Womit „Make America Great Again“ endet, beginnt „Wieder nach vorne“, der Wahlslogan der CDU. Trumps MAGA und die Merz-CDU sind, überflüssig zu sagen, nicht dasselbe, ziehen allerdings am gleichen Strang: der Wiederauferstehungs-Botschaft. Der CDU-Slogan kommt als abwaschbarer Werbespruch daher, versucht aber, ganz auf der Linie des neuen Grundsatzprogramms, eine Weichenstellung, wie sich an dem Zusammengehen mit braunen Remigrations-Politikern zeigt. Das „Wieder“ ruft alle drei Zeiten auf – die Gegenwart, viel schlimmer dargestellt, als es empirischen Fakten entspricht, eine Vergangenheit, glorreicher gemalt, als sie je war, und eine Zukunft, verheißungsvoller geschildert, als sie je sein wird. Der Plot der Wiedergroßwiedervorn-Erzählung umfasst Sündenböcke, die an der desaströsen Gegenwart schuld sind, und den Retter, der die Wiederkehr guter alter Zeiten in einer Zukunft verheißt, in der „wir wieder wer sind“, „wieder stolz sein können auf unser Land“.
„Morgen werden wir die Katastrophe und den Niedergang unserer Nation in den vergangenen Jahren beenden“, verkündete Donald Trump beim Candle-Light-Dinner am Abend vor seiner Machtübernahme und leitete dann am 20. Januar 2025 seine Antrittsrede als US-Präsident ein mit „Das goldene Zeitalter Amerikas beginnt genau jetzt“. Woher kommt die Wiederauferstehungs-Politik? Wozu dient sie? Woraus entspringt ihre Anziehungskraft?
Der harmlose Name Wettbewerb
Unsere globalisierte Gesellschaft – sozialwissenschaftlich oft mit dem Attribut „modern“ charakterisiert, andere nennen sie „marktwirtschaftlich“, Linke am liebsten „kapitalistisch“ – ist angetreten mit und wird getragen von einer Fortschrittsidee: Die Menschen befreien sich von jeder Bevormundung, nehmen ihre Geschichte selbst in die Hand und erzielen laufende Verbesserungen ihrer Arbeit (mit Produktivitätssteigerungen) und ihrer Kommunikation (mit Informations-, Meinungsfreiheit und neuen Verbreitungsmedien). Es ist nicht bei der Idee geblieben. Innovationen wurden und werden vorangetrieben in der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Bildung, der Medizin, der Mobilität wie auch der Kunst und des Sports. Jeder Blick in Geschichtsbücher bestätigt, dass die zurückliegenden 250 Jahre gekennzeichnet sind von vielfach potenzierten Leistungen, wachsenden Reichtümern und einem deutlich erhöhten allgemeinen Wohlstand in weiten Teilen des Planeten.
Wie die Frage „welchen Tag haben wir heute“ die Nacht verschweigt, so unterschlagen die Erfolgsmeldungen über Fortschritte, wie diese zustande kommen. Redner und Schreiber begrüßen das Erreichen des nächsten Ziels, loben das Mehr, das Schneller, das Höher. Verdrängt wird, was auf dem Weg dorthin alles passiert. Moderne Optimierungsprozesse vollziehen sich nicht als kontrollierte gemeinsame Anstrengungen aller mit allen, rücksichtsvoll gegenüber Schwächeren und ressourcenschonend mit Blick auf künftige Generationen. Der harmlose Name Wettbewerb beschönigt, dass fairer Wettstreit vielleicht partiell stattfindet, während generell ein Verdrängungswettbewerb im Gange ist. Moderner Fortschritt ereignet sich primär als mehrdimensionaler Konkurrenzkampf: Zwischen Personen, die um ihrer Karriere willen andere hinter sich lassen wollen; zwischen kapitalistischen Organisationen, die eigene Vorteile daraus ziehen, andere zu benachteiligen und die Natur auszubeuten; zwischen Staaten, die ihren Reichtum und ihre Macht mit kolonialen und imperialen Eroberungen (Territorien, Menschen, Bodenschätze, Daten) ausdehnen.
