Der Weg zurück zu Kohle, Gas und Atom hat keine Zukunft

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Nach dem Wort- und Tabubruch von Friedrich Merz, mit Zustimmung der AfD sein Fünf-Punkte-Programm der Asylverweigerung und totalen Grenzschließung beschließen zu lassen, und dem Versuch, dies bei dem „Zustrombegrenzungsgesetz“ ebenfalls zu tun, sind Migrationspolitik und die Zusammenarbeit mit der AfD ins Zentrum öffentlichen Interesses gerückt. Dennoch bleibt die Lage der Wirtschaft ein zentrales Thema. 80 Prozent halten laut einer Forsa-Umfrage (ntv vom 28.01.2025) an erster Stelle wirtschaftliche Probleme für wichtig. Verbunden damit ist die Angst um Einkommen und Arbeitsplätze. Das ist kein Wunder, wenn man die vielen Meldungen über Beschäftigtenabbau, der unmittelbar vollzogen oder langfristig geplant wird, im Ohr und vor Augen hat.

Quer durch verschiedene Branchen haben renommierte deutsche Firmen einen Abbau von Zehntausenden von Arbeitsplätzen angekündigt. Bei alldem gerät leicht aus dem Blick, dass Deutschland 2024 mit 35,23 Millionen sozialversicherungspflichtigen und 7,68 geringfügig entlohnten Beschäftigen jeweils einen Höchststand erreicht hatte. Beruhigen kann das aber nur begrenzt. Nach den neuesten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit vom 31. Januar 2025 sind fast 3 Millionen Menschen arbeitslos, fast 190.000 mehr im Vergleich zum Januar 20241. Zudem sind Einstellungen weiter zurückgegangen. Beschäftigung und Arbeitslosigkeit entwickeln sich langfristig: Das neueste Arbeitsmarktbarometer des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vom 29.01.2025, in dem Arbeitslosigkeit und Beschäftigungsaufbau zusammengefasst werden, zeigt den fünften Rückgang in Folge und damit den niedrigsten Stand außerhalb der Corona-Jahre. „Es sieht nicht gut aus am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit steigt im dritten Jahr…Wir haben Rekordbeschäftigung, aber der Trend ist abgeknickt. Zurück in die Erfolgsspur kommt der Arbeitsmarkt nur mit positiven wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven in der Transformation“, erklärt Enzo Weber vom IAB2.

Exportschwäche, Digitalisierung, Dekarbonisierung

Schon seit 2022 ist der Beschäftigungszuwachs gering und die Arbeitslosigkeit steigt. Für das zukunftsgerichtete politische Handeln ist besonders wichtig, was die Ursachen der wachsenden Beschäftigungsprobleme sind. Darüber gibt eine aktuelle Publikation des IAB-Aufschluss, die auf der monatlichen Umfrage der Bundesagentur für Arbeit bei den regionalen Agenturen basiert3. Konjunkturelle Probleme werden weiterhin als dominierend angegeben. Aber die Verdreifachung der von den Arbeitsagenturen genannten „strukturellen Probleme“ aufgrund von Transformation und „regionalen Besonderheiten“ ist auffällig. Besonders betroffen sind die industriellen Arbeitsplätze. Ebenso bemerkenswert ist, dass sich der Beschäftigtenabbau ebenso wie der Rückgang der Zahl offener Stellen vor allem in den kleineren Betrieben vollzieht, und zwar nicht, wie oft der Eindruck erweckt wird, weil Betriebe in Konkurs gehen oder die Nachfolge nicht funktioniert. Entscheidend ist, dass die Zahl der Neugründungen „noch nie so niedrig war wie heute“4. Soweit die Bundesagentur für Arbeit und ihr Forschungsinstitut.

Seit mehr als einem Jahrzehnt wird über die Folgen der Digitalisierung für die Zahl der Arbeitsplätze, den Wandel der Arbeitsbedingungen und den industriellen Strukturwandel diskutiert5. Der prognostizierte Kahlschlag an Arbeitsplätzen ist bis heute nicht eingetreten. Das deutsche Geschäftsmodell hat über lange Jahre auch den Folgen der Corona-Pandemie und dem Verlust billiger Energie aufgrund des russischen Angriffskrieges getrotzt. Aber jetzt zeigt sich der Einbruch in einer Mischung fortwirkender konjunktureller Probleme und struktureller Risiken. Die Exportschwäche, Digitalisierung und Dekarbonisierung wirken zusammen. Gleichwohl sind Horrorszenarien unangebracht, denen sich teilweise auch die Unions-Parteien anschließen: Dass Deutschland „am Rande des wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenbruchs taumelt“ (Elon Musk 28.12.2024 in Die Welt), „von einem wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Niedergang geprägt „ist (AfD-Wahlprogramm). Die Lage ist ernst, aber die Handlungsmöglichkeiten für ein bessere Zukunft liegen auf dem Tisch.

