Statt Benzinpreisdiskussion: Neun Thesen zu Klimapolitik, CO2-Budget und Lastenausgleich

Die CO2-Uhr des Berliner MCC (Mercator Institute on Global Commons and Climate Change) zeigt an, wieviel CO2 in die Atmosphäre abgegeben werden darf, um die globale Erwärmung auf maximal 1,5°C beziehungsweise 2°C zu begrenzen. (Screenshot 19. Juni 2021)

1 Die Vorschläge, Preise von was auch immer zu erhöhen, um den menschenverursachten Klimawandel zu stoppen, sind oberflächlich, nicht auf der Höhe der Zeit und fallen denen, die solche Vorschläge machen, zurecht auf die Füße.

2 Preiserhöhungen sind aus klimaschutzpolitischer Sicht keine zielführenden Instrumente. Denn es kann schlicht nicht plausibel dargestellt werden, dass etwas, das auf dem Markt teurer wird, alleine dadurch auch weniger wird.

Wenn Energie teurer wird, führt das nicht dazu, dass weniger Energie „verbraucht“ wird. Es führt vielmehr dazu, dass aus der gleichen Menge Energie mehr Leistung herausgeholt wird, dass die Energie effizienter eingesetzt wird. Das heißt z. B. bei Autos nur, dass diese bei gleichem Spritverbrauch größer werden und schneller fahren können. Preiserhöhungen sind als Innovationstreiber tauglich, aber nicht, um eine Reduzierung von CO2 zu erreichen, schon gar nicht im Rahmen der gesetzten Grenzen; Innovationen an sich sind zunächst klima- und nachhaltigkeitsblind.

3 Der Klimaschutz erfordert aber, dass die Freisetzung von fossil gebundenem CO2 reduziert und innerhalb eines bestimmten Budgets beendet wird, d.h. dass in Zukunft Kohle, Öl und Gas vollständig im Boden bleiben. Im Hinblick auf dieses Ziel sind nur Instrumente und Maßnahmen sinnvoll, mit denen sich tatsächlich eine Reduzierung des CO2-Ausstosses auf Null auch darstellen lässt.

Eine zielführende  Klimapolitik denkt vom Budget her, das zur Verfügung steht. Sie muss zuerst das Budget bestimmen, innerhalb dessen man bleiben muss, dann die Inanspruchnahme des Budgets rationieren, dann die Rationen über eine Restzeit so  verteilen, dass das Ende nicht abrupt ist.

Dabei hängt die Länge der Restzeit ausschließlich von der Verteilung des Budgets ab. Wenn sich das Budget auf 50 Jahren verteilen lässt, wäre das Ende des CO2-Ausstosses 2071, wenn auf zehn Jahre, dann 2031.

4 Die Größe des Budgets, das noch zur Verfügung steht, hängt von dem Grad der Erderwärmung ab, der nicht überschritten werden soll.
Für das globale Budget gibt die Mercator CO2-Uhr einen guten Überblick. Laut Mercator Uhr, die auf der Basis der IPCC Daten läuft, gibt es noch ein Gesamtrestbudget für die Welt – wenn das 1,5 Grad Ziel eingehalten werden soll – von etwa 278 Gigatonnen (GT) CO2. Der gegenwärtige globale Jahresverbrauch beträgt etwa 42 GT. Nach diesen Zahlen ist also das globale Budget in sechs bis sieben Jahren aufgebraucht, also im Jahr 2027/2028.

Wenn das 2,0 Grad Ziel eingehalten werden soll – dann sind die Verhältnisse allerdings voraussichtlich schon so ungemütlich und so wenig beeinflussbar, dass das eigentlich kein sinnvolles Ziel mehr ist –, würde das Budget etwa 1024 GT betragen, was beim gegenwärtigen Verbrauch 24 bis 25 Jahre halten würde, womit wir dann etwa beim Jahr 2045 landen.

5 Der Umfang des Restbudgets an CO2 für Deutschland ist aus meiner Sicht politisch gerechtfertigt letztlich nur aus der Bevölkerungsrelation zur Weltbevölkerung festzulegen.

Deutschlands Bevölkerung entspricht etwa 1 % der Weltbevölkerung. Wenn das Weltbudget für 1,5 Grad 278 GT beträgt, würde das Budget für Deutschland etwa 2,78 GT bedeuten, bei 2 Grad etwa 10,24 GT. Beim fortgesetzten derzeitigen Verbrauch in Deutschland von jährlich ca. 0,8 GT wäre demnach das deutsche Budget für 1,5 Grad in etwa drei 3,5 Jahren erschöpft, das Budget für 2 Grad in etwa 13 Jahren.”

