
Wo soll für weitrechte Polit-Organisationen das Recht auf demokratische Teilhabe enden? Damals wie heute liefern Faschisten Beweise reihenweise, dass sie nur deshalb vorher wie alle anderen behandelt werden wollen, damit sie nachher an der Macht, um das wenigste zu sagen, alle anderen misshandeln können. Trotzdem war es stets kontrovers und wird es immer sein, ob demokratische Freiheiten ausüben können soll, wer die politische Demokratie beseitigen und Freiheitsrechte abschaffen will. Urteilsschelte anlässlich der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu „Compact“ führt nicht weiter. Wer weiß schon, wo in fließenden Übergängen Dämme gebaut werden sollen. Eine Antwort ist die parlamentarische Brandmauer, ihre Bestandsgefährdung fällt unter die hier aufgerufene Thematik.
Ist es auch ein Fall von Volksherrschaft, wenn ein hoher Anteil des Wahlvolks keine Wahl mehr haben, sondern eine Partei ermächtigen möchte, die alle anderen für lange Zeit, sozusagen für die nächsten tausend Jahre, entmachten will? Wie soll man mit Rechtsaußen umgehen, wenn man weiß, dass ihre Akteure später, im Vollbesitz der Staatsgewalt, Hohn und Spott ausschütten – wie 1935 der Goebbels-Mitarbeiter und NSDAP-Starjournalist Hans Schwarz van Berk (kein Jürgen Elsässer, kein Roland Tichy, kein Julian Reichelt, keine Ulf Poschardt, kein Thilo Sarrazin, aber im gleichen Zug der Zeit unterwegs): „Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde. Die verfolgten Führer der NSDAP traten als Abgeordnete in den Genuss der Immunität, der Diäten und der Freifahrkarte. Dadurch waren sie vor dem polizeilichen Zugriff gesichert, durften sich mehr zu sagen erlauben als gewöhnliche Staatsbürger und ließen sich außerdem die Kosten ihrer Tätigkeit vom Feinde bezahlen. Aus der demokratischen Dummheit ließ sich vortrefflich Kapital schlagen.“1

Die rechtlichen und politischen Schwierigkeiten genereller Organisationsverbote klein zu reden, wäre gänzlich unangemessen, . Dass sich das Problem größer auswächst als nötig, daran sind Justizapparat, Sicherheitsbehörden und etablierte Parteien freilich nicht unbeteiligt. Das demokratische Vertrauen in die Sicherheitsbehörden fördert es jedenfalls nicht, wenn ein Präsident des Bundesverfassungsschutzes (Hans-Georg Maaßen, 2012-2018) rechtsaußen mitmarschiert. Zuversichtlich stimmt auch nicht, was Tanjev Schultz unter dem Titel „Rechtsradikale in Uniform – struktureller Rassismus: Verantwortung und Verstrickung von Polizei und Geheimdienst“ zusammenträgt. In seiner Einführung zu dem dazugehörigen Band „Auf dem rechten Auge blind? Rechtsextremismus in Deutschland“ schreibt Schultz:
Bei allem Wandel und aller Differenzierung – die Kontinuität rechter Gewalt nach 1945 ist frappierend. Diese ungebrochene Geschichte wurde lange Zeit kaum gesehen. Auf Bluttaten von Neonazis reagierten Politiker jedes Mal mit einer Überraschung, die ihrerseits erstaunlich war. Als sei etwas Undenkbares geschehen, obwohl sich die Taten auf grausam routinierte Weise durch die Geschichte des Landes ziehen. Die Mechanismen der Verdrängung und Verharmlosung sind der Gesellschaft tief eingeschrieben, entgegen ihrem Selbstbild.
Entstehen Vorschläge und Wünsche nach generellen Verboten nicht auch deshalb, weil gegen die einzelnen Untaten von Verbalinjurien bis zu kriminellen Handlungen, auch Totschlag und Mord, polizeilich und juristisch nicht klar und entschieden genug vorgegangen wird? Und wenn es so ist, warum ist es so?
Breite Brücken zum Mainstream
Die Schwierigkeiten im Umgang mit Rechtsaußen-Politik hängen eng damit zusammen, dass Übergänge zu Normalitäten der selbsternannten Mitte oft so bruchlos erscheinen. Weitrechte Brandstifter können als Biedermänner auftreten und Nähe zu dem herstellen, was der öffentlichen Meinung als „gesundes Volksempfinden“ gilt. Dafür haben sie bewährte Methoden, dafür bieten sich ihnen bequeme Wege. Zwei Aspekte und eine Schlussfolgerung dazu.
