Sind Virenzeiten Roboter-Zeiten?

Bild: Gerd Altmann auf Pixabay

Wenn in diesen Monaten das Virus (sogar) Deutschland in die Digitalisierung treibt, dann geht es um mehr als um E-Learning an Schulen und Hochschulen oder Video-Beratungen anstelle von Geschäftsreisen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Dalia Marin, Technische Universität München, stärkt seit Wochen die These, die deutsche Industrie werde auch Teile ihrer Produktion in die Heimat zurückholen, sei doch „die Ära der Hyperglobalisierung … beendet.“ Auch wenn heute und morgen die Fertigung in fernen Niedriglohnländern sich noch rechne, so Marin, den Unternehmen werde bewusst, die Risiken seien zu hoch, wisse doch jede und jeder, Covid-19 sei nicht die letzte Pandemie gewesen. Deshalb liege nahe: Produktion zurückholen, Roboter einstellen; die jammern nicht, organisieren sich nicht, werden nie krank, brauchen weder Virenschutz noch Pause, Schlaf, Urlaub, Lohn oder Sozialversicherung.

Ein erster Hinweis: Experten haben bereits in Vor-Corona-Zeiten erwartet, dass die Zahl der weltweit installierten Roboter bis in diesem Jahr 2020 auf mehr als drei Millionen Einheiten steigt; immerhin ein Plus von 60 Prozent gegenüber 2015. Die verglichen mit Industrierobotern eher schnuckeligen Cobots könnten sich als stärkste Treiber einer flächendeckenden Roboterisierung entpuppen; kollaborative Roboterzwerge. Menschen können mit ihnen vergleichsweise unkompliziert Hand in Hand arbeiten, sie sind recht billig, einfach zu programmieren, via App leicht zu steuern, klein, deshalb gut zu transportieren — weshalb sie selbst von oft so skeptischen und von dieser Technik noch überforderten klein- und mittelständischen Unternehmen so gerne eingesetzt werden, zum Montieren, Schweißen und in der Qualitätsprüfung. Günstige Modelle gibt es bereits für 20.000 US-Dollar; etwa ein Zehntel des Preises für einen typischen Industrieroboter. Da die Cobots flexibel und unkompliziert funktionieren — ganz anders als die klobigen Industrieroboter in ihren produktionshinderlichen (Sicherheits-)Käfigen —, passen sie gut in diese Zeiten, in denen die individualisierte Massenfertigung en vogue ist; sie verlangt viele schnelle Wechsel in der Tagesproduktion.

Her mit den flotten flexiblen Cobots

Manche Hersteller wie ABB, Kuka AG und Universal Robots sehen sich und diesen Markt zwar noch am Anfang, kalkulieren jedoch mit einem bald bevorstehenden Boom, den sie natürlich aus naheliegenden Gründen kräftig herbeireden. Was sie besonders herausstellen: Diese Cobots nehmen ihre Umwelt via Sensoren ständig wahr, so lässt sie bereits ein veränderter Luftdruck stoppen — die Folge: Ein Mensch kann mit dieser Maschine sehr sicher arbeiten, gefährdet sich nicht, fühlt sich auch sicher. Arbeitsschritte können nun also gemeinsam von Mensch und Maschine erledigt werden, nicht wie bisher, wo meist aufgeteilt werden musste, das eine macht der Mensch, das andere der Roboter. Für Albrecht Hoene, Forschungs- und Entwicklungsleiter für Human Robot Collaboration beim Roboterhersteller Kuka, sind diese Mischformen ein wesentlicher Fortschritt.
Kolonnen dieser künstlichen Kollaborateure können also nicht nur in Fabrikhallen, Krankenhäusern, Seniorenheimen, Hotels oder Flughafenterminals Menschen von monotonen und gefährlichen Arbeiten befreien, sie sind fähig, überall mit ihren menschlichen Kollegen gemeinsame Sache zu machen. Die Unternehmensberatung KPMG geht deshalb von rasanten Steigerungen in den kommenden Jahren aus.

Das ist Zukunftsmusik und bereits Wirklichkeit. So gibt es den Cobot James, eine Art Kommunikationsroboter, der in diesen Zeiten Senioren in Heimen mit Besuchsverbot besucht und Verwandte per Video hinzuschaltet. In einem Krankenhaus im dänischen Aalborg sortieren zwei Kuka-Roboter täglich bis zu 3.000 Blutproben. Desinfektionsroboter töten in Krankenhäusern mit ultraviolettem Licht Krankheitserreger ab. Und wer reinigt am gefahrlosesten infizierte Flächen?

