Würden Organisationen sich nicht anpassen und unterwerfen…

Der aktuelle Konflikt in den USA zwischen weitrechter Regierung und Universitäten enthält eine aufschlussreiche Botschaft für den Umgang mit Rechtsaußen. (Die Bezeichnung faschistisch, wissenschaftlich durchaus zu begründen, wird hier umgangen, weil „Faschismus“ unvermeidlich auch als politischer Kampfbegriff gelesen wird und in meist unfruchtbare Diskussionen mündet.1) Am Beispiel der Universitäten rufe ich den Unterschied zwischen Individuen und Organisationen auf. Der allgegenwärtige Begriff Individualisierung legt neben allem, was er sonst noch meint, die Ansicht nahe, dass Individuen die einzigen, jedenfalls die einzig nennenswerten handelnden Akteure unserer Gesellschaft seien. Darin sehe ich eine folgenschwere Vereinfachung mit weitreichenden Konsequenzen für gesellschaftspolitische Erfolge von Weitrechts.

Sich auf Individuen/ Einzelpersonen zu fokussieren, schiebt die Bedeutung kollektiver Akteure in den Hintergrund. Ebenso typisch wie unrealistisch werden auf diese Weise gesellschaftliche Entwicklungen in erster Linie auf individuelle Entscheidungen zurückgeführt – bis zu dem Punkt, dass selbst Entscheidungen riesengroßer Organisationen irgendwo zwischen Genialität und Wahnsinn einzelnen Führungsfiguren zugeschrieben werden.

Stattdessen gilt es zu bedenken: Jenseits der familiären Reproduktionsarbeit werden die allermeisten Leistungen auf den allermeisten Gebieten – zwar von Personen oder Maschinen, aber – organisiert erbracht, also unter Vorgabe eines Organisationszwecks, den das Führungspersonal und die anderen Beschäftigten zu verfolgen haben. Ob Umweltschutzpartei, Tennisclub, Textilfirma, Bank etc., die Zweckbindung steht im Zentrum aller organisierten Entscheidungen und Handlungen. Dem auserwählten Zweck (und sei es nur, aus einer Menge Geld mehr Geld zu machen) wird so weit wie möglich alles unterworfen. Entscheidender Schritt in die „Organisationsgesellschaft“ (Wieland Jäger & Uwe Schimank2) „war die Anerkennung der Kapitalgesellschaft – eigentlich nicht mehr als eine bloße Recheneinheit – als vollwertiges Mitglied der Rechtsgemeinschaft, als eine dem rechtsfähigen Menschen nachgebildete und gleichgestellte ‚juristische Person‘. […] Die Folge war eine in atemberaubender Geschwindigkeit voranschreitende Entmachtung der natürlichen Person durch die juristische.“ (Daniel Damler3)

Organisationen haben kein Wahlrecht und keine politischen Ämter. Sie entscheiden jedoch in erster Linie darüber, welche Erzeugnisse hergestellt und welche Dienstleistungen angeboten werden, wie viele Arbeitsplätze verfügbar sind, welche Einkommen Arbeitskräfte haben und unter welchen Bedingungen Arbeitstätigkeiten ausgeübt werden. Organisationen beeinflussen unsere Lebensverhältnisse maßgeblich; Wohlbefinden, Frustrationen, Ängste der Wählerinnen und Wähler hängen mit Organisationsentscheidungen direkt zusammen. Moderne Individuen stehen von der Wiege bis zur Bahre als Mitglieder, Kunden, Klienten, Publika, Insassen in laufenden Beziehungen zu Organisationen. Es ist offenkundig, „dass sich hier auf dem Feld der Organisation mitentscheidet, was gesellschaftlich möglich und nicht möglich ist. […] Was hier nicht entschieden werden kann, wird nirgendwo entschieden. Und was hier nicht ausprobiert werden kann, hat dann nur noch die Möglichkeit, im folgenlosen Gespräch unter den Leuten als bloße Möglichkeit beschworen zu werden“ (Dirk Baecker4).

Keine demokratische Regierung kann sicher sein

So wenig zu den Organisationen, jetzt zur Politik. Staatliche Interventionen, seien es finanzielle, gesetzliche oder nur appellative, treffen unter modernen Normalbedingungen auf gesellschaftliche Akteure, Personen und Organisationen, die im Rahmen ihrer Freiheitsrechte überlegen und beschließen, wie sie auf die staatlich gesetzten Rahmenbedingungen und Einmischungen reagieren. Keine demokratische Regierung kann sicher sein, wie ihre Entscheidungen ankommen und was den Akteuren, vom Ausnützen über Protestieren bis zum Umgehen, dazu einfällt.

Um jetzt direkt auf den interessierenden Fall weitrechter Politik einzuschwenken: Für deren bekannteste Merkmale genügen Stichwörter wie Alleinbesitz der Wahrheit, gewalt- und kriegsbereite Unterscheidung zwischen einem sozial-biologisch höherwertigen Wir und minderwertigen Anderen; im Visier hat Weitrechts politische Allmacht, die demokratisch und rechtsstaatlich abgesicherte Freiheiten beenden und damit Unabhängigkeiten, sei es der Wissenschaft, der öffentlichen Kommunikation, der Justiz, der Kunst etc., beerdigen will.

