Ein „ Krieg ohne Grenzen “: Die erneute Blockade des Gazastreifens geht in den zweiten Monat. Zahlreiche internationale Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen warnen davor, dass sich Hunger ausbreitet und lebenswichtige Medikamente fehlen. Mangelernährung, Krankheiten und andere vermeidbare Leiden würden wahrscheinlich zunehmen – insbesondere unter Kindern . Die erneute Verweigerung notwendiger humanitärer Hilfe rückt damit eine besonders verheerende Methode der Kriegsführung zurück in den Fokus: das Aushungern der Zivilbevölkerung.
Der Verfassungsblog, genauer: Chefredakteur Maxim Bönnemann, hat mit Tom Dannenbaum, Professor für Völkerrecht an der Fletcher School of Law & Diplomacy (Medford, Massachusetts), einem international führenden Experten zu diesem Thema, über die verheerende Wirkung von Hunger als Kriegswaffe und die völkerrechtliche Bewertung der Lage in Gaza gesprochen. Bruchstücke übernimmt das Interview.
1 Seit dem 2. März 2025 lässt Israel erneut keinerlei Lebensmittel oder humanitäre Hilfe in den Gazastreifen – die längste vollständige Blockade humanitärer Hilfe seit Beginn des Krieges. Bereits im vergangenen Jahr wurde Gaza mehrfach an den Rand einer Hungersnot gebracht. Jetzt, im zweiten Monat der neuen Blockade, schlagen immer mehr Hilfsorganisationen und UN-Vertreter*innen erneut Alarm. Wie wirkt sich diese Blockade auf die Zivilbevölkerung aus?
Vor dem Waffenstillstand haben die israelischen Militäroperationen nicht nur zu sehr hohen Zahlen von Toten und Verletzten geführt. Daneben ist auch nahezu die gesamte Bevölkerung in Gaza – oft mehrfach – verteilt und ein erheblicher Teil der landwirtschaftlichen, medizinischen sowie der Wohn- und Wasserinfrastruktur zerstört oder beschädigt worden. Gleichzeitig führten – wie Sie erwähnten – starke Einschränkungen beim Zugang zu humanitärer Hilfe wiederholt dazu, dass die Bevölkerung an den Rand einer Hungersnot geriet.
Nach sechs Wochen mit erweitertem humanitärem Zugang während der ersten Phase des Waffenstillstands stoppte Israel diesen Zugang am 2. März abrupt. Seither sind keine kommerziellen oder humanitären Lieferungen mehr eingetroffen. Gleichzeitig nahm Israel erneut intensive Militäroperationen auf, was zu weiteren Toten, Verletzungen und Vertreibungen führte; auch humanitäre und medizinische Einrichtungen werden dadurch zusätzlich lahmgelegt oder beschädigt. All dies ist ein entscheidender Kontext, um die aktuellen Maßnahmen der israelischen Regierung einzuordnen.
Erstens verschlechtert die erneute Verweigerung humanitärer Zugänge die humanitäre Lage rapide. Von der UN betriebene Bäckereien in Gaza mussten den Betrieb einstellen. Bei etwa 60.000 Kindern wird davon ausgegangen, dass sie mangelernährt sind. Schätzungsweise 91 % der Haushalte leiden unter Wassermangel. Wie Tom Fletcher, Leiter des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, Anfang dieser Woche sagte: „Man hindert uns bewusst daran, Leben in Gaza zu retten – und deshalb sterben Zivilisten.“
Zweitens führen die gravierenden Versorgungsmängel dazu, dass die Palästinenser noch verletzlicher in Bezug auf Gewalt und Verbrechen sind. Neben einer erhöhten Anfälligkeit für Krankheiten oder Unfälle bei Verletzungen ist die Bevölkerung noch stärker dem Risiko rechtswidriger Vertreibung ausgesetzt. Sowohl US-Amerikaner als auch israelisches Führungspersonal haben zwar von möglichen „freiwilligen“ Umsiedlungen der Palästinenser aus Gaza gesprochen. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof gilt eine solche Deportation oder Umsiedlung jedoch als „erzwungen“ – und damit als Verbrechen –, wenn sie in einem „Zwangskontext“ geschieht. Ein anhaltender, breiterer Entzug der Lebensgrundlage stellt einen solchen Kontext dar.
