„Zölle korrigieren das Handelsdefizit jedenfalls nicht“

Foto: Syadthabigo auf wikimedia commons

Die zweite Amtszeit des US-Präsidenten Trump werde eine erhebliche Schieflage für die US-Wirtschaft bedeuten und eine tiefgreifende Veränderung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen mit sich bringen, „denn alle Industrieländer werden tendenziell Handel und Auslandsinvestitionen einschränken“, sagt der spanische Wirtschaftswissenschaftler Rafael Myro im Gespräch mit Klaus West, der auch die Übersetzung aus dem Spanischen besorgte. Die Unkenntnis des Unternehmers Trump in Wirtschaftsfragen sei sehr groß, betont Myro. „Erstens ermöglicht die unternehmerische Tätigkeit keinen vollständigen Überblick über das Verhalten einer Wirtschaft und die Wechselbeziehungen zwischen ihren verschiedenen Bereichen und Akteuren. Zweitens hat sich Trumps Praxis als Unternehmer auf das Baugewerbe und Spekulationsgeschäfte beschränkt. Drittens hört er seinen Beratern nicht besonders aufmerksam zu. Und viertens sind einige von ihnen nicht besonders brillant.“

Klaus West: Professor Myro, herzlichen Dank für Ihre Zeit. Welchen Sinn machen Gespräche und Reflexionen unter diesen Umständen, in denen Worte, Argumente und Vernunft stark an Bedeutung verloren haben?

Rafael Myro: Wir leben in einer entmutigenden Zeit, aber wir dürfen die Hoffnung auf eine bessere Welt und den Glauben an die Vernunft nicht verlieren, denn sonst hätte nichts einen Sinn, nichts wäre es wert, gelebt zu werden. Erinnern wir uns an Spinoza und seinen ungetrübten Optimismus.

Sie haben jahrzehntelang die Studierenden an der Complutense Universität von Madrid unterrichtet. Wie schätzen Sie die Rolle der intelligenten jungen Menschen ein, die heute im Begriff sind, für Unternehmen wie KPMG, Morgan Stanley etc. zu arbeiten. Sie haben einige dieser jungen Menschen ja in ihren Vorlesungen und Seminaren vor sich gehabt. Möglicherweise landen die besten ihrer Studenten in solchen streng geregelten hierarchisch organisierten Beratungsfirmen.

Rafael Myro: Ja, ich kenne einige, die diesen Weg eingeschlagen haben. Ich möchte jedoch behaupten, dass sie nicht alle guten Studenten sind, und ich bezweifle, dass sie die Mehrheit sind. Glücklicherweise interessieren sich viele weiterhin für eine Tätigkeit in nationalen oder internationalen Regierungsorganisationen oder in Forschungsabteilungen von Banken, Finanzunternehmen und anderen normalen produzierenden Unternehmen.

Rafael Myro Sánchez ist emeritierter Professor für Angewandte Wirtschaftswissenschaften an der Universidad Complutense de Madrid, wo er seit 1975 tätig ist. Er hat viele Arbeiten über die spanische Wirtschaft geschrieben, vor allem über das Wachstum, die Spezialisierung und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, den Außenhandel und die Rolle ausländischer Investitionen. Diese sind in verschiedenen Büchern und Artikeln in spanischen und internationalen Wirtschaftsmagazinen erschienen.
Außerdem hat er mit der Zentralregierung und mehreren Regionalregierungen bei der Analyse der Industrie, ihrer Wettbewerbsfähigkeit im Ausland und der Leitlinien der Industriepolitik zusammengearbeitet. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit leitete er mehr als 35 Forschungsprojekte, die von öffentlichen Einrichtungen in Auftrag gegeben und finanziert wurden. Im Jahr 2023 wurde ihm vom Staatssekretariat für Handel die Verdienstmedaille für Handel für seine Arbeiten zum Außenhandel Spaniens und für seine Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung in diesem Bereich verliehen.
Professor Myro war Mitglied des Akademischen Rates des Real Colegio Complutense an der Harvard University (2007-2011) und gehörte den Redaktionsbeiräten mehrerer Wirtschaftsmagazine an. Derzeit ist er Mitarbeiter des Santander Nebrija-Lehrstuhls für Unternehmensinternationalisierung, wo er am Aufbau eines Netzwerks von Forschern im Bereich der internationalen Wirtschaft und an der Organisation der Forschungstage zur Internationalisierung mitwirkt, die in diesem Jahr zum achten Mal stattfanden. Im Jahr 2024 wurde er Mitglied von EuropeG (Gruppe für Meinung und Reflexion in der politischen Ökonomie).

