Feindliche Aufmärsche in der Coronakrise

FEIND / Bild: Fix 1977 / wikimedia commons

Politikverdrossene vieler Couleur, Corona-Skeptiker, Impfgegner, Identitäre, Reichsbürger, Radikale und andere Quer zu Vernunft, Recht und Demokratie Agierende – wer kennt die Gruppen, nennt die Namen, die ungastlich zusammenkamen Ende August 2020 zur Großdemonstration in Berlin. Warum ist, wie viele Journalisten und Politiker es beklagen, mit den Demonstranten nicht zu reden? Weil politische Gegnerschaft nur deren demokratischer Vorwand ist. Zumindest den Wortführern geht es nicht um praktizierte Meinungsfreiheit, sondern um Glaubensverkündung. Missverstehen und Missbrauch von Demokratie äußern sich in der Forderung nach „Taten statt Worten“, zeigen sich an den Schildern, die Politiker*innen als Straftäter*innen in Häftlingskleidung präsentieren. Hier werden Feinde vorgeführt, homo homini lupus, Politik als Freund-Feind-Fehde feiert Urstände.

„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“ Schön wäre es, denn vom Sozialverhalten der Wölfe könnten viele Menschen lernen. Stattdessen erzählt der Mensch Märchen vom bösen Wolf, der verschlagen und blutrünstig seine animalischen Triebe auslebe. In der Dichtung des römischen Komödienschreibers Plautus ist der Hintergedanke von „homo homini lupus“, seine Zeitgenossen zu befähigen, Menschen von Wölfen zu unterschieden. Wird Thomes Hobbes mit dem Zitat in Verbindung gebracht, fehlt meist die dazugehörige Aussage, dass der Mensch auch ein Gott sei für die Menschen; vorausgesetzt natürlich, die rechtsstaatlichen Bedingungen für das friedliche Zusammenleben sind in einem Staatsvertrag geregelt.

Unser Körper besitzt für das Erkennen und Unschädlichmachen feindlicher Eindringlinge ein Immunsystem. Die Immunologie weiß sogar von Gedächtniszellen, die ihre Feinde bereits kennen und erwarten. „Wenn Du Deinen Feind kennst und dich selbst kennst, brauchst du das Ergebnis von 100 Schlachten nicht zu fürchten“, empfiehlt der chinesische Meister Sun in seiner berüchtigten Schrift „Die Kunst des Krieges“. Der Kriegsstratege hat dabei sicher noch nicht an Mikrobiologie gedacht, aber seine Maxime gilt auch für das Immunsystem von Gesellschaften. Insofern brauchen wir Kenntnis vom Freund-Feind-Denken.

Der Feind als etwas, das vernichtet werden muss

Das Wort Feind ist eine altdeutsche Ableitung von fiant (Hassender). Prototyp des Feindes ist der Teufel als personifiziertes Böses. Der Teufel ist in der Ursprungsbedeutung des altgriechischen Wortes Diábolos ein Unruhestifter, Verbreiter von Lügen (Fake-News) und Zwietrachtsäer. Offensichtlich gehört das Verteufeln von Politikern, die Bezichtigung der Verschwörerei und anderes diabolisch Untergründiges zum thematischen Arsenal der (Aufm)ärsche. Demonstrieren heißt öffentlich zeigen, die Demonstration ist ein urdemokratisches Instrument, das hier als Vorderbühne dient für Gewaltbereitschaften und Waffenarsenale auf der Hinterbühne. Die Konsequenzen sind existenziell. Wie Jacob Taubes bemerkt, neigen gerade Theologen dazu,„den Feind als etwas zu definieren, das vernichtet werden muss.“

Neben religiösen sind vor allem politische Feindschaften auszumachen und aktuell neuerlich sichtbares Kennzeichen illiberaler Regimes. Die Theorie dazu liefert Carl Schmitt, der die „Unterscheidung von Freund und Feind“ als zentrales Motiv politischen Handelns definiert. Zu denken gibt insbesondere seine von Theodor Däubler geborgte sibylinische Formulierung: „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.“ Eine solche Vorstellung ist für die meisten Menschen in zivilisierten Gemeinschaften heute unbegreiflich. Zur Aufklärung und Prävention von unbegreiflichen Straftaten befragen Profiler*innen Wahnsinnige. Carl Schmitt ist ein berüchtigter Verfasser der Abstraktion des politischen Wahnsinns.

Agonie, Antagonismus, Konsens

Chantal Mouffe ist Schmitts politikwissenschaftliche Profilerin und nimmt Schmitts Demokratiefeindschaft ernst. Sie unterscheidet zwischen Agonie und Antagonismus. Ihr geht es um eine „Domestizierung von Feindschaft“. Sie ersetzt den zu vernichtenden Feind durch einen »Gegner«, „dessen Ideen wir bekämpfen, dessen Recht, jede Idee zu verteidigen, wir aber nicht in Zweifel ziehen“. Ihre wissenschaftliche Gegnerschaft gilt insbesondere deliberativen Demokratiekonzepten, die das Ende der Auseinandersetzung im rationalen Konsens besiegeln. Solche Gemeinschaftskundelehrer*innenvorstellungen von konsensualer Demokratie fördern vermutlich Politikverdrossenheit. Die desillusionierte Ratlosigkeit – „wen soll ich noch wählen“ – lässt vermuten, dass den Politikverdrossenen Entscheidungsgegensätze fehlen.