Blick auf die Eisberg-Spitze

Beispiele, welche die Spitze des Eisberges zeigen. Denn diese Umwälzung ist — wahlweise unter den Namen Digitalisierung, Roboterisierung, Internet der Dinge, Industrie 4.0 — bereits seit Anfang der 1980er Jahre im Gange. Und wer sich diese Beispiele anschaut: Wer sagt da nicht ‘Ohhhh’ und ‘Aaaahhhh’ und staunt Bauklötze wie Kinder in der Sternwarte. Wer so etwas kritisiert und nicht als Fortschritt preist, der kann nur Spielverderber sein. Die Industrie selbst verkauft diese Entwicklung gerne als wettbewerbsstürmende Revolution — vor allem um in ihren jeweiligen Nationalstaaten möglichst viele Subventionen abzustauben —, tatsächlich handelt es sich weitgehend um einen evolutionären Prozess. Trotzdem: Es verändert sich vieles, noch mehr wird sich verändern, nicht nur Produkte, Produktionsabläufe, Vertrieb und Arbeit in der Industrie, sondern auch im Sektor der Dienstleistungen, ob Finanzen, Gesundheit oder Bildung. Und die neuen Techniken werden in allen Organisationen weitere soziale und organisationelle Innovationen erzwingen; sonst werden sie nicht funktionieren. Die Digitalisierung des Ökonomischen wird also Arbeit und Leben grundlegend verändern – digitales Lernen, selbstfahrendes Auto, 3D-Drucker, selbstlernende Computer, Drohnen, Roboter allerorten.

Bild:  Sergei Tokmakov auf Pixabay

Aber wer steuert diese Prozesse? Prozesse, die viel nützen, aber eben auch großen Schaden anrichten können. Wollen wir das überhaupt, was gerade entwickelt wird? Wäre das nicht sinnvoller: statt selbstfahrender Autos eine Mobilität ohne Autos zu erfinden? Wird gefördert, was der Gesellschaft nützt, wird gestoppt, was ihr schadet? Wofür wird der enorme Produktivitätsschub genutzt: für höhere Gewinne, für kurze Arbeitszeiten, um allen ein Grundeinkommen zu finanzieren?

An dieser Stelle ein kurzer Einschub für einen wichtigen Lesehinweis:
Lorenz Lorenz-Meyer beschäftigt sich in dem Essay “Die Freiheit, die wir meinen (sollten)” mit dem ‘herrschenden’ Digitalisierungsfetisch, der hier auch eine Rolle spielt, und plädiert dafür, in den Techniken keine Akteure, sondern Instrumente zu sehen, über deren Erfindung und Einsatz allein die Menschen zu entscheiden haben; und das allerdings auch zu verantworten haben.

Also lautet die zentrale Frage: Wer hat das Sagen?

Seit Jahren wird in den Entwicklungszentren der großen Konzerne und in zahlreichen Universitäten, von Steuerzahlern finanziert, an dieser neuen Welt gearbeitet, in der alles und alle miteinander kommunizieren sollen: die Teile einer Maschine untereinander, die Maschinen miteinander, die Maschinen mit den Produzenten, die Maschinen mit den Konsumenten. Eine Entwicklung, die uns bereits überrollt, bevor wir eine rechte Ahnung von ihr haben.
Die Unternehmen feiern sich, ihre Investitionen und neuen Techniken, verkünden Visionen und Werte, reklamieren damit für sich, sie seien neuerdings auch noch für die Zukunft zuständig. Und die Politik? Sie droht zur Restgröße zu schrumpfen, zum Grüßaugust auf den allfälligen Konferenzen und Messen, auf denen die Unternehmen beispielsweise ihre Industrie 4.0-Welt präsentieren — und zum Subventionen-Spender.

Ein fataler Akt an Selbstbescheidung oder gar der Unterwerfung! Alle Parteien, alle politisch Aktiven und Interessierten müssten doch das Interesse haben: dass sie sich wenigstens ihr ureigenstes Geschäft nicht endgültig entreißen lassen – das Nachdenken über zukünftige Politik und das Herstellen von zukünftiger Politik.

Technik ist nie neutral. Wer Geld und Macht hat, entscheidet, welche Technik erfunden, wie und wozu sie eingesetzt wird. Nur ein Beispiel: Es sind viele Techniken bekannt, die nicht verwendet werden, obwohl sie Beschäftigte von monotoner, gefährlicher Arbeit befreien würden. Warum das? Weil Unternehmen nur die Technik einsetzen, mit der sie zusätzlich Geld verdienen können. Weil das so ist, dürfen Unternehmen nie allein über Techniken verfügen. Technik ist eine Frage von Macht und Gesellschaftspolitik.

