre lange getrieben. Was ist aus dem Irak geworden? Ähnliches gilt für Syrien. In beiden Ländern wurde Giftgas gegen Teile der Bevölkerung eingesetzt. Verhindert haben wir das bei aller unseren politischen Einflüssen, diplomatischen Experten und ökonomischen Möglichkeiten nicht. Sind wir gegen Barbareien in der Zukunft wirklich geschützt, gar immun?
Tatsächlich wird jetzt über die Zukunft entschieden und nicht übermorgen. Oder irgendwann in der Zukunft. Jetzt spielt sich die Tragödie von Sein oder Nichtsein der Ukraine ab. In der Ukraine selbst – ebenso aber in den Hauptstädten des Westens – in Washington, Paris, London, Madrid und Rom und nicht zu vergessen in Berlin; in den dortigen Parlamenten, Regierungen und sonstigen Herrschaftszentralen. In diesen Städten werden die Beschlüsse gefasst und die Abstimmungen eingestielt, Aufträge erteilt, damit Waffen aller Art, Munition und vieles andere mehr hergestellt werden kann, was in die Ukraine gehen könnte. Oder auch nicht.
So gehen wir Krisen mental an
Was haben wir in unseren Köpfen, das uns in dieser Lage helfen könnte? Der Papst hilft da nicht weiter. Der steht auf beiden Konfliktseiten. Auch die geistlichen Damen und Herren in der Folge Luthers haben keinen eindeutigen Rat. Vom Islam weiß ich zu wenig. Die Aufklärung?
Putin interessiert sich so wenig für die Aufklärung wie das Assad in Syrien tut oder Saddam Hussein getan hat. Für Luther und den Papst interessierten und interessieren sich diese Herren auch nicht. Putin betrachtet sich, ist sich sein eigenes bewegende Prinzip. Nur dem biologischen Verfall unterworfen. Die Putins meinen, über ihnen gebe es noch ihre Nation, die Geschichte, wie sie die sähen und vielleicht eine Art „Vorsehung“. Sonst nichts. Deswegen haben Despoten und Kriegsherren wie Wladimir Putin meist wenig Zeit. Wissen wir das nicht mehr? Nach jeder Minute, die deren Uhr einfach weiter tickt, geht denen durch die Köpfe: Vertane Zeit. Wieder nichts erreicht. Mir läuft die Zeit davon! So rasch wie sich die Munitionsdepots leeren, so rasch vergeht die Geduld der Despoten. Und weil das so ist, stellt sich für uns im Westen sofort, auf der Stelle die Frage, was fangen wir mit der knappen Zeit an?
Bei mancher Lektüre, auch während mancher Interviews beziehungsweise Talk Shows zum Thema habe ich den Eindruck, dass da Leute mit einer Hand hin und her wedeln, als wollten sie, pardon, lästigen, ungesunden Zigarettenrauch verscheuchen. Und während sich der Rauch verzieht, redet man über Putin und Medwedew, Russland und die verletzte russische Seele, über Einflusssphären und Ansprüche, darüber ob Putin bereits in Dostojewski angelegt sei oder nicht. Väterchen Fiodor Dostojewski hat schon damals…. So gehen wir Krisen mental an: Wir leiten sie ab, zerlegen sie in kleine Stücke, suchen nach Korrelationen, lösen sie in einem virtuell-gedanklichen Säurebad auf. Aber real ist nichts geschehen.
Unsere Vorstellungen von Konfliktlösungen überarbeiten
Den allermeisten von uns fehlen eben einfach Gefühl und Sendungsbewusstsein, das Imperialisten beseelt und antreibt. Vielleicht denken wir ja in „Lieferketten“, in jedem Fall aber fehlt uns der harte Wunsch dort zu herrschen, wo andere ihre Häuser bauen, leben, lieben, erziehen, arbeiten und die Welt beschauen. Was uns da fehlt durch Sozialisation, das haben die Putins im Übermaß.
Daraus folgt etwas: Wir müssen unsere Vorstellungen von Konfliktlösungen gründlich „überarbeiten“. In einem der manchmal etwas überheblich betrachteten Thriller des Erfolgsautors Frederick Forsyth („The Fist of God“, 1994 bei Bantam Press erschienen), fiel mir ein auf Saddam Hussein gemünzter Dialog auf.
