Ping-Pong der Extreme in der Pandemie

Dieser Text ist nur für diejenigen interessant, die die sogenannten Hygiene-Demos als Problem und Gefahr sehen; die es für möglich halten, dass sich eine Massenbewegung entwickelt, weit über Verschwörungsprediger und Rechtsextreme hinaus. Meine Annahme: Bei gesellschaftlichen Polarisierungen wie jetzt in der Corona-Krise findet ein Ping-Pong zwischen den Extrempositionenen statt: Nicht nur Sachaussagen und Forderungen schaukeln sich gegenseitig hoch, es potenziert sich auch die Empörung über unausgesprochene Haltungen der Gegenseite, die ich als Aura von Positionen bezeichne. Denn um Sachaussagen herum baut sich eine atmosphärische Aura auf, die politisch wirksam wird. Wer eine „Hygiene-Rebellion“ verhindern will, muss positive Perspektiven bieten.

Bild: John Hain auf Pixabay

Aura der Maßnahmenkritiker „Man will uns das Leben und die Lebensfreude verderben!“

Diese emotionale Haltung glaube ich hinter der Kritik an Grundrechtseinschränkungen zu spüren. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, liegt die Leugnung der sachlichen Berechtigung nahe. Darum wird von vielen Maßnahmenkritikern Covid19 als „eine milde Grippe“ abgetan. Verschwörungsphantasien sind ein anderes Ventil, in dem sich die Empörung über die Lebenseinschränkungen Luft machen kann (Bill Gates, WHO, Erfindung der Pharmakonzerne). Das verzweifelte „Lösungskonzept“:  Einfach so tun, als ob es gar keine Pandemie gäbe und weiterleben wie bisher.

Aura der Befürworter harter Einschränkungen: „Nur wenn wirklich sehr gelitten wird, kann es eine Besserung geben“.

Die Aura von Positionen betrifft nicht die mögliche sachliche Richtigkeit, sondern die emotionale Ausstrahlung. Kaum ein Anhänger des restriktiven Kurses prägt die Ausstrahlung so stark wie der Mediziner und SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach. Unabhängig von möglicherweise ganz anderen persönlichen Motiven ist das, was er ausstrahlt, die Lust an der Einschränkung an sich. Eine Haltung der „Schwarzen Pädagogik“, die in der „Feuerzangenbowle“ vom Professor Crey so trefflich auf den Punkt gebracht wird: „Die Medizin muss bötter (bitter) smecken, sonst nötzt se nächts“.

Bei einem Karl Lauterbach ( Merkel, Kretschmann und Söder gehen in die gleiche Richtung) kann man sich nicht vorstellen, dass er freiwillig irgendeiner Lockerung zustimmen mag. In Halle/Saale wurde vom Oberbürgermeister das Lesen auf Parkbänken verboten. In Konstanz am Bodensee ist jetzt im Mai das Baden im öffentlichen Strandbad untersagt, obwohl die Wasserfläche mehr 1000 Schwimmbäder umfasstg, und bei einer Wassertemperatur von 16 Grad wirklich keine Gefahr großer Annäherungen besteht. Eine – sogar halb zugegebene – Haltung dahinter  ist: „Wenn die Menschen wieder fröhlich werden, halten sie keinen Abstand mehr“. Darum möglichst alles abwürgen, was gute Stimmung verursachen könnte, denn das könnte zu Sorglosigkeit führen, so die spürbare Maxime. Darum wird wahrscheinlich auch das Maskentragen über den sinnvollen Gebrauch in Innenräumen hinaus ausgedehnt auf Straße und Natur.

Das Ping-Pong der „Auren“

Diese Lust am Überziehen auf der einen Seite dürfte die Opposition auf der anderen Seite anfachen. Der Eindruck von Verboten aus Prinzip säht Zweifel am sachlichen Sinn sogar gut begründeter Maßnahmen. Das ist Wasser auf die Mühlen der gefährlichen Melange von Rechtspopulisten, Esoterikern und Verschwörungspredigern. Sie bekommen Oberwasser und propagieren ihre obskure Ideen, was UnterstützerInnen der offiziellen Politik wiederum in einer gefährlichen Pauschalablehnung ALLER KritikerInnen bestärken kann.  Es gibt aber sehr berechtigte Fragen und Ängste, die bei einer dramatischen Verschärfung der ökonomisch-sozialen Krisenfolgen möglicherweise zur gefürchteten Massenbewegung führen. In der Migrationsfrage hat genau dieses verheerende Ping-Pong-Spiel den schnellen Aufstieg der AfD massiv verstärkt.

