Ein Lackmus-Test für die demokratische und soziale Stabilität der Unionsparteien

Wandzeitung 1988 (Website Helmut Kohl)

Auch wenn immer wieder neue Streitpunkte der schwarz-roten Regierung die öffentliche Aufmerksamkeit vorübergehend fesseln, in seinem Zentrum hat der „Herbst der Reformen“ eine neue, sehr alte Debatte über die Leistungen und Kosten des Sozialstaates. Sie wurde im Bundestagswahlkampf schon angekündigt, im Koalitionsvertrag ausformuliert und läuft jetzt seit den Debatten über die Bundeshaushalte 2025 und 2026 sowie den Reden und Interviews rund um den 3. Oktober auf Hochtouren. Mit der Aussage von Friedrich Merz in der Haushaltsdebatte; „Der Sozialstaat, wie wir in heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar“1, ist der Ton verschärft und pauschal in Richtung Leitungskürzung gelenkt worden. Bärbel Baas hat die Aussagen von Merz zunächst pauschal als „Bullshit“ abgekanzelt2.

Am 5. Oktober im ARD-Interview mit Caren Miosga wurde Merz konkreter: „Unsere Bevölkerung wird für Rente, für Altersversorgung…, für Gesundheit und Pflege in Zukunft mehr vom verfügbaren Einkommen aufwenden müssen.“ Das ist die klare Zuspitzung einer neoliberalen Sozialstaatsagenda. Die, die den Sozialstaat am nötigsten brauchen, müssen sich mit mehr Kosten und weniger Leistungen abfinden. Die BILD-Zeitung kommentierte umgehend: „Millionen droht Schrumpflohn“.

I Die Beschlüsse vom 9. Oktober 2025

Diese Zuspitzung war der Auftakt für die erste Sitzung des Koalitionsausschusses am 9. Oktober. Zwei der drei wichtigsten Punkte waren in der Tat dem Sozialstaat gewidmet, genauer den Sozialversicherungssystemen.
Für die Unionsparteien war vor allem das Bürgergeld ein Ärgernis, seine „Abschaffung“ war angesagt. Friedrich Merz und Carsten Linnemann versprachen im Wahlkampf Einsparungen in zweistelligen Milliardensummen und untermauerten sie mit hohen Zahlen über Leistungsverweigerer und Sozialschmarotzer. So wurde über Monate pauschal gegen Bürgergeldbezieher polemisiert, abseits jeder Faktenlage wurden verbreitete Vorurteile geschürt. Im Koalitionsvertrag war dann nur noch von der „Umgestaltung“ des Bürgergeldes die Rede, aber „Verweigerern“ wurde nicht nur die schon beschlossene Leistungskürzung , sondern auch der vollständige Leistungsentzug sowie ein Angriff auf das Schonvermögen angekündigt.

Der Koalitionsausschuss hat am 9. Oktober dazu Beschlüsse gefasst, die sich als zwiespältig erweisen.
Richtig ist, diese Leistung Grundsicherung statt Bürgergeld zu nennen. Es handelt sich nicht um eine Art Grundeinkommen, sondern um eine zeitlich befristete Lohnersatzleistung. Zurecht wird in dem Beschluss auch dem kriminell organisierten Missbrauch dieser Leistung der Kampf angesagt. Zu unterstreichen ist auch das Ziel, mehr arbeitslose Bürgergeld-Bezieher in Arbeit zu bringen. Aber von den versprochenen Milliardeneinsparungen ist keine Rede mehr. Weit geringere Einsparungen sollen, so neuestens auch Merz und Bas übereinstimmend, durch bessere Eingliederung von etwa 100.000 der circa 1,7 Millionen arbeitslosen Bürgergeldempfänger in den Arbeitsmarkt erreicht werden.

