Die Corona-Pandemie und die Agenda 2030

Nachhaltigkeit ist die einzige politische Perspektive und Orientierung der Weltgemeinschaft für die kommenden Monate und Jahre. Neun politische Thesen:

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Mit der Corona-Pandemie ist eine der „weltweiten Gesundheitsgefahren“ eingetreten, die in der UN-Agenda 2030 unter den großen globalen Gefahren für die nachhaltige Entwicklung und für das Überleben und den Fortbestand der Gesellschaften genannt werden.

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Die durch die Corona-Pandemie verursachte Krise ist eine Teilkrise der umfassenden Nachhaltigkeitskrise. Die Agenda 2030 adressiert diese Nachhaltigkeitskrise mit den 17 Nachhaltigkeitszielen.
Die Corona-Teilkrise steht im Wirkungs-Zusammenhang mit allen anderen Teilkrisen (mit der Armutskrise, mit der Ungleichheitskrise, mit der Krise der Ökosysteme, mit der Krise der für den Wohlstand notwendigen Infrastrukturen und Institutionen etc.), die die UN-Agenda im September 2015 benannt hat. Dabei bedingen und verstärken sich diese Teilkrisen gegenseitig.

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Dass aus der Corona-Pandemie eine zugleich umfassende globale Zivilisationskrise zu werden droht oder bereits geworden ist, hat eine Ursache auch darin, dass die Regierungen und die Weltgemeinschaft, insbesondere aber die Industrieländer, bisher nicht das in der Agenda 2030 für notwendig Erkannte umsetzen. Insbesondere haben sie mit der „Transformation unserer Welt” bisher nicht wirklich begonnen. Die aus der Corona-Pandemie entstandene Krise ist ein Beispiel für das globale Nachhaltigkeitsversagen.

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Jetzt scheint die aus der Corona-Pandemie entstandene Krise die Welt vor die existentielle Alternative zu stellen: Entweder werden die Corona-Pandemie und die ungeheuren Notmaßnahmen der Regierungen der Welt zum Anfang einer umfassenden „Transformation unserer Welt“ oder zum Anfang des Kollapses unserer globalen zivilisatorischen Systeme.

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Die Agenda 2030 enthält das Programm und die Strategie, wie die Corona-Pandemie zur Transformation führen kann. Systemisch muss erkannt werden, dass die Bewältigung der Corona-Krise nur möglich und erfolgreich sein kann, wenn zugleich die anderen der Agenda 2030 zugrundeliegenden globalen Krisen, die Armutskrise, die Ungleichheitskrise, die Krise der Ökosysteme, die Krise der für den Wohlstand notwendigen Infrastrukturen und Institutionen etc. zugleich mit bewältigt werden.

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Damit ist auch klar: Eine Rückkehr zur „Normalität“ oder zu einem Status quo ante der Corona-Pandemie wird es nicht geben können. Denn diese „Normalität“ hat zu diesem Nachhaltigkeitsversagen geführt. Und eine vergleichbare Teilkrise, also ein vergleichbares Nachhaltigkeitsversagen, kann sich sehr schnell wieder entwickeln.
Denn Normalität bedeutet gegenwärtig Prozesse des zunehmenden Hyperkonsums für eine Minderheit der Weltbevölkerung sowie der größer werdenden Ungleichheit und der Klima- und Naturzerstörung. Diese Normalität hat die vorstellbare Pandemie nicht nur nicht verhindert, sondern hervorgerufen und hat nach Eintritt der Pandemie zu den gegenwärtigen ungeheuren Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Nachhaltigkeitsbrüche geführt, deren Dauer, Erfolg und Auswirkungen heute nicht absehbar sind.

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Stattdessen muss die Perspektive der Agenda 2030 die Orientierung für die gebotenen Maßnahmen für die notleidenden Gesellschaften und Wirtschaften sein.
Alle nationalen und internationalen Einrichtungen sind konsequent und schnell an den globalen Nachhaltigkeitszielen auszurichten und die Fehlstellungen in den Wirtschafts-, Gesellschafts- und Rechtsordnungen sind zu korrigieren.
Diese Ausrichtung muss von allen Ländern der Welt jetzt in Angriff genommen werden.
In dieser Phase gibt es keine Vorreiter mehr und das Abwarten darauf, was andere tun, ist sinnlos. sondern nur noch Länder, Wirtschaften und Gesellschaften, die sich richtiger oder falscher verhalten.

