
In Los Angeles deutet die us-amerikanische Rechtsaußen-Regierung mit dem Einsatz der Nationalgarde an, wozu sie innenpolitisch willens ist. Nicht nur im öffentlichen Leben, auch in den Archiven will sie Anzeichen von Vielfalt, Gleichheit und Inklusion eliminieren. „Da man die multiethnische US-Gesellschaft selbst durch massenhafte Abschiebung und Zurückweisung kulturell nicht mehr „entdiversifizieren“ kann, verordnen die rechtsradikalen Machthaber eine seit Jahrhunderten geübte Praxis der „damnatio memoriae“: die symbolische Negation eines Namens und die Klitterung der Geschichte, ein Verfahren, das autoritäre und totalitäre Regime auf ihre Gegner anwenden und das anzeigt, wohin die Reise offenbar auch in den USA gehen soll.“ Das schreibt Claus Leggewie unter dem Titel „Eine Vergangenheit, die vergehen soll. DEI or Die. Die Geschichte von Ira Hayes“ in Geschichte der Gegenwart. Wir danken dem Autor, dass er seinen Text für Bruchstücke freigegeben hat. [at]
Der rabiate Durchgriff Donald Trumps gegen Immigranten wird die Immigration nicht ungeschehen machen und den Lebensnerv der amerikanischen Einwanderungsgesellschaft nicht abtöten. Doch Trump und sein MAGA-Anhang betreiben die Auslöschung der Erinnerung an die Einwanderer verschiedener Herkunft und Bekenntnisse und ihrer konstitutiven Bedeutung für die amerikanische Republik. Das verzweifelte Festhalten an der Suprematie der Weißen, die in nicht allzu ferner Zukunft nicht mehr die absolute Mehrheit der Bevölkerung darstellen werden, machte auch vor einer Ikone des Patriotismus nicht Halt.

Claus Leggewie ist Inhaber der Ludwig-Börne-Professur und Leiter des „Panel on Planetary Thinking“ an der Universität Gießen. Er war Gastprofessor an der Universität Paris-Nanterre und der New York University (Max-Weber-Chair). Außerdem war er Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien, am Remarque Institute der New York University und am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Von 2007 bis 2015 war Leggewie Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI), wo er den Forschungsbereich Klima und Kulturen als ersten seiner Art in Deutschland aufbaute und zugleich das Centre for Global Cooperation Research (KHK/GCR21) in Duisburg gründete. Von 2008 bis 2016 war er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).
Von Trumps und Elon Musks Zensurwut betroffen war eine Person auf einem weltweit millionenfach reproduzierten Foto, das der Kriegsreporter Joe Rosenthal für Associated Press an 23. Februar 1945 auf der pazifischen Vulkaninsel Iwo Jima 1200 Kilometer südlich von Tokio geschossen hat. Es zeigt sechs GIs, die auf dem Gipfel des Suribachi-Berges die Stars and Stripes hissen, als bildgewaltiger Beweis des geglückten Vormarschs im Krieg gegen Japan, der sogleich für die Akquisition neuer Kriegsanleihen genutzt wurde. Rosenthal erhielt den Pulitzer-Preis, eine nachgebildete riesige Plastik befindet sich auf dem Soldatenfriedhof Arlington bei Washington. Die Veteranen wurden dekoriert und über Jahrzehnte als Kriegshelden gefeiert, in Schulbüchern wie auf Informationsmaterialien des Pentagon.

„Iwo Jima“ wurde mehrfach verfilmt, zuletzt von Clint Eastwood mit „The Flag of Our Fathers“ (2006). Eine Ironie der Geschichte besteht darin, dass das Iwo Jima-Foto von Rosenthal (re)konstruiert war. Die Siegerflagge wurde am 23. Februar nämlich zweimal aufgesteckt. Weil sie auf einem ersten Foto eines anderen Fotografen zu klein und schwer zu erkennen war, stellte er die Szene ein paar Stunden später nach. Die „originale“ Flaggenhissung auf feindlichem Territorium hatte tatsächlich stattgefunden, sie erlangte aber erst mit ihrer Reinszenierung jenen ikonischen Charakter, der ihre Verwendung bei späteren patriotischen Anlässen (wie in Afghanistan oder 2001 nach 9/11 mit der Aufrichtung der Stars and Stripes durch New Yorker Feuerwehrmänner) ermöglichte.