Eine typische Methode ist es, dass Rechtsaußen-Akteure Härte und Schärfe ihrer Positionen rhetorisch zurückfahren, solange sie noch nicht selbst bestimmen können, was Recht und was Unrecht ist. Provokativ genug, um Aufmerksamkeit zu bekommen, und angepasst genug, um vor Gericht argumentieren zu können, ‘das wird man ja noch sagen dürfen’, so wird in weitrechten Führungszirkeln dosiert. Brücken gibt es viele, auf denen Rechtsaußen Meinungs- und Gefühlslagen des Mainstreams entgegen gehen kann: Zum Beispiel Fremdenfeindlichkeit, Nationalstolz, das Gefühl zu kurz zu kommen, Wut auf die da oben, moralische Empörung über Abweichungen (sexuelle und sprachliche, des Verhaltens und des Aussehens), der alltägliche Bedarf an Eindeutigkeiten (schließlich muss am laufenden Band entschieden und gehandelt werden).
Verständnis für, wenn nicht sogar Einverständnis mit weitrechte(n) Vorstellungen bis in die gesellschaftliche Mitte hinein zeigen sich besonders im Zusammenhang mit Arbeit. Beispielsweise vergeht in modernen Ländern kein Arbeitskampf, ohne dass Arbeitgeberverbände, Teile der Politik und der Massenmedien das Erzählmuster von guten Arbeitern und bösen linken Funktionären einsetzen, die anständige, fleißige Beschäftigte aufhetzen. Als „arbeitsscheu“ abgestempelt zu werden, ist unter einem Rechtsaußen-Regime lebensgefährlich. Sich seinen Lebensunterhalt nicht mit „ordentlicher Arbeit“ zu verdienen und „auf Kosten der Allgemeinheit“ zu leben, wird als asozial eingestuft, als volks- und staatsfeindlich verfolgt. Den Verdacht der Faulheit sind Arbeitslose nie los geworden, der Vorwurf der „sozialen Hängematte“ hat seine Aktualität bis in die Bürgergeld-Kontroverse hinein nie verloren. Weitrechte Politik steht hier in einer langen Tradition.
Noch tiefer greift die Traditionslinie des männlichen Ernährermodells, das familiäre Pflichten der Frauen als „Hausfrau und Mutter“ mit ihrer Fülle unbezahlter Reproduktionsleistungen festschreibt. Noch bis 1977 darf eine bundesdeutsche Frau nur dann berufstätig sein, wenn das “mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar” ist. Trotz und wegen der weiter voran geschrittenen Gleichstellung der Frauen findet das Rechtsaußen-Bekenntnis zum Leitbild der traditionellen Familie, wie es im AfD-Grundsatzprogramm festgeschrieben wird, mittige Resonanz.
ZWISCHEN-FALL: „Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht“ („Bild“-Werbung)„Compact ist ein unabhängiges Monatsmagazin mit dem Mut zur Wahrheit, das sich nicht den Vorgaben der Political Correctness beugt“, sagt „Compact“. „Bild ist eine unabhängige Tageszeitung mit dem Mut zur Wahrheit, die sich nicht den Vorgaben der Political Correctness beugt“, lässt sich über die „Bild-Zeitung“ sagen oder mit den Worten der Chefredakteurin; «Bild steht für Klartext. Für Haltung. Für Mut zur Wahrheit.“ Und so feiern Springer-Döpfner-Medien das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dass Compact weiter publizieren darf: „Sieg für die Meinungsfreiheit, Pleite für Staats-Ideologen“.