In den 1970er gehörte das folgende sperrige Wort — damals ging es vor allem: um Atomenergie versus Erneuerbare Energien — noch zum Alltag öffentlicher Debatten: Technikfolgenabschätzung. Es sollte selbstverständlich werden, die Innovationen, die gerade entwickelt wurden, wissenschaftlich auf ihre möglichen Folgen für Gesellschaft und Natur zu untersuchen und diese Befunde der Öffentlichkeit zum Streit zur Verfügung zu stellen. Heute zählt Technikfolgenabschätzung zum untergegangenen Vokabular. Aber was ist eigentlich Technikfolgenabschätzung ?
Der weißrussische Wissenschaftler Evgeny Morozov, der sich bereits seit Jahren mit dem Einfluss des Internet auf Gesellschaften beschäftigt, argumentiert: Jede Technik werde nach den Interessen derjenigen eingesetzt, die sie besitzen. Eines seiner Beispiele: ein System zur biometrischen Identifizierung. Wer an dessen ‘guten Einsatz’ glaube, der verdränge das öffentliche Wissen um den Expansionsdrang des Sicherheitsstaates und die Logik des Datensammelns der biometrischen Industrie. Morozov plädiert deshalb dafür, jeweils öffentlich zu verhandeln, „ob eine bestimmte Technologie sich in den Rahmen des Emanzipations- oder in den des Versklavungsprojektes einfügt“.

Emanzipation oder Versklavung

Der Wissenschafts- und Technikforscher Bruno Latour beschäftigte sich intensiv mit dem Zusammenspiel von Menschen und den von Menschen hergestellten Dingen. Eines seiner Beispiele: Ein Mann tötet einen anderen mit einer Waffe. Wer hat getötet: die Waffe oder der Mann? Sein Hinweis: Jedes Ding habe seinen Aufforderungscharakter, sein Skript. Wer verantwortet den Unfall eines vollautomatisierten Autos? Oder: Wie tiefgehend verändert allein die banale Einführung von Smartphones Arbeit und Zusammenleben in Organisationen und im Privaten?

Also: Technik wirkt vielfältig. Und derjenige, der über sie verfügt, sagt gerne, sie sei alternativlos, um so die Zukunft mit angeblichen Sachzwängen zuzumauern — bevor die Gesellschaft dazu überhaupt etwas gesagt hat. Solange Unternehmen — ob VW, Tesla, Infineon, Apple oder Amazon — Entscheidungen über Technik, damit über die Gestaltung der Zukunft für sich reklamieren und die Gesellschaft dies nicht strittig stellt, sogar goutiert, liegt die Zukunft der Gesellschaft in den Händen der anderen.

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Wolfgang Storz
Dr. Wolfgang Storz (sto), (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau. Das Foto gibt eine jüngere Ausgabe der Person wieder.

1 Kommentar

  1. Danke, lieber Wolfgang, für diesen super-interessanten und instruktiven Text!

    Ich bin natürlich besonders angefixt, weil du mit Morozov und Latour zwei meiner Gewährsleute aus dem von dir oben verlinkten Essay aufgreifst und weiterdrehst. Besonders Latours Gedanken der ‘Scriptung’ von Werkzeugen finde ich fruchtbar. Diese werden ja im Hinblick auf bestimmte Funktionen konzipiert oder sogar programmiert – wie in meinem Beispiel der Schachcomputer.

    Nicht immer ist diese Scriptung eindeutig. Wie die Problematik um ‘dual use’-Güter (zu ziviler und militärischer Nutzung) zeigt. kann ich eine intendierte Funktion aus guten Gründen maskieren wollen, etwa um Exportrestriktionen zu umgehen.

    Dies ist aber nicht nur im Militärbereich, sondern auch bei vielen Konsumgütern der Fall, zum Beispiel bei kommerziellen Medienprodukten, die prima facie der Information oder Unterhaltung ihrer Rezipienten dienen, aber darüber hinaus natürlich auch und vor allem einen Kanal für die Werbebotschaften von Anzeigenkunden bereitstellen. Dies wird von modernen Plattformen wie Facebook oder Youtube mit ihren Kundenbindungsalgorithmen nur weiter vorangetrieben.

    Es muss eine Aufgabe von Gesellschaftskritik sein, solche ‘verborgenen’ Skripte von Technologien aufzudecken. Sofern es sich um intendierte Skripte handelt, verweisen sie zurück auf die Absichten ihrer Urheber und stellen diese in die Verantwortung.

    (Die Frage, ob es auch nicht-intendierte Skripte gibt, ist für diesen Zusammenhang vielleicht ein bisschen zu philosophisch…)

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