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Anderes Wachstum, weniger Arbeit, weniger Konsum

Dabei sollten wir zur Kenntnis zu nehmen, das altbekannte Geschäftsmodell, das uns Wohlstand ermöglich hat – Wirtschaftswachstum via Import billiger Energie und Rohstoffe, Veredelung mit qualifizierter Ingenieurleistung und Facharbeit plus Export hochwertiger Industriegüter –, gehört wohl der Vergangenheit an. Ein zukunftsträchtiges Modell braucht viele Komponenten: eine ökologisch ausgerichtete und sozial gesicherte Transformation, die eine grüne Energiewende und Dekarbonisierung weiter vorantreibt, den Binnenmarkt deutlich stärkt, dem Investitionsbedarf im eigenen Land endlich Rechnung trägt und die veränderten Rahmenbedingungen der Globalisierung beachtet, die Lieferketten und die Absatzmärkte diversifiziert, Marktführerschaft in neuen industriellen Feldern, aber auch in Dienstleistungen sucht und dafür auch den Arbeitsmarkt organisiert. Und auch eine Debatte darüber, ob ein anderes Wachstum, weniger Arbeit und Konsum bei einer anderen, gerechteren Verteilung von Arbeit und Einkommen, nicht der Umwelt und dem Klima mehr als guttäte.

Deutschland ist gefordert, den Weg der Energiewende konsequent weiterzugehen mit dem Ausbau regenerativer Energiequellen und smarter Vernetzung sowie der Entwicklung von Speichermöglichkeiten. Damit wird Energie auf Dauer billiger und der Grad der Autonomie erhöht. In dem Ausbau von Konzepten einer CO²-freien Gewinnung, Speicherung und Verteilung von Strom kann ein industrieller Bereich entstehen, der in einer gewandelten Welt sinnvoll exportfähig ist. Allen, die glauben, wir müssten bei Umweltschutz und Klimawandel keine Vorreiter sein, ja es schade der Wirtschaft, sei gesagt, dass die Vergangenheit das Gegenteil beweist: Ein Kennzeichen des Standorts Deutschland war immer, etwas voraus zu sein. Davon haben die Automobilindustrie, der Maschinenbau und die chemische Industrie über Jahrzehnte gelebt, teilweise bis heute. Warum soll das für CO²-frei Energiegewinnung und entsprechende Produktionsprozesse nicht gelten? Trotz aller auch herber Rückschläge, gehört der dekarbonisierten Produktions- und Lebensweise die Zukunft. Der Weg zu Kohle, mehr Gas und Atom hat keine Zukunft.

Das Herzstück: ein stärkerer Binnenmarkt

Wirtschaft und Beschäftigung müssen sich wieder stärker auf den Binnenmarkt ausrichten. Das verlangt, die heimische Kaufkraft zu stärken, mit einem höheren Mindestlohn, mit Tarifabschlüssen, die die Inflation deutlich übertreffen, mit der Ausweitung der Tarifbindung als politische Aufgabe und mit Steuerentlastungen, die sich auf die niedrigeren und mittleren Einkommen konzentrieren. Eine solche konsumorientierte Strategie kann nicht nur zu einer zu einer besseren wirtschaftlichen Zukunft beitragen, sondern auch ein kurzfristig wirkender Baustein sein.

Screenshot: Website Deutsche Bahn

Das Herzstück eines stärkeren Binnenmarktes liegt in den Investitionen, die vorhandenen Bedarfen entsprechen, Arbeit schaffen, Kosten senken, Steuereinnahmen erhöhen. Es handelt sich um die seit rund 20 Jahren sträflich vernachlässigten Investitionen in Bau und Bahn, in analoge und digitale Infrastruktur, in Bildung und Gesundheit. Der Investitionsrückstand wird von den Städten, Gemeinden und Landkreisen auf 186,2 Milliarden Euro berechnet6, mit Schulen, Straßen, Feuerwehr und Kinderbetreuung als wichtigsten Punkten. Der Betrag klingt auf den ersten Blick hoch, ist aber bei einem Bruttosozialprodukt von 4,3 Billionen Euro und einer Staatsverschuldung von 64 Prozent des BIP (gegenüber weit über 100 Prozent in Spanien, Frankreich und Italien, 126% in den USA und über 250% in Japan) verkraftbar.