Zur genaueren Beschreibung ihrer Rolle als Professor für angewandte Ökonomie könnte ein Text von Michel Foucault aufschlussreich sein. Er hat ihn 1984 über Immanuel Kants „Was ist Aufklärung?“ geschrieben, also exakt 200 Jahre nach dem Erscheinen von Kants Aufsatz. Dort schlägt Foucault den Intellektuellen die „Grenzhaltung“ vor. Sie sollten immer beide Seiten der Grenze beobachten: also beispielsweise die Schnittstelle zwischen Informalität / Formalität, zwischen Staat und Gesellschaft oder auch die zwischen der Ausbildung und der Berufspraxis von Ökonomen. Übrigens hat Jürgen Habermas, auf Foucaults letzten Text vor seinem Tode eingehend, diese Grenzhaltung mit folgendem Satz charakterisiert: “Como un arquero, dirige la flecha en el corazón del presente condensado en actualidad”. („Wie ein Bogenschütze zielt er mit seinem Pfeil auf das Herz der zur Wirklichkeit verdichteten Gegenwart.“)

Rafael Myro: Was für ein schöner Satz! Ich muss Ihnen gestehen, dass mich diese Rolle des Intellektuellen schon immer fasziniert hat, verstanden als jemand, der in der Lage ist, Wissen für Entscheidungen und praktisches Handeln zu nutzen, um die Welt funktionsfähig zu machen und voranzubringen. Ich glaube, das war die Vorstellung der griechischen Philosophen von Weisheit, die sie nicht getrennt betrachten konnten von der Kraft, die Welt zu verändern, und damit von Macht. Man sollte sich daran erinnern, dass viele der ersten vorsokratischen Philosophen Politiker, Gesetzgeber oder Diplomaten waren.
Heute jedoch scheint die Macht nicht viele Philosophen oder Wissenschaftler in ihrer Nähe zu wollen, obwohl sie oft das Gegenteil behauptet. Infolgedessen glaube ich, dass nur sehr wenige wirklich Einfluss haben. Sie müssen wirklich gut sein und viele Hindernisse überwinden. Aber man muss auch anerkennen, dass wir nach wie vor sehr gute Intellektuelle in allen Wissensbereichen haben. In meinem Alter bin ich immer wieder von der Tiefe des Denkens vieler Intellektueller beeindruckt. Das menschliche Denken ist bewundernswert.

Grenzen der Wirtschaft wurden deutlich

Und wie ist das bei Ihnen: Welchen Einfluss haben Sie?

Ich hatte Glück, da ich die Zentralregierung und verschiedene Regionalregierungen in Spanien beraten konnte. Diese Beratung beschränkte sich jedoch fast immer entweder auf allgemeine Strategien oder auf sehr spezifische Bereiche wie Industriepolitik, Außenhandel, Anwerbung ausländischer Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Ich habe nie Machtpositionen außerhalb des akademischen Bereichs innegehabt.

Beobachtung der Schnittstellen zwischen „Wirtschaft und Gesellschaft“. Oder besser: Beobachtung der Beobachtung. Ein wichtiger kritischer Diskurs über die politische Ökonomie thematisiert die Begrenzung der Ökonomie. Dessen Anliegen: Nicht das ganze Leben soll von den Gesetzen der Ökonomie bestimmt werden. Insbesondere Intellektuelle aus Kunst und Kultur melden sich so zu Wort. Wie schätzen Sie diese Interventionen ein?

Rafael Myro: Ich halte sie für sehr positiv und unverzichtbar. Die Wirtschaft selbst unterliegt vielen Einschränkungen. Auch deshalb versuchen die Wirtschaftswissenschaften, mit ihren Modellen die Realität zu vereinfachen, aber oft vereinfachen sie zu sehr. Generell gilt: Wissenschaften, die sich mit Menschen befassen, also auch die Wirtschaftswissenschaften, haben mehr Einschränkungen als die reinen Wissenschaften, da Menschen eine komplexe Rationalität besitzen, nicht immer nach den Annahmen der Wissenschaft handeln, darüber hinaus ihre Entscheidungsprämissen und Reaktionen im Laufe der Jahre verändern.

Die Grenzen der Wirtschaft sind in jüngster Zeit, in den letzten Jahrzehnten, deutlich geworden, beispielsweise mit der Finanzkrise, dem Stillstand der Globalisierung oder anhand der schwachen Reaktion des Arbeitsmarktes auf starke Erhöhungen des Mindestlohns.
Darüber hinaus schränken viele Wirtschaftswissenschaftler die Anwendung wirtschaftlicher Theorien ein, indem sie bestimmte Annahmen und Regeln verzerrt interpretieren oder wichtige Aspekte wie die ungleiche Einkommensverteilung außer Acht lassen.
Infolgedessen wird zu Recht zunehmend kritisiert, dass sich die Wirtschaftswissenschaften nicht für andere Wissenschaften öffnen. Dies ist zweifellos dringend erforderlich. Andere Wissenschaften können ihr helfen, ihre Verhaltensannahmen und ihre Sicht auf die Rahmenbedingungen, in denen sich Individuen bewegen, zu verbessern.

