Bewährungsprobe für die bürgerlichen Eliten

Nach dieser Wahl: eine Zeitenwende ohne Pardon und Ausreden. Zwei narzisstische Männer mit Großmachtphantasien glauben, die Welt mit ihren „deals“ beherrschen zu können: Bedenken gegen einen Diktatfrieden in der Ukraine oder eine gigantische Umsiedlung der Millionen Palästinenser aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland lässt der US-Präsident als „moralischen Müll“ auf den Haufen der Geschichte werfen. Der einstige KGB-Mann Putin und der gewählte „Dealer“ Trump setzen sich mit militärischen Mitteln oder „Executive Orders“ über das Völkerrecht und eine internationale Ordnung hinweg, die mühsam genug nach zwei Weltkriegen mit Millionen von Toten, die meisten in Russland, und grausamsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit zustande gekommen ist. Zwischen diesen beiden Männern die Europäer, in deren Ländern die beiden Weltkriege gewütet haben, unter anderen in Tschechien, Polen, dem Baltikum, der Ukraine, Griechenland, Frankreich. Und mitten drin Deutschland, das zweimal Kriegstreiber war. Politische, wirtschaftliche und militärische Eliten aus dem konservativen deutschen Bürgertum und dem Adel haben beide Katastrophen nicht verhindert. Das ist eine historische Belastung, die bis in die Gegenwart reicht.

Und in diesem Moment, nach dieser Wahl mit dem dramatischen Ruck nach rechts fällt dieser bürgerlichen Elite die Verantwortung für die liberale Demokratie zu, für ein Weitergelten rechtstaatlicher Regeln, für einen Zusammenhalt der EU, für ein neues Vertrauensverhältnis zu Frankreich und Polen vor allem, für ein Verteidigungsbündnis mit oder vielleicht auch ohne die Vereinigten Staaten von Amerika. Diese Herausforderungen treffen einen Friedrich Merz, der keinerlei Regierungserfahrung hat, aber durch seinen zehnjährigen Vorsitz in dem einflussreichen Think Tank „Atlantik-Brücke“ mit Wirtschaft, Medien und Politik hierzulande und in den USA bestens vernetzt ist. Was diese deutsch-amerikanischen Verflechtungen in Instituten wie dem Aspen Institut oder Stiftungen wie dem German Marshall Fund wirklich wert sind und ob sie den Furor aus Washington beeinflussen können, wird jetzt zu beweisen sein. Die Zeit der Wertebeschwörung und der unverbindlichen „meetings“ in vornehmen Clubs ist vorbei. Die konservativen Christdemokraten haben in einem angespannten und gefährlichen politischen Moment von den deutschen Wählerinnen und Wählern den Auftrag bekommen, eine tragfähige Regierung zu bilden, in klarer Abgrenzung zur AfD, wenn Merz und die CDU/CSU glaubwürdig bleiben wollen. Die populistischen Sprüche aus den Wahlkampfarenen und die Angstkampagnen zum „Untergang des Abendlandes“ sind von gestern: Die Verantwortung, die auf Friedrich Merz lastet, ist groß. Für politisches Herumtaktieren bleibt keine Zeit. Das müssen alle wissen, die an den Schalthebeln der Macht sitzen: In den politischen Parteien, im Institut der Deutschen Wirtschaft, den Arbeitgeberverbänden, den Vorständen der Banken und Medienhäuser, in Brüssel, in der Nato. Es ist eine Bewährungsprobe für die Konservativen, ob sie gegen die Trumps und Putins dieser Welt die liberale, republikanische Demokratie verteidigen wollen und können.

Jutta Roitsch
Jutta Roitsch, Diplom-Politologin und freie Autorin, von 1968 bis 2002 leitende Redakteurin der Frankfurter Rundschau, verantwortlich für die Seiten »Aus Schule und Hochschule« und »Dokumentation«, seit 2002 als Bildungsexpertin tätig, Engagement in der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union, vereinigt mit der Gustav-Heinemann-Initiative (GHI), Autorin der "Blätter für deutsche und internationale Politik", der "Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik".

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