Proklamiert wird Fortschritt als große gemeinsame Leistung für kollektives Glück, praktiziert wird er als Konkurrenzkampf mit zwei Gesichtern, dem zivilisierten des Vertrages (im Rechtsstaat sind auch Gesetze, an der Spitze das Grundgesetz, Verträge; sie binden auch den Gesetzgeber) und dem rücksichtslosen bis gewalttätigen der Vorteilsnahme. Mit Verträgen wird vereinbart, wie man sich im Gegeneinander miteinander vertragen will. Auch wenn die stärkere Seite Vertragsbedingungen zu ihren Gunsten durchsetzt, handelt es sich doch um Kooperationen zwischen Vertragspartnern, die ihre Interessen einbringen können. Die einen mehr, andere weniger, aber ohne wechselseitige Anerkennung und allseitige Kooperationsbereitschaft kommen Verträge nicht zustande. Das ist bei feindlichen Übernahmen und kolonialen Eroberungen anders. Deutschlands Kolonialgeschichte begann mit dem Ruf nach einem „Platz an der Sonne“ (Bernhard von Bülow), also dort, wo die vorderen Plätze sind.
„Historiker betrachten die Kolonialgeschichte heute kritisch, denn sie war vor allem eine Geschichte der globalen Ausbeutung und der Gewalt gegenüber den indigenen Bevölkerungen. Die Wirtschaft in den Kolonien beruhte in der Regel auf Zwang und es kam immer wieder zu Aufständen (zum Beispiel den Maji-Maji-Aufstand in den Jahren 1905 bis 1907), auf welche die Kolonialmächte mit Brutalität reagierten. Die Europäer rechtfertigten Herrschaft und Gewalt durch rassistische Theorien. Die europäische Kultur galt als einzigartig und überlegen, während die indigene Bevölkerung als „rassisch“ unterlegen dargestellt wurde. Sklaverei, Völkermord und andere Formen der Gewalt wurden auf diese Weise legitimiert.“ (statista)
Ziel und Weg geraten in unserer Gesellschaft immer wieder in Konflikte. Allgemeinen Fortschritt via Konkurrenzkampf zu erzielen, erzeugt eine dunkle Seite der Moderne, auf der sich Verlierer sammeln, Krisen ausbrechen, Kriege geführt werden. Natürlich können Sieger erzählen, dass es dank des Konkurrenzkampfes auch Verlierern besser geht – „wenn die Pferde mehr Hafer bekommen, fallen auch mehr Pferdeäpfel für die Spatzen ab“ – , aber der sich ausbreitende Schrecken bleibt nicht verborgen. Kaum eine Nachrichtensendung kommt an Zusammenbrüchen, Hungersnöten, Flüchtlingselend, Umweltkatastrophen vorbei. 2006 schrieb Jens Jessen, der damalige Leiter des ZEIT-Feuilletons:
„Sämtliche Autoren, die wir zur ‚Zukunft des Kapitalismus‘ befragten, ob Wissenschaftler, Philosophen oder Schriftsteller, ob aus Europa, Amerika oder der Dritten Welt, ob Konservative, Liberale oder Linke, waren sich darin einig, dass der Kapitalismus, der dem Westen Jahrzehnte märchenhaften Wohlstandes beschert hat, heute nur mehr als Bedrohung wahrgenommen werden könne.“ (Jens Jessen (Hrsg): Fegefeuer des Marktes. Die Zukunft des Kapitalismus. Bundeszentrale für politische Bildung, 2006, S. 107f.)
Zwischenbemerkung: Der Weg der Konkurrenz war nie unbestritten, seine finstere Variante ohnehin nicht, auch seiner zivilisierten wurde stets widersprochen. „Solidarität statt Konkurrenz“ fordern Kommunitaristen und Sozialisten. Mehrheitliche Überzeugungskraft hat der solidarische Weg (aus hier nicht zu diskutierenden Gründen) bisher nicht entwickeln können. Lassen wir ihn links liegen.