Ausweg: Positive Perspektive beim Balancieren zwischen den beiden Abgründen

Der erste Lockdown im März/April konnte sich, fixiert auf die Eindämmung, Einäugigkeit noch leisten. Aber mit der Annahme, dass das Virus weder ausgerottet, noch durch Herdenimmunität eingedämmt werden kann, sondern bis zu einen Impfstoff – möglicherweise noch zwei Jahre oder vielleicht mehr – mit ihm zu leben ist, hat sich etwas Fundamentales geändert:

Es geht um die Balance zwischen einem seuchenbedingten Massensterben einerseits und dem ökonomisch-sozialen Zusammenbruch mit dem Risiko von Opferzahlen ebenfalls im Vieltausender-Bereich. Das nun notwendige Balancieren zwischen diesen beiden Abgründen verlangt tiefgreifende Veränderungen im Regierungshandeln gegenüber der (unvermeidlichen) Eindimensionalität des ersten Lockdowns. Zwar gibt es nun Lockerungen, aber OHNE eine offensiv-gestaltende Rolle der Regierung(en). Auf der Bremse stehen und dann dem Druck nicht mehr standhalten, ist nicht positiv und untergräbt dazu noch das Vertrauen in die vorherigen Maßnahmen.

Wer einer möglichen populistischen Großrebellion vorbeugen will, muss vor allem eines: Zuversicht vermitteln – durch eine transparent offensive und positive Rolle der Regierungspolitik. Wichtig ist, diesen eigentlich selbstverständlichen Prinzipien klarer zu folgen:

1. Hochrisiko verhindern – Niedrigrisiko akzeptieren! Ersteres liegt in Massenansammlungen; kurze Zufallsbegegnungen draußen sind dagegen – auch ohne Mundschutz – nur eher selten Infektionsursachen.

2. Nur mit durchdachten und gut kommunizierten Argumenten etwas verbieten und dabei schikanösen Übereifer vermeiden – wie bei den genannten Beispielen.

3. Offen auch das diskutieren, was beim Frühjahrs-Lockdown noch als völlig unpassend, ungewöhnlich und die bisherigen Vorstellungen sprengend abgelehnt wurde: Nämlich Immunisierten-Ausweise und sogar freiwillige gezielte Infektionen von Niedrig-Risiko-Personen.Angesichts des Dimensionssprungs der Einschätzung von nun mindestens ZWEI Jahren Krisenzeit und der Unsicherheit, ob selbst in diesem Zeitraum ein sicherer Impfstoff zur Verfügung steht, ist ein Abbürsten dieser Diskussion unverantwortlich. Ich betone: Ergebnisoffene (!) Diskussion der Pro-und-Contra-Argumente.

Eine rigorose Vorab-Ablehnung von Immunisierten-Ausweisen steht übrigens im Widerspruch zur Begründung von Anti-Corona-Maßnahmen, nämlich dem Argumentieren mit der Gefahr der Seuchenverbreitung. Denn mit welcher Seuchen-Begründung soll Menschen etwas verboten werden, die mit 99prozentiger Wahrscheinlichkeit weder erkranken noch das Virus übertragen können?

4. Statt der Strategie „Vorsicht durch allgemeines Depressionsgefühl erreichen“ – brauchen wir das Gegenteil: Sich aktiv für positive Perspektiven einsetzen! Statt Depression und Repression, die schnell in Aggression umschlagen können, brauchen wir Maßnahmen, die entschlossen die Epidemie bekämpfen UND für eine produktiv-optimistische Stimmung sorgen.

Bild: Gerd Altmann auf Pixabay

Einige beispielhafte Vorschläge für eine positive Perspektive:

Privilegierte freiwillige Separierung statt bevormundendes Wegsperren der Risikogruppen. Für Menschen, die sich selbst plausiblermaßen zu den Hochrisikogruppen zugehörig erklären, könnte die Lebenssituation positiv verändert werden: wöchentliches Abholen zu Halb-Tagesausflügen (damit ihnen nicht die Decke auf den Kopf fällt), Einkaufsdienste, wenn nötig digitale Hilfsdienste wie Installation von Tablets und Skype-Verbindungen, Einrichten sicherer Begegnungs-Räume mit trennenden Plastikwänden, aber mit desinfizierter Handdurchreiche, Hotelurlaube in attraktiver Umgebung in Gruppen von Risikogruppen-Angehörigen.

Solche Betreuungsdienste zu organisieren und zu finanzieren, wäre eine Aufgabe der Bundes- und Landespolitik. Die gegenwärtige Realität ist eine deutlich andere: Im Gegensatz zum blitzartigen Abschotten findet die Suche nach erträglichen Lösungen wie geschützten Begegnungsräumen im Schneckentempo statt. Und der moralische Aufruf an die Gesamtgesellschaft, im Interesse der Risikogruppen das Leben massiv einzuschränken, steht in einem eklatanten Widerspruch zum „Isolations-Sadismus aus organisatorischer Trägheit“ gegenüber Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen.