In Deutschland fehlen Hunderttausende Wohnungen. Die Annahmen schwanken zwischen 600.000 im Jahr 2024, steigend bis auf 830.000 in 2027 7, oder wesentlich drastischer die Schätzung der Hans-Böckler-Stiftung mit ca. 2 Millionen fehlenden „günstigen“ Wohnungen8. Wohnraummangel und Mietsteigerungen sind Ursachen für verbreitetes Politikverdrossenheit und zunehmende Obdachlosigkeit. Sie verschärfen auch die Migrationsdebatte und eine Ursache für zunehmende Obdachlosigkeit. Das ist ein Feld, in dem Bürokratieabbau und Innovationen für preiswertes Bauen mit staatlicher Förderung vorangetrieben werden können.

Absurde Diskussion

Die Investitionsbedarf im Bildungsbereich ist hinlänglich bekannt. Die Schulgebäude sind oft veraltet und zu klein, die Zahl der Klassenräume zu gering, die technische und die digitale Ausstattung mangelhaft. Die KfW schätzte 2022 den Investitionsrückstand auf 45 Milliarden Euro9. Das ist keine Größenordnung, die erschrecken muss. Hinzu kommt der Mangel an Lehrer:innen ebenso wie Sozialarbeiter:innen, die bei steigendem Schüler-Anteil mit Migrationshintergrund Integration und Inklusion bewältigen sollen. Welch absurde Diskussion führen wir eigentlich, an die totale Schließung der deutschen Grenzen zu denken, die nie gelingen wird, rechtswidrig ist, Europa auseinandertreibt und nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei bis zu 40.000 zusätzliche Beamte der Bundespolizei erfordert, anstatt an 40.000 zusätzliche Stellen im Sozial- und Bildungsbereich zu denken, damit Schule besser wird, Integration und Inklusion gelingt?

Die zusätzlichen Kosten, die die marode Infrastruktur bei Straßen, Bahn und Brücken oder die fehlende Infrastruktur bei der Digitalisierung verursachen, plus die gleichzeitigen fehlenden Steuereinnahmen sind kaum berechenbar. Jeder Tag der Verzögerung, jeder Tag, an dem die Ausrede gilt, jüngere Generationen nicht mit höherer Verschuldung zu belasten, ist absurd. Wir belasten sie doppelt: Durch das Leben unter schlechten Bedingungen heute und noch höhere finanzielle Belastungen morgen, wenn eines Tages Schleusen nicht mehr funktionieren, Brücken einstürzen und Straßen nicht mehr befahrbar sind. Deutschland ist jetzt nicht in einem Katastrophenzustand, aber er kann kommen, wenn nicht umgehend Investitionsoffensiven gestartet werden.

Der als Hindernis beklagte Arbeits- und Fachkräftemangel kann behoben werden: Durch eine höhere Quote von Bildungsabschlüssen (15% eines Jahrgangs sind seit ca. ein Jahrzehnt ohne jeden Abschluss), durch eine höhere Frauenerwerbsquote mit kürzerer Vollzeit für alle und besserer Kinderbetreuung, sowie bessere Regelungen für Arbeitsmigration (hier ist Bürokratieabbau geboten) und eine Arbeitserlaubnis für alle Asylbewerber.

Natürlich wird die Transformation – um zum Ausgangspunkt zurückzukehren – mit einem weitreichenden Wandel der Arbeitsgesellschaft einhergehen. Transformation fordert daher nicht nur Hilfen für die Unternehmen bei Investitionen und Innovationen, sondern auch für die Beschäftigten. Die Instrumente vorhanden: Arbeitslosengeld und Qualifizierungshilfen, Kurzarbeiter- und Qualifizierungsgeld. Sie müssen sicher zu einem Konzept umfassender Qualifizierungs-Transformation weiterentwickelt werden. Es geht nicht um „sozialverträglichen“ Abbau, sondern um einen zukunftsfördernden Umbau in der Qualifikation der Beschäftigten.

Ein Kennzeichen der gegenwärtigen Weltlage sind Änderungen in der Globalisierung. Am Ende wird eine neue Organisation der Globalisierung stehen.10 Die wirtschaftliche Belebung kann aber nicht nur oder zuallererst Aufgabe des Staates sein. Die Unternehmen selbst müssen Innovationen vorantreiben, Lieferketten diversifizieren, neue Märkte erschließen, energiesparende und umweltschonende Produkte und Produktionsprozesse weiterentwickeln.