„So lange er glaubt, siegen zu können, ist´s ihm egal, ob viele sterben müssen.“
Antwort in Forsyth´ Buch: „Er kann nicht gewinnen. Nicht gegen Amerika. Das kann keiner.“
Entgegnung: „Falsch. Sie benutzen das Wort `gewinnen` wie ein Brite oder Amerikaner. ….. Er (gemeint ist Saddam Hussein) sieht die Sache anders.“
Der Historiker Martin Schulze-Wessel hat das mit Blick auf Putin in der Frankfurter Rundschau so formuliert: „Er folgt einer eigenen Rationalität, die nicht die unsrige ist.“ Er rät:
Die einzige Chance für einen Sinneswandel im Kreml besteht, wenn Putin die Aussichtslosigkeit seines Krieges erkennt. Putin lenkt ein, wenn er sieht, dass sein Gegner mit einem klar definierten Ziel und überlegenen Mitteln operiert. Das ist der einzige Weg, der zu einem dauerhaften Frieden führt.
Etwas Überzeugenderes als diesen Rat gibt es wohl gegenwärtig nicht. Daher liegt nach meiner bescheidenen Auffassung auch Bundeskanzler Olaf Scholz falsch, wenn er ablehnend über die Bereitstellung von Waffen für die Ukraine redet. Er signalisiert damit, dass er nicht gewillt ist, den völkerrechtlich gegebenen Raum voll zu nutzen. Er gibt dem Diktator Putin eine Zusicherung, die er nicht zu geben bräuchte – Ergebnis unserer Sozialisation, die wir nicht einfach abstreifen können.
Lieber Klaus Vater, danke für den klaren und erfrischenden Beitrag! Ich bin fast verzweifelt, wenn ich sehe, wie die Unterstützung für die Ukraine nachlässt und Scholz die von ihm proklamierte Zeitenwende wohl vergessen hat. In 10 oder 15 Jahren werden wir, wenn wir nicht tot sind und es noch öffentlich sagen dürfen, hätten wir doch die Aggression des Systems Putins gestoppt, solange es noch Zeit war. So wie wir heute sagen, warum haben wir uns vor 10 oder 15 Jahren so abhängig von Russland gemacht. Die, die den Aggressionswillen Putins nicht ernst nehmen, sind die Schlafwandler von heute. Der Krieg wird dadurch verlängert, das Sterben geht weiter, bis die Ukraine vollends zerstört und Europa zur Gegenwehr unfähig ist!
Ich kann das Handeln des Bundeskanzlers im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg nachvollziehen und sehe bisher nicht, dass „Bundeskanzler Scholz“ falsch liegt.
Für eher unbedarft und nicht überzeugend halte ich dagegen die gegenwärtige Kritik und die Aufforderungen an die Bundesregierung, wie sie sich in taktischen Fragen der Kriegsführung in der Ukraine zu verhalten hat.
Ich teile die kürzlich auf bruchstuecke formulierte Einschätzung von Frank Hoffer: „Das von vielen als zögerlich kritisierte Ziel des deutschen Bundeskanzlers, die Ukraine dürfe den Krieg nicht verlieren und Russland dürfe ihn nicht gewinnen, war damals und ist heute das Beste, was die Ukraine zu erreichen hoffen kann.“ https://bruchstuecke.info/2024/02/24/bitterer-waffenstillstand-oder-krieg-bis-zu-einem-sieg/
Für richtig halte ich es auch, dass Deutschland auch in Fragen von Waffenlieferungen an die Ukraine in enger Absprache mit der Ukraine und im Rahmen der Unterstützung und der Waffenlieferungen der NATO-Länder handelt, also weder hinter den NATO-Ländern zurückbleibt noch vorauseilt.
Wenn die deutschen Taurus-Waffen jetzt diesen Rahmen verlassen, ist das für mich nachvollziehbar ein Grund, mit der Lieferung jetzt zurückhaltend zu sein.
Auf eine weitere Perspektive und Frage, die der verantwortlich entscheidende Bundeskanzler im Blick haben muss, will ich an dieser Stelle hinweisen.
Auf die Frage nämlich: Wie beeinflusst die geopolitische Konfrontationsperspektive zwischen „alten“ demokratischen Industrieländern und den Ländern, die die Mehrheit der Weltbevölkerung repräsentieren, den Fortgang des Ukrainekrieges und das Geschehen?
Dabei ist es durchaus vorstellbar, dass Russland – unter dem Vorwand der Eskalation der Waffenlieferungen des Westens – selbst eine Eskalation des Krieges anstrebt, um die Länder der Welt gegen den „Westen“ in Stellung zu bringen.
