Mein Vogtland grüßt mit 37% AfD bei der Thüringenwahl und ich nehme es irgendwie persönlich. Vielen Dank, es ist immer schön, wenn der Ekel nachlässt. Aber aus dem Affekt heraus darf man sich nicht die Welt erklären. Das haben bedeutende Vorbilder erklärt, Brecht, Gremliza, Gysi usw. Auch die Literatur, Religion, Musik und der Sozialkundeunterricht lehren uns mit solchen unvorteilhaften Situationen umzugehen. All you need is love. Jesus und Maria, John Lennon und Madonna empfehlen ganz viel Liebe. Denn die rabaukenhaften Aufmärsche der Jungrüden und -mädel, das abschreckende Outfit, die martialischen Tattoos, der SA-Gedächtnishaarschnitt, die Zündeleien an Flüchtlingsheimen (das geht nun wirklich nicht, Landsleute), die Übergriffigkeiten gegen die Presse, der empörte Dauerton, die Strassenjagden auf Schwarze, Homos, Lesben, Punks – sind sie nicht Zeichen dafür, wie sehr die Menschen im Osten an ihrem schweren Los leiden? Dass sie Zuwendung brauchen, Anerkennung, das alte Problem der DDR, der gefürchtete Schrei nach Liebe.
Als ganz normale Bürger wollen sie doch nur auf ihr Dorf stolz sein, auf das Wirtshaus, die alte Mühle, das Wagenrad am Brunnen und ansonsten in Ruhe gelassen werden, vor allem von Geflüchteten. Außerdem mehr Fördergelder für die Anreise zu den wichtigen Demonstrationen und bei der Abzahlung des SUV. Das alles werden sie auch kriegen, guckt nur auf die Altparteien, wie sie anbandeln. Oder auch nicht. Wer sich unaufhaltsam roten Linien nähert, hat sie auf einmal überschritten. Gute Reise in den Abgrund. Die Heuchelei im vorherrschenden Ost-West-Diskurs ist nicht mehr zum Aushalten. Schluss mit dem Mantra von den abgehängten Ossis, den Bürgern zweiter Klasse, den ewig Benachteiligten, von der Unterrepräsentanz bei Direktoren- und Professorenposten und den fehlenden Bushaltestellen.
Den inneren Schweinehund nach außen kehren
Die Rassisten haben das Migrationsproblem dermaßen dramatisiert und mit besinnungslosem Hass aufgeladen, dass sie nun darangehen, einen Volkssturm zu organisieren. Sein Grollen ist schon vernehmbar in Fußgängerzonen, Supermärkten, auf Bahnhöfen. Die Geflüchteten kriegen etwas umsonst, wofür die Deutschen arbeiten müssen! Sie greifen nach unserem Sozialstaat! Sie stechen unsere Frauen ab! Und daran ist die Ampel schuld! Die Kernspießer sind in ihrem Element, aber Nazis sind sie nicht, das ist eine unverschämte Beleidigung.
Den inneren Schweinehund nach außen zu kehren, scheint sich immer größerer Beliebtheit zu erfreuen (innerer Schweinehund, du musst ein Schwein sein in diesem Land – das kennt ihr doch). Die völkische Selbstbefriedigung gefällt ihnen. Bei diesem lustvollen Zeitvertreib gibt es kein Ost-West-Gefälle. Das zu glauben ist grundfalsch oder eine absichtsvolle Täuschung. Erfährt ein Hubert Aiwanger etwa weniger Zuspruch? Und kann jemand den Unterschied zwischen ihm und Höcke erklären? Nicht, dass die Leute über seine frühen Auschwitz-Späße lachen (noch nicht), aber wehe, jemand wagt, den Hubert als NS-Primaten zu bezeichnen. Dann droht ein Bierkellerputsch wie vor 101 Jahren. Denn a Hund is er scho, und keiner nimmt den Bayern ihren Aiwanger weg. Sie waren alle mal jung und haben ihre harmlosen Streiche gespielt (was sie halt in der Familie so aufgeschnappt haben). Außerdem, soll jetzt jeder zweite Stammtisch verboten werden?
Wer überspringt das Brandmäuerchen?
Das Geschrei oder Gejammer, je nach dem, von “Ost-Ost-Ostdeutschland” (mit dreimal Ost auf AfD-Kundgebungen gebrüllt) ist also komplett daneben. Richtig muss es sowieso Volksdeutschland heißen. Dann muss man auch der internationalen Öffentlichkeit keine umständlichen Erklärungen geben. Die kennen das, haben sie doch ebenfalls eine Erinnerungskultur. Der Volksdeutsche darf sich jetzt auf die nächsten Schritte freuen. Wer wird als erster über das Brandmäuerchen und in die Arme der AfD springen, Voigt oder Kretschmer? Dann kommt die Unterstützung von den österreichischen Freunden, wo am 29. September gewählt wird. Anschließend der 5. November, an dem vielleicht ein atlantisches Hoch entsteht, das eine steife Brise in die braunen Segel blasen wird. Trump will die größte Remigration aller Zeiten durchführen. Na, dann wollen wir mal sehen, wer besser deportiert, planvoller, effizienter, tödlicher.