Gewinnt das neoliberale Modell die Oberhand?

Die Programme der politischen Parteien zur Belebung der Wirtschaft liegen vor. Die Unionsparteien und die FDP wollen Steuern für Unternehmen und Besserverdienende senken, mehr Einkommen an mehr Arbeitszeit koppeln und das Tempo der Energie- und Klimawende bremsen bzw. stoppen. Sie wollen zwar staatliche Investitionen, aber die Schuldenbremse beibehalten und private Investitionen, ohne sie zu fördern. Dieser Weg wird, bestenfalls kurzfristig ein Strohfeuer entfachen, aber bald steigende Arbeitslosigkeit und Sparprogramm zu Lasten des Sozialstaates und zur Sicherung der Gewinne zur Folge haben. Die 1980er und 1990er Jahre lassen grüßen.

SPD und Grüne wollen die unteren und mittleren Einkommen steuerlich entlasten, den Weg der Energie- und Klimawende mehr oder weniger fortsetzen, staatliche Investitionen durch eine Reform der Schuldenbremse sowie durch Sondervermögen und private Investitionen, die arbeitsplatzwirksam sind, durch unterschiedliche Fondsmodelle finanzieren. Das mag angesichts der Dimension des Strukturwandels und der globalen Herausforderungen gering erscheinen. Aber es verbaut den Weg in eine Zukunft nicht, die Arbeitsplätze sichert, Natur und Umwelt und gesellschaftliche Debatten über weiterreichende Änderungen ermöglicht. .

Die absehbaren politischen Mehrheiten lassen befürchten, dass das neoliberale Modell Oberhand gewinnt und mit seinen negativen Folgen für Sozialstaat und Umwelt weiterer Radikalisierung den Boden bereitet. Hinzu kommt, dass die Hauptakteure der kapitalistischen Wirtschaft, aktuell deutlich in den USA, nicht erkennen,, dass zunehmende soziale Ungleichheit und drohende ökologische Verwüstung auch Gewinnmöglichkeiten massiv begrenzt – es sei denn, man hat die soziale Gesellschaft und die liberale Demokratie grundsätzlich verlassen und lebt seine asozialen und libertären Zukunftsphantasien aus vom Ewigen Leben, von schrankenloser Freiheit auf dem Mars und von gesicherten Inseln einer ökologisch und sozial verwüsteten Erde.


1  Arbeitsagentru.de/presse Presseinfo Nr. 6, 31.01.2025
2  www.iab.de/daten/iab-arbeitsmarktbarometer Januar 2025 vom 29.01.2025
3  www.iab.forum.de: Konjunktur und Transformation: die kritische Gemengelage am Arbeitsmarkt von Christian Hutter und Enzo Weber
4  Ebd.
5  Die Studie von Carl Benedikt Frey und Michel Osborne The Future of Employment: How suscetible are jobs to computerisation? Working Paper, OXFORD Martin School, www.oxfordmartin.ox.ac.uk; deutsche Adaption: Forschungsbericht 455; Übertragung der Studie Frey/Osborne (2023), WWW.bmas.de 2015
6  Chart in der Sendung „hart, aber fair“ vom 27.01.2025
7  www.statisa.com, Prognose zur kumulierten Neubaulücke und damit einhergehendem Wohnungsmangel bis 2027, auf der Grundlage des Berichts des Rates
8  www.boeckler.de/auf-einen-Blick: Wohnungsnot in Deutschland
9  www.kfw.de/KfW-Research Pressemitteilung vom 13.09.2022
10 G. Felbermeyer/ G. Wolff, Wohin steuert die Weltwirtschaft? Internationale Politik. Das Magazin für globales Denken Jg. 18, Heft Januar/Februar, S. 18-25.

Klaus Lang
Dr. Klaus Lang studierte Katholische Theologie, Psychologie und Politik. Er war zunächst Pressesprecher des Vorstandes der IG Metall, 1981 wurde er Leiter der Abteilung Tarifpolitik, später leitete er die Abteilung des 1. Vorsitzenden und war Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, 2003 wurde er Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Er ist Mitglied im Rat der Stiftung Menschenrechte, der Förderstiftung von Amnesty International und im Sozialethischen Arbeitskreis Kirchen und Gewerkschaften.

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