Man sollte dabei im Blick haben, dass die Länder der Welt, die zwei Drittel der Weltbevölkerung repräsentieren, von Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine nicht auf der Seite der Ukraine standen und auch heute nicht stehen, und im Falle der Ausweitung des Konfliktes ggf. eher Russland unterstützen dürften.
Vor dem Hintergrund dieser strategischen geopolitischen Konstellation, ist es aus meiner Sicht sinnvoll, auf das Verhalten Russlands bei der Abstimmung in der Vollversammlung der Vereinten Nationen über die Resolution zur Halbzeit der Agenda 2030 am 19. September 2023 zu schauen. Denn wenige Tage vor dieser Abstimmung hatte Russland u.a. angekündigt, diese Resolution mit Verweis auf die Strafmaßnahmen gegen Russland infolge des Ukrainekrieges zu blockieren.
Die ARD berichtete damals:
„Vor dem Start des Gipfels zu den UN-Nachhaltigkeitszielen sorgt der Brief einer Staatengruppe um Russland für Unruhe. In dem Schreiben kündigen elf Länder eine Blockade mehrerer Erklärungen an, die von der Weltgemeinschaft in dieser Woche angenommen werden sollen. Dazu zählt ein Text, mit dem heute die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen bekräftigt werden sollten.“ https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/un-generalversammlung-114.html
Eine vermutlich von Russland beabsichtigte unterstützende Resonanz auf diesen Blockadeankündigungsbrief bei den Ländern der Vereinten Nationen blieb jedoch aus.
Am 19. September wurde die Resolution dann von allen Ländern der Vereinten Nationen wieder einstimmig(!) beschlossen, wie die Agenda 2030-Resolution 2015 schon einstimmig beschlossen worden war.
Die Aussicht, sich bei der Politik für eine nachhaltige Entwicklung in der Weltgemeinschaft durch eine Blockade zu isolieren, führte offenbar dazu, dass auch diejenigen Länder, die eine Blockade angekündigt hatten, schließlich zustimmten.
Auf der anderen Seite erscheint die nachhaltigkeitspolitische Perspektive der Agenda 2030 und der SDGs so etwas wie der letzte politische Kitt zu sein, der in der Gegenwart Einstimmigkeit bei den Ländern der Vereinten Nationen ermöglicht.
Ich will hier noch einmal auf meine vor knapp zwei Jahren hier auf bruchstuecke dargelegte Überlegung zur geopolitischen Bedeutung und zum Potential der Agenda 2030 und der globalen Nachhaltigkeitsziele zur Beendigung des Ukrainekrieg, die ich nach wie vor für aktuell halte, hinweisen:
„Offensichtlich ist aus Sicht der Regierungen der Mehrheit der globalen Menschheit der Ukrainekrieg – als Krieg innerhalb der westlichen Welt – nicht das größte Problem und seine Beendigung – solange er regional begrenzt bleibt – nicht die dringendste Aufgabe. Wenn das so ist, dürfte eine Beendigung des Ukrainekrieges ohne die Erweiterung der politischen Perspektive auf die globale Nachhaltigkeitssituation nicht wirklich denkbar sein.