Nicht besonders brillante Berater

Hat diese Beobachtung von Grenzüberschreitungen oder Interventionen bestimmter Unternehmensführer in die Hoheitsbereiche der Demokratie gegenwärtig nicht an Evidenz gewonnen? Können wir nicht sagen: Der amtierende Präsident Donald Trump führt die USA wie ein Unternehmen? Und falls ja: Welche Konsequenzen sind kurz- und mittelfristig zu erwarten?

Rafael Myro: Ja, das ist richtig, Donald Trumps Unkenntnis in Wirtschaftsfragen ist sehr groß. Dies ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen: Erstens ermöglicht die unternehmerische Tätigkeit keinen vollständigen Überblick über das Verhalten einer Wirtschaft und die Wechselbeziehungen zwischen ihren verschiedenen Bereichen und Akteuren. Zweitens hat sich Trumps berufliche Praxis als Unternehmer auf das Baugewerbe und Spekulationsgeschäfte beschränkt. Drittens hört er seinen Beratern nicht besonders aufmerksam zu. Und viertens sind einige von ihnen nicht besonders brillant.

An wen denken Sie vor allem?

Man denke nur an Peter Navarro, seinen Berater für Handelspolitik und wichtigsten Befürworter der Einführung von Zöllen zum Ausgleich bilateraler Handelsungleichgewichte – ein Unsinn. Als ich 2019 einen Forschungsaufenthalt an der Harvard University absolvierte, hielt Peter Navarro einen Vortrag mit dem Titel „Ricardo is dead“, in Anspielung auf David Ricardo, den großen englischen Ökonomen und Vater des Prinzips des komparativen Vorteils; die fortgeschrittensten Länder haben sich bei ihren Industrialisierungs- und Produktionsstrategien von diesem Prinzip leiten lassen. Er ist der Ansicht, dass dieses Prinzip in einer Welt, in der Kapitalbewegungen die Warenbewegungen dominieren, nicht mehr gültig ist.

Peter Navarro (Foto: Gage Skidmore auf wikimedia commons)

Kann Navarro dafür Belege vortragen?

Navarro ist der Ansicht, dass in der Zeit Ricardos, an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, der freie Handel und freie Wechselkurse für ein Handelsgleichgewicht sorgten und dass Außenhandelsdefizite, wie sie die USA heute aufweisen, ein Produkt einer komplexeren Welt sind, in der Kapitalströme vorherrschen und das Prinzip des komparativen Vorteils nicht gilt. Dies wird jedoch von keinem wissenschaftlichen Beweis gestützt. Es gab schon immer große Außenhandelsdefizite und bedeutende Kapitalbewegungen. Großbritannien beispielsweise hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Handelsdefizite in Höhe von fünf Prozent des BIP.

Zuvor noch kurz zur Erläuterung: Ein Handelsdefizit ist in der Regel eine Folge davon, dass mehr ausgegeben als produziert wird. Behoben wird es, indem die Gesamtnachfrage gesenkt wird. Entscheidend ist: Die Handelspolitik eines Landes muss immer das Gesamtdefizit im Blick haben, das ist die entscheidende ökonomische Kennziffer. Es geht nicht um die bilateralen Defizite mit einzelnen Ländern, denn diese können aus vielen Gründen gerechtfertigt und sinnvoll sein, beispielsweise aufgrund der Spezialisierung einzelner Länder auf bestimmte Produktionen und Produkte. Auf jeden Fall gilt: Zölle korrigieren das Handelsdefizit nicht. Denn sie verringern einerseits die Exporte, weil mehr Ressourcen benötigt werden, um die verteuerten Importe zu ersetzen. Und andererseits führen sie zu einer Aufwertung der Währung, was die via Zölle künstlich verteuerten Importe wiederum verbilligt und so den eigentlich beabsichtigten Effekt der Zölle konterkariert.

Zur Rolle ausländischer Investitionen

Wenn die Zoll- und Handelspolitik von Donald Trump auf einer solchen tiefgreifenden Fehlannahme beruht, was werden die Folgen sein?

Rafael Myro: Die zweite Amtszeit von Trump wird eine erhebliche Schieflage für die US-Wirtschaft bedeuten und eine tiefgreifende Veränderung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen mit sich bringen, denn alle Industrieländer werden tendenziell Handel und Auslandsinvestitionen einschränken. Sollte dies wiederum nicht der Fall sein, dann müssten wir Ökonomen unsere Theorien überdenken. Trump ist eine Herausforderung für unsere wirtschaftlichen Ideen. Aber ich habe ebenso wenig Zweifel wie weltweit die renommiertesten Ökonomen sie haben, dass diese sich bewähren werden. Auch gegen Trump.

Zum Repertoire populistischer Politik gehört der Grundsatz: im Staat „x“ sollen die Interessen der Bevölkerung von „x“ an erster Stelle stehen. Wenn wir für „x“ „Amerika“ einsetzen, heißt es „America first!“. Aber es gibt auch moderatere Formen des Populismus, die die Abneigung der einheimischen Bevölkerung gegen ausländisches Kapital forcieren. Die These vom „Imperalismus“ der USA oder der von China ist weit verbreitet. Wie stehen Sie zu dieser These?

