Ein Besuch im Meinungskeller kritischer Kritiker

Bild: johnhain auf Pixabay

Es ist 238 Jahre her, seit Matthias Claudius seinen Urian auf eine Weltreise schickte und dichtete:
Wenn jemand eine Reise tut
so kann er was erzählen,
drum nehm ich meinen Stock und Hut
und tät das Reisen wählen
“.
Das ist heute völlig anders. Der Bundeskanzler reist nicht mit dem Stock in der Hand nach China, sondern er hält die Hände frei, um die Hände anderer Leute schütteln zu können. Und er berichtet nicht selber, sondern andere berichten. So zum Beispiel der grüne Europaabgeordnete Reinhold Bütikofer, der dem Deutschlandfunk erzählte, Olaf Scholz vertrete in China die Interessen der Großkonzerne, freilich nicht die des Mittelstands. Auch Oppositionsführer Friedrich Merz übte nach Auskunft des Deutschlandfunks Kritik.

Gut. Die Zeiten haben sich eben geändert. Nicht jede Reise kann von Erfolg gekrönt sein – wusste übrigens schon Claudius, der den Urian auch nach Mexiko schippern ließ, um dort einen Sack mit Gold zu finden:

„Allein, allein, allein, allein,
Wie kann der Mensch sich trügen!
Ich fand da nichts als Sand und Stein,
und ließ den Sack da liegen.“

Urian reiste, Claudius dichtete, in Mexiko war´s und um Gold ging es. Eine klare Quellenlage.

Auch das hat sich geändert.  Reihenweise berichteten am 20. April 2024 bundesdeutsche Medien, „Kritiker Zuhause bezweifeln, dass Annalena Baerbock mit ihren Israel-Reisen und die Region überhaupt etwas bewirkt – zumal es schon so scheint, als dringe selbst US-Präsident Joe Biden als engster Verbündeter bei Netanjahu mit seinen Appellen nicht durch. Sie selbst sieht das anders.“ Die Außenministerin war seit dem Terror der Hamas am 7. Oktober 2023 sieben Mal nach Israel und in die dortige Region gereist, um auf verschiedene am Konflikt Beteiligte einzuwirken; und um die Freigabe von Geiseln zu erreichen. Ohne Stock und Hut.

Von Köln bis Rostock und von Bremen bis Oberstaufen und darüber hinaus rollte freilich die Behauptung von den „Kritikern“ durchs Land: Die Mittelbayrische, die Badische Zeitung, GMX.de, die Berliner -Zeitung, die Rhein-Zeitung, rtl.de, die Süddeutsche, web.de bis hin zu Farang, einem Infomedium für deutsche Touristen in einem Teil Südostasiens. Keine Quelle. Man begnügte sich mit dem Hinweis auf „Kritiker“. Als Quelle ohne Quelle entpuppt sich eine dpa-Meldung.

Vorausgegangen war ein Gespräch zwischen der deutschen Außenministerin und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, während dessen es allem Anschein nach gerumst hat. Der langjährige und versierte Berlin-Korrespondent des Bonner General-Anzeiger, Holger Möhle, berichtete darüber mit der Quelle britischer Außenminister David Cameron, Baerbock habe „aufgeräumt“. 90 Minuten hätten Netanjahu und Baerbock miteinander gesprochen oder gestritten, der israelische Sender Channel 13 berichtete aus dem Gespräch, Bild schöpfte aus dieser Berichterstattung. Es sei im Wesentlichen um die Frage einer besseren Versorgung von Palästinenserinnen und Palästinensern gegangen, um Hungersnot oder nicht im Gaza. Das Auswärtige Amt nannte entsprechende Berichte über ein Zerwürfnis der beiden falsch und irreführend.

Da fehlt mehr als ein „in“

Ich hätte wie viele andere wohl auch die Meldung überlesen und beiseite gelegt, wenn da nicht die grammatikalisch unsinnige Formulierung gestanden hätte: „…. mit ihren Israel-Reisen und die Region.“ Die Präposition „in“ war weggefallen. Auch so etwas kann etwas in Gang setzen.

Die Außenministerin der Bundesrepublik kann offenkundig gegenwärtig tun, was sie tut, es wird stets und ständig kritisiert. Wäre sie weniger häufig nach dem 7. Oktober nach Israel gereist, wäre ihr vorgeworfen worden, sie vernachlässige ein Eintreten für Geiseln, sie solle sich ein Beispiel am US-amerikanischen Außenminister Blinken nehmen.

Niemand unter uns Polit-„Normales“ ist in der Lage, ein treffendes Urteil über Baerbocks Qualitäten als Teil des Verfassungsorgans Bundesregierung abzugeben. Wir sind nämlich Zaungäste und insofern auf das angewiesen, was auf die eine oder andere Weise veröffentlicht wird. Eine präzise Quellenangabe ist da immer hilfreich und genau genommen auch Chronistenpflicht.

Bei anderen Baerbock-Gelegenheiten ist man penibler. Anfang Dezember 2021 stand die Bundesregierung unter Leitung von Olaf Scholz. Bereits am 18.12. 2021 war im Merkur zu lesen: „Spricht Außenministerin Baerbock schlechtes Englisch? Deutsche machen sich lustig.“ In der Zeitung hieß es nach Baerbocks ersten internationalen Auftritten: „Zwar ist ein deutlicher deutscher Akzent herauszuhören, doch Baerbocks Englisch blieb immer verständlich und klar. Den Kritikhagel hat dies aber trotzdem nicht verhindert.“ Der Merkur, den Römern als Götterbote vertraut, übermittelte: “Sofort verbreiteten sich im Twitter-Publikum Phrasen wie „Die Baerbock spricht aber auch das deutscheste Englisch, das ich seit langem gehört habe“ oder „Wie spricht die eigentlich Englisch?“ Und: Baerbocks Englisch sei „Fremdscham hoch zehn“.

Im Twitter-Publikum? Hat das Geschwurbel einiger Schwachköpfe auch nur einen Hauch an Info-Relevanz? Dennoch kommt´s in die Zeitung: „Deutsche machen sich lustig.“ 

Freilich geht’s, wenn es sich um die Annalena Baerbock dreht, noch tiefer, sozusagen in den geistigen Keller des Landes: „Dann habe ich das Gefühl, also, wenn ich ganz ehrlich sein darf, dass ich immer denke, was für ein Unfall, dass diese Frau Außenministerin geworden ist. Die hätte doch unter normalen Bedingungen im Auswärtigen Amt nicht mal ein Praktikum gekriegt.“ So der als Fernsehphilosoph bekannte Professor Richard David Precht im April 2023 in einem Podcast, nachzulesen bei t-online.

Noch mal: Mir fehlt das Wissen, um Baerbocks Arbeit als Außenministerin wirklich beurteilen zu können. Auf eine ordentliche Quellenlage lege ich jedenfalls Wert. Ansonsten gilt das, was der konservative Matthias Claudius an den Schluss seiner Reisebeschreibung setzte:

„Und fand es überall wie hier,
fand überall ein’n Sparren,
die Menschen grade so wie wir,
und eben solche Narren!“

Bild: Saddhivam auf wikimedia commons
Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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