Diese Erweiterung könnte beinhalten, dass man den Ukrainekrieg als Teilkrise der globalen Nachhaltigkeitskrise versteht und damit die Verfolgung der – einstimmig beschlossenen -nachhaltigkeitspolitischen Zielsetzungen der Agenda 2030 zur Grundlage der Konfliktbewältigung und der Beendigung des Ukrainekrieges macht. Die Agenda-Ziele verlangen im globalen Menschheitsinteresse insbesondere von den Industrieländern eine schnelle und umfassende Transformation. Dass in der breiten öffentlichen Diskussion über den Ukrainekonflikt diese Nachhaltigkeitsperspektive bisher kaum eine erkennbare Rolle spielt, spiegelt das noch unverständige nachhaltigkeitspolitische Bewusstsein auf allen Seiten wider, bedeutet allerdings auch, dass es politisch noch weitere Ansätze und Gestaltungsmöglichkeiten gibt.“ https://bruchstuecke.info/2022/05/10/der-krieg-in-der-ukraine-sabotage-am-mensch-planetensystem/
Sehr geehrter Herr Weber, meine Antwort auf Ihre Antwort beginne ich mit Alice Miller. Sie erinnert im Vorwort ihres Buches Das Drama des begabten Kindes an ein, wie sie schrieb „altes Sprichwort“. Es lautet: „Wenn ein Narr einen Stein ins Wasser wirft, dann können ihn hundert Gescheite nicht herausholen.“ Das ist nicht auf Sie gemünzt, sondern auf die einer Gewitterfront ähnelnde Diskussion über Notwendigkeiten und Einwände im Krieg der russischen Föderation gegen die Ukraine. Um was geht es? Ein mit allen heute möglichen Machtmitteln ausgestatteter, diktatorisch geführter Staat hat sich zum Ziel gesetzt, einen anderen Staat zu vernichten. Die Diktatur sagt: Die Ukraine hat keine Existenzberechtigung, deren Regierung ist eine Nazibande, das Staatsvolk existiert in Wirklichkeit nicht, das sind tatsächlich Russinnen und Russen. Und weil das so ist, machen wir den unberechtigt existierenden Staat platt. Herr Tino Chrupalla, Frau Wagenknecht, Herr Günter Verheugen etc. sehen das ähnlich. Die bestreiten den Krieg nicht, sagen aber, der Westen habe den Krieg durch sein Verhalten begünstigt, im Fall der Vereinigten Staaten gar gewollt und befördert. Und zu alledem sagen Staaten aus anderen Gegenden der Welt: Ist nicht unser Krieg.
Der angreifende Staat Russland beschränkt sich nicht allein auf die unmittelbare kriegerische Aggression, sondern er überzieht Anrainerstaaten der Ukraine mit medialen Vernebelungskampagnen, er schickt elektronische Zerstörung in andere Länder und wenn´s nach russischer Auffassung nicht anders geht, schickt er Mörder über die Grenzen. Im Übrigen: Wenn Sie, Herr Weber, sich in Berlin befindlich dort eine Zigarette anzündeten und gleichzeitig Putin seine Raketen in der Nähe Kaliningrads starten lassen würde, dann schlügen seine Raketen just in Berlin ein, wenn sie ihre Zigarette ausdrückten.
Bei Hermann Jahn und Anthony Wiener haben wir als junge Menschen gelernt, dass sich eigentlich Undenkbares wie eine Zickzack-Broschüre, wie ein Leporello ausbreiten und diskutieren lässt. Und nun erleiden wir – jedenfalls mental – die Probe auf Jahn und andere. Wie gesagt: Ich bin da kein Fachmann, lediglich ein ansatzweise informierter Laie. Unter diesen Bedingungen hat der eingangs erwähnte „Narr“ zwei Möglichkeiten: Sich ergeben oder sich angesichts angedrohter Vernichtung mit anderen Bedrohten zusammen zu schließen. Dazu gehört dann: Dem Kontrahenten jede Illusion nehmen.
Anfang der neunziger Jahre habe ich folgende kleine Geschichte erlebt, die ich nicht vergesse. Damals führte die NATO einen Krieg gegen die serbischen Machthaber. In der Bundesrepublik entbrannte sofort ein heftiger Streit darüber. Auch in Fraktionen des Deutschen Bundestages. Ohne UNO-Mandat griff die NATO ein – und an, um einem mörderischen ethnisch-religiös-anti-emanzipatorischen Krieg ein Ende zu bereiten. Eine alte Dame stand auf, sagte den Gegnern eines NATO-Eingreifens: Unter ihnen befänden sich Leute, die Hitler während des Angriffskriegs gegen Polen 1939 noch am 15.September Friedensverhandlungen angeboten hätten. Es war totenstill im Raum.
Weit davon entfernt, ein Waffen- und Militärexperte zu sein und ebenfalls nicht zu der Spezies der Kreml- und Putinastrologen zu gehören, bin ich wie Klaus Vater auf die Einschätzung der jeweiligen „Experten“ sowie auf meinen Verstand angewiesen. Bei den Militärexperten gehen die Meinungen, wie man sehen kann, extrem auseinander. Folgt man Roderich Kiesewetter (Oberst a.D.), „müssen wir den Krieg mit Hilfe des Taurus nach Russland tragen“; fragt man General a. D. Harald Kujat, dann hat die Ukraine „nicht den Hauch einer Chance“, die von Russland besetzten Gebiete zurückzuerobern. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich der ernsthafte politische Diskurs in unserem Land. Dabei, folgt man den Medien, liegt eher das „Kiesewetter Lager“ vorn. Schaut man auf die Demoskopen, dann ist die Stimmung in der Bevölkerung geteilt. Blickt man speziell auf den Taurus, dann haben diejenigen, die einer Lieferung skeptisch bis ablehnend gegenüber stehen, eine Mehrheit.