Rafael Myro: Ja, es gibt nach wie vor starke Reaktionen gegenüber multinationalen Unternehmen und ausländischem Kapital. Das ist durchaus nachvollziehbar, da diese Unternehmen oft wenig Verständnis für die Bevölkerung der Gastländer gezeigt und deren Bedürfnisse kaum berücksichtigt haben. Dies wird heute häufig im Zusammenhang mit chinesischen Investitionen in Afrika oder Lateinamerika erwähnt, die als unsensibel gegenüber den Entwicklungsbedürfnissen der Gastländer wahrgenommen werden. Es gibt beispielsweise Spekulationen über die Investitionen des chinesischen Elektrofahrzeugherstellers BYD in Ungarn: das Unternehmen wird dort offenbar nur Montageaktivitäten durchführen lassen, obwohl es ein Technologieentwicklungszentrum errichtet hat. Die gleiche Besorgnis besteht hinsichtlich einer Gigafabrik für Elektrofahrzeugbatterien des chinesischen Unternehmens CATL in Aragón, Spanien.

Screenshot: Website CATL

Meines Erachtens ist es Aufgabe des jeweiligen Staates sicherzustellen, dass ausländische Investitionen den größten Nutzen für die Bevölkerung des Aufnahmelandes bringen. Das ist im Übrigen die Rechtfertigung für die Subventionen und Standortvorteile, die ihnen oft gewährt werden. Dafür muss ein hoher Anteil an inländischer Produktion und ein Technologietransfer an inländische Unternehmen vorgeschrieben werden.

Dass chinesische Elektrofahrzeughersteller den EU-Markt durchdringen, ist meiner Meinung nach aufgrund ihrer technologischen Überlegenheit unvermeidlich und wünschenswert. Die großen europäischen Automobilhersteller wie Volkswagen arbeiten bereits seit langem mit ihnen zusammen, insbesondere im Bereich Software, die für vernetzte und sogenannte autonome Fahrzeuge von entscheidender Bedeutung ist. Die Regierungen müssen dafür sorgen, dass ein Technologietransfer stattfindet, der die traditionellen europäischen Unternehmen stärkt und sie nicht aus dem technischen Wettlauf verdrängt.

Innovation, Wettbewerb, Politik

Lassen Sie uns zu den ganzheitlichen, holistischen Begriffen und den Großvokabeln wie „die Ökonomie“, „das System“ etc. einmal auf methodischen Abstand gehen. Welchen Nutzen verspricht das ökonomische Denken? Beschreiben Sie bitte als Beispiel den Zusammenhang von ökonomischem Denken und Innovationen?

Rafael Myro: Es ist eine komplexe Beziehung. Obwohl Innovation in der Wirtschaftswissenschaft stets als Schlüssel zum Wirtschaftswachstum angesehen wurde, ist es schwierig, eine Theorie zu entwickeln, die ihre wichtigsten Determinanten aufzeigt.
Unsere beste Annäherung an dieses Thema ist nach wie vor die von Joseph Schumpeter formulierte Theorie der kreativen Zerstörung, die jedoch von einigen neueren Ökonomen, wie Phillip Aghion und anderen Kollegen in ihrem Buch Le pouvoir de la destruction créative (2021), weiterentwickelt wurde. Innovation hängt positiv ab von Gewinnerwartungen und Anreizen zu deren Aufrechterhaltung (wie Patentschutz) und negativ von abschreckenden Kräften wie Wettbewerb, Besteuerung und anderen Faktoren, die die erzielbaren Erträge gefährden.

Diesem Ansatz folgend haben vor allem europäische Industrieländer versucht, Innovationen politisch zu fördern: zum einen mit mehr Wettbewerb, der die Suche nach neuen Produkten und Produktionsverfahren anregt, und zum anderen mit Schutzmaßnahmen, die Einnahmen aus Innovationen zumindest für einen bestimmten Zeitraum sichern. Damit bringen diese Länder ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass Joseph Schumpeters Pessimismus hinsichtlich der negativen Auswirkungen des Wettbewerbs auf Innovationen unbegründet ist. Er war nämlich der Ansicht, dass der Wettbewerb die Anreize für Investitionen in neue Technologien verringert, da er die damit verbundenen Monopoleinkünfte nicht sichern könne, und dass deshalb etablierte Unternehmen dazu neigen würden, jegliche Innovation zu bremsen.

Detail der Wandmalerei „Wenn Wände sprechen könnten… über Wirtschaft“ von Ángel Idígoras aus dem Jahr 2022 an der Fakultät für Wirtschafts- und Unternehmens-wissenschaften der Universität Málaga.Zu sehen sind u. a. Amartya Sen, Alfred Marshall, Joseph Schumpeter und Clive WJ Granger. (Foto: Daniel Capilla auf wikimedia commons)

Hatten die europäischen Industrieländer mit ihren Maßnahmen, die Innovationsdynamik tatsächlich auch fördern können? Wie ist deren Bilanz?