Drittens droht die intensive und anhaltende Notlage das gesellschaftliche Gefüge in Gaza zu zerreißen. Diese Folge war bereits in früheren Phasen der Belagerung zu beobachten und scheint nun zurückzukehren – Berichte über Plünderungen und einen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung mehren sich. Hierin zeigt sich nicht nur das Unrecht, Aushungern als Methode zu nutzen; diese Bedingungen herbeizuführen, verletzt auch Israels Verpflichtung, als Besatzungsmacht für öffentliche Ordnung und Sicherheit in Gaza zu sorgen.
Dass wir diese Auswirkungen bereits kurzfristig sehen können, darf gleichzeitig aber nicht den Blick für die langfristigen Folgen verstellen. Was wir gerade sehen, sind nur die ganz unmittelbaren Folgen.
2 Die Blockade humanitärer Hilfen mit dem Ziel, die Zivilbevölkerung als Mittel der Kriegsführung auszuhungern, scheint eine beunruhigende Rückkehr zu erleben. Berichten zufolge hat das syrische Regime solche Methoden gegen seine eigene Zivilbevölkerung eingesetzt, ebenso wie russische Truppen mit der Belagerung von Mariupol in ihrem Krieg gegen die Ukraine. Sie haben Hungerblockaden in einem Aufsatz unlängst als ein Kriegsverbrechen „gesellschaftlicher Folter“ beschrieben. Was macht Hunger als Methode der Kriegsführung besonders gefährlich – oder, moralisch gesprochen: Was macht diese Methode kategorisch falsch?
Ich wollte den Aufsatz aus zwei Gründen schreiben. Erstens wollte ich dem Narrativ entgegentreten, demzufolge der Entzug von Nahrung ( deprivation ) gegenüber der Zivilbevölkerung (unausgesprochen) leichter zu rechtfertigen sei als ein direkter Angriff auf eben diese Zivilbevölkerung. Zweitens ist es angesichts der expressiven Funktion des Strafrechts wichtig, auch erklären zu können, worin genau das strafrechtliche Unrecht einer verbotenen Handlung besteht. Soweit ich sehe, wurde das Kriegsverbrechen des Aushungerns bisher noch nicht unter diesem Gesichtspunkt erörtert.
Zum ersten Punkt: Es ist klar rechtswidrig und auch strafbar, eine Zivilbevölkerung direkt anzugreifen. Die Behauptung, damit militante Kämpfer innerhalb dieser Bevölkerung ausschalten wollen, ist keine (konflikt-)völkerrechtlich gültige Rechtfertigung – selbst dann nicht, wenn sich diese Kämpfer nur schwer von der Bevölkerung unterscheiden lassen. In direktem Widerspruch zu diesem Grundsatz behaupten nun manche, es könne erlaubt sein, einer Zivilbevölkerung lebensnotwendige Güter zu entziehen – sofern dies dem Ziel dient, die darin eingebetteten Kämpfer zur Kapitulation zu zwingen. Diese Logik ist kaum mit der „Grundregel“ des humanitären Völkerrechts vereinbar, die verlangt, dass in allen militärischen Operationen zwischen Zivilisten und Kämpfern unterschieden wird – nicht nur bei Angriffen.
Manche argumentieren, dass die schrittweise Wirkung von Deprivation – anders als ein plötzlicher Angriff – Schadensbegrenzung ermögliche, etwa durch den Abzug der Zivilisten oder durch Kapitulation der belagerten Gegenseite. Das sehe ich anders. Das Unrecht des Aushungerns liegt nicht allein im Ergebnis (das in manchen Fällen vermieden werden kann, in anderen nicht), sondern im gesamten Prozess – einem Prozess, der eher an Folter erinnert als an Tötung. Die Langsamkeit des Sterbens ist kein mildernder, sondern ein konstitutiver Bestandteil dieses Unrechts.