Unabhängig davon ist es sicher nicht ganz falsch, wenn man konstatiert: Bei der Beurteilung der militärischen Lage durch die „Experten“ spielt deren politische Grundüberzeugung eine nicht unerhebliche Rolle. Wenn dann noch der französische Präsident Macron den Einsatz von Nato Bodentruppen nicht mehr ausschließt, dann kann einem schon angst und bange werden. In der innenpolitisch aufgeheizten Diskussion wird der Marschflugkörper Taurus wie schon zuvor der Leopard Kampfpanzer und andere Waffensysteme in seiner Wirkung so überhöht, dass man den Eindruck gewinnen könnte, wenn dieses Waffensystem endlich geliefert würde, dann stünde die Befreiung der russisch besetzten Gebiete in der Ukraine unmittelbar bevor. Dass dies beileibe nicht so ist, kann man nur zwischen den Zeilen lesen.
Bei dieser Gemengelage fällt es mir schwer, von „falsch oder richtig“ zu sprechen. Empörung jedenfalls ist für mich in diesem Zusammenhang ein schlechter Ratgeber.
Schaue ich auf die völkerrechtswidrigen Kriege der Atommächte in der jüngsten Vergangenheit, (Irak und Ukraine) so komme ich zu dem ernüchternden Schluss, dass der Besitz von Atomwaffen verbunden mit einem Vetorecht im UN Sicherheitsrat wirksame Reaktionen der „Weltgemeinschaft“ weitgehend ausschließen. Beide Atommächte, und man kann China getrost noch mit dazurechnen, nehmen es mit dem regelbasierten Zusammenleben der Völker nicht immer so genau. Eine nicht unwichtige Anmerkung am Rande: Natürlich sind Diktaturen mit demokratischen Staaten ansonsten nicht zu vergleichen.
Damit kein Missverständnis entsteht: Selbstverständlich hat die Ukraine das Recht sich gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu wehren. Und nichts, aber auch schon gar nichts, relativiert die von Putin zu verantwortenden Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine. Sich darüber zu empören ist das Eine, wie darauf als Bundesregierung zu reagieren das Andere.
Einigkeit in der Beurteilung der politischen Lage in Russland besteht sicher darin, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist, von einem unmittelbar bevorstehenden Machtwechsel im Kreml auszugehen, in dessen Folge Putin kaltgestellt wird und sich die Friedenstauben in den Kremltürmen einnisten. Wie weit Putin bereit und in der Lage ist zu eskalieren, darüber gehen die Meinungen schon weiter auseinander. Wie ein Diktator reagiert, insbesondere dann, wenn er in die Enge getrieben wird, kann niemand seriös vorhersagen. In diesem Zusammenhang wird gerne an die Appeasement Politik von 1938 gegenüber Hitler erinnert. Ja, vielleicht hätte ein anderes Verhalten damals den Diktator Hitler gestoppt und den 2. Weltkrieg verhindert; sicher ist das aber nicht. Was man aber genau weiß, ist, dass Nazideutschland über keine Atomwaffen verfügte. Insofern hinkt dieser Vergleich doch ein wenig. Historisch eindeutig ist auch, dass die Nazis, je näher der Krieg an Deutschland heranrückte, diesen in jeder Beziehung umso rücksichtloser geführt haben.
Verantwortliche Politik vollzieht sich vor diesem Hintergrund für mich im Spannungsverhältnis zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Der Gesinnungsethiker hat es dabei „leichter“, kann er doch für sich (und ich meine das gar nicht respektlos) hohe moralische Werte in Anspruch nehmen und muss die Folgen seines Handelns, insbesondere dann, wenn er über keine politische Macht verfügt, gegenüber niemandem verantworten. Ganz anders der Verantwortungsethiker. Er muss nicht nur prüfen, welche unmittelbaren Auswirkungen sein Handeln hat, sondern auch die mittelbaren Folgen in seine Überlegungen mit einbeziehen. Angesichts der aktuellen Unterstützung der Gesinnungsethiker durch die Medien ein schwieriges Unterfangen, wie man aktuell beobachten kann.
