Der Fernsehkrimi als autoritäre Mustererzählung

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Eine Frage geistert, seit ich diese Kolumne zu den Fernsehkrimis verfasse, durch alle Texte, ohne dass sie einmal klar ausgesprochen wurde: Wie kommt es dazu, dass ein Genre wie der Kriminalfilm, der in Deutschland lange keine Anerkennung fand, das Fernsehangebot in Deutschland so dominiert? Gemeint sind damit vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender mit dem Ersten Programm der ARD und dem ZDF; aber ähnliches lässt sich auch über das wesentlich kleinere Angebot im Fictionbereich der privaten Sender sagen. Hier der erste Versuch, der eine vielleicht überraschende Antwort in der politischen Gegenwart findet.

Die Monokultur des Fernsehkrimis hat alle anderen Filmgenres mit Ausnahme des Melodrams, das ja in den Endlos-Serien „Rote Rosen“ oder „Sturm der Liebe“, die am Nachmittag im Ersten laufen, in den Pilcher- und anderen Schmonzetten, die den Sonntagabend im ZDF bestimmen, und in allen Krankenhaus-, Tierarzt- und Arztserien gleichsam getarnt erscheinen, verdrängt. Die Dominanz des Krimi-Genres begann in den 1990er-Jahren, und sie hatte primär okonomische Ursachen. Mit Erstarken der privaten Sender, die seit 1984 in der Bundesrepublik zugelassen wurden, gerieten die öffentlich-rechtlichen Programme in eine Krise. Sie mussten sich von vielem verabschieden.

Je früher je simpler

So wurden die Angebote zeitlich durchgetaktet. Sendungen durften nur 30, 45 oder 90 Minuten lang sein, egal was sie nun erzählten oder von was sie handelten. Schaut man sich Fernsehfilme an, die  noch in den 1980er-Jahren entstanden, ist man über die unterschiedlichen Längen erstaunt; mal enden sie schon nach 70 Minuten, andere dauern dafür 120 Minuten oder mitunter noch mehr. Gleichzeitig wies man bestimmten Programmzeiten bestimmte Programmfarben zu. Tagsüber soll es eher leicht und beschaulich zugehen, ernst wird es erst am Abend. So differenzierte sich seit den 2000er-Jahren im ZDF ein Krimiangebot aus, das – vereinfacht gesagt – erzähltechnisch um so simpler ausfällt, je früher es am Tag ausgestrahlt wird.

Hinzukam eine ökonomische Krise. Das ZDF verlor beispielsweise große Teile seiner Werbeeinnahmen an die neue Konkurrenz. Es musste deshalb sparen, was dazu führte, dass am Vorabend vieles wiederholt wurde, was in den Jahren zuvor abends an Serien zu sehen gewesen war – und das waren vor allem Krimis. Und bei den Neuproduktionen der Serien achtete man von nun auf das Potential der Wiederholbarkeit.

Serien sind produktions- und planungstechnisch nichts als der Versuch,
Kosten wie Risiken zu minimieren.

Was einmal eingeführt ist, muss nur noch in Varianten fortgesetzt werden. Und was zu bestimmten Sendezeiten erfolgreich ist, soll es mit leichten Abstrichen auch in Zukunft sein. All das führt zur Vervielfachung dessen, was ohnehin schon eingeführt ist und sich auf dem unübersichtlich gewordenen Markt bewährt hat. Das erklärt nebenbei auch all die Krimi-Varianten, die nur noch an ihrem Handlungsort, der meist in Postkartenansichten gefeiert wird, zu unterscheiden sind.

In den 2000er-Jahren nahm im ZDF selbst am Montagabend um 20.15 Uhr, wo bislang die meist unformatierten und schwer einem Genre zuzurechnenden Fernsehfilme liefen, der Anteil der Krimis zu, die mitunter wie die Filme von Lars Becker eigene Serien wie „Nachtschicht“ ausbildeten. Die Zahl der klassischen Problemfilme, die sich gesellschaftlichen Themen widmeten, nahmen hingegen stetig ab. Eine Folge: Diese Themen wanderten ihrerseits in die Krimis aus, so dass seitdem kein gesellschaftlicher Konflikt nicht im Krimi seinen Ausdruck fand.

Sicherheit und Ordnung dominieren

Was für die Sender gilt, gilt auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer: Die Sortierung nach einigen wenigen Genres und die Massierung des Serienangebots sorgte in einem quantitativ stark angewachsenen Markt für Orientierung. Man weiß, was einen erwartet. Das freut einen nicht unbedingt, reduziert aber die Gefahr der Enttäuschung. So schaut man immer das, was einem als Krimi-Einerlei irgendwie bekannt vorkommt, auch wenn es minimal anders als bekannt erscheint.

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Die Reduktion an Inhalten und Formen und die Konzentration auf die Genres des Melodram und des Krimis ist aber nicht nur die Folge eines liberalisierten Fernsehmarktes, sondern auch die der Veränderung eines gesellschaftlichen Klimas, in dem seit den 2000er-Jahren – nicht nur in Deutschland, aber eben auch hier – die Gedanken und Wünsche an Sicherheit und Orientierung dominant wurden. Je komplizierter die politische und gesellschaftliche Lage im Äußern wie im Innern erscheint, desto dringlicher der eskapistische Wunsch, in den fiktionalen Fernsehangeboten stabile Verhältnisse vorzufinden.