Politische Gestaltungsgrundlinien der Transformation in der Corona-Pandemie

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„Leave no one behind“ ist eines der zentralen Versprechen der Agenda 2030. Niemanden
zurückzulassen muss das Kennzeichen aller Transformationspolitik werden.
Deshalb muss staatliches Handeln Haltetaue nach unten einziehen.
Die Gesellschaft in der Transformation muss allen Menschen eine unbefristete Garantie der Sicherung ihrer materiellen und existentiellen Grundbedürfnisse abgeben.

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Die Resilienz der Gesellschaft muss das zentrale Ziel der Transformationspolitik werden. Deshalb müssen Resilienzgefährdungen und Abhängigkeiten abgebaut werden. D.h. vor allem

  • Infrastrukturen (Gesundheit, Energie, Kultur etc.) marktunabhängig stabilisieren
  • Exportungleichgewicht abbauen
  • Abhängigkeit von Lieferketten verringern
  • Budgetierung, Rationierung und Aufteilung des CO2-Ausstosses und der Naturnutzung vornehmen
  • Märkte und Marktzugänge so regulieren, dass nur noch nachhaltige Produkte und Dienstleistungen gehandelt werden können.
  • Energieerzeugung ausschließlich durch regenerative Energien bewerkstelligen.

Dieses politische Thesenpapier hat Nana Karlstetter, Projektentwicklerin für transformativen Impact, als Ko-Autorin. Sie studierte Philosophie, Mathematik und Psychologie und promovierte in Wirtschaftswissenschaften. Ihre Dissertation untersuchte Unternehmen in Ko-Evolution mit dem Schwerpunkt auf Ernährungssicherheit und Landnutzungskonflikte im Klimawandel.

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Thomas Weber
Thomas Weber (thw) leitet das Referat Nachhaltigkeit im Bundesministerium der Justiz. Auf bruchstuecke.info spricht er für sich selbst.

5 Kommentare

  1. Der gute Prospekt (im Text) hat – in der Grafik darüber sichtbar – evtl. doch einen kritischen Punkt: In der Grafik ist mit “Decent Work and Economic Growth” durch das Wort “decent” etwas benannt, was so eigentlich nicht mehr machbar ist: Das Konzept von “Growth” muss nicht nur “dezent” (“annehmbar” etc.) gestaltet werden, sondern tatsächlich völlig neu gedacht werden. / Auch gibt es in der Grafik “Goals”, die als solche in der ja nötigen, schlagwortartigen Verkürzung gar nicht mehr Ziele darstellen, sondern nur noch Themenfelder; z.B. steht da “Industrie, Innovation and Infrastructure”. Darunter mag alles subsumierbar sein … es lappt etwas ins Beliebige. / Nun ist eine Grafik natürlich noch kein politisches Programm, indes in ihrer memetischen Reichweite gar nicht kritisch genug einzuschätzen. Das ist schwierig … indes eine Aufgabe, die zur politischen Verbreitung einer evtl. “Agenda 2030” natürlich wichtig ist.

  2. Die Beschriftung der 17 Kacheln (Ziele) weicht in verschiedenen Abbildungen voneinander ab. Wir haben die vorherige Grafik auf Wunsch des Autors durch eine andere ersetzt. Die offiziellen Formulierungen lauten beispielsweise für die beiden Ziele 8 und 12 deutsch und englisch:
    Ziel 8. Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern
    Goal 8. Promote sustained, inclusive and sustainable economic growth, full and productive employment and decent work for all

    Ziel 12. Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen
    Goal 12. Ensure sustainable consumption and production patterns

  3. KORINTHENKACKER?
    Unter im weitesten Sinne kritisch gesonnenen Menschen werden die hier aufgelisteten Ziele Zustimmung erfahren. Auch ich kann nur innerlich nicken. Aber ist es mehr als ein Abnicken? Ich frage daher nach den Adressaten des Textes. Alle Menschen guten Willens und etwas besseren Wissens? Und wie bringt ein solcher Text diese über Bestätigungsgesten hinaus weiter?