Es ist zynisch, aber leider zu befürchten: Erst wenn in Russland der innenpolitische Schaden des Krieges von Putin als unbeherrschbar eingeschätzt wird und erst wenn in der Ukraine der Rückhalt in der Bevölkerung für eine Fortsetzung des Krieges schwindet, wird es zu einem Einlenken und zu Verhandlungen kommen. Die Unterstützung der Ukraine dient dazu, den „Durchhaltewillen“ zu befördern und Russland daran zu hindern, seine Kriegsziele zu erreichen. Bis es soweit ist, und jetzt wird es wieder zynisch und eigentlich unerträglich, sterben Menschen (wie in so vielen Teilen der Welt) in der Ukraine und in Russland und wir stehen ohnmächtig daneben.
Das ist für mich die Quintessenz aus dem Satz von Olaf Scholz, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren und Russland ihn nicht gewinnen dürfe. Er ist unverändert eine politische Maxime, von der sich das Handeln der Bundesregierung leiten lassen sollte.
Lieber Herr Rose,
über das Spannungsverhältnis von Gesinnung und Verantwortung werden wir lange diskutieren können. Nach meiner Erfahrung suchen sich die meisten ein Gemisch aus beidem aus, wenn sie ihre Auffassungen darlegen. Aber in der öffentlichen Diskussion stehen eben die Extreme im Mittelpunkt, denn sie geben größere „Reibungsflächen“ her. Ich habe – nebenbei bemerkt – in meinem Text das Wort „Marschflugkörper“ nicht ge/benutzt. Egal. In dem mittlerweile oft zitierten Vertragsentwurf vom 15. April 2022, vom Wall Street Journal am 1. März publiziert, wird dargelegt, dass der Ukraine – abgeleitet von den Minsker Vereinbarungen -Sicherheitsgarantien gegeben werden sollten. Zu den Garantiemächten sollten die USA, Großbritannien, Frankreich, China – und Russland zählen. In diesem Entwurf war weiter festgehalten, dass sich die Garantiemächte im Falle eines Angriffs auf die Ukraine auf eine gemeinsame Haltung und Reaktion einigen müssten. Sonst gelte der Vertrag nicht. Sorry, wie sollte das gehen? Der naheliegende Angreifer soll sich mit den anderen Garantiemächten auf eine gemeinsame Antwort einigen. Die Krim solle russisch bleiben, die von Russland darüber hinaus besetzten Gebiete werden in dem Entwurf nicht erwähnt. Das ist übrigens der Vertragsentwurf, mit welchem Frau Wagenknecht in der öffentlichen Debatte operiert. Sagen Sie mir bitte, lieber Herr Rose, wo ich hier den Weg zwischen Gesinnung und Verantwortung finden kann? Wie bewertet man diese Situation vor dem Hintergrund der von Ihnen so beschriebenen Maxime, die Ukraine dürfe nicht verlieren, Russland nicht gewinnen? Was raten Sie da?
Lieber Herr Vater,
vor der Formulierung meiner Antwort habe ich mir ausdrücklich die Zeit genommen, die Befragung des Kanzlers im Bundestag am 13.03. und die Debatte um die Lieferung des Taurus am 14.03. zu verfolgen. Sie fragen, was raten Sie? Meine Antwort: Der Linie des Kanzlers zu folgen und jeweils abzuwägen, was unter den gegebenen Umständen zu verantworten ist. Bisher ist die Regierung ganz gut damit gefahren, sich daran zu orientieren, welche Waffensysteme die USA liefern. Das könnte auch aktuell ein wichtiges Entscheidungskriterium sein.
Es gibt in der Frage von Waffenlieferungen für mich kein absolutes „falsch“ oder „richtig“. Erst die Historiker werden dereinst zu einer Einschätzung kommen und auch da fürchte ich, dass diese Einschätzungen nicht losgelöst von dem eigenen Wertekanon erfolgen werden. Genau dies macht es so schwer, verantwortbare Entscheidungen zu treffen. So halte ich es z.B. für richtig, dass die Europäer endlich daran gehen, auf dem Weltmarkt die Munition zu kaufen, die von der Ukraine so dringend benötigt wird. Dass hier so lange aus nationalen Interessen gezögert wurde, ist ein Umstand, den zu kritisieren es allen Anlass gibt.
Sie verweisen auf den Vertragsentwurf vom 15. April 2022 und die Haltung von Frau Wagenknecht dazu. Ich teile die Einschätzung von Frau Wagenknecht nicht und halte im Übrigen die Einlassungen dieser Frau auch für wenig hilfreich.