Rafael Myro: Die beiden eben genannten politischen Maßnahmen haben nicht verhindert, dass die Europäische Union in die Falle der mittleren Technologien getappt ist. Das heißt, sie ist bei der Entwicklung der digitalen Wirtschaft und der künstlichen Intelligenz ins Hintertreffen geraten; obwohl die positiven Auswirkungen dieser Technologien auf das Wachstum seit langem untersucht und quantifiziert werden, also zweifellos bestehen. Sie haben auch nicht verhindert, dass große US-Technologieunternehmen mit der Übernahme aller Start-ups eine bedeutende Marktbeherrschungsposition erreicht und die technologische Entwicklung in diesem entscheidenden Bereich vollständig monopolisiert haben. Entgegen den Erwartungen von Schumpeter haben die etablierten Unternehmen in diesen Sektoren in Gänze nicht versucht, Innovationen zu bremsen, um ihre Monopolgewinne zu sichern, sondern sie haben Techniken weiterentwickelt und für sich genutzt – eine sehr geschickte und vorteilhafte Position. Die von mir hier vertretene Annahme gilt generell, obwohl diese Digital-Monopolisten im Einzelnen immer wieder mit Hilfe ihrer Vertragspolitik einzelne Kunden zwingen, veraltete Techniken länger als nötig und zudem zu überhöhten Preisen zu nutzen.

Digitale Giganten

Ist dies ein Problem des Prinzips, sind also die beiden ergriffenen Maßnahmen per se unzureichend? Oder wurden letztlich sinnvolle politische Maßnahmen von der Politik der EU nur schlecht umgesetzt?

Rafael Myro: Letzteres schließe ich nicht aus. Es ist möglich, dass die genannten schlechten Ergebnisse vor allem auf Mängel bei der Umsetzung der beiden genannten Maßnahmen zurückzuführen sind. So kommt der Draghi-Bericht bei der Analyse der Innovationssituation in Europa zu dem Schluß: Die Europäische Union habe ihre Wettbewerbspolitik übertrieben und damit Unternehmen daran gehindert, größer zu werden und deshalb höhere Gewinne zu erzielen und deshalb sei es ihnen erschwert worden, ihre Innovationen auf neue und disruptivere Technologien auszurichten, denn deren Kapitalbedarf sei enorm. Die Vereinigten Staaten hingegen hätten das Gegenteil getan: Sie schränkten gezielt den Wettbewerb ein, um bewusst digitale Giganten hervorzubringen und zu fördern. Darüber hinaus hätten sie staatliche Unterstützung gewährt für Fortschritte in breit gefächerten Militärtechnologien mit weitreichenden externen Effekten (Internet, Touchscreens usw.).

Wo genau liegt der Unterschied in der Innovationspolitik der EU und der USA?

Rafael Myro: Europa hat im Gegensatz zu den USA die Aktivität der Staaten im Sektor der technischen Entwicklung so weit wie möglich eingeschränkt, da in der EU die Idee vorherrscht, das sei ausschließlich Aufgabe der Unternehmen. Die Staaten sollten sich allein auf die Förderung des wissenschaftlichen Fortschritts konzentrieren — und sich aus dessen Anwendung heraushalten.

Es heißt allgemein: China hat richtig gehandelt und deshalb wegweisende Innovationen in Rekordzeit erzielt. Der chinesische Staat trieb den Wettbewerb zwischen den Unternehmen (vielleicht übermäßig) sogar an, gewährte und garantierte jedoch zugleich nennenswerte Belohnungen und übernahm zugleich einen erheblichen Teil der Kosten für die technologische Entwicklung via Subventionen. Nur ein Beispiel für diese Politik: Im Bereich der Elektrofahrzeuge sind mehr als 100 Unternehmen tätig, aber es wird erwartet, dass nur drei oder vier überleben werden.

Ist diese Politik des chinesischen Staates ein Vorbild für die EU?

Rafael Myro: Mir scheinen die eingesetzten Instrumente angemessen zu sein, sofern sie weiter verfeinert werden. Die Wettbewerbspolitik und die Politik zum Schutz von Innovationen sind durchaus sinnvoll, wenn diese Instrumente nicht nur statische Effizienz, das heißt Produktion zu den niedrigsten Kosten, sondern auch Dynamik, das heißt mittel- und langfristige Innovation, anstreben.
Und eine zweite Annahme muss erfüllt werden: Bei allen Innovationen mit starken externen Effekten und hoher Unsicherheit, wie beispielsweise bei der künstlichen Intelligenz muss der Staat stark präsent sein. Die Wirtschaftstheorie hat das stets empfohlen, doch die Europäische Union hat dies nicht erkannt. So muss beispielsweise der Staat mit positiven Beiträgen eingreifen, wenn es um technische Investitionen mit starken Externalitäten geht. Das heißt konkret: Unternehmen investieren in neue Techniken und profitieren davon. Andere Unternehmen wie auch Konsumenten sind davon ebenfalls berührt, haben jedoch keine oder wenige positive Effekte. Greift da der Staat nicht korrigierend ein, dann gäbe es vermutlich weniger Investitionen als gesellschaftlich wünschenswert wäre.