Zum Standardrepertoire der Abwehr- und Verteidigungsreden gegen Rechtsaußen gehören Rufe nach Zivilcourage, dem Mut zu widersprechen, die Aufforderungen Distanz zu halten, mindestens sich nicht anzupassen, nicht mitzumachen. Fast immer sind es Appelle und Mahnungen, die sich an die „Bürgerinnen und Bürger“ wenden und letztlich die Einzelpersonen (mit)verantwortlich machen, wenn Rechtsaußen politische Erfolge feiert. Nichts spricht gegen solche Rufe und Aufforderungen – aber weshalb werden Organisationen außen vor gelassen? Warum werden Unternehmen und Betriebe, Verbände, Vereine und Stiftungen, Institute, Kanzleien, Agenturen, Museen nicht aufgefordert, zivilisatorische Standards zu verteidigen, Menschenrechts zu schützen, politischen Allmachtsansprüchen entgegenzutreten?

Die meisten Organisationen scheuen politische Verantwortung wie der Teufel das Weihwasser. Vor allem mit Gleichgültigkeit, einige mit prophylaktischer Anpassungs-, vereinzelt sogar mit Unterstützungsbereitschaft begleiten sie den Aufstieg von Rechtsaußen. Die wohl größte Erfolgschance weitrechter Politik liegt in der Sorge von Organisationen, ihren Fortbestand zu sichern, ihre Ziele auch in Zukunft verfolgen zu können, egal ob demokratisch-rechtsstaatliche Voraussetzungen noch gelten.

(Zu) viele Konjunktive

Es ist paradox. Demokratische Regierungen müssen sich davor fürchten, mit ihrer Politik Unzufriedenheit und Ablehnung von Organisationen, allen voran Unternehmen und Verbänden, hervorzurufen. Die klassischen Drohungen, Arbeitsplätze einzusparen oder zu verlagern, Preise zu erhöhen, Leistungen einzuschränken, stehen ständig im Raum und machen demokratischen Parteien das Regieren schwer. Regiert Rechtsaußen, setzen sofort Pressionen gegen Organisationen ein. Sie werden politisiert und unter Druck gesetzt, die weitrechte Weltanschauung zu übernehmen bis hinein in Vorschriften des Sprachgebrauchs. In der Folge häufen sich Beispiele für vorauseilenden Gehorsam und für die aktive Übernahme weitrechter Positionen in Organisationen der Wissenschaft, der Justiz, der Wirtschaft, der Massenmedien, der Kunst, des Sports, des Bildungswesens sowieso. Nicht einmal Gewerkschaften sind vor faulen Kompromissen gefeit, die ihnen allerdings noch nie geholfen haben.

Ungebremste weitrechte Politik ist am Ende stets auf Schreckensherrschaft und Barbarei hinausgelaufen. Wie brutal sie tatsächlich Realität werden, hängt von der Gegenwehr ab, auf die Rechtsaußen trifft. Individuen, die sich wehren, mit geballter Staatsgewalt und terroristischen Schutzstaffeln auszuschalten, ist erprobte weitrechte Praxis. Würden Organisationen Anpassung und Unterwerfung verweigern, Formen des Widerstands überlegen, planen und leisten, würde sich die Situation grundlegend ändern.

Würden sich nur zwei oder drei Branchen mit Hilfe ihrer Verbandsstrukturen verständigen – z. B. die Gastronomie, die Elektroindustrie, große Sportvereine, Fluggesellschaften, städtische Verkehrsbetreibe –, ihre Leistungen spürbar zurückzuschrauben oder temporär auszusetzen, käme jede Rechtsaußen-Regierung bald in große Schwierigkeiten. Weitrechte Politik wird zu keiner Zeit und in keinem Land von der Bevölkerungsmehrheit getragen. Es war und ist immer eine Kombination aus Unterdrückung, Gewalt und Propaganda, mit der sie ihre Macht absichert.

Zu wie viel Gegenwehr sich us-amerikanische Universitäten durchringen werden, wird sich zeigen. „Die Universität wird weder ihre Unabhängigkeit noch ihre verfassungsmäßigen Rechte aufgeben“, teilte Harvard der US-Regierung mit. Ein „historischer Moment“? Die Selbstverständlichkeit der Anpassung, die Organisationen zu praktizieren pflegen, wenigstens zu problematisieren, wäre in der Tat ein erster Schritt.


1 Ausführlich dazu Wippermann, W. (2009). „Hat es Faschismus überhaupt gegeben?“. In Ders., Faschismus. Eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Primus Verlag, S. 282-293
2 Damler, D. (2019). Monsterkapitalismus. In Ästhetik & Kommunikation, 48 (176/177), S. 24-29
  2019; hier S. 24
3 Jäger, W. & Schimank, U. (Hrsg.), 2005. Organisationsgesellschaft. Facetten und Perspektiven. Springer VS
4  Baecker, D. (1999). Organisation als System. Suhrkamp, S. 9

Hans-Jürgen Arlt
Hans-Jürgen Arlt (at) arbeitet in Berlin als freier Publizist und Sozialwissenschaftler zu den Themenschwerpunkten Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit. Aktuelle Publikationen: „Mustererkennung in der Coronakrise“ sowie „Arbeit und Krise. Erzählungen und Realitäten der Moderne“.

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