Im württembergischen Heidenheim steht ein Denkmal für den NS-Generalfeldmarschall Erwin Rommel; wenigstens versehen mit einer Gegen-Skulptur. Der Streit hält an: Hitlers Lieblingsgeneral — stiller Widerstandskämpfer oder gehorsamer Elite-Soldat? In fast jeder deutschen Kleinstadt gibt es Kriegs-Denkmäler, vermutlich mehr als Einhunderttausend. In vielen Städten werden jedoch Straßen umbenannt, NS-kontaminierte Denkmäler mit kritischen Erläuterungen versehen. So wird es beispielsweise in Darmstadt statt einer Hindenburg-Straße künftig eine Fritz Bauer-Straße geben. Selbstverständlichkeiten, die unerträglich lange dauern. Ein Ortsbesuch in Heidenheim.
Heidenheim an der Brenz, hoch oben auf der Schwäbischen Alb, ist eine vitale Stadt. Knapp fünfzigtausend Einwohner, ein Fußballclub, der seit Jahren für Furore sorgt, eine spektakuläre Stadtbibliothek, entworfen von Max Dudler, dem renommierten Baumeister aus der Schweiz, auch eine imposante Freilichtbühne in zauberhafter Naturkulisse gibt es. Und mittendrin das Unternehmen Voith, 1867 gegründet, heute ein weltweiter Technologiekonzern mit bald zwanzigtausend Beschäftigten, führend im Anlagenbau, Energie, Papier, Rohstoffe und Transport. Dieser Name gehört zur Stadt. Zur Stadt gehört aber auch ein massiver Gedenkstein, von dem hier die Rede ist.
Er erinnert an den 1891 in Heidenheim geborenen Generalfeldmarschall Erwin Rommel. Auch 78 Jahre nach seinem Tod wird immer wieder in der Bürgerschaft debattiert, ob Hitlers Lieblingsgeneral eines Gedenksteins würdig ist. Zu Rommels Ehren wurde er errichtet, anlässlich seines 70. Geburtstags im Jahr 1961. Der einstige Oberbürgermeister Elmar Doch beabsichtigte „etwas architektonisch Schönes“ zu schaffen. Und auch der Gemeinderat war der Meinung, General Rommel habe „in der Welt einen guten Klang und seine Heimatstadt keine Veranlassung, von ihm abzurücken“. Das Denkmal wurde genehmigt. Ein zwei Meter hoher Gedenkstein, der seitlich in einem fast vier Meter langen, niedrigen Mauerbogen weitergeführt wird. Ein historisches Statement: »Erwin Rommel hat in der Welt einen guten Klang und seine Heimatstadt keine Veranlassung, von ihm abzurücken«.
Am 12. November 1961 wurde das Denkmal eingeweiht. Unter den Gästen: Rommels Ehefrau Lucie, sein Sohn Manfred (später Stuttgarter Oberbürgermeister) und Landesinnenminister Hans Filbinger, der zum Ministerpräsidenten des Landes aufsteigt, ehe ihn seine Vergangenheit als NS-Marinerichter, auch an Todesurteilen beteiligt, um Amt und Ehre bringen wird. Schon damals waren nicht alle Heidenheimer über die Rommel-Verehrung erfreut. Es folgte eine jahrzehntelange Debatte, oft leidenschaftlich und giftig.
Erwin Rommel war der populärste General der Wehrmacht. Denn unter dem Kommando von Rommel erzielten die Deutschen in Afrika spektakuläre militärische Erfolge. Auch deshalb spielte der sogenannte „Afrikafeldzug“ in der NS-Propaganda eine große Rolle. Die NS-Propaganda feierte die Siege des »Wüstenfuchses«. Im Mai 1943, genau am 13. Mai, kapitulierten die deutschen Afrika-Truppen us-amerikanischen und britischen Verbänden. Was überdauerte, war Rommel als militärische Legenden-Figur, als »Wüstenfuchs«.