Folter bedeutet nicht bloß, dass die Kosten, an einer bestimmten Entscheidung festzuhalten, in die Höhe getrieben werden. Folter verursacht so viel Schmerz und Leid, dass sie das gesamte Erleben der Betroffenen einnimmt – selbst für jene, die eigentlich bereit wären, für ihre Überzeugungen alles zu opfern. Folter ist darauf ausgelegt, den Willen zu brechen. Ebenso erhöht das Aushungern einer Bevölkerung nicht einfach nur die Kosten des Ausharrens auf Seiten der Kämpfer oder der Zivilisten, die sich weigern, ein belagertes Gebiet zu verlassen oder sich gegen ihre politische Führung zu wenden. Vielmehr wird – wie bei der allumfassenden Qual durch Folter – Hunger, Durst und Krankheit zum alles überlagernden Lebensinhalt der belagerten Gemeinschaft. Selbst wenn das Ziel die Kapitulation der Kämpfer ist, wird jede „Milderung“ für die Zivilbevölkerung erst erreicht, indem man ihren Willen bricht. Dabei stellt sich die biologische Notwendigkeit, dem wachsenden Hunger und Durst entgegenzukommen, gegen grundlegende menschliche Fähigkeiten wie Solidarität, Freundschaft und Liebe. Gemeinschaften zerbrechen daran. Da diejenigen mit den Waffen wohl die Letzten sind, die hungern, trifft dieses individuell wie gesellschaftlich zerstörerische Leid fast zwangsläufig die Zivilbevölkerung zuerst – noch bevor ein relevanter Druck auf Kämpfer entsteht.

3 Lassen Sie uns über das Völkerrecht reden: Das Aushungern der Zivilbevölkerung als Mittel der Kriegsführung ist durch das humanitäre Völkerrecht verboten und gilt nach dem internationalen Strafrecht als Kriegsverbrechen. Dennoch stellt Hunger – auch wenn er in bewaffneten Konflikten weitverbreitet auftritt – nicht automatisch eine Verletzung dieser Vorschriften dar. Wo liegt der Unterschied zwischen einer verheerenden, aber rechtmäßigen Hungersituation unter Zivilisten und dem gezielten Einsatz von Hunger als Kriegsmittel? Könnte eine der Rechtfertigungen, die die israelische Regierung im Zusammenhang mit der (erneuten) Belagerung vorgebracht hat, völkerrechtlich Bestand haben?
Es kann Fälle geben, in denen breitgefächerte akute Ernährungsunsicherheit auftritt, ohne dass dies auf eine vorsätzliche Herbeiführung einer solchen Notlage zurückzuführen ist – und obwohl alle Konfliktparteien bereit sind, humanitären Zugang zu ermöglichen oder zu erleichtern. In Gaza ist das jedoch eindeutig nicht der Fall, da der Zugang zu lebensnotwendigen Gütern gezielt unterbunden wird.
Analysiert man das Verbot des Aushungerns der Zivilbevölkerung nach dem humanitären Völkerrecht sowie nach dem Vorsatzbegriff im Rahmen des Internationalen Strafgerichtshofs, verstehe ich das vorsätzliche Aushungern als Mittel der Kriegsführung so, dass es in zwei Formen vorliegen kann:
Erstens: durch den gezielten Entzug von überlebensnotwendigen Gütern mit dem Ziel, Zivilisten oder der Zivilbevölkerung den Wert dieser Objekte für die Ernährung zu entziehen (einschließlich des Ziels, durch Hunger auch die darin eingebetteten Kämpfer zu treffen). Wichtig ist hier: Diese Form von Vorsatz kann bereits vorliegen, bevor feststeht, dass Zivilisten tatsächlich in einen Hungersnot geraten.
Oder zweitens: durch den gezielten Entzug von überlebensnotwendigen Gütern aus anderen Gründen – in dem Wissen, dass dieser Entzug mit nahezu absoluter Sicherheit dazu führt, dass Zivilisten in eine Hungersnot geraten. Diese Form des Vorsatzes liegt auch dann vor, wenn es nicht direkt beabsichtigt ist, Zivilisten Nahrung zu verweigern.
Israel rechtfertigte die erneute Belagerung hauptsächlich damit, dass die während der Waffenruhe eingeführte Hilfsgütermenge ausreiche, um die Rückkehr zu einer Hungersnot zu verhindern. Wäre dies empirisch zutreffend, fiele Israels Verweigerung von Hilfsgütern dennoch unter die zweite genannte Form des Verbrechens (würde aber die erste Form nicht ausschließen). Nach mittlerweile sechs Wochen erneuter Belagerung und angesichts eindringlicher Hilferufe humanitärer Organisationen ist diese empirische Behauptung jedoch zunehmend schwer aufrechtzuerhalten.