    Ich lese eine globale To-do-Liste. Angela Merkel kennt sie (in unterschiedlichen Varianten, weil sie so etwas seit Jahrzehnten regelmäßig auf UN-Versammlungen mitbeschließt) und müht sich redlich um holperige Umsetzungen unter zähen globalen Verhältnissen. Unter realpolitischen Bedingungen halt. Und zu denen gehören Trumps, Bolsonaros, Putins, Lukaschenkas, Xi Jinpings und etliche andere Staatsoberhäupter mehr oder minder demokratisch verfasster Länder. Also die Vertreter von ein paar Milliarden Menschen, während Angela nur so eben für ein Prozent der Weltbevölkerung sprechen und (beschränkt) handeln kann.

    Daher nochmals: Wer ist Adressat? Und welche Wirkung soll dieser konkrete Akt der Kommunikation an dieser (medial-sozialen) Stelle haben?

    Als Sprachwissenschaftler, der aufs Detail achtet, stieß ich beispielsweise auf diesen fragwürdigen Satz:
    „Eine Rückkehr zur ‚Normalität‘ oder zu einem Status quo ante der Corona-Pandemie wird es nicht geben können.“
    „Nicht können“? Wir sind in vielen alltäglichen, also entscheidenden Bereichen (Schule, Biergarten, Mallorca-Urlaube) auf dem Weg genau dorthin. Es „kann“ also. Der Autor könnte statthaft höchstens sagen: „sollte es nicht geben“. Denn es widerspräche Soll-Vorstellungen des Textes. Schon ein „darf es nicht geben“ wäre bedenklich, weil das dort ausgesprochene Verbot nicht umgesetzt werden könnte. Wer sollte das wie tun? Exekutive Macht hat der Autor schließlich nicht.

    Dem hier vorgelegten Forderungskatalog Wohlgesonnene werden bei solchen Anmerkungen natürlich sagen: „Korinthenkacker! Wir haben keine Zeit mehr für sprachliche Spitzfindigkeiten! Uns geht der Arsch global auf Grundeis!“ Aber selbst, wenn Letzteres stimmt, sollte Zeit sein, um über die Funktion und damit die Wirkung unserer Botschaften nachzudenken. Viel anderes haben wir nicht, wenn der Griff zur Gewalt vermieden sein soll. Die Unterschiede zwischen „können“, „sollen“ und „dürfen“ sollten dabei bedacht sein können. Wer das nicht tut, könnte auf dem Glatteis von Naivitäten ausrutschen. Und das muss nicht sein.

    1. Sie fragen nach den Adressaten des Textes, bzw. meiner Thesen.

      Ich antworte, dass der Text diejenigen zum Adressaten hat, die sich zu einem (politischen) Gespräch/Diskussion einladen lassen, also alle, die (politisch) gesprächs-/bzw. diskussions-fähig und -willig sind.

      Sie fragen, welche Wirkung dieser konkrete Akt der Kommunikation haben soll?

      Darauf antworte ich zunächst mit Gegenfragen und unterstelle, dass hier sprachliche Kommunikation gemeint ist: Was ist sprachliche Kommunikation? Und was ist die Wirkung von sprachlicher Kommunikation?

      Ohne Antwort auf diese Fragen halte ich Fragen nach der Wirkung eines konkreten Aktes der Kommunikation für im Voraus nicht zu beantworten. Der Versuch, dieses zu tun, erscheint mir sophistisch und übergriffig – jedenfalls in einem aufgeklärten Gesprächskontext fehl am Platz.

      Sie halten den Satz „Eine Rückkehr zur ‚Normalität‘ oder zu einem Status quo ante der Corona-Pandemie wird es nicht geben können“ für fragwürdig.
      Ich selbst halte nicht nur diesen Satz für fragwürdig.

      Ist er allerdings – wenn man ihn befragt hat – deshalb falsch?

      Ein Gedanke, der in diesem Satz enthalten ist, ist folgender:

      Wenn die Erreichung eines bestimmten systemischen Zustandes der Welt, wie er in der Agenda 2030 beschrieben ist, für den Fortbestand der Zivilisation notwendig ist, dann ist auch die Transformation der Zivilisation in diesen systemischen Zustand notwendig.
      Da die „alte Normalität“, wie sie durch die in den 17 Nachhaltigkeitszielen zugrundeliegenden Prozessen umrissen ist, den Fortbestand der Zivilisation in Frage stellt, würde ein Fortschreiben dieser „alten Normalität“ genau zur Zerstörung dieser Zivilisation führen. Und aus meiner Sicht beginnt mit dem Pandemiegeschehen global die harte Phase der in der Agenda 2030 geforderten „Transformation unserer Welt“.

