Wer denn diese Frau sei: „Das ist Greta“

Greta Wehner (Screenshot: Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung)

Greta Wehner wäre Anfang Oktober 100 Jahre alt geworden. Sie starb 2017 im Alter von 93 Jahren. Nun hat der Wehner-Biograph Professor Christoph Meyer, ein Sozialwissenschaftler, eine sehr sorgfältig erarbeitete Lebensbeschreibung Greta Wehners veröffentlicht. Sie heißt: „Greta Wehner. Eine Frau tritt aus dem Schatten.“

Anfang der siebziger Jahre habe ich mich  als junger Redakteur ins Fahrwasser der SPD begeben. So wie andere in das der Union oder der FDP. Die Parteiapparate waren sehr viel kleiner als heute, Kontakte zu manchen Führungspersönlichkeiten rasch geschlossen. Es waren Kontakte und es war ein Kennenlernen in männerdominierten Apparaten.

Herbert Wehner war unter denen, die in der SPD das Sagen hatten, eine Persönlichkeit, wie es sie kein zweites Mal gab. Er galt als unnahbar, als geheimnisumwittert. Jeder konnte sich davon überzeugen, dass er gegen politische Kontrahenten auszuteilen bereit war. Er war von einer schon rührenden Fürsorglichkeit gegenüber anderen, die mit ihm zu tun bekamen. Er schaute sich diejenigen an, die sich ins Fahrwasser der SPD begeben hatten. Anstrengung und eine ihm erscheinende Aufrichtigkeit weckten seine Fürsorglichkeit. Heinrich Böll nannte die Verbindung von Zuwendung und scharfem Ton Wehners „Lull-Knurren“. Wehner hat mich damals stärker politisch motiviert, als mir klar war. Und zwar deswegen, weil er forderte, die Türen und Fenster von Staat und Gesellschaft weit aufzureißen, damit Durchzug entstehen könne. Das gefiel mir außerordentlich.

Wir haben damals nicht lange gefragt, wer denn die Frau sei, die  Wehner während Ankunft und Verabschiedung auf Veranstaltungen begleitete; die auf Veranstaltungen so dasaß, dass sie Wehner im Blick hatte. „Das ist Greta“, wurde mir vom Vorstandssprecher Lothar Schwartz gesagt, einem Pfälzer. „Sie gehört zu ihm.“

Sie hat auf diesen Mann aufgepasst

Meyer beginnt die Biographie der Greta Wehner mit dem Bildausschnitt einer Parteitagssituation. Erich Ollenhauer spricht vor einer dicht gedrängt sitzenden Menge. Fast nur Männer. Weniger als ein Dutzend Frauen. In der oberen Bildhälfte steht Greta, schaut zum Tisch mit den Präsidiumsmitgliedern, am dem kaum zu erkennen auch Wehner sitzt.

Sie hat auf diesen Mann aufgepasst, über viele Jahre als Fahrerin dafür gesorgt, dass der pünktlich zu Terminen kam, die Unterlagen bereit hatte, die er brauchte, dass er auf seine durch Krankheit geschwächte Gesundheit aufpasste, dass er ein Heim hatte, seine Aufgaben erledigen konnte. Geheiratet haben Greta und Herbert, damit dessen Betreuung und Pflege im Alter gute Grundlagen hatten, damit der Mann sicher sein konnte; und weil sie sich mochten, sehr mochten.

Ich bin fast auf der Mitte des 20. Jahrhunderts geboren. Bin also von dem geprägt, was war. Viele von uns, Mädchen wie  Jungen,  sind von tollen Frauen großgezogen worden, die wir heute tough nennen: Die Familien zusammenhielten, die gegen Widerstände einen Beruf gelernt hatten, die Schicksalsschläge überwinden mussten, ihre Männer „auf dem Damm“ hielten und arbeiteten, bis sie nicht mehr konnten. Die Greta Wehner gehört zu denen. Sie hat zwar die Rotznasen der eigenen Kinder nicht geputzt, dafür aber die der Kinder anderer Eltern, weil sie den Beruf der Fürsorgerin erlernt und ausgeübt hatte; viele Jahre, bevor sie 37 Jahre lang dafür sorgte, dass Herbert Wehner seinen „Job“ tun konnte. Und danach hat sie in Wehners  Geburtsstadt Dresden ein Bildungswerk aufgezogen für junge Leute, die es schwerer haben als andere und das Wehners Namen trägt.

Ach ja. Da ist noch der andere Teil der Vergangenheit. Greta geborene Burmester verlor ihren Vater, weil der von Nazis ermordet worden war. Ihre Mutter lernte Wehner kennen und lieben. Die beiden suchten in jenen schrecklichen Zeiten, verfolgt, interniert, arm und immer auf dem Sprung, ein Stückchen persönliches Glück zu wahren, während Greta aufwuchs. Vielleicht stammt daher ihre  so bewundernswerte Lebenskraft.

Christoph Meyer, Greta Wehner: Eine Frau tritt aus dem Schatten.
Langen Müller Verlag 2024, 360 Seiten, 26 €

Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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