Sozialdemokratisches Kammerflimmern

Landauf, landab, regional, überregional, als Print und digital ist zu lesen, Herbert Wehner habe Dortmund als „Herzkammer der SPD“ bezeichnet. Die Quellenangabe fehlt überall. Einen in Düsseldorf ansässigen blog, der sich viel auf seine Nähe zur Sozialdemokratie zugutehält, habe ich gefragt, ob er, beziehungsweise der Autor eines diesbezüglichen Textes, mir schreiben könnte, wo die Quelle für die Herzkammer- Qualifizierung zu finden sei. Man hat kurzerhand die Frage entfernt. Auch eine Antwort.
Also: Watt is mit de Herzkammer. In seinen nachgelassenen Schriften und bei ausgewiesenen Kennern und Kennerinnen Wehners find ich keine Quellenangabe. Das ist ja auch eigentlich nix Schlimmes. Unser Menschenkosmos ist erfüllt von zugeschriebenen Worten, die sich nicht an eine Quelle und eine Person sicher binden, an einem Ort, an Zeit und Medium festmachen lassen. Es ist nur so: Vor wenigen Jahren noch wurde das angebliche Zitat mit einem gedanklichen „bo – eh“ zusammengelesen. Nun ist´s „bo eh“ weg und ein wenig Häme lagert sich auf der Herzkammer ab.

Was lässt sich denn überhaupt sagen? Wikipedia berichtet unter dem Stichwort  „Parteihochburg“ in NRW:  „Zwischen 1966 und 2005 und von 2010 bis 2017 stellte die SPD in NRW ununterbrochen den Ministerpräsidenten und das Land galt als „Herzkammer der SPD“. Hochburgen hat die SPD vor allem im zentral gelegenen Ruhrgebiet sowie in den zahlreichen Großstädten.“ Das ist ein wenig vorsichtiger beschrieben als bei vielen Koronar-Experten. Tatsächlich hat Wehner in der einzigen bekannten Anbindung etwas anderes gesagt, partiell jedenfalls. Ich folge hier dem SPD-Unterbezirk Bochum, um ins Jahr 1973 zu gelangen: „Herbert Wehner hat in seiner Gründungsrede die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen als ‚Auge, Ohr und Herzkammer der SPD‘ bezeichnet. Das war nicht fürs sozialdemokratische Feuilleton gesagt, sondern als Programm gemeint.“ Und dieser Satz hat offenkundig Beine bekommen. Resumee, Summe: Die Herzkammer zu Dortmund ist eher eine Gurke – wenngleich wunderbar klingend. Pardon: nicht Gurke sondern ein Gürk´sen, wie man da sagt.

Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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