Die Ungewissheit des Ausgangs der Wahl in Amerika lähmte in den vergangenen Monaten auch in Deutschland politische Prozesse und führte zum Aufschub politischer Klärungen und Entscheidungen bis nach dieser Wahl. Insofern kann der Wahlausgang, je nachdem, ob Harris oder Trump gewinnt, gleichsam auch zum Scheidepunkt politischer Prozesse in Deutschland werden. Ab Mitternacht (MEZ) des 5. November dürften erste Prognosen (aus Indiana und Kentucky) vorliegen, gegen 1 Uhr werden dann die Wahllokale im ersten Swing State (Georgia) schließen, der 2020 an Biden ging. Vorab einige Spekulationen darüber, was es für die Ampelparteien, die Union, die Schuldenbremse, das AfD-Verbotsverfahren, die Brandmauer gegen rechts und den Ukrainekrieg bedeutet, wenn Harris gewinnt, und was, wenn Trump gewinnt.
Wenn Harris gewinnt, würde das einer sozial-ökologischen Fortschrittspolitik in Deutschland Rückenwind geben, damit auch SPD und Grüne in der Ampel stärken und dazu führen, dass ein Ausscheiden der FDP und damit eine Ende der Ampel zumindest für den Kanzler und die SPD seinen „Schrecken“ verliert und wahrscheinlicher wird. Denn wenn die FDP die Ampel verlässt, bleibt weiter eine rot-grüne Minderheitsregierung im Amt mit der Perspektive, auch in vorgezogenen Neuwahlen – etwa im März 2025 zusammen mit der Bürgerschaftswahl in Hamburg und falls notwendig auch einer Neuwahl in Brandenburg – durchaus erfolgreich sein zu können.
Diese Überlegung kann aber auch gerade bedeuten, dass die FDP in der Ampel bleibt, weil außerhalb der Ampel niemand wirklich auf die FDP wartet. Für diesen Fall dürfte die Koalition in den nächsten Tagen einen kreativen Umgang mit der Schuldenbremse und dem Haushalt finden, so dass alle gesichtswahrend in der Koalition bleiben könnten.
Für den Modus der Ukrainepolitik der Bundesregierung dürfte sich kurzfristig, wenn Harris gewinnt, nichts grundsätzlich ändern. Die aus meiner Sicht seit Kriegsbeginn nachvollziehbare enge Abstimmung bei der Einschätzung der Kriegslage, der strategischen Zielsetzungen und militärischen Unterstützung der deutschen Ukrainepolitik mit den USA dürfte zumindest in nächster Zeit weiter funktionieren.
Wenn Trump gewinnt, dürfte das die Ampel in diesen Tagen eher stabilisieren. Die Sorge und Unsicherheit über Trumps „Unberechenbarkeit“ sowohl bei der Unterstützung der Ukraine als auch in der Wirtschaftspolitik wären so groß, dass eine Minderheitsregierung und eventuelle Neuwahlen in dieser Phase im Konsens der rechtsstaatlichen Kräfte in Deutschland kaum zu verantworten sein dürften. Wenn Trump gewinnt, ist es wahrscheinlicher, dass der Bundeshaushalt in den nächsten Tagen irgendwie verabschiedet wird und die Ampel dann bis zu den regulären Wahlen im September 2025 hält.
Wenn Trump gewinnt, würde das andererseits in Deutschland aber auch einen Schub für rechtspopulistische Entwicklungen bedeuten. Mich würde es nicht überraschen, wenn dann rechte Teile der Union, die sich auf diesen Fall vorbereitet haben, mit Spahn und dem aiwangerisierten und verhinderten Unionskanzlerkandidaten Söder ohne Rücksicht auf den „schwarz-grünen“ Flügel der CDU den Aufschlag für ein Rechtsbündnis machen würden, einem Rechtsbündnis, das zur AfD hin offen ist und die Brandmauer gegenüber der AfD schleifen will.
Spannend wird in diesem Fall die Positionierung und Abstimmung über den AfD-Verbotsantrag, der in diesen Wochen im Bundestag beraten wird. Wer sich eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen kann bzw. diese sogar anstrebt, wird sich natürlich gegen einen solchen Antrag stellen, und, wenn es zur Abstimmung kommt, gegen ihn stimmen. Ein Scheitern des AfD-Verbotsantrages im Bundestag würde dann fast zwangläufig dazu führen, dass die Brandmauer zur AfD fällt; die Annahme eine solchen Antrages wiederum dürfte die Brandmauer so lange erhalten, bis das Verfassungsgericht über den Antrag entschieden hat.
Die Haltung zum AfD-Verbotsantrag müsste dann auch zur entscheidenden Voraussetzung für eine Zusammenarbeit von SPD beziehungsweise CDU mit dem BSW werden. Sollte das BSW im Bundestag gegen diesen Antrag stimmen, dürfte es als Koalitionspartner auch in den Ländern nicht mehr wirklich in Frage kommen.
Zur Erinnerung:
Bei der Wahl am 6. November 2012 stand Barack Obama am Morgen des 7. November um 5.15h (MEZ),
bei der Wahl am 8. November 2016 Donald Trump am 9. November gegen 8h (MEZ) als Sieger fest.