Screenshot: Website Die Bundesregierung

So richtig dieses Ziel ist, so schwierig wird es, wenn man auf die Struktur dieser Arbeitslosen blickt. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es keine rechtlich problematische Drohkulisse nach dem Motto „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, das (nur mit etwas anderen Worten) selbst Bärbel Bas übernimmt. Kluge Politik ist es jedenfalls nicht, sich von dem Vorurteil des faul in der Hängematte liegenden langzeitarbeitslosen Bürgergeldbeziehers leiten zu lassen. Um mehr Beschäftigung zu erreichen, bräuchte man nicht nur die klare Identifikation solcher Arbeitsmöglichkeiten, sondern auch Neuerungen bei Qualifizierung und Beratung sowie die Möglichkeit höherer Zuverdienste ohne Anrechnung auf das Bürgergeld. Das alles sind bessere Wege zu mehr Beschäftigung der zum allergrößten Teil Langzeitarbeitslosen. Dazu enthält der Beschluss wenig bis nichts.

Aktivrente – schon der Begriff ist fragwürdig

Die neue Drohkulisse hintergeht die Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die immer wieder das Grundrecht eines menschenwürdigen Existenzminimums betonen und Kürzungen nur in sehr begrenztem Rahmen zulassen 3. Auch die Angriffe auf das „Schonvermögen“ sind alles andere als zielführend. Jens Spahn beklagt aktuell die ungerechte Vermögensverteilung in Deutschland4 und fordert, dass gerade Haushalte mit geringen und mittlerem Einkommen Vermögen aufbauen können5. Jetzt soll es umgekehrt Arbeitslosen genommen werden können, das ist christliche Politik wohl nach dem Motto: „Denn wer hat, dem wird gegeben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er zu haben meint.“ (Evangelium nach Lukas 8,18 Einheitsübersetzung).

Das neue Konzept erreicht, anders als versprochen, praktisch keine Einsparungen, es bringt mit den beschlossenen Instrumenten keine zusätzlichen Langzeitarbeitslosen in Arbeit, es ist inhuman sowie – den „C“-Parteien ins Stammbruch geschrieben – unchristlich und wohl verfassungswidrig. Wenn dieser Grundsicherungs-Beschluss die Richtung der Sozialstaatsreform angibt, so droht Schlimmeres als ein „Winter der Härte“

Ein anderer Beschluss geht zur Rente. Das Niveau und das Eintrittsalter werden bis 2031 mit höheren Zuschüssen aus Steuermitteln gesichert, so der Koalitionsvertrag. Jetzt wurde beschlossen, dass die „Aktivrente“ ab 01.01.2026 Wirklichkeit werden soll. Schon der Begriff ist fragwürdig, weil es sich um keinen neuen Rentenbaustein handelt, sondern um einen steuerfreien Zusatzverdienst. Rentner*innen können nach Erreichen der Regelaltersgrenze bei abhängiger Erwerbsarbeit bis zu 2000 € steuerfrei hinzuverdienen.

Dieser Rentenbeschlusses ist mehr als zwiespältig. Er drängt auf individuell längere Arbeitszeit und belastet den Arbeitsmarkt bei steigender Arbeitslosigkeit. Die Aktivrente steigert die Stundenproduktivität ebenso wenig wie die Steuereinnahmen. Sie wird voraussichtlich vor allem Angestellten mit mittleren und höheren Renten sowie hohen Zusatzeinkünften zugutekommen. Für Menschen mit Niedrigrenten und geringen Nebeneinkünften fällt diese Steuerbefreiung nicht ins Gewicht. Die neue Möglichkeit droht neue Arbeitsplätze für Jüngere in qualifizierten Bereichen zu blockieren. Die Jobsuche dort ist schon heute auch dank Digitalisierung und KI schwierig.

Für die Zeit nach 2031 ist die Auseinandersetzung schon eröffnet: Katharina Reiche, ihr Beraterkreis6, der Wirtschaftsflügel der Unionsparteien und das gesamte Arbeitgeberlager treten massiv für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ein und damit indirekt für eine Absenkung des Rentenniveaus nach 2031. Ob der CDU-Arbeitnehmerflüge sowie SPD und Gewerkschaften genügend Widerstand entgegensetzen können?