Europäische Unternehmen liegen zurück

Wie steht es um die Innovationskulturen in Unternehmen? Mit anderen Worten: Wie lassen sich das Kapital und die Kompetenz der Unternehmen, ihr „organisatorisches Kapital“, beurteilen?

Rafael Myro: Ein guter und interessanter Punkt. Eurostat misst bereits das Organisationskapital und folgt damit einer Tradition von Messungen anhand von Umfragen, wie sie beispielsweise vom World Management Forum oder dem World Economic Forum veröffentlicht werden. Sie bewerten verschiedene Aspekte der Unternehmensführung.

In der Regel werden zwei unterschiedliche Perspektiven kombiniert: eine eher organisatorische, die die Zusammenarbeit zwischen Arbeit und Kapital, die Delegation von Aufgaben, das Vorhandensein von Verbesserungsausschüssen und so weiter misst. Und eine eher technische, welche Planung, Innovation, Internationalisierung und die Bewertung von Ergebnissen misst. Trotz der großen Bedeutung der ersten Perspektive überwiegt in der Regel die zweite.

Eurostat geht noch einen Schritt weiter und versucht, dieses Organisationskapital zu quantifizieren, auch wenn mir nicht klar ist, wie dies geschieht. Das Ergebnis ist, dass europäische Unternehmen weit hinter den amerikanischen zurückliegen. Im Jahr 2020 betrug der Wert des Organisationskapitals pro Arbeitnehmer in den USA 17.600 Euro, in Deutschland 3.400 Euro, in Frankreich 8.700 Euro, in Italien 3.000 Euro und in Spanien 1.600 Euro. Diese Unterschiede sind vor allem Folge der Größe der US-amerikanischen Unternehmen. Die Unterschiede sind jedoch zu groß, als dass allein das die Ursache sein kann. Zur Erinnerung: Der Draghi-Bericht betont, es gebe einen großen Unterschied zwischen den Managementfähigkeiten amerikanischer und europäischer Unternehmen. Der schlage sich wiederum in höheren Renditen nicht nur in den Hochtechnologiesektoren, sondern auch in den übrigen, traditionelleren Sektoren nieder.

Insgesamt habe ich jedoch den Eindruck, dass die Sichtweise der Unternehmensleiter und Marktanalysten, deren Einfluss im Draghi-Bericht deutlich wird, die Kluft zwischen den Managementfähigkeiten amerikanischer und europäischer Unternehmen überzeichnet, ohne fundierte Analysen vorzulegen.

Humankapital als Dreh- und Angelpunkt

Ich komme nun zu den Schnittstellen, die Unternehmen haben: nach außen zu Staat und Gesellschaft und nach innen zu den Beschäftigten, ihrer Qualifizierung, generell zu dem „Lern- und Arbeitsklima“. Welche Veränderungen sehen Sie?

Rafael Myro: Ich bin der Ansicht, dass beide Schnittstellen derzeit einen tiefgreifenden Wandel durchlaufen. Es gibt eine Kultur des Wandels im Kapitalismus, in der Unternehmen nicht mehr ausschließlich die Zufriedenheit ihrer Aktionäre anstreben, sondern sich auch um ihre weiteren Stakeholder kümmern. Unternehmen müssen ihr Engagement für das wirtschaftliche und soziale Umfeld, in dem sie tätig sind, verstärken und zu dessen Verbesserung beitragen. Auf diese Weise maximieren sie auch den Nutzen, den sie daraus ziehen. Darüber hinaus verbreitet sich die Kultur, das Humankapital als zentralen Dreh- und Angelpunkt des Unternehmens zu pflegen und es an den Unternehmenszielen zu beteiligen. Diese Kultur wird sich nach und nach durchsetzen.

Darüber hinaus führt Europa eine neue Industriepolitik ein, die eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Staat erfordert, insbesondere bei der Entwicklung modernster Technologien, aber auch zur Sicherung der Energiewende. Unternehmen und Haushalte müssen ihre Produktionsprozesse dekarbonisieren, und der Staat muss diesen Prozess unterstützen.

Wie sieht Spanien heute auf Deutschland?

Rafael Myro: Die Spanier betrachten Deutschland als ein bedeutendes Land, als Vorbild für Unternehmertum und Innovation, von dem wir in vielen Bereichen unserer Wirtschaft, wie beispielsweise im Fahrzeugbau, im Maschinenbau, in der Chemie, in der Pharmazie und im Tourismus, abhängig sind. Wir sind Teil verschiedener Wertschöpfungsketten, die von deutschen Unternehmen angeführt werden. Darüber hinaus ist Spanien Deutschland zu Dank verpflichtet — für die Unterstützung bei unserem politischen Wandel und unserer Integration in die EU.