Wer bis drei zählen kann, weiß, dass die Vertreibung einer achtstelligen Zahl von Menschen (Ankündigung von Trump) oder eine Reduzierung der Bevölkerung um 20% (das stellt sich Höcke vor) nicht ohne Exzesse vonstatten geht. Deswegen faselt der eine obsessiv von Bürgerkrieg und der andere träumt perverse Phantasien von notwendigen Grausamkeiten, menschlichen Härten und unschönen Szenen. Ein “großangelegtes Remigrationsprojekt” (Höcke) werden sehr viele Menschen nicht überleben und nicht erst, wenn sie die Länder erreicht haben, aus denen sie geflohen sind. Ein Drittel der Wähler von Thüringen und Sachsen will das in Auftrag geben. Ihnen Mordlust nachzusagen, wäre wieder so eine gemeine Unterstellung. Weil es ja keine Mordlust ist, sondern eine Mordsucht. Vermutlich unheilbar.
Nicht an Werten, nur an der Währung interessiert
Es ist wohl keine Ironie der Geschichte, sondern eher zwanghafte Logik, dass diejenigen, die den Untergang des Abendlands durch einen großen Bevölkerungsaustausch beschwören, ein aktiver Teil des Problems sind, vor dem sie warnen. Sie sind als Feuerwehr verkleidete Brandstifter. In diesem Land hat ein großer Austausch frühzeitig stattgefunden. Nachdem sprunghaft anwachsende Menschenmengen durch Ost- und Mitteleuropa gewabert waren, um einen Weg in die Bundesrepublik zu finden, wurde er am 3. Oktober 1990 besiegelt. 17 Millionen drangen in die Bundesrepublik ein, einschließlich der überaus beliebten jungen Männer. Sie erlebten eine Willkommenskultur, die sie offensichtlich falsch interpretiert haben.
Und so sehen die harten Fakten aus: Die Umvolkung wurde von westlichen Eliten konzipiert, begleitet, gesteuert und als Wiedervereinigung verkauft. Es handelte sich aber nicht um eine Vereinigung, sondern um einen Beitritt zu einem anderen Staat, der u.a. mit Nötigungen, Erpressungen und größtmöglicher Eile durchgedrückt wurde. Die Eindringlinge brachten ihre abgewirtschafteten Ländereien ein, damit sie vom westlichen Kapital aufgebrezelt werden. An den Werten der Bundesrepublik war ein Großteil derselben nicht interessiert, nur an der Währung. Das Grundgesetz des aufnehmenden Staates haben sie sich nie zu eigen gemacht, es nicht einmal gelesen. Nach intensiver Inanspruchnahme durch die Neuankömmlinge waren die bundesrepublikanischen Sozialsysteme, der Arbeitsmarkt, die Investitionen in die Zukunft nurmehr ein Schatten ihrer selbst. Dies alles ertrug die westdeutsche Gesellschaft mit beispielloser Toleranz, die man auch als schleichende Unterwerfung (Michel Houellebecq) bezeichnen könnte.
Passiert ist passiert
Weiter gehts. Die ohne Einzelfallprüfungen, sondern pauschal eingebürgerten Horden gehören fremden germanisch-slawischen Ethnien an. Weite Teile von ihnen hassen die mit der Bundesrepublik verbundenen Religionen und sympathisieren mit einem vorzivilisatorischen Heidentum. Sie haben Parallelgesellschaften und regionale Strukturen gebildet, die sich erfolgreich gesellschaftlicher Integration und staatlicher Kontrolle entziehen. In diesen Freiräumen outete sich der nationalsozialistische Untergrund (NSU), der seine Opfer bezeichnenderweise im Westen suchte. Sie lehnen das staatliche Gewaltmonopol ab und möchten ihren massenhaften Einmarsch von 1989/90 “vollenden”, d.h. der westdeutschen Gesellschaft, die nach einem Selbstbehauptungswillen sucht, endgültig ihren Stempel aufdrücken.
Die sogenannte deutsche Einheit erfüllt alles, was die Ideologen des großen Austauschs an Befürchtungen vor zukünftigem Verderben aufgelistet haben. Bloß dass die Umvolkung schon in der Vergangenheit stattgefunden hat und von ihnen selber betrieben wurde.
Passiert ist passiert. Die Suppe muss nun ausgelöffelt werden. Remigration ist keine Lösung. Aber man könnte es mal mit Distanz versuchen. Distanz und Entflechtung. Nebeneinander statt miteinander. Gern auch gegeneinander. Jeder macht seinen Dreck alleine. Wir sind kein Volk.
Der Beitrag erschien unter der Überschrift „Heimat ist am schönsten“ zuerst im Beueler Extradienst.