Gesetzt den Fall eines Putin-Tribunals

20 von 35 Jahren hat Radislav Krstic abgesessen, 15 Jahre hat er noch vor sich. Nun hat der aus Bosnien stammende, in Den Haag verurteilte Ex-Militär der serbischen Armee eingestanden, dass im damaligen Krieg und insbesondere in Srebrenica Völkermord begangen worden ist. Ohne Wenn und Aber. Er ist der erste der verurteilten Kriegsverbrecher, der aus einer Ansammlung von Leugnern ausgebrochen ist. Vielen deutschen Medien war dieses Geständnis leider keine Erwähnung wert.

April 2004 – Die erste Verurteilung wegen Völkermordes wird in der Berufung aufrechterhalten. Die Berufungskammer stellt fest, dass Radislav Krstić, ehemaliger Kommandeur des Drina-Korps der bosnisch-serbischen Armee, Beihilfe zum Völkermord in Srebrenica geleistet hat. (Bild: Internationaler Strafgerichtshof der Vereinten Nationen für das ehemalige Jugoslawien auf wilkimedia commons)

Vom 2017 geschlossenen Kriegsverbrechens-Gericht wurde 161 mal Anklage gegen Verdächtige erhoben, 84 Angeklagte wurden auch verurteilt, im ehemaligen Jugoslawien während der Kriege dort ab 1991 Verbrechen begangen zu haben. Von unbelehrbaren Nationalisten in Serbien wird jetzt bezweifelt, dass es überhaupt ein Geständnis von Krstic gebe. Alles Lüge. Das könne nicht sein. So dreht sich Geschichte. Bisher wurde bezweifelt, dass es ein Genozid in Srebrenica gegeben hat. Nun gibt es einen Zeugen, den damals engsten Mitarbeiter von Ex-General Ratko Mladic, der solche Zweifel beendete, um erneute Zweifel entstehen zu lassen.

Werden wir beziehungsweise unsere Kinder oder Enkel eines Tages erfahren, hören, mitgeteilt bekommen, dass jemand aus Wladimir Putins engstem Kreis zugegeben hat: Es war versuchter Völkermord in der Ukraine. Um auch zu sagen: „Ich akzeptiere die Anklage und den Urteilsspruch des Gerichts, das mich verurteilt hat.“ So wie Krstic das in einer Stellungnahme im Juni 2024 getan hat, die jetzt erst bekannt wurde.

Der Prozess damals gegen Krstic war aufschlussreich. Denn das Gericht folgte den Verteidigern Krstics nicht, die erklärt hatten, es sei kein Völkermord gewesen, weil nur ein Teil der Bevölkerung in Bosnien zu Tode gekommen sei und überdies nur Männer. Das Gericht stellte fest, dass ein besonderer Vorsatz festzustellen sei, der darauf hinausgelaufen sei, eine durch Herkunft, Sprache und auch Religion gekennzeichnete Gruppe zu zerstören.

Geschichte kann hinterlistig sein

Was würden Staatsanwälte und Staatsanwältinnen des Kalibers der Carla del Ponte, die zwischen 1999 und 2007 in Den Haag anklagte,  Putins Getreuen und Vertrauten vorwerfen? Vorwerfen können? Würden solche  Anklagen in einem durch Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit mitgeprägten Europa überhaupt noch möglich sein? Und hätten sie Aussichten auf eine Urteilsfindung in Europa, wenn  die als soziale Netzwerke  bezeichneten Plattformen die öffentliche Information und Meinungsbildung dominierten? Die sogenannte „Generation Z“, also die nach 1995 Geborenen, nutze zu zwei Dritteln diese Netzwerke zur täglichen Information, ist zu lesen. Funktioniert unter diesen Bedingungen, wenn sie denn lange genug herrschen, überhaupt noch so etwas wie eine Zivilgesellschaft, wie wir sie kennen?

Gesetzt den Fall eines Putin-Tribunals: Was würden Verteidiger zur Entlastung anbieten? Würden sie beispielsweise fragen, ob man sich an Telefongespräche etwa mit dem US-Präsidenten oder mit dem brasilianischen Präsidenten erinnern könne, in denen Putin echten Frieden angeboten hätte? Könnte man sich daran erinnern, würde gefragt werden, ob Putin überhaupt von sich aus Anrufe solcher Art und Zielsetzung geführt habe? Keinesfalls? Auch mit Repräsentanten der Bundesrepublik nicht?

Vielleicht würden Anwälte vor Gericht in Den Haag danach fragen, ob Putin sich bestärkt gefühlt habe durch Stimmen aus dem Ausland, die gefordert hatten, die Ukraine nicht mit Waffen zu versorgen.

Man würde gewiss die Archive öffnen und öffentlich betrachten, was während der Kriegszeit an Relevantem und weniger Relevantem vorgeschlagen, gefordert oder auch verschwiegen worden ist. Verschwiegen? Vorsicht. Denn das digitale Zeitalter hat ja die Eigentümlichkeit, dass nichts vergessen wird, nichts mehr unbemerkt vom Tisch der Öffentlichkeit fällt. Das könnte für manche Zeitgenossinnen und …genossen recht blamabel werden.

Sollte das Regime Putins freilich den Angriff- und Vernichtungskrieg gegen die Ukraine gewinnen und das Land untergehen, würde es keine Ahndung der damit verbundenen Verbrechen geben. Den Haag würde nicht aktiviert. Man müsste dann schon darauf hoffen, dass ein „russischer Krstic“ von sich aus und ohne Verurteilung das Schweigen bricht. Die Geschichte kann ja mitunter ziemlich hinterlistig sein.

Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

1 Kommentar

  1. Als jemand, der sich seit sehr langem mit Jugoslawien und dem bestialischen Zivilisationseinbruch beschäftigt hat, interessiert mich das Geständnis an sich sehr. Ich wäre dankbar, wenn der Text und seine Umstände veröffentlicht würden.

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