Der Mythos vom Widerstandskämpfer Rommel
Schon bald nach dem Krieg wurde dem Rommel-Mythos eine weitere Facette hinzugefügt. Es gab Material, das ihn mit den Hitler-Attentätern vom 20. Juli in Verbindung brachte. In seinem 1949 veröffentlichten Buch „Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal“ behauptete dessen früherer Stabschef Hans Speidel, sein Vorgesetzter habe vom Attentat am 20. Juli 1944 auf Hitler gewusst und es unterstützt. Wegen dieses Vorwurfs war Rommel im Oktober 1944 auf Befehl des Diktators zum Selbstmord gezwungen worden. Die offizielle Version der Nazis: Rommel sei bei einem Autounfall in Folge einer Embolie gestorben. In Wahrheit hatte sich Rommel mit Zyankali-Kapseln das Leben genommen. Fortan galt Rommel nicht mehr nur als militärisches Genie, sondern auch als Widerstandskämpfer, als der „gute Deutsche“, der unter dem Hitler-Regime seine moralische Integrität gewahrt hatte. Rommel war zwar nie Mitglied der NSDAP, galt aber als begeisterter Anhänger Hitlers und hat dessen Regime und Kriegspläne gestützt. Rommel war eine Reizfigur. Nicht nur in seiner Heimatstadt.
Es dauerte fünfzig Jahre bis im September 2011 die Stadt den Entschluss fasste, neben dem umstrittenen Rommel-Denkmal eine Tafel aufzustellen — auch um den Dauerstreit zu befrieden. Darauf war von „Tapferkeit und Heldenmut, Schuld und Verbrechen“, zu lesen, die im Krieg eng zusammenlägen. Das rief erneut Denkmal-Gegner auf den Plan. Der Text sei nicht zeitgemäß und vermeide es, „sich mit der Komplexität der Person Rommels auseinanderzusetzen“, monierten sie. Wenige Wochen später verhüllten sie die neu aufgestellte Tafel mit einer schwarzen Plane. Darauf stand in weißen Großbuchstaben: „Kein Denkmal mehr für den Nazigeneral!“ Der Befriedungsversuch war einmal mehr misslungen.
Zustimmung bekamen die Denkmal-Gegner von prominenter Seite. Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter der »Gedenkstätte Deutscher Widerstand« sagte, Rommel sei „verantwortlich für die Kriegsführung und auch für eine Kriegspraxis, die Menschenleben sinnlosen Befehlen opferte“. Und sprach sich dagegen aus, Straßen und Kasernen nach seinen Namen zu benennen. Denn solche Ehrungen, so Steinbach, verhinderten die Auseinandersetzung mit Lebensgeschichten und „tragen zur Heroisierung, zur Heldenverehrung bei“.
Rommel-Kasernen — immer noch traditionsstiftend?
Nach Rommel sind in Deutschland immer noch 13 Straßen benannt und zwei Kasernen, in Augustdorf (Nordrhein-Westfalen) und Dornstadt bei Ulm. Eine Umbenennung sei nicht vorgesehen, heißt es aus dem Bundesministerium der Verteidigung. Rommel habe verbrecherische Befehle missachtet und das vom NS-Regime geforderte ideologische Feindbild abgelehnt. Zudem rücke die Forschung ihn „zunehmend in die Nähe des Widerstandes“ gegen Hitler. Damit sei er weiter „sinn- und traditionsstiftend“.
Das liest sich in einem Sachstandsbericht der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zur Rommel-Debatte vom Februar 2019 gänzlich anders: Es bleibe festzustellen, „dass sich seine Rolle im Widerstand auch nach neuesten Forschungen rund um das Netzwerk des 20. Juli auf eine mögliche Mitwisserschaft beschränkt„, heißt es da. Dem Verteidigungsministerium scheint allein dies schon für eine »Traditionswürdigkeit« auszureichen. „Denn irgendein aktives widerständisches Verhalten konnte für Rommel bis heute von der historischen Forschung nicht belegt werden“, heißt es weiter in diesem Sachstandsbericht. Die Inschrift bis heute: »Erwin Rommel – Aufrecht, ritterlich und tapfer bis zu seinem Tode als Opfer der Gewaltherrschaft«.