Allerdings werden die Deutschen unter Intellektuellen manchmal als übermäßig rigide und regelorientiert wahrgenommen. Ich habe gelegentlich die Kritik gehört, dass die Mischung aus deutschem Ordoliberalismus und romantischem Geist weder der Wirtschaft noch der Unternehmensführung zuträglich sei.

Auf jeden Fall wünschen sich viele Menschen in Spanien, dass Deutschland heute eine stärkere Führungsrolle in Europa übernimmt, um die europäische Integration und die strategische Autonomie Europas voranzutreiben. Es fällt uns schwer zu verstehen, dass die deutschen Politiker keine breitere Perspektive auf die Europäische Union haben. Wir können auch nicht nachvollziehen, warum Deutschland derzeit nicht die Führung beim Aufbau einer echten europäischen Verteidigung übernehmen will oder warum es sich weigert, die digitalen Technologien schneller voranzutreiben. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, darunter auch Spanien, weist Deutschland heute einen gewissen Rückstand bei der Digitalisierung auf.

Spaniens Integration in die EU

Wie steht es um die Innovationskultur in Spanien?

Rafael Myro: Die Innovationskultur in Spanien ist noch sehr wenig entwickelt. Es ist schwierig für Unternehmen, sie als notwendige und zentrale Kultur anzunehmen. Und ihre Entwicklung wird gebremst, weil sehr kleine Unternehmen und Kleinstunternehmen die spanische Wirtschaft dominieren. Dies ist immer noch so, obwohl in dieser Hinsicht in den letzten dreißig Jahren große Fortschritte erzielt wurden, mit einer wachsenden Zahl von Unternehmen, die multinationale Konzerne wurden und einer großen Gruppe von großen Unternehmen, die sich rasch ausweiten.

Die Integration Spaniens in die Europäische Union hat wesentlich zur Entwicklung innovativer Haltungen in Spanien beigetragen. Und Spanien hat sich sehr aktiv und zunehmend an den europäischen Rahmenprogrammen beteiligt. Spanien ist heute eines der Länder, die im Verhältnis zu ihren Ausgaben für Forschung und Entwicklung den größten Nutzen aus diesen Programmen ziehen.

Was fehlt: Die spanische Wirtschaft braucht einen Staat, der Forschung und Entwicklung stärker fördert und die Innovation von Unternehmen unterstützt, beispielsweise nach dem Vorbild Südkoreas. Leider hat der spanische Staat in den letzten vierzig Jahren keine entschiedenen Anstrengungen unternommen, um die entsprechenden Ausgaben zu erhöhen; sie liegen derzeit lediglich bei 1,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und weniger als die Hälfte davon stammen von den Unternehmen.

Es gibt Beobachtungen und Erfahrungen, die beim Austausch der Kulturen negativ sind: beispielsweise, dass der Prozess der Digitalisierung von der Konzernspitze in den USA aus erfolgt und auf europäische Arbeitskulturen keine Rücksicht genommen wird?

Rafael Myro: Die europäische Arbeitskultur ist in der Tat umfassender als die nordamerikanische und wird von sehr aktiven Gewerkschaften gepflegt und institutionalisiert. Ihre Rolle ist für die Dynamik der Unternehmen von entscheidender Bedeutung, da sie Abstimmung und Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit und damit die Würde der Arbeit fördern. Diese Kultur muss daher als eines der charakteristischen Merkmale Europas bewahrt und bereichert werden. Insbesondere angesichts der Bedrohungen, die heute aufgrund der Robotisierung und der Verbreitung künstlicher Intelligenz für die Arbeit der Zukunft bestehen, sowie angesichts der zunehmenden Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, die zum großen Teil auf die Entwicklung der Gig-Economy zurückzuführen ist.
Aber auch die nordamerikanische Arbeitskultur muss erweitert und bereichert werden, wenn sie die Entwicklung der künstlichen Intelligenz in die richtigen Bahnen lenken und dazu beitragen will, die zunehmende Ungleichheit in der Einkommensverteilung in diesem Land einzudämmen, die zu einem großen Teil auf den schwierigen Zugang zu höherer Bildung für einen bedeutenden Teil der Bevölkerung zurückzuführen ist.

Positiv gefragt: Können die Investitionen ausländischer Firmen zu Innovationen in nationalen Unternehmen führen? Kennen Sie Beispiele?

Rafael Myro: Ausländische Investitionen haben aufgrund des Austausches von Personal und aufgrund des Technologietransfers an inländische Zulieferfirmen ausländischer Unternehmen mit Sitz im Inland stets die Innovation in nationalen Unternehmen gefördert. Spanien verdankt einen Großteil seiner technologischen Leistungsfähigkeit ausländischen Unternehmen.
Um einen Technologietransfer zu erreichen, kommt dem Staat eine Schlüsselrolle zu, wie das Beispiel Südkorea zeigt, wo der Staat seit jeher eine wichtige Rolle spielt, nicht nur bei der Planung der technologischen Forschung, sondern auch bei deren Transfer in die Unternehmen.