Abstiegssorgen der Platzhirsche
„Ein Konkurrent ist jemand, der mit Ihnen um die gleiche Sache kämpft. Sie teilen sich Aufmerksamkeit, Kunden, Aufträge, Ressourcen und Marktanteile“, weiß die Ideenfabrik. Kein Akteur, weder Personen, noch Organisationen, noch Staaten, gewinnt jede Konkurrenz auf jedem Gebiet, ist immer der Größte, bleibt stets vorne. Akteure aus der zweiten und dritten Reihe holen auf, Sieger übersehen, wie ihre Erfolgspfade zu Sackgassen werden, Unterdrückte sammeln Kräfte für Widerstand. Aktuelles Beispiel: Die chinesische KI DeepSeek versetzt das Silicon Valley gerade in helle Aufregung.
Machen sich bei Platzhirschen Abstiegssorgen breit, müssen sie um ihren Platz an der Sonne bangen, geht es los. „Es muss gespart werden“, tönt es aus den Villenvierteln an die Adressen der Mietwohnungen und Schrebergärten. „Wir brauchen wieder mehr Wachstum“, rufen die Sonnenplatzhungrigen und fordern Kürzungen – der Sozialhaushalte. Die Zeit für die Wiedergroßwiedervorn-Erzählung bricht an. Sie dreht den Spieß um, sie nimmt nicht den Kapitalismus als Bedrohung wahr, sondern sieht dessen Kraftentfaltung im eigenen Land bedroht.
Für Protagonisten der Politik der Wiederauferstehung können zwei Dinge nicht sein, weil sie nicht sein dürfen: Dass Leben und Arbeiten nicht als Konkurrenzkampf stattfinden und dass sie selbst nicht auf der Gewinnerseite stehen. Sie können sich zwar nichts anderes als Konkurrenz vorstellen, wollen aber deren Logik nicht akzeptieren, denn das Verlieren schließen sie für sich aus. Um Niederlagen zu verhindern – ereignen sie sich trotzdem, muss die andere Seite betrogen haben –, sind sie allzeit bereit, die dunklen Wege zu nehmen. Vertrag oder Vorteilsnahme ist keine Alternative für sie, sondern eine Frage der Gelegenheit. Entweder bekommen sie Verträge zu ihrem Vorteil oder sie schieben alle Vereinbarungen beiseite und gehen auf Eroberungen aus, um ihre Interessen eigenmächtig durchzusetzen, bei Bedarf auch militärisch. Es kommt auf die Umstände an, wie viel Größenwahn sich Bahn bricht. Säße Trump im Kreml, hieße er Putin.
Europäische Schwächlinge und ihr Brandmauer-Fimmel
Aus ihren Sympathien für ein Recht der Stärkeren macht die Wiedergroßwiedervorn-Politik keinen Hehl. „Trumps Raubtierinstinkten steht die Milde der europäischen Sozialarbeiter gegenüber“, schreibt NZZ-Chefredakteur Eric Gujer. Es sei klar, wer gewinnt. „Das Mantra der sozialen Gerechtigkeit hat die einfache Wahrheit verdrängt, dass es Gewinner und Verlierer gibt.“ Gujer ist tief beeindruckt von Trump und schwer enttäuscht von europäischen Politiker:innen, die „Schwache fördern“ und vom „Brandmauer-Fimmel“ befallen sind. Egozentrische Rücksichtslosigkeit gewinnt gegen respektvolle Verständigung – wer hätte das gedacht. Als Momentaufnahme hat diese banale Logik alles für sich. Die Frage ist doch, wie es weitergeht, wohin es mittel- und langfristig führt, und die Antwort darauf ist genauso logisch, nämlich zu gewalttätigen, am katastrophalen Ende kriegerischen Auseinandersetzungen.
Die Wiedergroßwiedervorn-Politik wurde nicht im 21. Jahrhundert erfunden, sie gehört zur modernen Gesellschaft wie Maschinen und Großstädte. Von Anfang an koexistieren (mehr oder weniger) faire Vereinbarungen und gewissensfreie Vorteilsnahme. Den Befürwortern grobschlächtiger Brutalität stehen Anhänger zivilisierter Humanität gegenüber, die es nicht fassen können. Ungläubiges Kopfschütteln und Nichtwahrhabenwollen leisten Schrittmacherdienste auf dem Weg zur dunklen Seite der Moderne. Blockieren können ihn couragiertes Gegenhalten, entschiedenes Festhalten an demokratischen Standards und volle Kraft voraus für den Rechtsstaat.