Die Rente, der Geldfetisch und ein Börsenneuling

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Die Bundesregierung, vom Verfassungsgericht aufgefordert, ihren Haushalt nicht mit weiteren Schulden zu belasten, wird sich für ihre Aktienrente pro Jahr mit mehr als 12 Milliarden verschulden, eine in zehn Jahren auf 200 Milliarden Euro anschwellende Summe. Die Ampelregierung wird Börsenneuling. Wer einem Novizen des Aktienhandels mit guten Tipps wohl will, rät ihm mit der Regel Nummer eins: Nie Geld aufnehmen, um Aktien zu kaufen! Im Privatgeschäft gilt sowas als liederlich, aber im öffentlichen Geschäft soll es künftig als clever gelten. Private Laster sind öffentliche Tugenden – eine alte, bürgerliche Weisheit. Als Christian Lindner neulich vor die Presse trat und das erwartbare Wort vom Paradigmenwechsel sprach, hat er das Schuldenmachen gleich relativiert: Aus den Renditen der angelegten Milliarden ließen sich doch die Zinsen für die aufzunehmenden Kredite locker bestreiten.

Geld ist ein Ding, dem anscheinend die Eigenschaft innewohnt, sich zu vermehren. So gesehen gleicht es den Menschen in ihrem Vermögen, mehr Ihresgleichen in die Welt zu setzen. Solche Sicht hat eine hohe Anziehungskraft, auch wenn dem gesunden Menschenverstand die Sache nicht rund ist. Der will von der Vorstellung nicht lassen, dass die wunderbare Geldvermehrung auf dem schnöden Arbeitsprozess basiert, der die äußere Natur zu einem brauchbaren, einen Käufer findenden Gut umformt. Wozu es menschliche Arbeitskraft braucht. Braucht es die wirklich? Geht es nicht einfacher, wenn man das Geld für sich arbeiten lässt?

Wo ist das Problem, fragen Leute wie Lindner

Die industriellen Prozesse der sogenannten Realwirtschaft und die Transaktionen auf den globalen Finanzmärkten stehen in einem Verhältnis von 1 zu 10 zueinander. Manche Ökonomen schätzen weniger konservativ und multiplizieren die letzte Ziffer mit 5. Um bei den Zahlen zu bleiben: Die Finanzmärkte versprechen Renditen größer zehn Prozent, aber das Gros der Industrieunternehmen wäre glücklich, würde es beständig die Hälfte einfahren. Wo ist das Problem, fragen Leute wie Lindner. Legen wir doch unser Geld auf den besser verzinsten Märkten an! Das Problem: Es ist schon viel zu viel spekulatives Geld unterwegs.

Die Renditen der sogenannten Finanzwirtschaft gibt es nicht losgelöst von der Realwirtschaft. Ohne die Kapitalien, die menschliche Arbeitskräfte kaufen und von ihnen Gegenstände (auch immaterielle wie Daten) bearbeiten lassen, funktioniert das Geldmachen nicht. Zins gibt es nicht ohne Profit, sagt der Kritiker der politischen Ökonomie. Nun ist aber die große Mehrzahl aller Finanztransaktionen vom Produktionsprozess unbelecktes Geldgeschäft. In diesem Geschäft haust der von Marx so genannte Geldfetisch, „die Vorstellung vom Kapital als einem sich durch sich selbst verwertenden Automaten.“

Es fehlt auf den Weltmärkten nicht an Kapital, im Gegenteil, es gibt zu viel davon. Das überflüssige Geld wandert dorthin, wo die Illusion gehandelt wird, Renditen ließen sich unter Umgehung des umständlichen Wegs der Warenproduktion erzielen. Jede Wirtschaftskrise widerlegt diese Illusion aufs Neue. Wenn nun die viergrößte Industrienation beginnt, Teilsummen der Rentengelder bei den Fonds anzulegen und weitere Nationen folgen ihr, wird dies die Anfälligkeit für die globale Krise der Ökonomie verstärken.

Sie versprechen das Blaue vom Himmel

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Das Ampelkabinett wollte den sogenannten Paradigmenwechsel schon vor ein paar Jahren vollziehen. Dann kam Covid 19, die Kurse purzelten und die Aktienrente wäre kaum zu verkaufen gewesen. Angesichts der aktuellen Hausse an den Börsen ist das ‚Akzeptanzproblem‘ gering, versichert die PR-Abteilung den Ministern. Die FDP hat ihre Partner wieder an den Zauber des Anfangs und die Lyrik des Koalitionsvertrags erinnert: Für FinTechs, InsurTechs, Plattformen, NeoBroker und alle weiteren Ideengeber soll Deutschland einer der führenden Standorte innerhalb Europas werden. All die hier beschworenen Techs und Brokers siedeln ihr Geschäftsmodell auf den Finanzmärkten an. Sie sind jetzt hochgestimmt, ist doch der Anstich des Geldspeichers namens Rente gelungen. Sie versprechen das Blaue vom Himmel und blasen die Backen auf, aber vielleicht folgt aufs Aufblasen das Platzen der Blase.

Die bei der letzten Bundestagswahl vorgelegten Programme von SPD und Grünen versprachen die Bürgerversicherung, was laut Meinungsumfragen auf große Zustimmung traf. Käme diese Versicherung, würden alle Bürger in die Renten-, die Kranken- und die Arbeitslosenkasse zahlen, auch wenn sie nicht von Gehaltszahlung lebten. Wer Mieteinahmen oder Kapitalerträge erzielt, wäre ebenso beitragspflichtig. Ein solches Prinzip der sozialen Sicherung würde den Sozialstaat robuster machen als das gegenwärtige, an Lohnarbeit gekoppelte System. Eine bittere Ironie: Die Reformisten der Sozialdemokratie und der Grünen verweigern, von der FDP ins Schlepptau genommen, das Reformgeschäft.

Peter Kern
Peter Kern hat Philosophie, Politik und Theologie in Frankfurt am Main studiert, war kurzzeitig freier Journalist, dann langjähriger politischer Sekretär beim Vorstand der IG Metall und ist nun wieder freier Autor und Mitarbeiter der Schreibwerkstatt Kern (SWK).

1 Kommentar

  1. Das Problem mit der Bürgerversicherung: Wenn es mehr Einzahler gibt, gibt es auch mehr Auszahlungsberechtigte, im Fall von Beamten auch noch besonders langlebige. Verbindet man die Bürgerversicherung mit noch mehr Umverteilung, also z. B. durch Abschaffung der Kappungsgrenze bei den beitragspflichtigen Einkommen bei Beibehaltung der Kappung der Rentenhöhe, verletzt man das Äquivalenzprinzip, das bisher ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal von eigentumsgleichen Rentenansprüchen zu steuerfinanzierten Sozialleistungen ist.
    An der Demographie ändert das nichts. Und die deutet darauf hin, dass immer weniger aktive Menschen immer mehr Rentner finanzieren müssen.
    Aktienanlagen sind nicht grundsätzlich „spekulativ“. Sie sind eine Möglichkeit, Einnahmequellen jenseits der nationalen Grenzen zu erschließen, wo es andere demographische Strukturen und andere Wachstumspotentiale gibt.
    Die Finanzierung über Kredite hat allerdings eine spekulative Komponente. Sauberer wäre, die Kapitaldeckung allmählich aus der Beitragsmasse aufzubauen.

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