Reformen, die den Namen nicht verdienen

Gesundheitspolitik und Krankenversicherung standen beim Koalitionsausschuss nicht auf der Tagesordnung. Im Koalitionsvertrag sind dazu einige richtige Ansätze genannt. Aber schon seit Jahrzehnten diskutierte grundlegende Reformen werden nicht angesprochen: Die Trennung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung aufzuheben; die Gesundheitskarte zu einem „Pfadfinder“ gesunden Lebens zu machen ( (um Arztbesuche zu verringern, überflüssige Mehrfachuntersuchungen zu vermeiden, notwendige Facharztbesuche zu erleichtern, Hinweise zu gesundheitsfördernder Lebensweise zu geben); die Honorierung der einzelnen Ärztegruppen nicht der undurchsichtigen Verteilung durch die Ärztekammern zu überlassen; die Trennung zwischen GKV und PKV aufzuheben; die Pharmakosten und damit die Pharmakonzerne anzugehen; die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen drastisch zu verringern – um nur einige Eckpunkte nennen.
All das ist nicht grundsätzlich neu, aber immer wieder versickert. Kommt es am Ende zu Lösungen a la Bürgergeld/Grundsicherung, bekommen wir Reformen, die den Namen nicht verdienen. Denn das Ergebnis des nächsten „Reform“-Projektes würde wieder nur die gesetzlich Versicherten in doppelter Weise belasten – durch Beitragserhöhungen und Leistungsminderungen –, während privat Versicherte weiterhin besseren Zugang zu Allgemein- und Fachärzten haben.

Landtagswahlplakat Niedersachsen 1990 (wikimedia commons)

II Stellenwert der Sozialpolitik

Sozialpolitik hat schon in der Vergangenheit politische Entwicklungen bestimmt und Wahlen entschieden. Otto von Bismarcks Sozialpolitik im Kaiserreich half dabei, den Aufstieg der Sozialisten zu bremsen. Heinrich Brünings Notverordnungen in der Weimarer Republik – zur massiven Senkung der Einkommen, zur drastischen Kürzung von Bezugsdauer und Höhe der Arbeitslosenversicherung bei gleichzeitiger Erhöhung der Beiträge –machten aus der Massenarbeitslosigkeit Massenarmut und Verelendung, waren Wegbereiter für Adolf Hitler und die Nationalsozialisten.

Nach 1945 erkannte Konrad Adenauer den hohen Stellenwert der Sozialpolitik. Im Vorfeld der Bundestagswahl 1957 setzte er mit durchschlagendem Erfolg die dynamische lohnbezogene Rente durch – gegen den Widerstand von Ludwig Erhard, der Bundesbank sowie der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände. CDU/CSU erreichten, bis heute in jeder Hinsicht einmalig, mit 50,2% die absolute Mehrheit.

Helmut Kohl hat mit der „geistig moralischen Wende“, die von den Konservativen seiner Zeit als Luftnummer gesehen wurde, und im Vollzug des Lambsdorff-Papiers den Sozialstaat dem neoliberalen Dogma und den Wechselfällen der wirtschaftlichen Entwicklung untergeordnet. Kohl wäre schon Ende der 1980er-Jahre mit dieser Politik gescheitert, hätte nicht die deutsche Wiedervereinigung neue Verhältnisse gebracht. Nachdem für „blühende Landschaften“ die Sozialkassen mit ihrem maßgeblichen Anteil an der Finanzierung der Einheit geleert waren, wurde „Sozialabbau“ zum Programm, 1996 zum „Wort des Jahres“ und zum Anlass für die größte sozialpolitische Demonstration der Nachkriegszeit. Das war der Anfang vom Ende der Regierung Kohl. Auch Gerhard Schröder, von konservativer Seite bis heute für seine „Agenda 2010“ gerühmt, scheiterte letztlich an seiner Sozialstaatskürzung. So positiv die Kunden- und Förderorientierung der Arbeitsagentur wurde, der massive Absturz für Langzeitarbeitslose, davon sehr viele in den östlichen Bundesländern, führte zur gesellschaftlichen Spaltung und zum nachhaltigen Niedergang der SPD.

