Wenn Journalismus Unsinn blühen lässt

Bild, KI generiert

Einer meiner Schulfreunde sagte, wenn ihm blühender Unsinn vorgesetzt wurde, über welchen er nur ungläubig staunen konnte: Ich glaub, meine Oma hat´s mit Elvis. Der Spruch fiel mir ein, als ich dem „Gespräch“ folgte, welches die beiden ZDF-Moderatorinnen Bettina Schausten und Anne Gellinek am 10. Februar mit der Kanzlerkandidatin der AfD, Dr. Alice Weidel, führten. Frau Weidel  tischte nicht nur die verrückten Steuersenkungspläne ihrer Partei auf, sondern sprach sich auf der Verwendungsseite des Sozialproduktes für ein Rentenniveau von 70 v.H. statt der noch geltenden 48 v.H. aus. Was es damit auf sich hat, ist aufschlussreich.

Die 48 v. H. erreicht nur derjenige und diejenige, die 45 Jahre lang ununterbrochen Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben; und zwar fortwährend Beiträge in der Höhe, die dem statistischen Durchschnittseinkommen entsprechen. Diesem 48iger Niveau liegt der jährlich neu festgesetzte Rentenwert zugrunde. Der beträgt gegenwärtig 39,32 €. Die Zahl der mit Beiträgen belegten Arbeitsjahre wird mit diesem Rentenwert multipliziert. Das  ergibt mit einigen Ergänzungen je nach Lebensweg die spätere Rente.

Die Mathematiker der Rentenversicherung tun mit Blick auf den Rentenwert folgendes: Sie stellen fest, wie sich die durchschnittlichen Löhne des letzten Jahres im Vergleich zum vorletzten Jahr geändert haben. Der so ermittelte Wert des letzten Jahres wird durch den des vorletzten Jahres geteilt. Gerechnet wird hierbei mit den Einnahmen- Summen der Versicherung. Außerdem wird gegebenenfalls ein Nachhaltigkeitsfaktor einbezogen: Der wird aktiviert, wenn sich das  Verhältnis zwischen Beitragszahlenden und Rentnern stärker zu Ungunsten der Beschäftigten ändert. Das Rentenrecht sichert so, dass die Rentner und Rentnerinnen am steigenden Erwerbseinkommen teilhaben.

Der Eckrentner – also der mit 45 Renten-Versicherungsjahren zum Durchschnittsverdienst bekäme gegenwärtig ein Altersruhegeld von knapp 1800 €. Mit einem Niveau von 70 v.H. läge die Eckrente bei knapp 2500 €.

Jetzt rechnen sie uns das bitte mal vor

Wie will Frau Dr. Weidel ein Rentenniveau von 70 erreichen?. Sie spricht an einer Stelle von der Produktivität. Um ein von ihr genanntes und zugesagtes Rentenniveau von 70 v.H. herzustellen, müsste die Arbeitsproduktivität verdreifacht bis vervierfacht werden. Sie könnte auch eine willkürliche, einfach gesetzte Veränderung in die Rentenformel einsetzen. So könnte sie ebenfalls auf 70 v.H. beziehungsweise die 2500 € kommen.

Gewundert habe ich mich bis zur Erinnerung an pubertäre Jahre, weil keine der beiden gutbezahlten Moderatorinnen sagte: Jetzt rechnen sie uns das bitte mal vor!  Die Menschen vor den Bildschirmen möchten schließlich wissen, wie sie das  machen. Ist ja keine Kleinigkeit, die sie da vorhaben.

Das passierte aber nicht. Die beiden gestatteten der Volkswirtin Weidel Ausweichen auf das Argument: Es komme darauf an, von welchen Bedingungen man ausgehe. (und im Übrigen erzeugte Frau Weidel vor einem Millionenpublikum den stillen Eindruck, Ihr beiden seid sowieso zu doof, um zu verstehen) Diesen großzügigen Umgang des öffentlich-rechtlichen Fernsehens mit Aussagen hätte ich dem Herrn Habeck gewünscht, als der dazu riet, Zinsen aus Kapitalanlagen einer Beitragspflicht zu unterwerfen. Da konnte es nicht genau genug gehen. Von ähnlicher Qualität wie der Schausten-Jellinek-Journalismus gegenüber Weidel waren, bezogen auf die Zukunft der Pflegeversicherung, Maischberger-Illner gegenüber Scholz und Merz . Mit mal eben drei Minuten Zeitaufwand haben diese ebenfalls gut bezahlten Frauen die Probleme in der Pflegeversicherung abgehandelt.

Nun sind das vorübergehende Ereignisse. Die ließen sich in den nächsten Tagen  während ähnlicher Wahlkampf-„Duelle“ korrigieren. Wenn man das wollte. Darüber hinaus kommt aber noch einiges auf uns alle zu: Laut MSN (Microsoft Network), das sich dabei wiederum auf den Tagesspiegel stützt, hat die Intendantin des Westdeutschen Rundfunks (WDR), Katrin Vernau, vor wenigen Tagen, bekräftigt,, dass aus ihrer Sicht auch Positionen der AfD in den Programmen des WDR dargestellt werden müssen“. „Wenn die AfD mit ihrem politischen Angebot nicht vorkommt, fühlen sich Menschen, die diese Partei wählen, nicht abgebildet“, erklärte Vernau. 

Ist das so einfach? Dazu fällt mir nur der zweite Spruch meines ungläubigen Schulfreundes ein: Bin ich vielleicht Jesus? Wächst mir Gras in der Tasche?

Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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