CUPRA Tavascan, vollektrischer SUV  (Bild: Website CUPRA)

Ein gutes Beispiel für die Übernahme einer innovativen Kultur eines ausländischen Unternehmens ist das spanische Unternehmen SEAT, eine Tochtergesellschaft von Volkswagen. SEAT hat aus seiner Sportabteilung eine eigenständige Marke namens Cupra geschaffen, die heute mit dem Cupra Tavascan ein vollelektrisches SUV-Coupé anbietet. Dieses Fahrzeug wurde in Barcelona entworfen, wird jedoch in China hergestellt. Im Jahr 2026 wird SEAT einen neuen elektrischen Cupra, den Cupra Raval, in seinem katalanischen Werk in Martorell produzieren.

Die Rolle des Staates ist entscheidend

Abschließende Frage: Welchen Einfluss können reflektierte (und fortschrittliche) Ökonomen in diesen Prozessen haben? Ihr Ratschlag?

Rafael Myro: Ich bin der Ansicht, dass Ökonomen, wie andere Intellektuelle und Wissenschaftler auch, eine wichtige Rolle bei der Ausrichtung von Volkswirtschaften und Gesellschaften spielen sollten. Wenn politische und wirtschaftliche Macht sich von der Wissenschaft abwenden, wie dies derzeit in den USA deutlich zu beobachten ist, sind keine positiven Ergebnisse zu erwarten. Ich bin zuversichtlich, dass wir nicht lange auf die ersten negativen Folgen der aktuellen Entwicklungen in diesem Land warten müssen und dass diese zu einer Rückkehr zu früheren, normaleren Verhältnissen führen werden. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass progressive Ideen derzeit eine tiefe Krise durchlaufen.

Warum stecken progressive Ideen in einer Krise?

Rafael Myro: Wahrscheinlich weil sie in der Vergangenheit nicht progressiv genug waren. Meiner Meinung nach werden progressive Ökonomen und Wissenschaftler keinen Einfluss haben, wenn die progressiven Politiker und Parteien nicht gründlich darüber nachdenken, welche Rolle sie in den heutigen Gesellschaften spielen sollen, wie sie den neuen Herausforderungen des technokratischen Kapitalismus begegnen sollen und wie sie ihr Einfühlungsvermögen für die schwächsten Bevölkerungsgruppen verbessern können, die in der jüngsten Phase der Hyperglobalisierung weitgehend vernachlässigt wurden.

Dies ist eine Überlegung, die auch Mitwissenschaftler, Forscher und alle Intellektuellen betrifft. Im Falle der Ökonomen glaube ich, dass wir uns von unkritischen Ansätzen des Kapitalismus haben überwältigen lassen, die sich sehr gut an die Anforderungen der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit anpassen und weit entfernt sind von den Problemen der Arbeitslosigkeit und der Einkommensverteilung. So haben sich die marginalistischen Ökonomen von den Verteilungsproblemen distanziert, die David Ricardo schon früh aufgezeigt hatte und die die Debatte zwischen den sozialen Klassen anheizten, bis sie die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaft als Wissenschaft gefährdeten. Der Unterschied besteht darin, dass die Wirtschaftswissenschaft heute stark ist und in Verbindung mit anderen Wissenschaften noch stärker werden kann, sodass man sich nicht scheuen sollte, diese großen Debatten anzugehen.

Welche neuen Schwerpunkte müssen sich die Wirtschaftswissenschaften setzen?

Rafael Myro: Meiner Meinung nach erfordert die Entwicklung neuer Technologien, die die Arbeit der Zukunft bedrohen, eine stärkere Beschäftigung mit den Themen Beschäftigung und Einkommensverteilung. Wir verfügen ja über die theoretischen Instrumente, um dies zu tun. Dies ist eine notwendige Aufgabe, denn je nachdem, wie die Entwicklung der neuen Technologien gesteuert wird, könnten wir uns in einer Welt mit massiver Arbeitslosigkeit und wachsender Ungleichheit wiederfinden oder in einer gegensätzlichen Welt, in der die Bedürfnisse aller erfüllt werden, auch wenn nur wenige arbeiten. Die Rolle, die wir dem Staat und der Gesellschaft bei dieser Ausrichtung der neuen Technologien zukommen lassen, ist entscheidend. Daron Acemoglu und sein Team haben sich intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt, es lohnt sich, sie zu lesen. In dieser Hinsicht sind die Äußerungen von Peter Thiel, Elon Musk, Sam Altman und anderen großen Unternehmern besorgniserregend.

Klaus West
Dr. Klaus-W. West (kww) arbeitet freiberuflich als wissenschaftlicher Berater, u.a. der Stiftung Arbeit und Umwelt in Berlin. Zuvor kontrollierte Wechsel zwischen Wissenschaft (Universitäten Dortmund, Freiburg, Harvard) und Gewerkschaft (DGB-Bundesvorstand, IG BCE).

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