Zum Schluss: Wenn ich wüsste, wie der Krieg zu beenden ist, ohne dass die Menschen in der Ukraine unter die Räder kommen und ohne dass Putin seine Ziele erreicht und trotzdem Verhandlungsbereitschaft zeigt, dann würde ich damit ganz sicher nicht hinter dem Berg halten. Ich fürchte es wird noch geraume Zeit erforderlich sein, einerseits Waffen zu liefern und andererseits alle diplomatischen Kanäle zu nutzen, um auf diesem Weg zu einem Ende dieses Krieges beizutragen.
Mit dem Satz „Wir müssen unsere Vorstellungen von Konfliktlösungen gründlich „überarbeiten“.“ scheint mir der Autor fatalerweise nichts anderes als eine „Fortsetzung der (in seiner Vorstellung) richtigen Politik sowie Gesellschaftsordnung des sog. „Westens“ (was immer das sein soll) durch den Krieg“ gewissermaßen als Denkmuster verankern und rehabilitieren zu wollen. Indes sind fast alle seiner „Belege“, warum man da in der Vergangenheit schon wohl zu zögerlich war im Einsatz von kriegerischen Mitteln, um die „Despoten“ in die Schranken zu weisen, auch (mit etwas beleghafter Mühe, die hier in einem Kommentar keinen Platz hat) fürs Gegenteil heranziehbar: Um zu zeigen, wie sowohl der Despotismus keine Erfindung der Russen oder eines „Nicht-Westens“ ist, wie wesentlich auch die Hegemonie-Bestrebung der USA (als herbeiphantasierter unipolarer Machtkern globalen Ausmaßes), der NATO und der westlichen Geheimdienste in durchaus beträchtlichem Stil immer wieder Autokraten und Despoten mit Finanz- und Militärmitteln „gestützt“, ja geradezu gegen demokratische oder politisch andere Verhältnisse in die Macht gesetzt hat, wie … ach … usw. Man wird kein Ende finden.
Letztlich spinnt der Autor damit nur die alte Mär vom bipolaren Gegensatz von „westlichen“ Demokratien und östlichen Despotien weiter – und das angesichts der latenten Faschismen in den westlichen Präsidialdemokratien und vor allem in der alles andere als demokratisch idealtypisch wohlsortierten USA. Jene Politiker des Westens, die jetzt von der jeweiligen Bevölkerung „Kriegstüchtigkeit“ verlangen, werden indes nicht jene sein, die dann orientierungs- und nutzlos in den Schlachtfeldern verrecken werden, nachdem sie ein letztes Lied auf die vermeintlich so hehren „westlichen Werte“ oder sonstige willfährige (weil mit den jeweiligen eigenen Machtgelüsten so einfach gleichschaltbaren) Idealismen herausgewagt haben; vermutlich samt Blut und ihren Innereien. Muss es also schon wieder ehrenvoll sein, fürs „Vaterland“ (oder sonst einen Komplex an Ideologemen mit knalligem Etikett) zu sterben? Versammeln wir uns wieder hinter Fahnen, weil die Informationsmächte im Land uns, der Bevölkerung, lange genug in erzieherischer Strenge erklärt haben, was mit „Freiheit“ gemeint ist – die z.B. in der USA längst nicht mit Gleichberechtigung oder politischer Vielfalt einhergeht, sondern vorzugsweise die Freiheiten meint, die sich die CIA und die Konzerne nehmen dürfen, um mit anderen Despoten über die Weltkarte gebeugt die Demarkationslinien der weiteren Ressourcenausbeutung auszuloten, um also andere Bevölkerungen zu berauben, zu zerstören, zu vertreiben etc. Es ist die größte Lüge seit jeher, dass sie dies zu unserem Besten tun würden.
Sehr geehrter Herr Peschka, nichts von dem, was sie in Ihrem Text zusammenstellen, ist in meiner Auffassung angelegt. Mir geht es um das Recht der Ukrainerinnen und Ukrainer, über ihren Weg selbst zu bestimmen. Können sie dieses Recht nicht haben, dann gibt es dieses Recht auch für andere Völker/Länder nicht. Dann herrscht das Recht des Stärkeren. Allerdings fürchte ich, dass Sie dies nicht für relevant halten. Sie setzen relativistisch alles gleich: Ost und West, Depotismen und Demokratien und so weiter. Ich sehe daher keine wirkliche Grundlage für einen Austausch.