… und vergaß des weißen Mannes Gier
Einer der sechs Soldaten war Ira Hayes, ein damals 22jähriger Marine Corps-Soldat aus der Stammesgruppe der Pima in Arizona. Seine Geschichte wurde im Originalsong von Peter LaFarge (1962) gewürdigt und von Pete Seeger (1963), Johnny Cash (1964) und Bob Dylan (1970) gecovert; sie ging nicht nur in die Top Ten des amerikanischen Folksongs ein, sondern auch ins kollektive Gedächtnis der Nation. Nicht nur die Älteren können die Zeilen mitsummen:
„Gather ’round me people
There’s a story I would tell
’Bout a brave young Indian, You should remember well.
From the land of the Pima Indian,
A proud and noble band,
Who farmed the Phoenix Valley
In Arizona land.“
Weniger geläufig dürften die folgenden Zeilen sein:
„Down the ditches a thousand years,
The waters grew Ira’s peoples’ crops,’
Til the white man stole their water rights,
And the sparkling water stopped.
Now, Ira’s folks were hungry,
And their land grew crops of weeds,
When war came, Ira volunteered,
And forgot the white man’s greed.“
Und erst recht:
„Ira Hayes returned a hero,
Celebrated through the land,
He was wined and speeched and honored,
Everybody shook his hand,
But he was just a Pima Indian,
No water, no home, no chance,
At home nobody cared what Ira’d done,
And when did the Indians dance.“

Ira Hayes war einer von nur zwei Überlebenden aus seiner Gruppe von Fahnenhissern. Auf einem Gruppenfoto Joe Rosenthals mit dem Schlachtruf „Gung ho!“ sitzt er ernst am Rande der triumphierenden Kameraden. Nach Kriegsende kehrte er in sein Reservat zurück, wo ihn das Trauma des Kampfeinsatzes quälte und er dem Alkohol verfiel. Im Alter von nur 32 Jahren starb Hayes. Auf seiner Beerdigung würdigte ihn ein Iwo Jima-Kamerad: „Lass uns sagen, er hatte einen kleinen Traum in seinem Herzen, in dem eines Tages der Indianer dem Weißen gleichgestellt sein würde – und im Stande ist, sich überall in den Vereinigten Staaten frei zu bewegen.“
Aus Helden werden 404-Errors
Ausgerechnet der Name dieses stillen Helden wurde jüngst im Rahmen einer „Auffrischung“ durch das Trump’sche Wahrheitsministerium von Webseiten des US-Verteidigungsministeriums entfernt. Hayes’ Anstößigkeit soll darin bestehen, dass er „DEI“ verkörpert: Diversity, Equity, Inclusion. Die drei Buchstaben stehen für das Bemühen, in einer multiethnischen Gesellschaft Menschen unabhängig von ihren Merkmalen zu respektieren und fair zu behandeln und damit Minderheiten und Frauen gleiche Startchancen zu geben. Doch hat die amerikanische Rechte diese Triade der Einwanderungsnation in einen Hassbegriff verwandelt. Diversität, Gleichheit und Inklusion werden auf allen Ebenen von den Universitäten über die Unternehmen bis in die Verwaltungen verdammt, Musks Bann soll sogar bis ins Ausland reichen. Nicht nur der Name von Ira Hayes wurde getilgt, auch die Hinweise auf die wichtige Rolle der „Navajo Code Talkers“, die mit einer raffinierten Verschlüsselungsmethode zum Sieg über Japaner und Deutsche beitrugen. Die Native American haben ihre Schuldigkeit getan, die Native American können gehen. Sie wurden zu „Error 404“-Phantomen, ihre Fotografien mit Tüchern verhängt.
Da man die multiethnische US-Gesellschaft selbst durch massenhafte Abschiebung und Zurückweisung kulturell nicht mehr „entdiversifizieren“ kann, verordnen die rechtsradikalen Machthaber eine seit Jahrhunderten geübte Praxis der „damnatio memoriae“: die symbolische Negation eines Namens und die Klitterung der Geschichte, ein Verfahren, das autoritäre und totalitäre Regime auf ihre Gegner anwenden und das anzeigt, wohin die Reise offenbar auch in den USA gehen soll. Totalitäre Regime praktizieren eine Bildpropaganda, die innere und äußere Feinde dämonisiert und im Zweifel auch ehemalige Mitstreiter wie den neben Vladimir Iljitsch Lenin stehenden Leo Trotzki wegretuschiert oder den SA-Rivalen Ernst Röhm unsichtbar macht. Derartige Tilgungen werden im Zeitalter digitaler Bildbehandlung und künstlicher Intelligenz zur Perfektion getrieben. Ständig werden vor allem in den sozialen Medien „Bildbeweise“ vorgenommen, während der Wahrheits- und Wirklichkeitsanspruch visueller Artefakte systematisch in Frage steht.