Wenn es nicht verdrängt wird…

Plakat zu Bürgerschaftswahlen Hamburg (wikimedia commons

Haben wir es also mit einer Neuauflage der Sozialstaatsdebatte zu tun, die wieder enden wird mit etwas weniger Leistungen und etwas mehr Belastungen für die Betroffenen? Ich fürchte, die Lage ist nicht so „harmlos“. Denn der demographische Wandel wirkt sich jetzt richtig stark aus. Babyboomer werden zu Rentnern mit längerer Bezugsdauer der Rente und – Fluch und Segen des medizinischen Fortschritts – erheblichen Mehrkosten bei Gesundheit und Pflege. Digitalisierung und künstliche Intelligenz werden Arbeit radikal verändern, in einem Maß, das wir noch gar nicht überblicken können. Der jetzige industrielle Sektor schrumpft und wir haben keine neuen Bereiche mit großem Beschäftigungsbedarf vor Augen.

Wenn es nicht, wie momentan in der Regierungspolitik, verdrängt wird, haben wir weiterhin die Energiewende zur Dekarbonisierung zu bewerkstelligen und sollten den Klimawandel eingrenzen. Wir sind kriegsbetroffen wie noch nie seit 1945. Man muss die Aussage von Friedrich Merz, dass wir im Krieg sind, unpassend finden. Aber die Kriegsbetroffenheit ist offenkundig. Durch eigene Aufrüstung, durch militärische Hilfe für die Ukraine, durch zivile Hilfe für die Ukraineflüchtlinge. Egal, wann und wie der Krieg enden wird: Der Aufwand für Deutschland wird nicht geringer, entweder aufgrund weiterer Militärhilfe und Flüchtlingsunterstützung oder durch Wiederaufbauhilfe. Auch in Israel/Palästina sind wird gefordert. Es mag paradox klingen: Gerade aufgrund unseres besonderen Verhältnisses zu Israel wird auch ein besonderes Engagement beim Wiederaufbau des Gazastreifens und der Gestaltung eines Staates Palästina erforderlich. Denn die Wohlfahrt dieses Staates, sollte alles gelingen, wird eine entscheidende Garantie der Existenz und Sicherheit Israels werden. Sicher, die Regierungskoalition hat die nach oben offene Verteidigungsschulden-Skala und das Sondervermögen geschaffen, aber das sichert unter diesen schwierigen Bedingungen nicht die Zukunft des Sozialstaates aus den regulären Haushalten des kommenden Jahrzehnts.

Sozialstaat und Verteilungsgerechtigkeit

Natürlich hat Friedrich Merz recht, wenn er auf die steigenden Kostenbelastungen durch den Sozialstaat hinweist. Sozialstaat bedeutet, dass gerade n schwierigen Zeiten der immer noch vorhandene gesellschaftliche Reichtum anders verteilt werden muss. Merz beteuert immer wieder, er wolle keinen Abbruch, sondern einen Erhalt des Sozialstaates. Aber er ordnet neoliberal den Sozialstaat völlig der wirtschaftlichen Entwicklung und der gegebenen Verteilung von Vermögen und Einkommen unter. Das widerspricht dem Ansatz des Grundgesetzes, das den Sozialstaat völlig gleichrangig mit der Demokratie sieht (Art. 20 GG) und die verfassungsmäßige Ordnung in den Grundsätzen „des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates“ definiert (Art. 28 Ab. 1 Satz 1 GG). Der Verfassungsauftrag, soziale Sicherheit zu gewährleisten, fordert auch entschieden mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen. Wenn nach der Beseitigung der Schuldengrenze für Verteidigungsausgaben und mit dem Sondervermögen für Infrastruktur der Sozialstaat auf der Strecke bleibt, tritt genau das ein, was nicht nur linke Parteien und Gruppen, sondern auch Teile des bürgerlichen Lagers und natürlich die AfD immer schon prognostiziert haben: Der Sozialstaat muss wegen Krieg und Rüstung, wegen Ukraine und NATO (aus)bluten.

Von Kohl und Schröder wurde das Sozialstaatsprinzip verletzt. 1998 und 2005 waren aber bei Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik demokratische Alternativen mit Aussicht auf Erfolg wählbar. Das ist heute nicht der Fall. Scheitert diese Regierung mit der Sozialstaatspolitik, bereitet das den Weg für die AfD. Daraus ergibt sich eine ökonomische und eine politische Herausforderung.