Mit Augenmaß auch Auslandsurlaube aktiv fördern statt zu bremsen. Ein Weltärztepräsident Mongomery, der für den Urlaub am Wohnort plädiert, dürfte wohl kaum in einer engen Sozialwohnung mit zwei Kindern leben. Seine Botschaft dürfte vor allem als arrogante Verzichtsaufforderung von der ganzen falschen Seite wahrgenommen werden – ganz im Sinne der  „Hygienedemonstranten“. Positive Regierungs-Perspektive dagegen müsste bedeuten: Gerade auch klassischen Pauschaltourismus im Strandhotel und in den Bergen nicht nur zu erlauben, sondern sogar auch aktiv zu FÖRDERN – natürlich – unter hygienischen Bedingungen (Schnelltests vor Abflug und Rückflug, Verhinderung von Massenansammlungen während des Urlaubs). Es geht dabei um zweierlei: Erstens alles tun, um gerade bei den Menschen, für die der Urlaub „die kostbarsten Wochen des Jahres“ darstellt, für Optimismus zu sorgen und andererseits die Tourismus-Länder vor dem ökonomischen Zusammenbruch zu bewahren.

Ein produktiv-komfortabler Lockdown im Herbst zur Vorbeugung einer zweiten Infektionswelle:  Warum nicht ein europaweiter zweiwöchiger Lockdown im Herbst mit weitgehenden Ausgangsbeschränkungen, der dadurch wesentlich positiver werden könnte, dass er langfristig angekündigt und geplant wird. Betriebe, die sowieso eine zu geringe Auslastung haben, könnten – finanziell unterstützt – für diese Zeit schließen; andere mit großem Auftragspolster könnten bei Extrazuschlägen die MitarbeiterInnen ohne Familienpflichten in Standortnähe unterbringen und durchproduzieren. Infrastruktur-Reparaturen an kritischen Netzpunkten etwa der Deutschen Bahn könnten auf diese Zeit konzentriert werden, in der der Bahn- und Straßenverkehr stark reduziert wird. An höheren Bildungsinstituten könnten Klausuren und Prüfungen von Kompaktkursen auf die Zeit nach dem Lockdown gelegt werden.

Da der Zeitraum langfristig angesagt wird, könnte sich die Bevölkerung in aller Ruhe mit Vorräten eindecken. Immunisierte könnten Auslieferdienste für Frischwaren wie Obst, Gemüse, Milch und Backwaren übernehmen, so dass in diesen zwei Wochen auch kaum noch Einkaufsaktivitäten stattfinden. Komfortabel könnte der Lockdown werden, indem alle geeigneten touristischen Hotels etc. in und um Europa Lockdown-TouristInnen (insbesondere Familien) aufnehmen, die nur getestet in die Flugzeuge dürfen, die sich nur am Zielort – oder in der touristischen Großanlage – aufhalten dürfen und nur getestet wieder den Rückflug antreten dürfen. Regionen ohne jeden Infektionsfall könnten, aber nur strikt abgekoppelt, vom inneren Lockdown ausgenommen werden.

Als berechtigte Belohnung für einen solchen Lockdown muss die anschließende weitgehende Normalisierung des öffentlichen Lebens angekündigt werden und – von eng umrissenen Ausbruchsregionen abgesehen – dann auch stattfinden. 

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2 Kommentare

  1. Die Metapher vom Pingpong der “Auren” zwischen den “verfeindeten” Lagern ist sehr erhellend. Ansonsten scheinen immer nur zwei unterschiedliche Strategien aufeinanderzustoßen, die beide für sich “Vernunft” reklamieren.

    Der Empfehlung zum Ausbalancieren ist zuzustimmen. Die Ablehnung von Immunisierten-Ausweisen wurde allerdings nachvollziehbar begründet: “Interessierte” (und wer wäre nicht daran interessiert) jüngeren Alters und stabiler Gesundheit würden sich freiwillig infizieren, um an den Ausweis zu kommen. Einen Schritt weiter gedacht müsste man Freiwilligen-Infektions-Center einrichten, in denen – auf eigene Kosten – Behandlung und folgende Quarantäne abgewickelt werden? (Nicht ganz ernst gemeint.)

    Ein Problem sehe ich im Vorschlag der angekündigten “Auszeit” für den Herbst. Das wäre ja wohl so etwas wie ein kollektives Heilfasten. Ich glaube aber nicht, dass dies der Volksgesundheit diente. Menschen sind keine Vorbeuger, sie sind Nachsorger. Und sie haben von Isolation die Nase voll. Psychologisch also nicht sonderlich tragfähig.

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