Hallo werter Herr Vater, „Austausch“ muss ja nicht sein – aber als „Kommunikationsberater“ wissen Sie natürlich genau, wie sehr Sie in Ihrer Antwort auf meinen Kommentar manipulativ zu Werke gehen. Aus dem „Selbstbestimmungsrecht“ eines Landes (wie der Ukraine) abzuleiten, wir müssten unser Nachdenken über „Konfliktlösung“ verändern (womit Sie letztlich nur einer Militarisierung der Konfliktlösungsstrategien das Wort reden), ist die übliche Diskursstrategie, die Individuen eines Landes (vulgo: „Bevölkerung“) auf die ebenso üblichen Standard-Ideologeme des Nationalismus einzuschwören und „Identitäten“ einzufordern … etc. pp. / Übrigens: Ukraine und das Recht der politischen Selbstbestimmung: Wenn man etwas nachforscht und schaut, was da so an Aktivitäten von Seiten der wenig humanistisch agierenden Institutionen NATO, CIA u.a. gelaufen ist, dürfte das auch mit größtem Wohlwollen kaum unter „politische Selbstbestimmung“ zu subsumieren sein. / Mir dann Relativismus zu unterstellen, wo ich Ihre schlichten binären Gegensätze von „Ost“ und „West“ mit Verweis auf die wenig demokratischen und völkerverständigenden Geschichte z.B. der US-amerikanischen Militär- und Geheimdiensaktionen der jüngeren Historie gerade auflösen will, ist ein ziemlich langweiliger und eingeübter rhetorischer Reflex. Mir schiene es für die weitere politische Geschichte der Bevölkerungen wichtiger, alte nationalistische, militärische und „identitäre“ Strukturen gesellschaftlicher Verhasstheit aufzulösen – die heillose Historie aller Imperien und ihrer „machtmonopolistischen“ Staatengebilde dürfte einem Beispiel genug sein. Es gibt außerdem genügend (wenn auch letztlich natürlich zu wenige …) Beispiele dafür, dass das „Recht des Stärkeren“ nicht immer herrscht und „siegt“. Aus der frustrierten Einsicht, dass man sich der vermeintlichen Unausweichlichkeit eines immer drohenden „Rechts des Stärkeren“ nur mit einem noch „stärker“ agierenden eigenen gewalthaften Recht (und entsprechend aufgerüsteter militärischer Wehrhaftigkeit) erwehren könne, ist fatalistisch und zerstörerisch. Und: das „Recht der Menschen“ in dem Land Ukraine auf gewaltfreies Leben ist eben nicht gleichzusetzen mit einem „Recht“ eines Staates oder Landes auf Existenz, die je historisch volatil ist. Mich erinnert das an den wieder auflebenden Identitätszwang, man habe sich doch als „Deutscher“ zu fühlen und ergo dieses „Deutschland“ gegen irgendwelche Aggressoren zu verteidigen – mit dem eigenen Leben, wenn es sein muss. Nichts ist falscher als diese Identitätsfalle. Aber – hierin stimme ich Ihnen zu – für einen Kommunikationsberater dürfte dies wohl eine „rote Linie“ sein, sodass hier vielleicht kein Austausch möglich wäre.
Sehr geehrter Herr Peschka, habe Sie nicht „manipuliert“. Ich bin einfach von dem ausgegangen, was ich in Gesprächen erfahren und mir angelesen habe: Da gibt es eine Anzahl von Menschen, eine Gesellschaft mit einer Sprache und einer in vielen Zeugnissen belegten eigenen Kultur, die sich der Kommunismus nach 1919 „einverleibt“ hatte, die von Stalin und seinen Leuten um einige Millionen Menschen dezimiert wurde; denen unter den Nazis wiederum millionenfach Schreckliches angetan wurde, die anschließend im Realsozialismus eingesperrt waren, die danach begriffen: Wir habe eine gute Chance selbständig zu werden. Das ist alles. An die CIA und an deutschen Nationalismus und neuere Identitäts-Geschichten habe ich nicht gedacht. Mensch versucht, während des Schreibens die Ordnung im Kopf zu verbessern. Dabei gibt es Hilfen – Robert Spaemanns Einführung in moralische Grundbegriffe, bei Beck erschienen, ist eine solche Hilfe. Kann ich nur empfehlen.