»Wir verändern die Erde auf zehntausende Jahre hinaus«

Waldbrand in der Gohrische Heide, von Glaubitz aus gesehen
(Foto, 3. Juli 2025: Mosbatho auf wikimedia commons)

Wo stehen wir? Es werden extreme Temperaturen in aller Welt registriert. Laut ECMWF (European Center for Medium-Range Weather Forecasts) war der Juni 2025 global der drittwärmste Juni seit Beginn der Wetteraufzeichnungen – knapp ein halbes Grad wärmer als der Monatsdurchschnitt der Jahre 1991bis 2020 und etwa 1,3 Grad Celsius wärmer als der geschätzte vorindustrielle Juni-Durchschnitt von 1850 bis 1900. Vierzehn der letzten 24 Monate lagen deutlich über 1,5 Grad darüber. Die jüngste Hitzewelle in Westeuropa ist nach einer Studie des Imperial College London um bis zu vier Grad heißer ausgefallen und hat so auch die Zahl der Hitzetoten erheblich ansteigen lassen. „Über 50 Grad Celsius. Türkei meldet Hitzerekord.“

Auch die TAZ blickt auf die »lautlosen Killer«, die in diesem Jahr so früh wie noch nie gemessen wurden. »Von 2020 bis 2024 gab es pro Jahr 22 Hitzetage in Deutschland, 50 Prozent mehr als ohne Klimawandel zu erwarten gewesen wären«, heißt es hier. Dieses Datenprojekt zeigt, wie durch den Klimawandel die Sommer in Berlin gefährlich heiß werden – je nach dem, wo man wohnt: »Wohlhabende leben in den kühlen Gegenden, Arme müssen schwitzenEin Bericht des UN-Umweltprogramms Unep warnt vor zunehmenden Risiken für ältere Menschen, nicht zuletzt durch Hitzewellen. Demnach sind die jährlichen hitzebedingten Todesfälle unter älteren Menschen seit den 1990er Jahren um schätzungsweise 85 Prozent gestiegen. Die Hitze befeuert auch das Risiko von Waldbränden. Derjenige in der sächsischen Gohrischheide, der einige Tage Schlagzeilen machte, hat 86 Prozent der Vegetation auf 2.400 Hektar Naturschutzgebiet zunichte gemacht: »Das ist fast das Dreifache der Fläche, die seit 1991 durchschnittlich in einem ganzen Jahr in ganz Deutschland verbrannt ist.« 

Wie könnte man Menschen für Klimaschutz motivieren?

Braucht das Thema Hitze-Gefahr mehr Aufmerksamkeit? Oder eher eine andere politische Praxis? Jonas Waack macht sich hier Gedanken darüber und findet es bemerkenswert, dass es Grüne oder Fridays for Future »in dieser Katastrophenwoche nicht geschafft haben, in jeder Hitzesondersendung Forderungen nach mehr Klimaschutz unterzubringen«. (Es gab Sondersendungen?) Die Hoffnung, »dass die Menschen Klimaschutz fordern würden, wenn die Klimakrise nur offensichtlich genug würde«, sei angesichts der allgemeinen Verdrängungspraktiken nicht mehr haltbar. Das stelle der Klimaschutz-Minderheit eine neue Aufgabe: praktische Hilfe-Schutz-Arbeit.

Wie könnte man Menschen wieder mehr für Klimaschutz motivieren? Hier wird über eine Studie der Universität von Pennsylvania berichtet, die siebzehn psychologische Ansätze testete: Reine Information zum Beispiel bewirkt wenig, Hilfen wie ein CO2-Rechner ebenso. »Besonders wirksam waren dagegen Aufgaben, die Vorstellungskraft und persönliche Verbindung nutzten. Wer sich eine konkrete Zukunft ausmalte und sich selbst oder eine nahestehende Person darin sah, reagierte stärker. Am besten schnitten Gruppen ab, die sich gleichzeitig mit ihrem eigenen Verhalten beschäftigten und eine emotionale Verbindung herstellten.«

Apropos konkrete Zukunft: »Das ist wahrscheinlich einer der kältesten Sommer deines Lebens«, ist ein ausführliches Gespräch mit den Klimawissenschaftlerinnen Friederike Otto und Stefan Rahmstorf betitelt. Sie werfen hier vor dem Hintergrund von Temperaturabweichungen bis 14 Grad über dem langjährigen Durchschnitt in vielen Ländern einen Blick ins Jahr 2100. Eine wahrscheinliche Drei-Grad-plus-Welt bedeute für »die meisten Landgebiete sechs Grad Erwärmung«, das setzt nicht nur Ökosysteme bisher unbekannten Belastungen, sondern auch soziale Infrastrukturen. Meeresspiegel, Ernährungssicherheit, Wetterextreme… es ist offen, welche Gebiete und wie bewohnbar in jenem Sinne bleiben, welcher der heutigen Vorstellung von »normal« entspricht. Rahmstorf: »Durch die Entscheidungen, die wir jetzt gerade fällen, verändern wir den Planeten auf zehntausende Jahre hinaus… Was bedeutet, das Ganze muss Top-Priorität in der Politik haben, Vollbremsung bei den Emissionen und keine Verzögerungstaktiken mehr.«