Unabhängig davon hat die israelische Führung ganz offen darüber gesprochen, die Belagerung als Druckmittel einzusetzen – etwa indem sie angekündigt, die „Tore zur Hölle“ zu öffnen, um die Zivilbevölkerung Gazas zu zwingen, die Hamas zu stürzen. Auch die Blockade von Hilfslieferungen oder die Unterbindung der Stromzufuhr, die für die Meerwasserentsalzung nötig wäre, wurden ausdrücklich vorgenommen, um die Hamas zu Zugeständnissen zu zwingen. Damit einher geht eindeutig der Entzug von überlebensnotwendigen Gütern, um den Wert für die Ernährung vorzuenthalten – und betrifft somit die erste der beiden oben skizzierten Formen des Kriegsverbrechens. Dies deutet auch darauf hin, dass die Verantwortlichen dieser Politik selbst nicht daran glauben, dass die Vorräte in Gaza ausreichen – denn wenn dem so wäre, gäbe es keinen Druckeffekt.
Ein letztes Argument, das zugunsten Israels vorgebracht wird, basiert auf einer Einschränkung der Verpflichtungen aus Artikel 23 der Vierten Genfer Konvention. Demnach dürfe Israel den Zugang zu Hilfen behindern, wenn zu befürchten ist, dass diese an die Hamas weitergeleitet werden oder ihr anderweitig zugutekommen. Das Argument ist jedoch aus dreierlei Gründen problematisch: Erstens haben humanitäre Organisationen wiederholt erklärt, dass es keine solche großflächige Weiterleitung gebe. Zweitens hat Israel – selbst nach den Bestimmungen der Vierten Genfer Konvention – als Besatzungsmacht keine Entscheidungsfreiheit, humanitäre Hilfe auf dieser Grundlage zu verweigern. Vielmehr hat Israel – wie in den Artikeln 55 und 59 der Vierten Genfer Konvention spezifiziert – eine Primärpflicht, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medizin sicherzustellen und – falls diese Versorgung unzureichend ist – die Sekundärpflicht, Hilfsmaßnahmen vorbehaltlos zuzulassen. Drittens: Selbst wenn man davon ausgeht, dass Israel keine Pflichten nach dem Besatzungsrecht hätte, dürfen nach dem Verbot des Aushungerns von Zivilisten als Kriegsmethode – das Jahrzehnte nach den Genfer Konventionen zu Gewohnheitsrecht wurde –der Zivilbevölkerung lebensnotwendige Güter nicht mit der Begründung entzogen werden, dass einige der Hilfsgüter einer gegnerischen Gruppe zugutekommen könnten. Die Einschränkung in Artikel 23 der Vierten Konvention ist intern zu verstehen; Sie kann nicht das nicht zulassen, was andere Regeln des humanitären Völkerrechts ausdrücklich verbieten.
4 Sie haben eben auf den Zwangscharakter dieser Entziehung lebensnotwendiger Güter hingewiesen, auch auf die Strategie, Zivilisten in Gaza dazu zu bringen, die Hamas zu stürzen. Ich würde gern etwas näher auf das Verhältnis zwischen dieser Zwangsnatur und dem Vorsatz eingehen. Das Verbot der Aushungerung von Zivilist*innen spielt auch eine zentrale Rolle bei den Haftbefehlen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Netanyahu und Gallant. Auch hier ist die entscheidende Frage die nach dem Vorsatz. Artikel 8(2)(b)(xxv) des Römischen Statuts verbietet den vorsätzlichen Einsatz von Aushungerung als Kriegsmethode. Können Sie näher erläutern, inwiefern die Zwangsnatur der Deprivation in Gaza diese Anforderungen erfüllt?
Es gibt keinen internationalen Präzedenzfall für eine Strafverfolgung nach Artikel 8(2)(b)(xxv). In dieser juristischen Leerstelle entfalten sich einige Debatten darüber, wie das subjektive Element („mens rea“) auszulegen ist. Wie eben erläutert, bin ich der Auffassung, dass Vorsatz entweder in direkter Form vorliegen kann (wenn die Versorgung gezielt mit dem Ziel verweigert wird, Zivilisten zu treffen) oder in indirekter Form (wenn der Entzug mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Zivilisten in den Hunger treibt).
Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die Zivilbevölkerung dadurch ihren Schutzstatus nicht verliert, dass sich Kämpfer unter ihr befinden. Besteht die betroffene Bevölkerung überwiegend aus Zivilisten, gilt sie insgesamt als Zivilbevölkerung. Ebenso entscheidend ist, Zielrichtung und Endzweck nicht zu ändern. Eine Maßnahme kann sich vorsätzlich gegen Zivilisten richten, auch wenn das ultimative Ziel darin besteht, Kämpfer dieser Bevölkerung zu schwächen oder zu zwingen. In einem solchen Fall ist es notwendige Voraussetzung, um auf die eingebetteten Kämpfer Druck auszuüben, der Bevölkerung als Ganzes Versorgung zu verweigern.