Wohin also mit dem Rommel-Denkmal in Heidenheim? Wohin mit dem Werk des Bildhauers Franklin Pühn, der den Stein — gestiftet vom »Verein deutsches Afrikakorps« — 1961 geschaffen hatte? Erst 2014 zeigte sich der Gemeinderat offen für die Idee, dem Rommel-Stein ein zeitgemäßes Mahnmal entgegenzusetzen. Eine Umgestaltung sollte die jahrzehntelange Debatte um den General nun endgültig beenden. Ein engagiertes Unterfangen.
Der weitergehende Vorschlag, das Denkmal abzureißen, fand keine Mehrheit. Also suchte Verwaltung und Parlament der Stadt nach einem befriedenden Kompromiss. Der heimische Künstler Rainer Jooß ging ans Werk. Er ließ den Gedenkstein unangetastet, setzte ihn aber mit einem Gegendenkmal in einen neuen Kontext. Dem klobigen Denkmal steht seither eine fragile Stahlstatue eines Minenopfers gegenüber. Ein Verweis darauf, dass Rommels Soldaten beispielsweise vor ihrem Abzug in Afrika große Minenfelder hinterließen, die viele Menschen verletzten und töteten. Jooß hat seine Skulptur so platziert, dass zumindest zeitweise Schlagschatten auf das Rommel-Denkmal fällt. Ein Denkmal, auf dem bis heute unverändert zu lesen ist: »Erwin Rommel – Aufrecht, ritterlich und tapfer bis zu seinem Tode als Opfer der Gewaltherrschaft«.
Ein Satz, der mehr als irritiert, denn Rommel war nicht Opfer, er war Täter. Hitler führte in Nordafrika einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und sein General Rommel stand dabei an vorderster Front. Angemessen wäre deshalb diese Inschrift: »Er war General eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs. Ein General Hitlers, der Schmerz und Tod in die Welt brachte«.
Georg Elser – der wahre Antagonist Rommels
Heidenheim ist kein solitärer Ort. In fast jeder deutschen Kleinstadt gibt es Kriegs-Denkmäler, insgesamt sollen es mehr als Einhunderttausend sein. In zahlreichen Städten und Gemeinden werden Wegbereiter und Parteigänger der Nationalsozialisten von Straßenschildern verbannt und NS-kontaminierte Denkmäler mit kritischen Erläuterungs-Tafeln versehen. So wird es im südhessischen Darmstadt statt einer Hindenburg-Straße künftig eine Fritz Bauer-Straße geben. Eine späte Würdigung des Mannes, der als Generalsstaatsanwalt von Hessen dafür sorgte, dass der erste Ausschwitz-Prozess stattfand. Weitere Umbenennungen sollen folgen. Nicht nur in Darmstadt.
Der Nachtrag: Nur wenige Kilometer von Heidenheim, im nahen Königsbonn, wuchs Georg Elser auf. Im November 1939 wollte der Schreinergeselle Hitler während dessen Rede im Münchner Bürgerbräukeller mit einer selbstgebastelten Bombe töten. Der Anschlag misslang. Elser wurde verhaftet, viele Jahre inhaftiert, schließlich kurz vor Kriegsende im KZ Dachau ermordet. Lange Jahre wurde er, anders als Hitlers-General, in seiner Heimat ignoriert. Heute wird seine Person und seine Tat gewürdigt. Eine Schule trägt seinen Namen. Elser ist der wahre Antagonist Rommels.
Siehe auch den bruchstücke-Beitrag „Pazifistische Offiziere in der Militärkaste„