      Natürlich kann eine solche zerstörerische Rückkehr zur „alten Normalität“ geschehen, wie ja auch die Zerstörung der Zivilisation geschieht und geschehen kann, und natürlich kann die notwendige Transformation – so wie in den letzten Jahren – ausbleiben.

      Politisch – und meine Thesen sind politische Thesen – ist das aber keine Option, weil Politik ohne die Zielstellung des Erhaltens der „Polis“ sinnentleert wäre. Und genauso sinnentleert wäre es, dieses Ziel, das natürlich schwer erreichbar erscheint, gerade deshalb aufzugeben, weil es schwer zu erreichen scheint.

      Im Übrigen teile ich nicht die Ansicht, dass wir irgendwo auf dem Weg zurück in die „alte Normalität“ sind. Im Gegenteil. Wie nie versucht die Politik auf allen Ebenen, weitere kurzfristige gesellschaftliche Systembrüche zu verhindern.

      Zum Glück können sich jetzt Menschen wieder etwas mehr begegnen und können wir anfangen elementare gesellschaftliche Aktivitäten wieder aufzunehmen und menschliche Kontakteinschränkungen aufzuheben. Der Rahmen und die Bedingungen, unter denen das geschieht, sind aber durch tiefe Verwerfungen und Einschnitte gekennzeichnet – in Deutschland, in Europa und in der Welt.

      Und dass oberflächlich durch die „alte Normalität“ geprägte habituelle Konsum- und Denkweisen – auch in Regierungen – noch etwas weiterwirken, steht dem nicht entgegen.

      1. Ich will etwas zur Intervention von Jo Wüllner sagen.
        Der erste Punkte: Adressat der markanten Thesen sind doch vermutlich alle, die sich im weiteren Sinne für die Frage interessieren, wie Deutschland und/oder die Welt mit und nach der Corona-Krise (neu) gestaltet wird. Und bevor man aktiv wird, sollte man sich über die Ziele verständigen. Diese politischen Thesen sind so markant, finde ich, dass sie bei dieser Arbeit helfen können.
        Der zweite Punkt: Dass es doch eine Rückkehr zur vorigen Normalität geben wird, belegt Jo Wüllner mit den Beispielen: Mallorca, Schule, Biergarten. Das sind jedoch die Beispiele, die neben vielen anderen eher belegen, dass es kein Zurück geben wird. Also: Die künftige Normalität wird eine andere sein. Denn: Die Schule wird künftig deutlich digitaler sein. Den Biergärten werden bald, ginge es mit der vorigen Normalität weiter, die Bäume fehlen, die sie ausmachen. Und auf Mallorca wird es noch lange dauern, bis die Ballermann-Discos und -Gaststätten offen sind, das heißt, ein bestimmtes Publikum wird zwar noch einmal hinreisen, aber frühzeitig enttäuscht abreisen.
        Es gibt also mehr Beispiele, die für die These von Weber sprechen, denn für die von Wüllner.
        Nehmen wir nur zum Schluss die Fleischindustrie: Dort haben Gewerkschaften, viele Beschäftigte und Tierschützer seit Jahren gegen Arbeitsbedingungen und gegen das Geschäftsgebaren (auf Kosten von Tier, Mensch und Natur billigstes Fleisch herstellen) protestiert und demonstriert, mit geringem Erfolg. Wer argumentiert wie Wüllner hat vermutlich schon seit und vor Jahren gesagt: Wer ist der Adressat Eurer Appelle, was soll das, was für ein Schwachsinn dieses Protestieren sei, das bringe doch nichts, und das Werben für eine andere Fleischindustrie sei sinnlos, denn die Kunden — siehe messbares Kaufverhalten im Supermarkt — wollen ja die Produkte, die Tönnies und andere herstellten. Und jetzt? Jetzt könnte es sein, dass die Corona-Krise zum Kipppunkt für diese Branche wird. Sie wird es aber nur, weil es zuvor die Proteste und Kompetenzen derjenigen gab, die dieses Modell kritisierten. Das ist politisches Handeln mit einem politischen Ziel. Vielleicht ist das der entscheidende Unterschied zwischen Weber und Wüllner: Der erste argumentiert politisch, der zweite nicht.
        Grüsse
        Wolfgang Storz

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