Chantal Mouffe konstatiert dazu, dass die zunehmende Auflösung der politischen Aufstellung in den Antagonismen links und rechts das Problem sei. Den Mangel an Gegnerschaft nutzen demokratiefeindliche Bewegungen zur Profilierung. Die Unterscheidung von Freund und Feind dient dabei der Sammlung singulärer Gruppierungen und Interessen. Chantal Mouffe weiß, dass der Theoretiker der Diktatur die Kategorien links und rechts für politische Folklore hält im Gegensatz zur Unterscheidung von Freund und Feind. Wen wundert es also noch, wenn auf den Demonstrationen die politischen Richtungen verschwimmen und z.B. Nazis überall geduldet werden und mitlaufen.

Deutsche Propaganda-Postkarte im 1. Weltkrieg: Was der Erbfeind will
( Foto: Egon Tschirch / wikimedia commons)

Gefährlich wird das Freund-Feind-Denken, wenn es zur gemeinsamen Sache (gemacht) wird. In Kriegen vernichten sich Menschen , die persönlich überhaupt keine Feindschaft gegeneinander hegen. Der Wort „Erbfeind“ steht für diesen Wahnsinn, mit dem Feindschaft determiniert wird und eine identitätsstiftende Funktion erhält. Nazis und andere Identitäre definieren sich in ihren Narrationen mithilfe ihrer äußeren Feinde, durch die sie sich bedroht fühlen. Eine andere Möglichkeit ist die Identifikation von inneren Feinden. Die digitalen Vergemeinschaftungen des WWW bieten dafür eine Plattform. Verleumderische Shitstorms erinnern an die Inquisition mit ihren Schauprozessen. Sie offenbaren eine besondere Form der Moralvorstellung.

In seiner Rede anlässlich der Verleihung des Hegel-Preises 1988 hat Niklas Luhmann Moral definiert als „eine besondere Art von Kommunikation, die Hinweise auf Achtung oder Mißachtung mitführt. Dabei geht es nicht um gute oder schlechte Leistungen als Astronaut, Musiker, Forscher oder Fußballspieler, sondern um die ganze Person, soweit sie als Teilnehmer an Kommunikation geschätzt wird.“ Das ist auch die Form der „Moral“ von Shitstorm und Hasskommunikation. Missachtung, Feindschaft und sogar Vernichtungswille werden moralisch verpackt öffentlich zum Ausdruck gebracht. Das Internet beflügelt den Traum der Demokratisierung und entwickelt sich gleichzeitig zu einem Albtraum der Demokratie.

Postskriptum

Geprägt vom Erlebnis der attischen Seuche wagt der antike Kriegsstratege und Historiker Thukydides einen allegorischen Vergleich von Staat (polis) und Lebewesen: Ebenso wie der einzelne Mensch ist der Staat nicht gefeit vor Krankheiten. Demonstrationen dienen dem Immunsystem der Demokratie, weil man durch sie Kenntnis nehmen kann. Mittlerweile weiß die Medizin von Autoimmunreaktionen, die auf einer gestörten Toleranz des Immunsystems basieren. Der Mensch wird sich dann selbst zum Feind.

Jürgen Schulz
Prof. Dr. Jürgen Schulz lehrt und forscht im Studiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin (UdK). Er arbeitet auch in der Redaktion von „Ästhetik & Kommunikation“.

4 Kommentare

  1. Gruss :
    Was, haelt ma(n)n den davon das, Kriegsbeil zu, begraben. Mit, Eltern/Geschwistern/Kindern sich, wieder an, einen Tisch zu, setzen.
    Sich, selbst Staerke/Schwaeche, (-Begabung-) anzunehmen zu, stehen.

    Durch, solches Tun eruebrigt sich das/ein, Gut-Boese Denken. Hat, Hui-Pfui Lehre/r kein Spielraum, mehr.
    Klug, und klueger ist/bleibt wer, eigne Mankos/Erziehungsfehler, erkennt/ausmaerzt. Nicht, Schuld abwaelzt Fehler, bei/m Anderem/n oder Naechstem/n, sucht.
    Ein, friedliches Miteinander geht immer von, einem selbst, aus : Ursache-Wirkungs Prinzip (-Wie, man in den Wald ruft so, schalt es, zurueck// Wer, austeilt muss, auch einstecken, koennen-).

    Ach, so : Erwachsen, gesund sein/werden und bleiben ist, Uebung ist, Willenssache – Viel, Erfolg.