Zum Zweiten können Rechtsaußen-Akteure direkt anknüpfen an Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten der politischen Demokratie. Was „Volksherrschaft“ heißen kann und soll, leidet immer schon unter der Diskrepanz zwischen dem großartigen Versprechen und den mühseligen Praktiken. Von direkter bis zu repräsentativer Demokratie (mit Variationen wie parlamentarische und präsidiale, Eliten- und Medien-, föderale und soziale Demokratie, Konkurrenz- und Konkordanz-Demokratie etc.) vermag kein Modell glaubhaft und enttäuchungsfest die Idee zu verwirklichen, dass in einer Massengesellschaft alle gleichermaßen zugleich Regierende und Regierte sein sollen. Weil die real existierenden Demokratien uneinlösbare Erwartungen beschwören und Machtverhältnisse beschönigen, öffnen sie Tür und Tor für falsche Propheten. Rechtsaußen nimmt die Einladung an, bedient sich – inzwischen, früher war es anders – mit Eifer des demokratischen Vokabulars und tauscht dabei dessen emanzipatorischen in einen populistischen Sinn. Wenn sie „Demokratie“ sagen, meinen sie „Ein Volk, ein Ja, ein Führer“. Sie nennen ihre Machtergreifung direkte Demokratie, um, ganz demokratisch, alles Demokratische zu beseitigen.
Was gelehrt und was gelernt wird
In der (konservativ-liberal-sozialdemokratischen) Mitte werden festliche Lobreden auf die Demokratie gehalten. Zugleich werden im Namen der Realpolitik demokratische Regeln und Verfahren zugunsten von (scheinbarer) Einheit und Geschlossenheit umschifft und entkernt, wo es nur geht. Dass Meinungsvielfalt, Gleichberechtigung, Teilhabe, Mitbestimmung, Toleranz, Respekt Lösungen seien, wir gelehrt, gelernt wird, dass sie vor allem Probleme machen, weil sie Hindernisse darstellen für Machtausübung, Vorteilsnahme und den Sprung auf Siegertreppchen. Wer Durchschlagskraft, Effektivität, schnelle Erfolge groß schreibt, wird Demokratie klein schreiben.

Wir glauben, rundheraus gesagt, nicht daran, dass die Demokratie, die liberale Gesellschaft, ihre Kultur, Ökonomie und Wissenschaft in ihrem derzeitigen Zustand der Bewegung nach rechts, in Anti-Demokratie, Anti-Liberalismus und Anti-Humanismus, ernsthaften und entscheidenden Widerstand entgegensetzen kann und will. Auf keiner Ebene scheint es einen wirklich entschlossenen Widerstand zu geben.
Markus Metz & Georg Seeßlen: Blödmaschinen II. Die Fabrikation der politischen Paranoia. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025
Es fällt schwer, Metz & Seeßlen zu widersprechen, aber es ist möglich, die anspruchsvolle Leistung zu benennen, die für „ernsthaften und entscheidenden Widerstand“ zu erbringen wäre. Anspruchsvoll deshalb, weil zwei sich scheinbar widersprechende Aufgaben anstehen: Kritik und Unterstützung der Demokratie haben Hand in Hand zu gehen. Die real existierende Demokratie braucht mehr kritische Aufklärung über ihre Probleme und Defizite; nicht die übliche Politiker-Beschimpfung, sondern verständliche Analysen und interessante Geschichten, wie voraussetzungsreich es ist, wie anstrengend, wie verantwortungsvoll – aber eben auch wie viel lebenswerter für die Vielen, eine demokratische Praxis durchzuhalten. Aber wer weiß, ob es nicht doch Mehrheiten erstrebenswert finden, sich Leuten anzuvertrauen, die ihre bedenkenlose Bereitschaft zu lügen (wenn’s der guten Sache, also dem eigenen Interesse dient) als Stolz auf den Mut zur Wahrheit vor sich her tragen.
1 Schwarz van Berk, H. (1935). Die Dummheit der Demokratie. In Ders. (Hrsg.), Der Angriff. Aufsätze aus der Kampfzeit von Joseph Goebbels (S. 61). Zentralverlag der NSDAP Online https://archive.org/details/DerAngriff-AufsaetzeAusDerKampfzeit/page/n61/mode/2up?view=theater
Vielen Dank für diesen klugen Beitrag, weil er Dilemmata benennt, so viele Überlegungen und Gedanken formuliert, die mir und sicher auch vielen anderen sehr oft durch den Kopf gehen, die aber Gedanken trübe und das Herz schwer machen… Aber der Beitrag macht mich auch ratlos. Denn wenn der Satz von Metz und Seeßlen stimmt, dann ist die Not groß, die Hilfe – entgegen einer „Volksweisheit“ – aber nicht nah, sondern sehr fern. Was machen wir dagegen, dass die Demokratie zu ihrem Schaden z. B. nicht die Kraft fand, die Corona-Pandemie in einem akzeptierten und transparenten Prozess aufzuarbeiten, dass wir von einer Koalition regiert werden, die im Kern vor allem deshalb zustande kam, um rechtsextreme Herrschaft zu verhindern, der größere rechte Teil der Mitte aber ständig kleine und große Stege zu Rechtsextrem zulässt, der kleinere linke (?) Teil sich vielfach verbiegen muss zwischen erwünschten Zielvorstellungen und unterschriebenem und mit großer Mehrheit akzeptiertem Koalitionsvertrag. Alles nicht vertrauensbildend und demokratieförderlich. Das sind nur zwei Beispiele für die Demokratie in ihrem derzeitigen, nicht demokratieförderlichen Zustand. Oder ist eben gerade das Demokratie? Wo sind die Ansätze auf dem Weg zu einem anderen, in sich ruhenden und einem unaufgeregt, aber wirksam abwehrfähigen Zustand der liberalen Demokratie? Oder jagen wir einem illusionären Ziel von Demokratie nach, in der alle handelnden Personen integer, alle Interessen offenkundig, alle Entscheidungen transparent sind? Landet man letztlich bei der Frage, ist diese Demokratie im Kapitalismus möglich. Ich höre auf. Danke für den Denkanstoß!