III Die politische Herausforderung

Die ökonomische Herausforderung verlangt, bei allen notwendigen, auch kostensenkenden Strukturreformen, die Finanzierung des Sozialstaates im Zeichen sozialer Gerechtigkeit neu zu organisieren. In dieser Transformationszeit der Arbeitsgesellschaft müssen Beitrags- und Steuerfinanzierung ohne Einschränkung gleichgewichtig nebeneinander stehen. Dazu sind nicht nur höhere Beitragsbemessungsgrenzen, sondern auch höhere Steueranteile, ein höherer Spitzensteuersatz, Vermögens- und Erbschaftssteuer zwingend. Wenn die Koalition nicht die Kraft für solche Schritte zu mehr sozialer Gerechtigkeit aufbringt, droht sie zu scheitern.

Die Menschen sind durchaus bereit, mehr Lasten zu tragen und Einschränkungen hinzunehmen, aber die Verteilung muss nachvollziehbar progressiv sein. Neben den laufenden Debatten sollten gerade die Unionsparteien auf ein durchaus konservatives Konzept schauen, das in der Vergangenheit ein zentrales Instrument für mehr soziale Gerechtigkeit war: Der Lastenausgleich. Die skizzierte Gegenwartssituation mit den Lasten biographischer, digitaler und ökologischer Transformation und mehrfacher Kriegsbetroffenheit rechtfertigt durchaus einen gesellschaftlichen Lastenausgleich zur Finanzierung dieser Herausforderungen.

Ankündigungsplakat 1952 (wikimedia commons)

Es ist kein Teufelszeug aus der Kiste sozialistischer Gleichmacherei, sondern ein Instrument aus dem Werkzeugkasten des Ordoliberalismus. Durch das Lastenausgleichgesetz 1952 wurden 50% des auf der Basis von 1948 festgestellten Vermögens als Abgabe erhoben, deren Zahlung über 30 Jahre verteilt wurde, im Endeffekt 0,85 % des Vermögens pro Jahr. Die Fehler, die 1952 bei der Vermögensbewertung gemacht wurden, ließen sich vermeiden. Das Vermögen, das heute in Frage kommt, ist ungleich höher. Die Schätzungen liegen zwischen15 und 25 Billionen (15.000 bis 25.000 Milliarden) privaten Gesamtvermögens7. Schon allein diese Dimension muss man sich bewusst machen!
Lässt man die umstrittenen Betriebsvermögen von hoch gegriffen circa 3 Billionen Euro8 vorsichtshalber ebenso wie kleine Vermögen und z.B. Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen zur privaten Nutzung, außen vor, so wäre , konservativ gerechnet, immer noch ein Vermögen von 10 Billionen Euro als Grundlage eines „Lastenausgleichs“ vorhanden. Fordert man davon für die Transformations-Lasten eine Abgabe von 20%, also 2000 Milliarden Euro, die über 20 Jahre verteilt gezahlt werden, so hätte Gesellschaft für die Transformation über 20 Jahre hinweg jährlich zusätzlich 100 Milliarden Euro zu Verfügung, für die keine Staatsschulden notwendig sind, bei einer Belastung von weniger als 1% des Vermögens pro Jahr (real weniger, da ja das Vermögens weiter wächst, die Abgabe aber fixiert ist). Dieser Ansatz erfordert ökonomischen Mut – von der Christenunion und der SPD, aber es ermöglicht eine Bewältigung der allumfassenden Transformation, die von allen demokratischen Kräften mitgetragen wird. Und sollte dafür eine verfassungsändernde Mehrheit notwendig sein, gibt es ja Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit.

Fatale Lockrufe

Damit ist die politische Herausforderung benannt: Sie verlangt von den Unionsparteien ein Ende des Grünen-Bashing und den Abschied vom Hufeisen-Konzept. Die Verharmlosung der AfD und die Dämonisierung der Partei Die Linke, die dieses Konzept enthält, sind demokratiegefährdend. Die CDU hat mit ihrem doppelten Abgrenzungsbeschluss von Anfang an die falschen Weichen gestellt. Und war jetzt schon mehrfach gezwungen, gleichsam hinter vorgehaltener Hand mit der linken Partei zu kooperieren. Je länger dieser Zustand dauert, desto gefährlicher wird er für die Unionsparteien selbst, aber auch für die demokratische Stabilität. Denn unter der gegebenen Beschlusslage enttabuisiert jede auch „heimliche“ Kooperation mit Die Linke die Abgrenzung von der AfD und ermuntert zu heimlichen und unheimlichen Kooperationen mit ihr. Das kann sich bei der nächsten Bundestagswahl dramatisch auswirken.

