Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist eine Katastrophe für viele Menschen in der Ukraine und – was jetzt schon abzusehen ist – er wird zu einer Katastrophe für viele Menschen in der Welt. Dieser Krieg findet statt im siebten Jahr der im September 2015 beschlossenen Resolution der Vereinten Nationen: „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“. Diese Agenda beschreibt globale Missstände und Fehlentwicklungen, deren Fortdauer in kurzer Frist den Fortbestand des Mensch-Planeten-Systems insgesamt in Frage stellt.
- Die Agenda formuliert die Notwendigkeit einer umfassenden „Transformation unserer Welt“ als Voraussetzung für den Fortbestand menschlichen Lebens auf der Erde.
- Die Agenda verbindet diese Transformation mit einer atemberaubend kurzen Frist, von der bereits – unter kontinuierlicher Zunahme von Krisenereignissen auf der ganzen Welt – ein großer Teil verstrichen ist.
- Die Agenda verdrängt nicht und beschönigt nicht die prekäre Situation der Menschheit und sie zeigt, was in welcher Weise geschehen muss, so dass eine Weiterexistenz der Menschheit über das Jahr 2030 möglich erscheint.
- Und am wichtigsten: Diese Agenda wurde im September 2015 von allen Ländern der Vereinten Nationen einstimmig beschlossen
In der Präambel dieser Resolution wird der gegenseitige Bedingungszusammenhang zwischen nachhaltiger Entwicklung und Frieden explizit formuliert und hervorgehoben: „Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden.“
Vor dem Hintergrund der einstimmig von den Vereinten Nationen geforderten Agenda 2030 stellt der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wie heute jeder Angriffskrieg einen Sabotageakt und Anschlag auf den Fortbestand des Mensch-Planeten-Systems und damit der Menschheit insgesamt dar.
Die politische Perspektive erweitern
Dass dieser Angriffskrieg und seine schnelle Beendigung für die Länder der Vereinten Nationen, die die Mehrheit der derzeitig lebenden Menschen repräsentieren, nicht die höchste Priorität hat, zeigt das Abstimmungsergebnis der Resolution der VN-Vollversammlung vom 2. März 2022 über den Angriff Russlands auf die Ukraine.
Mit der Resolution wurde zwar der Überfall Russlands von 141 der 193 Staaten der Vereinten Nationen und damit einer zahlenmäßig großen Mehrheit der Mitgliedsländer verurteilt. Zugleich aber repräsentiert die zahlenmäßige Minderheit der Staaten, die der Verurteilung Russlands vor allem durch Enthaltung oder Abwesenheit nicht folgt, eine 3/5 Mehrheit der globalen Menschheit.
Offensichtlich ist aus Sicht der Regierungen der Mehrheit der globalen Menschheit der Ukrainekrieg – als Krieg innerhalb der westlichen Welt – nicht das größte Problem und seine Beendigung – solange er regional begrenzt bleibt – nicht die dringendste Aufgabe. Wenn das so ist, dürfte eine Beendigung des Ukrainekrieges ohne die Erweiterung der politischen Perspektive auf die globale Nachhaltigkeitssituation nicht wirklich denkbar sein.
Diese Erweiterung könnte beinhalten, dass man den Ukrainekrieg als Teilkrise der globalen Nachhaltigkeitskrise versteht und damit die Verfolgung der – einstimmig beschlossenen -nachhaltigkeitspolitischen Zielsetzungen der Agenda 2030 zur Grundlage der Konfliktbewältigung und der Beendigung des Ukrainekrieges macht. Die Agenda-Ziele verlangen im globalen Menschheitsinteresse insbesondere von den Industrieländern eine schnelle und umfassende Transformation. Dass in der breiten öffentlichen Diskussion über den Ukrainekonflikt diese Nachhaltigkeitsperspektive bisher kaum eine erkennbare Rolle spielt, spiegelt das noch unverständige nachhaltigkeitspolitische Bewusstsein auf allen Seiten wider, bedeutet allerdings auch, dass es politisch noch weitere Ansätze und Gestaltungsmöglichkeiten gibt.
Hallo Thomas Weber,
herzlichen Dank für Ihren Beitrag.
Ihnen ist ja sicherlich selbst (schmerzlich) bewusst, wie weit der Weg von der einstimmigen Verabschiedung der Agenda 2030 zu ihrer auch nur ansatzweisen Umsetzung ist.
Aber es gilt eben tatsächlich der von Ihnen zitierte Satz:
“Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden” – und eben in beide Richtungen.
Das erfordert aber dann von allen Seiten, Ressourcen aus dem militärischen Bereich in den Bereich einer nachhaltigen Transformation umzulenken.
Und das ist nicht zuletzt, sondern vorrangig eine Anforderung an die Länder mit den größten Militäretats.
(Ich weiß: ALLEIN mit einer Umlenkung von Mitteln aus den Militäretats lassen sich nicht alle Probleme dieser Welt lösen – aber ohne eine solche Umlenkung erst recht nicht.)
Lieber Herr Pfitzner,
vielen Dank für Ihren Kommentar.
Der Weg zur Umsetzung bzw. der Umsetzung der Agenda 2030 mag lang, schwierig und steil sein, die Zeit, die dafür zur Verfügung steht, ist aber atemberaubend kurz. Die globalen Kriseneinschläge werden häufiger und treten in immer kürzeren Abständen oder sogar gleichzeitig auf.
Mit der Agenda 2030 haben die Vereinten Nationen die Notlage, in der sich das Mensch-Planeten-System am Anfang des 21. Jahrhunderts befindet, erkannt und Wege und Ziele, die sich dieser Notlage stellen und aus ihr herausweisen, beschrieben und bei Nichtverfolgung dieser Wege und Ziele das Ende des Mensch-Planetensystems in naher Zukunft in Aussicht gestellt.
In ihrem Anspruch und in ihrer Bedeutung ist diese Agenda 2030 ein historisch präzedenzloses Menschheitsdokument. Und solang die Frage, ob diese Agenda2030 erfolgreich sein wird, gestellt werden kann, ist sie zumindest nicht gescheitert. Dass diese Agenda 2030 zustande kam und von den Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet wurde sehe ich durchaus als eine der “Sternstunden” der Menschheit.
Die Agenda2030 kann allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn sie entsprechend wahrgenommen wird, dass heißt, das man darüber redet, dass es sie gibt, und dass man dann, wenn man realisiert hat, dass es diese Agenda 2030 gibt, zugleich realisiert, dass es in den nächsten Jahren eigentlich kein anderes sinnvolles Thema und keine andere sinnvolle Aktivität geben kann, als am Gelingen der von der Agenda2030 geforderten Transformation zu arbeiten.
Dabei macht die Transformation vor keinem Politikbereich halt. Auch die Sicherheitspolitik wird sich in den Dienst der nachhaltigen Entwicklung stellen müssen und die dafür zur Verfügung gestellten Ressourcen müssen so eingesetzt werden, dass sie nachhaltige Entwicklung ermöglichen und vorantreiben.
Noch eine kleine Ergänzung:
Die Nachhaltigkeitsziele der UNO wurden auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung (25.-27.9.2015) einstimmig verabschiedet.
Quelle: https://www.un.org/Depts/german/gv-70/band1/ar70001.pdf
Sie sind auszugsweise dokumentiert in:
Klaus Lörcher / Bernhard Pfitzner
Materialien zum Thema „Arbeit, Wirtschaft, Menschenrechte“ – Rechtskreis UNO –
https://www.tragbarer-lebensstil.de/wp-content/uploads/2021/04/Materialien_AWMR_UNO-2.pdf
S. 176-181