Im Rahmen der Diskussion über die Eindämmung rechtspopulistischer Bewegungen bzw. über ein AfD-Organisationsverbot über Demokratie zu reden, ohne zugleich über die grundgesetzliche Würde des Menschen, zu reden, scheint mir grundgesetzvergessen zu sein.
Im Demokratieverständnis des Grundgesetzes dürfte es nämlich gerade nicht kontrovers sein, „ob demokratische Freiheiten ausüben können soll, wer die politische Demokratie beseitigen und Freiheitsrechte abschaffen will.“ Und auch die Frage, ob es „auch ein Fall von Volksherrschaft (ist), wenn ein hoher Anteil des Wahlvolks keine Wahl mehr haben, sondern eine Partei ermächtigen möchte, die alle anderen für lange Zeit, sozusagen für die nächsten tausend Jahre, entmachten will“ dürfte sich aus grundgesetzlicher Sicht nicht wirklich stellen.
Denn das Verständnis der im Grundgesetz angesprochenen Demokratie ist letztlich aus der unantastbaren Würde des Menschen abzuleiten und durch die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, diese Würde zu achten und zu schützen, zu begrenzen.
Dieses grundgesetzliche Verständnis bietet auch für die Frage hinreichend Orientierung, ob sich Demokratie auch selbst abschaffen kann.
Die grundgesetzliche Demokratie ist eine rechtsstaatliche Demokratie, d.i. im Unterschied zu nicht rechtsstaatlichen Demokratien eine Demokratie, die die Würde des Menschen zu achten und zu schützen hat, darf sich selbst nicht abschaffen oder zulassen, dass sie abgeschafft wird, weil damit die Abschaffung der Achtung und des Schutzes der Würde des Menschen zugelassen würde.
Das bedeutet, dass die Ermöglichung einer demokratischen Entscheidung, die zur Missachtung der unantastbaren Würde des Menschen führt, aufgrund des grundgesetzlichen obersten Gebotes für alle staatliche Gewalt, diese Würde zu achten und zu schützen, von der staatlichen Gewalt dann zu unterbinden ist, wenn eine solche Unterbindung zum Schutz der Würde des Menschen notwendig ist.
Darüber, ob diese Notwendigkeit gegenüber einer Partei gegeben ist, entscheidet nach Art 21 des Grundgesetzes das Bundesverfassungsgericht nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz § 43 auf Antrag des Bundestages, der Bundesregierung oder des Bundesrates.
Wenn diese Notwendigkeit aus sich des Bundesverfassungsgerichtes gegeben ist, wird eine Partei aus dem demokratischen Wettbewerb ausgeschlossen, wenn nicht, gibt es keinen grundgesetzlichen Grund mehr für Brandmauern.
Dass die grundgesetzliche Würde des Menschen in politischen Diskussionen aller Parteien nur – wenn überhaupt – am Rande stattfindet, mag auch daran liegen, dass es im Hinblick auf die Achtung und den Schutz dieser Würde in vielen Bereichen – z.B. bei der Asyl- und Migrationspolitik, bei der Garantie des Existenzminimums, bei Menschenrechten in den Lieferketten und auch bei den die Ökosphäre zerstörenden Folgen unseres Wohlstandmodells unangenehme systemische Fehlstellungen gibt.