    Gruss. Burkhard, die Offbg.12:5;Hebr.1:8. u.a. …

  2. Exzellent analysiert, durchdrungen und auf den Punkt gebracht – eigentlich wie jeder der Schulz-Artikel. Dieses Thema liegt mir persönlich jedoch besonders am Herzen. Danke. Hätte das gerne auf Französich 🙂

  3. Der Beitrag arbeitet das Dilemma, das so viel Kopfzerbrechen bereitet, klar heraus: Sicherlich nicht alle Teilnehmer*innen solcher Aufmärsche, aber die organisierenden und mobilisierenden Personen benutzen demokratische Instrumente, um in Machtpositionen zu gelangen, die es ihnen erlauben, demokratische Prozesse abzuschaffen und sich selbst als Stimme des Volkes an die Stelle des Volkes zu setzen.
    Rechtsextremisten berufen sich auf die Demokratie, verlangen als Demokraten behandelt zu werden, sind sich ihrer Sache aber so sicher, fühlen sich so sehr als die Guten und Wahren im Kampf gegen das Böse und die Lüge, dass sie keine andere Meinung gelten lassen, sondern politische Gegner als Feinde behandeln und hinter der demokratischen Bühne Drohbriefe, Morddrohungen und Gewalttätigkeiten als politische Mittel einsetzen. Sich selbst und anderen gegenüber legitimieren sie diese Sicht und dieses Verhalten damit, dass ihre politischen Gegner noch viel schlimmer seien, mindestens ins Gefängnis gehörten: Weil ich dich für böse halte, darf ich dir Böses antun.

    Dieser Auge-um-Auge-, Zahn-um-Zahn-Wahnsinn verbietet sich für Demokraten im Umgang mit Rechtsextremisten. Solange wir in halbwegs demokratischen Verhältnissen leben, könnten vielleicht drei einfache Regeln helfen:
    1. Wo immer politische Extremisten strafrechtlich auffällig werden, werden sie ohne politische Nachsicht vor Gericht gestellt und, sofern sie sich als schuldig erweisen, verurteilt. Dass Rechtsextremisten sich selbst in einem Unrechtsstaat wähnen und daraus Widerstandsrechte ableiten, ist ihr Problem. Gewiss können die Grenzen zwischen demokratischen, autoritären und diktatorischen Regierungen fließend sein. Dass die Bundesregierung diktatorisch herrscht, ist allerdings eine Behauptung, die wenig über die Bundesregierung aussagt, sehr vieles über den, der diese Behauptung aufstellt.
    Eine andere Qualität hat der einzelne symbolische Gesetzesbruch, um auf eine für besonders wichtig gehaltene Frage aufmerksam zu machen, er sollte im Einzelfall nach der Maxime der Verhältnismäßigkeit beurteilt werden.
    2.In der politischen Auseinandersetzung sind Extremisten wie Demokraten zu behandeln, aber immer mit den ausdrücklichen Hinweisen,
    dass ihre demokratischen Rechte gelten, weil sich das in einer Demokratie so gehört;
    dass ihre demokratischen Rechte nicht deshalb gelten, weil man sie für Demokraten hielte oder weil sie sich wie Demokraten verhielten;
    dass ihre demokratischen Recht gelten, obwohl, wären sie an der Macht, Propaganda und Gewalt herrschen würden, nicht Diskussion und Recht.
    3.Es gibt meines Erachtens ein Kommunikationsrecht auf politische Radikalität. Solange der Respekt vor Andersdenkenden gewahrt bleibt, muss es in einer pluralen Gesellschaft möglich sein, über das Gewohnte und Normale weit hinaus zu denken und reden. Gelassenheit im Umgang mit politischer Rhetorik, auch mit Verschwörungsphantasien, aber Härte gegenüber politisch motivierter Gewalt sollten zusammengehören.

  4. @Christina Vior
    DeepL war so nett, den Lead-Absatz zu übersetzen:
    Des personnes politiquement désenchantées de toutes les couleurs, des sceptiques de la couronne, des opposants à la vaccination, des militants pour l’identité, des citoyens du Reich, des radicaux et d’autres qui sont en désaccord avec la raison, le droit et la démocratie – qui connaît les groupes, cite les noms de ceux qui se sont rassemblés de manière inhospitalière fin août 2020 pour la grande manifestation de Berlin. Pourquoi, comme se plaignent de nombreux journalistes et politiciens, ne parle-t-on pas aux manifestants ? Parce que l’opposition politique n’est que leur prétexte démocratique. Au moins, les porte-parole ne sont pas intéressés par la pratique de la liberté d’opinion, mais par la proclamation de leur foi. L’incompréhension et l’abus de la démocratie s’expriment dans la demande d'“actes au lieu de paroles“, comme en témoignent les signes qui présentent les politiciens comme des criminels en tenue de prisonniers. On y présente les ennemis, le lupus homo homini, la politique comme un fief ami-ennemi-ennemi célèbre ses origines.

    Traduit avec http://www.DeepL.com/Translator (version gratuite)
    Es wäre bereit, Ihnen auch den übrigen Text ins Französische zu übertragen.

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