Sachdienliche Hinweise willkommen  

Vice President Joe Biden greets Russian Prime Minister Vladimir Putin at the Russian White House, in Moscow, Russia, March 10, 2011. (Official White House Photo by David Lienemann), wikimedia commons

Es gibt endlos lange Debatten über die Fragen, wie es zum Ukraine-Krieg kam, wie er beendet und wie zwischendrin der Ukraine geholfen werden kann und muss. Dabei stehen sich zwei Erzählungen gegenüber: Russland ist der Aggressor mit einer nationalistisch-großrussischen Vision. Russland ist das Opfer, weil es von den USA, Nato und der EU in strategischer Absicht eingekreist worden ist. Auf Bruchstuecke haben wir beide Narrative präsentiert, es gibt sie noch in zahlreichen Schattierungen. In Präsentation und Austausch dieser Positionen und Meinungen werden von Tages- und Wochenmedien und den Öffentlich-Rechtlichen enorme journalistische Ressourcen investiert. Aber weiß jemand, was Sache ist: wer verhandelt gerade mit wem über was?

Jüngst sah ich Klaus von Dohnanyi bei Sandra Maischberger, der folgende These vertrat: Hätten USA, Nato und EU mit Putin handfest über die Neutralität der Ukraine verhandeln wollen, wäre es nicht zum Krieg gekommen. Darüber habe der Westen jedoch auch nach Kriegsbeginn nie verhandeln wollen, obwohl Selensky selbst dies angeboten habe, weil US-Präsident Joe Biden Angst habe, dies vor den Halbzeitwahlen (midterm elections) am 8. November diesen Jahres zu tun, gälte er dann doch als politisches Weichei und seine Partei drohe zu verlieren.

Dohnanyis These: Wäre der Westen jetzt bereit darüber zu verhandeln, dann könne vermutlich der ersehnte Waffenstillstand erreicht werden. Frau Maischberger sagte darauf hin: Na ja, da gebe es gegenteilige Darstellungen, es werde doch verhandelt, beispielsweise bei den zahllosen Telefonaten von Emmanuel Macron mit Wladimir Putin oder wenn der UN-Generalsekretär Antonio Guterres in Moskau weile, es scheitere alles an Putin. Da stehe nun Aussage gegen Aussage, meinte sie, schließlich wackelte von Dohnanyi, während Frau Maischberger dies sagte, bedenklich und verneinend mit dem Kopf.

Screenshot „Maischberger“ in der ARD-Videothek

Als Medienkonsument fiel mir ein: Richtig, vor einigen Wochen hatte ich in mehreren Medien gelesen, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sei bei Sicherheitsgarantien durch dritte Parteien bereit, im Rahmen von Friedensverhandlungen mit Russland über einen neutralen Status seines Landes zu sprechen. Dieser müsse aber später zur Abstimmung gestellt werden, sagte Selenskyj (nach diesen Medienberichten) in einer Videobotschaft. Selenskyj wurde zitiert: „Sicherheitsgarantien und Neutralität, nicht-nuklearer Status unseres Landes. Wir sind dazu bereit. Das ist der wichtigste Punkt.“ Seither habe ich — vielleicht habe ich das Entscheidende übersehen — von diesem Angebot und von eventuellen Antworten darauf nie mehr gelesen.

Das einzige was ich gelesen habe: Ein Text von Michael Meyer-Resende, Geschäftsführer der NGO Democracy Reporting International, in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Mai, in dem er behauptet: Die russische Seite habe bisher zu diesem Vorschlag noch keine Stellung bezogen; Meyer-Resende reklamiert für seine Organisation, sie verfolge alle Verhandlungen und alle Verlautbarungen dazu penibel. Wenn das stimmt, dann hat Putin den Ukraine-Vorschlag nicht abgelehnt, aber Verhandlungen auf dieser Basis auch nicht zugestimmt. Dann stellt sich doch noch mehr die Frage: Warum machen Macron und Scholz in diesem Sinne nicht Druck auf beide Seiten? Denn öffentlich hat doch auch Kanzler Scholz diesen Vorschlag noch nie aufgegriffen — oder?

Wer hat recht: von Dohnanyi oder Maischberger? Wer verhandelt mit Putin auf Grundlage der Neutralität der Ukraine über einen Waffenstillstand? Oder verhandelt niemand, weil die US-Regierung es verbietet und alle kuschen? Oder sind diese Verhandlungen schon an Putin gescheitert? Weiß das jemand? Sachdienliche Hinweise sind willkommen.

Wolfgang Storz
Dr. Wolfgang Storz (sto), (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau. Das Foto gibt eine jüngere Ausgabe der Person wieder.

3 Kommentare

  1. Neben den skizzierten zwei Erzählungen gibt es noch eine weitere, über die, wenn überhaupt nur indirekt gesprochen wird, und die dennoch als „Elefant“ im Raum steht, über den nicht gesprochen wird. Dieser Elefant ist die nicht erzählte Nachhaltigkeitskrisenerzählung.

    Beide skizzierten Erzählungen bewegen sich in einem Analysemuster des 20. Jahrhunderts und damit der Vergangenheit. Sie haben dabei nicht auf dem Schirm bzw. ignorieren weitgehend den Zustand der globalen Menschheit der Gegenwart zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

    Dieser Zustand, der mit der Nachhaltigkeitskrise des Mensch-Planetensystems zu beschreiben ist, ist historisch präzedenzlos. An diesem Zustand ändern weder die Aggressorerzählung noch die Opfererzählung etwas.

    Allerdings bieten die Entwicklungen (die die Nachhaltigkeitskrise antreiben) Anlässe, an denen sich die Erzählungen der Vergangenheit anknüpfen, um die eine Kriegspartei als Aggressor oder Opfer der jeweils anderen zu beschreiben.

    Die aus diesen Anlässen entstehenden Erzählungen sind daher allenfalls in einem Rückblick auf Ausschnitte der Vergangenheit richtig. Aber dieser Rückblick ist auch ein Blick auf eine Vergangenheit der letzten Jahrzehnte der weitgehenden Ignorierung der globalen Nachhaltigkeitskrise und der ausgebliebenen notwendigen Transformation in den westlichen Ländern und in Russland.

    Vor dem Hintergrund der globalen Nachhaltigkeitskrise wird es weder im Ukrainekrieg noch in einem anderen militärischen Konflikt zwischen Ländern einen Sieger geben können, der aus seinem Sieg einen Vorteil gewinnen kann.

    Insofern bieten beide Erzählungen auch keine Perspektive, wie dieser Krieg beendet werden kann.

    Nachhaltigkeitspolitik erfordert, vom Ende her zu denken. Wie das, was gegenwärtig geschieht, einzuordnen und zu verstehen ist, und was daraus folgt, um den Krieg zu beenden, darf – wenn es eine politische Perspektive enthalten will – nicht im Widerspruch stehen zu dem Zustand, der aus nachhaltigkeitspolitischer Sicht anzustreben ist.

      1. Wenn „Nachhaltigkeit“ im Sinne der VN-Resolution „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ als Erhalt des bedrohten Mensch-Planeten-Systems als „springender Punkt“ erkannt und verstanden wird, dann sollte man den Missbrauch des Nachhaltigkeitsbegriffes, wo immer es möglich ist, zurückweisen und korrigieren.
        „Wer sagt´s den Handelnden?“ Alle diejenigen, die das erkannt haben und der Sprache mächtig sind, dieses auch zu tun.
        Ich versuche das jedenfalls.

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