Der Inbegriff von Meer, kühlem Wind und Frische – im Museum [Klaus West]
Im Juli und August nach Madrid zu reisen, kam natürlich wegen der hohen Temperaturen nicht in Frage, ich war im Juni (2025) im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts da. Bis zu 40 Grad an den wärmsten Tagen. Immerhin sank in der Nacht der Temperaturpegel auf erholsame 23 Grad und die Morgenstunden im nahe gelegenen Retiropark waren angenehm kühl. Dies wussten auch die sportlich aktive Mittelklasse in ihrem Work-Life-Balance-Modus und die Besitzerinnen und Besitzer von Hunden zu schätzen. Aber ab elf Uhr vormittags war es ratsam, die Holztüren vor den kleinen Balkons meines Appartements zu schließen.
Was tun bis zu den Abendstunden, wenn die Temperaturen wieder angenehmer werden? Gewiss, der interessanten Frage nach dem Verhältnis von informeller und formeller Arbeit in Süd- und Mittelamerika sowie in Ost- und Westeuropa nachzugehen. Aber die Arbeit in der von der Außenwelt abgeschotteten klimatisierten Wohnung ging mir nach einigen Stunden auf die Nerven. Schließlich hielt ich mich in der spanischen Hauptstadt auf und bekam dennoch nichts vor ihr mit.
Wenn ich das Haus verlasse und auf die Straße trete, gerade ich in eine Luft aus warmem Schaum. Alle leiden unter der Hitze. Und selbst ein Kollege aus Manaus (Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Amazonas), der seit langer Zeit an der Universidad Autónoma de Madrid arbeitet, hat zu kämpfen mit wochenlangen Tagestemperaturen jenseits der 35 Grad. Also kann nicht allein meine nördliche Herkunft der Grund meines Hitzeleides sein.
Ich vergesse die Zumutung des Backofens für einige Augenblick, als ich in meiner Straße die schwer tragenden Zulieferer zu den Geschäften sehe. Vor einigen Tagen musste ein Bauarbeiter in meiner engen Straße das Pflaster aufreißen. Es war Arbeit mit einem Gehörschutz, sein Körper war den Schlägen der Presslufthämmer ausgesetzt, der Staub wurde aufgewirbelt, 37 Grad standen in der Luft.
Gelegentlich treffe ich mich abends mit Freunden. Gesprächsthema ist vor allem die Krise der spanischen Regierung, oder besser gesagt, die ihres Ministerpräsidenten Pedro Sánchez. Einiger seiner Vertrauten stehen unter Korruptionsverdacht.
Immerhin hatte ich, wenn schon nicht den Zeitpunkt meines Aufenthaltes, den Ort gut gewählt. Die großen Museen der Stadt, der Prado, das Museo de la Reina Sofía und das Museum Thyssen-Bornemisza – keines ist mehr als 10 Minuten zu Fuß entfernt. In den heruntergekühlten Sälen lässt es sich gut aushalten. Im Reina Sofía hängen Picassos Guernica und alle die Vorstudien zu diesem Werk.
Noch näher als die genannten Museen liegt übrigens das CaixaForum. Es ist ein hypermodernes Museum der Caixabank, das erst vor wenigen Jahren vom Königspaar Spaniens eingeweiht worden ist. Gegenwärtig gibt es eine Ausstellung zur Kultur der Südsee, Voces de Pacifico. Zu sehen sind Kleidung und Alltagsgegenstände, Kanus und Waffen, Videos von den Tänzen der verschiedenen Inseln und eine Fahrt zwischen ihnen auf einem High-Tech-Katamaran. Den stärksten Eindruck aber hinterlässt das kleine Foto einer Südseeinsel. Es ist der Traum des Lebens auf einem Archipel unter ultramarinblauem Himmel. Der Inbegriff von Meer, kühlem Wind und Frische. [Klaus West]

Spanische Forscherinnen zeigen, dass die verbleibende Eisdicke der drei größten Pyrenäengletscher in weniger als 10 Jahren verschwunden sein wird. Im Südpolarmeer haben Expertinnen ein – wie es hier heißt – »rätselhaftes Phänomen« entdeckt: Das Wasser wird seit einigen Jahren salziger, heißer und verliert schnell Eis, denn durch höheren Salzgehalt im Oberflächenwasser kann die Wärme in den Tiefen des Ozeans leichter aufsteigen und das Meereis von unten schmelzen. Einer der Forscher spricht von einer »gefährlichen Rückkopplungsschleife«. Während die Möglichkeit eines Zusammenbruchs der Ozeanzirkulation AMOC (Atlantische Meridionale Umwälzbewegung) im Nordatlantik zuletzt einige Beachtung fand, hat ein internationales Wissenschaftlerteam eine starke Umkehr der Ozeanzirkulation im Südpolarmeer festgestellt: »Dies könnte beispiellose globale Klimaauswirkungen haben.« Die Störung der SMOC könne »kaskadierende Effekte auf andere Zirkulationssysteme wie den AMOC auslösen, mit potenziellen Folgen für das Klima in Europa und anderen Regionen«.

Die neue Erkenntnis wurde durch neue satellitengestützte Ozeanbeobachtung möglich. Mit einer neuen Generation von Satellitenmissionen hofft nun die ESA, auch die Fähigkeit zu verbessern, »große Klimarisiken im Zusammenhang mit AMOC-Veränderungen zu erkennen und darauf zu reagieren«. Jüngste Analysen hätten darauf hingedeutet, »dass die AMOC kurz vor einem kritischen Wendepunkt stehen könnte. Ein Zusammenbruch könnte einen abrupten globalen Klimaumbruch auslösen – und paradoxerweise extreme Kälte in Teile Europas bringen.« 

Der Beitrag von Tom Strohschneider erschien zuerst als Klimanotizen 71 auf linksdings.

Tom Strohschneider
Tom Strohschneider ist Journalist und Historiker, war Redakteur des Freitag und der TAZ, 2012-2017 Chefredakteur Neues Deutschland und arbeitete federführend an der monatlich erscheinenden Wirtschaftszeitung OXI mit.

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