Ein Rechnungshof trotzt dem Zeitgeist

Foto: TouN auf wikimedia commons

Der „Cour des comptes“, der französische Rechnungshof, hat kürzlich seinen ersten Bericht zum Stand der „Ökologischen Transformation“ in Frankreich vorgelegt. Für die deutsche Diskussion über Umwelt- und Klimapolitik sind nicht so sehr die auf französische Verhältnisse abgestimmten Empfehlungen an die politisch Verantwortlichen auf allen Ebenen interessant. Dabei ist es schon bemerkenswert, dass der Rechnungshof ausdrücklich Sektorziele für die Verringerung der klimaschädlichen Emissionen für nötig hält. In Deutschland ist genau das auf Betreiben der FDP im Gefolge markt-gläubiger Ökonomen abgeschafft worden. Die Begründung lautete, es sei unwirtschaftlich von allen Sektoren, vom Verkehr über die Gebäude bis zur Bereitstellung von Strom und Wärme gleichermaßen zu verlangen, ihre Emissionen so schnell wie möglich auf Null zu bringen. Ausgerechnet ein Rechnungshof sieht das ganz anders, und er hat recht.

Wenn es darum ginge, die klima- und umweltschädlichen Emissionen insgesamt zu halbieren, wäre es vernünftig, sich auf die Bereiche zu konzentrieren, in denen die Emissionsminderung besonders günstig verwirklicht werden kann. Wenn aber alle Bereiche in relativ kurzer Zeit CO2-neutral werden müssen, um Kipp-Punkte des Erdsystems zu vermeiden, dann ist es ein ganz falsches Signal z.B. im Verkehrsbereich nur niedrige Anforderungen zu stellen.

Der Bericht des französischen Rechnungshofs trotzt ganz allgemein dem Zeitgeist, der die Umwelt- und Klimapolitik in fast allen Ländern der EU und auf EU-Ebene im Rückwärtsgang treibt. Obwohl eine wirksame Umwelt- und Klimapolitik existentielle Voraussetzung für Wirtschaften und Wohlbefinden ist, wird sie seit einigen Jahren von immer mehr Regierungen und Parteien als störend und hinderlich dargestellt.

I Kosten der Transformation, Kosten des Nichts-Tuns

Über den Tellerrand des jährlichen Haushalts hinaus nehmen die Autoren in den Blick, welche Konsequenzen sich aus den Verpflichtungen Frankreichs durch internationale Abkommen, wie dem Pariser Klimaabkommen, und durch europäische Regeln zur „ökologischen Transformation“ ergeben. Während in großen Teilen der Politik Umweltprobleme eher geleugnet und verharmlost werden, weist der Rechnungshof durchaus auf Erfolge in bestimmten Bereichen hin, nennt die Dinge mit Blick auf die Gesamtsituation aber unmissverständlich beim Namen:

„Die andauernde nachgewiesene Verschlechterung unserer Umwelt verlangt dringendes Handeln, um deren Auswirkungen zu begrenzen [,,,] Die Kosten der Transformation, die viel niedriger sind als die Kosten des Nichts-Tuns, werden wachsen je mehr die Gestaltung der Transformation verzögert wird. Diese Umweltschäden haben nach den Schätzungen der großen Rückversicherungsunternehmen der Welt im Jahr 2024 zu direkten wirtschaftlichen Kosten weltweit von etwa 300 Milliarden Euro geführt, eine Zahl, die seit 2015 ständig steigt.“

Die Autoren weisen darauf hin, dass es dabei beileibe nicht nur um die Folgen der Klimaveränderungen geht: „Darüber hinaus verschlechtert sich die Situation in anderen Bereichen der ökologischen Transformation: Der Niedergang der Biodiversität setzt sich fort, die Anpassung an die Klimaveränderungen bleibt zurück, während die Folgen sich ausweiten, die Abfallmenge steigt, der Zustand der Wasserressourcen verschlechtert sich angesichts wachsender Gefährdungen (Verschmutzungen, Urbanisierung, Störung des Wasserkreislaufs, etc.). In diesen Bereichen bleiben die Fortschritte durch öffentliches Handeln begrenzt, das durch unzureichende Daten, unzureichende bezifferte Ziele und Indikatoren behindert, aber nie verhindert wird.“

II „Der Ehrgeiz unseres Jahrhunderts“

Als Leitmotiv für seine Empfehlungen an die französische Regierung stellt der Rechnungshof fest:

Auch weil die Verluste an Wohlbefinden als Folge der Umweltstörungen mit der Zeit zunehmen und weil die Kosten für Reparaturmaßnahmen sich in dem Maße erhöhen wie die Umwelt-Verschuldung wächst, muss die ökologische Transformation unverzüglich, und am besten abgestimmt, betrieben werden.“

Bei der Vorstellung des Berichts in Paris hat der Präsident des Rechnungshofs, der frühere französische Finanzminister und spätere EU-Kommissar Pierre Moscovici, gewiss kein Umwelt-Aktivist, formuliert, was alle Politik leiten müsste:

Die ökologische Transformation ist keine öffentliche Politik wie viele andere. Sie ist oder sollte Teil und gemeinsames Ziel aller Politikfelder sein, ob auf nationaler Ebene oder regionaler und örtlicher Ebene. Sie braucht eine klare und stärkere Steuerung, eine systematische Integration in die anderen Politikfelder, materiell und finanziell glaubwürdige Pfade, und vor allem den Ausgleich zwischen dem Ehrgeiz für die Umwelt und der finanziellen Tragfähigkeit. Ich bin überzeugt, dass das möglich ist: Das ist die Herausforderung, das ist der Ehrgeiz unseres Jahrhunderts.

Pierre Moscovici (Foto: Cour des comptes auf wikimedia commons)

III Die Politik an ihre Beschlüsse erinnert

Wir haben uns in den vergangenen Jahren daran gewöhnen müssen, dass in vielen Fällen Gerichte dafür sorgen, dass Regierungen und Parlamente sich an die umweltpolitischen Regeln und Gesetze halten und, wo nötig, durchsetzen, die sie selber formuliert und beschlossen haben. Das gilt auch für Frankreich und für Deutschland.
Allen politisch Verantwortlichen sollte es zu denken geben, wenn jetzt sogar ein Rechnungshof mehr Substanz und mehr Tempo in der Umwelt- und Klimapolitik anmahnt.
Es ist gut, dass Gerichte und Rechnungshöfe die politisch Verantwortlichen an ihre eigenen Beschlüsse erinnern. Noch besser wäre es, wenn die aus eigener Einsicht das tun, was dringend nötig ist, damit die Menschheit ihre natürlichen Lebensgrundlagen nicht immer stärker verwirtschaftet.

Christoph Habermann
Christoph Habermann hat nach Abschluss des Studiums der Sozialwissenschaften an der Universität Konstanz mehr als dreißig Jahre in der Ministerialverwaltung gearbeitet. Von 1999 bis 2004 war er stellvertretender Chef des Bundespräsidialamts bei Bundespräsident Johannes Rau, von 2004 bis 2011 Staatssekretär in Sachsen und in Rheinland-Pfalz.

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