DEI soll sterben
Das weiß-patriarchale Amerika der 1950er Jahre soll zur Matrix einer Vergangenheit erhoben werden – einer verklärten kontrafaktischen Vergangenheit, die in den Augen ihrer Verfechter niemals vergehen soll. Je „bunter“ die Demografie der Vereinigten Staaten wird, desto stärker setzt sich bei der weißen Mehrheit das Ideologem der „Umvolkung“ durch. Der empirischen Evidenz der ethnisch-kulturellen Vielfalt begegnet die MAGA-Ideologie mit Operationen des Verhängens, Übertünchens, Löschens und Ausradierens; sie setzt eine „alternative Wahrheit“ ins Bild, um Geschichte ungeschehen zu machen. Insgesamt sollen bei dieser Nacht-und-Nebel-Aktion 45.000 Inhalte gelöscht worden sein. Die Säuberung reicht weit in die Militärgeschichte zurück und betrifft ebenso für Gleichheit und Inklusion einstehende Schwarze, Frauen, Hispanics und Queers in der US-Army. Zu den „Gelöschten“ gehört das Porträt von Cristina Fuentes Montenegro, die 2013 eine der ersten Frauen bei den Marines wurde. DEI soll sterben, ordnete US-Verteidigungsminister Hegseth an, weil der Lebensstil von Transmenschen in der Armee angeblich die Wehrkraft zersetzen könnte.

Den Irrwitz und die kolossale Dummheit der Säuberungsaktion demonstrierte, dass auch das Foto des „Enola Gay“ beanstandet wurde. So hieß der B29-Bomber, der im August 1945 für die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki eingesetzt worden war, benannt nach Enola Gay Tibbets, der Mutter des Piloten Paul Tibbets. Man ahnt, woran die homophobe Rechte Anstoß nimmt: Die Suchmaschine der Wortklauber hatte sich am zweiten Wort „gay“ festgebissen, das für Homosexualität steht. Viele Familiennamen „Gay“ wurden eliminiert. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes war „fröhlich“ – in Deutschland müssten analog alle Menschen mit den Nachnamen Fröhlich getilgt werden. Schon einmal war die Enola Gay Gegenstand eines „culture war“ mit anderen Vorzeichen. Der zunächst zerlegte, dann aufwändig restaurierte und heute in der Nähe des Flughafens Washington Dulles ausgestellte Bomber bildete 2005 das Zentrum der Ausstellung „The Crossroads: The End of World War II, the Atomic Bomb and the Cold War“ der Smithsonian Institution in Washington D.C. Dass sie einen kritischen Blick auf den Einsatz einer Massenvernichtungswaffe richtete und breiter als früher die japanischen Opfer thematisierte, war amerikanischen Veteranen und Patrioten damals zu viel: Die Ausstellung wurde abgebrochen, der Direktor des National Air and Space Museum, Martin O. Harwit entlassen.
Der Traum des Ira Hayes ist beschädigt, aber das bessere Amerika ist aufgewacht: Der öffentliche Aufschrei gegen die Säuberungsaktion war so laut, dass das Pentagon Ira Hayes, die Code Talker und viele andere Verschwundene wieder auf seiner Webseite erscheinen ließ. Doch der Bilderstreit wird weitergehen.
1 „Gung ho“ ist ein informelles englisches Adjektiv, das enthusiastisch, engagiert oder eifrig bedeutet. Es leitet sich von einem chinesischen Ausdruck ab, der für eine Industriegenossenschaft stand, die in den 1930er Jahren Textilien herstellte. Der Ausdruck wurde in den 1940er Jahren von der US-Marine in einem Trainingsslogan verwendet und bezeichnete eine Person, die sehr engagiert und bereit ist, etwas zu tun, besonders in einer Schlacht. (KI-Information)