Selbst wenn es der jetzigen Unions/SPD-Koalition noch gelingt, auf den Pfad eines erfolgreichen, problemlösenden und vertrauensbildenden Regierens einzuschwenken – eine demokratische Mehrheit aus nur zwei oder auch drei Parteien ist keinesfalls sicher, nicht einmal wahrscheinlich. Also müssen die Wege für eine „demokratische Allianz“ eröffnet werden, wenn im Ergebnis nach dem Wahltag die Kräfte in den Unionsparteien, die mit der AfD koalieren wollen, nicht das gleiche Recht beanspruchen wie jene, die eine Koalition wollen, die keine demokratische Partei ausschließt. Es ist ein Test für Friedrich Merz, Jens Spahn, Carsten Linnemann und Markus Söder, ob es ihnen mit der eindeutigen Abgrenzung und Absage, mit der Brandmauer gegen die AfD Ernst ist, wenn es darauf ankommt. Oder ob die fatalen Lockrufe von Andreas Rödder, dessen Position nicht neu ist9, Karl-Theodor zu Guttenberg und Peter Tauber Gewicht gewinnen Das Versteckspiel der Unionsparteien sollte umgehend beendet werden. Ein Lackmus-Test für die demokratische und soziale Stabilität der Unionsparteien, ob sie fähig und willens sind, sich mit der Idee eines Transformations-Lastenausgleichs zu beschäftigen und vom Grünen-Bashing sowie dem Hufeisenkonzept Abschied zu nehmen. Zu wünschen ist es. Darauf zu hoffen, ist erlaubt.


1  Rede auf dem Landesparteitag der CDU-Niedersachsen am 23.August in Osnabrück
2  Am 1. September 2025 auf dem J Landesparteitag der Jusos/SPD in Gelsenkirchen.
3  Vor allem Urteil des BVerG vom 5. November 2019 1BvL 7/16, abgeleitet aus Art.1 GG (Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip.
4  FAZnet 12. September 2025
5  In: Die Welt vom 12. September 2025
6  Impulspapier des Beraterkreises für evidenzbasierte Wirtschaftspolitik des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: Die gesetzliche Rentenversicherung: Diagnose und Therapie im Jahre 2025, August 2025. Mitglieder des Beraterkreises sind Veronika Grimm, Stefan Kolev, Justus Haucap, Volker Wieland. Der Beraterkreis wiederholt seine Auffassungen zur Rente in dem Papier: Eine Wachstumsagenda für Deutschland vom 27. September 2025. Beide Papiere stehen auf der Website des BMWE zum Download zur Verfügung.
7  Bundeministerium für Wirtschaft und Energie, Online vom 01.03.2024 – Vermögensungleichheit in Deutschland und Europa Neue Daten der EZB Vermögensungleichheit in Deutschland und EuropaNeue Daten der EZB
8  Institut der deutschen Wirtschaft, Informationsdienst 09.08.2021: „Das Betriebsvermögen der eigentümergeführten Unternehmen im Jahr 2017 wird auf 2,4 Billionen Euro (unterer Schätzwert) bis 3,1 Billionen Euro (oberer Schätzwert) taxiert.“
9  Vgl. Klaus Lang, Die rechte Mitte. Konservative Radikalisierung von CDU und CSU?, Hamburg 2025, S. 15

Klaus Lang
Dr. Klaus Lang studierte Katholische Theologie, Psychologie und Politik. Er war zunächst Pressesprecher des Vorstandes der IG Metall, 1981 wurde er Leiter der Abteilung Tarifpolitik, später leitete er die Abteilung des 1. Vorsitzenden und war Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, 2003 wurde er Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Er ist Mitglied im Rat der Stiftung Menschenrechte, der Förderstiftung von Amnesty International und im Sozialethischen Arbeitskreis Kirchen und Gewerkschaften.

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