Während der ersten sechs Wochen des Waffenstillstands bestand ein gewisser humanitärer Zugang – deshalb war durch die Belagerung ab dem 2. März nicht sofort mit Sicherheit massenhafter Hunger zu erwarten. Aber es gibt starke Anhaltspunkte dafür, dass es von Anfang an darum geht, lebensnotwendige Versorgung vorsätzlich zu entziehen.
Die Maßnahmen hatten und haben nach wie vor offensichtlich Zwangscharakter. Als Benjamin Netanyahu die erneute Belagerung ankündigte, stellte er den humanitären Zugang für eine weit überwiegend zivile Bevölkerung als Verhandlungsmasse gegenüber der Hamas dar. Die Ratio hinter dem Entzug humanitärer Hilfe beschrieb er so: „Es wird kein kostenloses Mittagessen geben. Wenn die Hamas glaubt, sie könne von den Bedingungen der ersten Phase profitieren, ohne dass wir Geiseln zurückbekommen, irrt sie sich gewaltig.“ Verteidigungsminister Yisrael Katz sprach von den „Toren zur Hölle“, während Energieminister Eli Cohen die Stromabschaltung mit dem Ziel begründete, eine wichtige Entsalzungsanlage lahmzulegen. Der Druckeffekt dieser Maßnahmen beruht darauf, lebensnotwendige Güter wie humanitäre Hilfe und Trinkwasser zu verweigern. Beides sind überlebenswichtige Objekte. Dieser Entzug richtet sich an eine überwiegend zivile Bevölkerung – also an eine klar geschützte Gruppe im Sinne des humanitären Völkerrechts. Kurz gesagt: Die Schwelle zum direkten Vorsatz ist erreicht.
Verschlechtert sich die Lage weiter, steigt auch die Sicherheit, dass anhaltende Blockaden zu Hunger führen werden. Doch selbst wenn diese Sicherheit (noch) nicht gegeben wäre, ist sie für die Strafbarkeit nicht erforderlich – denn bereits der bewusste Entzug genügt.
5 Die verheerenden Folgen der erneuten Verweigerung humanitärer Hilfe in Gaza könnten auch im laufenden Genozidverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) relevant werden. Welche Bedeutung hat die Blockade humanitärer Hilfe in diesem Zusammenhang? In welchem Verhältnis steht Hunger als Mittel der Kriegsführung zu den erhobenen Vorwürfen?
Die in der Völkermordkonvention definierte Straftat umfasst fünf Handlungsformen. Eine davon ist die Auferlegung von „Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre Zerstörung körperlich ganz oder teilweise herbeizuführen“. Diese Form überschneidet sich erheblich mit dem Kriegsverbrechen des Aushungerns. Um als Völkermord zu gelten, müssen solche Lebensbedingungen jedoch mit dem Vorsatz herbeigeführt werden, die Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten.
Die weitverbreitete Verweigerung von Nahrung, Wasser, medizinischer Versorgung und anderen überlebenswichtigen Gütern kann zweifellos die Schwelle solcher zerstörerischen Lebensbedingungen überschreiten. In der Pressemitteilung zu den Haftbefehlen gegen Netanyahu und Gallant stellte die Vorverfahrenskammer des IStGH fest, dass es „begründete Verdachtsmomente“ gebe, wonach das Fehlen von Nahrung, Wasser, Strom, Treibstoff und medizinischen Gütern Bedingungen geschaffen habe, „die auf die physische Zerstörung eines Teils der Zivilbevölkerung Gazas abzielen“. Diese betrafen damals die Feststellung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch diese Überlegungen wären auch entscheidend, um zu prüfen, ob damit auch der zugrunde liegende Tatbestand des Völkermords erfüllt ist.
Man kann überzeugend argumentieren, dass die Situation in Gaza die Schwelle solcher zerstörerischen Lebensbedingungen überschritten hat. Ob dies die Entscheidung des IGH beeinflusst wird, hängt jedoch davon ab, ob Südafrika nachweisen kann, dass dies mit genozidalem Vorsatz geschieht oder geschah.