Gerade der klassische Fernsehkrimi, der ja mit dem Äußersten an Gewalt – dem Mord an Menschen – spekuliert, bietet mit seinem Erzählschema, das ein zu Beginn gestelltes Rätsel aufgelöst wird, das Äußerste an Sicherheit.

Der allwissende Erzähler, der in diesen Krimis implizit schaltet und waltet, weist seinen Personen, die in den als Rätsel angelegten Mordfällen ermitteln, damit die Kraft zu, so etwas wie eine gesellschaftliche Wahrheit zu Tage zu fördern. Zugleich setzt dieses Erzählschema jene Kausalität aus Wirkung und Ursache in ihr Recht, die sich gesellschaftlich längst in eine Hyperkomplexität aufgelöst hat, die zu durchdringen jeden und jede im Alltag überfordert. Carlo Ginzburg bezeichnete diese Kausalität 1983 in seinem Essay „Spurensicherung“ als „Indizienparadigma“, das er um 1900 sowohl in den Detektivgeschichten, in der Kunstgeschichte und in der Psychoanalyse erkannte.

Zu finden im AfD-Wahlprogramm

Der konventionelle Fernsehkrimi, der den Mustern der klassischen Detektivgeschichte fast zwanghaft folgt, kann diese Kausalität von Ursache und Wirkung nur deshalb bestätigen und bekräftigen, weil er etwas Entscheidendes immer wieder auslässt. Der Kriminalfall, um den es geht, endet bei ihm mit der Identifizierung der Täter. Er lässt damit außer Acht, dass in einer Zivilgesellschaft als Täter nur gelten darf, wer in einem ordentlichen Strafverfahren als solcher überführt und verurteilt wurde. Nicht nur das. Indem der Fernsehkrimi gerade das prozessuale Verfahren der Rechtsprechung außer Acht lässt, promoviert er den Ermittler oder die Ermittlerin zu jener einzig wahren Autorität, die entscheidende Erkenntnisse über die Wirklichkeit von Mord und Todschlag zu gewinnen vermag und in der seriellen Darstellung zugleich vermittelt. Daran ändert auch nichts, dass diese Personen regelmäßig als angeschlagene Charaktere und als Personen voller Widersprüche in Szene gesetzt werden. Gerade diese vermeintlich kritische Darstellung mehrt sogar gerade noch ihren Ruf, schwierigsten Verhältnissen die Wahrheit abzutrotzen.  

Die Struktur des konventionellen Fernsehkrimis weist also mehrfach autoritäre Strukturen auf: Ein allwissender Erzähler, der Zweifel an seiner Erzählweise nicht kennt, lässt als Protagonisten Autoritätspersonen agieren, die bei allen (Selbst-)Zweifeln ihrer Aufgabe treu bleiben, mittels Indizienermittlung die zu Beginn geschilderte Tat aufzuklären und so zu Tage zu fördern, was der jeweilige Film oder die jeweilige Serienfolge am Ende als Wahrheit der Ereignisse identifiziert. Ihre Autorität reicht so weit, dass diese Wahrheit nicht durch ein Gericht festgestellt oder überprüft werden muss, sie ist ihrer selbst genug.

1990 untersuchte Wolfgang Pohrt das Bewusstsein der Deutschen kurz nach der Wiedervereinigung. Er benutzte für seine Befragung ein Interview-Verfahren, das Adorno und andere in den 1940er-Jahren bei ihren „Studien zum autoritären Charakter“ in den USA verwandt hatten. In den Schlussfolgerungen seines Buches „Der Weg zur inneren Einheit“, das 1991 erschien, heißt es, „daß man die simplen autoritären Neigungen bei den Landsleuten nicht vergeblich sucht“ und „daß gegen ein konventionelles autoritäres Regime kein inhaltlich begründeter Widerstand in nennenswertem Umfang existieren würde“. Wer das damals für übertrieben hielt, ist durch die nun langanhaltenden Wahlerfolge der AfD eines Irrtums überführt worden.

All das, was der klassische Fernsehkrimi verheißt, findet man im Wahlprogramm dieser Partei: Verheißung autoritärer Strukturen, ausgeprägtes hierarchisches Denken, Auflösung von Komplexität und Überführung in einfache Ursache-Wirkungs-Schemata, Definition von endgültigen Wahrheiten. Selbstverständlich hat die Monokultur des Fernsehkrimis diese gesellschaftliche Tendenz nicht initiiert. Aber sie hat von eben dieser Tendenz profitiert, indem sie dank ihrer zur populärsten Erzählform aufstieg.

Unter dem Titel „Was ist das mit der deutschen Vorliebe für Fernsehkrimis?
erschien der Beitrag zuerst auf culturmag.

Dietrich Leder
Professor Dietrich Leder publiziert off- und online in Tages-, Wochenzeitungen, Fachzeitschriften und Blogs. Er lehrte und forschte an der Kunsthochschule für Medien Köln über Fernsehkultur mit den Lehrgebieten Dokumentarfilmpraxis, Mediengeschichte, Fernsehformate.

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