6 Für den Fall, dass Deutschland mit seinem Restbudget nicht auskommt, d. h. über das Budget hinaus CO2 verbrauchen will und verbrauchen wird, wird sich im globalen Kontext natürlich die Möglichkeit eröffnen, von anderen Ländern, die ihre Budgets nicht ausschöpfen,  (wie beim Emissionshandel) entsprechende Anteile abzukaufen. Das dürfte freilich teuer werden, umso teurer, je mehr Deutschland sein Budget überschreitet; allerdings auch umso günstiger. je mehr Anstrengungen Deutschland für eine schnelle Dekarbonisierung unternimmt. Je schneller und wirkungsvoller Deutschland jetzt die Dekarbonisierung auf den Weg bringt, umso „billiger“ dürfte es in den nächsten Jahren werden.

7 Es ist klar, dass das notwendige Ziel, innerhalb des Budgets zu bleiben, ohne eine tiefgreifende Transformation aller gesellschaftlichen Lebensbereiche nicht zu erreichen ist. Kern dieser Transformation ist die Verknappung und Beendigung des CO2 Verbrauches. In der Folge der Verknappung des CO2 Verbrauches wird es, solange der Bedarf an Kohlenstoffdioxid verbrauchenden Produkten nicht in gleicher Weise zurückgeht, zu Preissteigerungen kommen. Diesen Preissteigerungen ist dann politisch mit einem „Lastenausgleich“ zu begegnen.

8 Die UN-Resolution vom September 2015 „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ mit den 17 SDGs (Ziele für nachhaltige Entwicklung) fordert eine Transformation in praktisch allen zivilisatorischen Lebensbereichen.

Ziel 10 fordert, Ungleichheit in und zwischen den Ländern zu verringern, SDG 13 den Klimawandel zu bekämpfen. Das Verhältnis zwischen den SDGs ist ein Bedingungsverhältnis. Ohne Verringerung von Ungleichheit ist die Bekämpfung des Klimawandels, ohne die Bekämpfung des Klimawandels der Abbau von nationaler und globaler Ungleichheit nicht möglich. Ohne beides ist eine Fortexistenz der Menschheit akut gefährdet.

Die Prozesse der anstehenden sozial-ökologischen Transformation werden Gewinner und Verlierer hervorbringen. Damit diese Prozesse einzelne Länder und den inneren gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zusätzlich gefährden, ist es eine der wichtigsten politischen Transformationsaufgaben – gerade auch der nächsten Bundesregierung – einen Lastenausgleich national und global so zu organisieren, dass im Hinblick auf das Erreichen der Transformation und der Agenda 2030 Win-Win Situationen entstehen.

9 Für die Diskussionen über die „richtige“ Klimapolitik folgt aus alledem, dass sie beim Lastenausgleich und bei der Verteilung anfangen müssen und nicht bei den Preiserhöhungen.

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Thomas Weber
Thomas Weber (thw) leitet das Referat Nachhaltigkeit im Bundesministerium der Justiz. Auf bruchstuecke.info spricht er für sich selbst.

3 Kommentare

  1. Die Argumentation erschließt sich mir nicht. Warum soll eine Erhöhung des Preises nicht zur Reduzierung des Verbrauchs eines Gutes führen, wenn andere Güter relativ dazu günstiger werden, bei gegebenem Budget bzw. gegebener Kaufkraft? Wenn die Kosten für fossile Treibstoffe steigen, der Strom aber nicht teurer (und die Lade-Infrastruktur entsprechend ausgebaut) wird, werden Verhaltensänderungen eintreten. Der Einzelne wird sich das Fahren mit dem SUV noch mal überlegen und die Unternehmen werden, wie sie es schon heute tun, in Technologien investieren, die mit weniger oder ohne fossile Energie auskommen. Wenn allerdings ein höherer Energiepreis durch die Erhöhung der Pendlerpauschale oder ähnliche Subventionen ausgeglichen wird, bleibt die Verhaltensänderung natürlich aus.
    Was die UN-Ziele angeht, ist das in erster Linie eine sympathische Prosa, die in manchen Punkten das Thema verfehlt, etwa bei den Forderungen nach Wirtschaftswachstum. Was darin auffällt ist zudem, dass das enorme Bevölkerungswachstum als besonderer Treiber ökologischer Risiken gar nicht erwähnt wird. Alle Bemühungen um CO2-Reduktion werden vergeblich bleiben, wenn es nicht gelingt, dieses Wachstum zu stoppen und umzukehren.

    1. Natürlich kann man durch Preiserhöhungen Verhaltensänderungen bewirken. Aber man kann durch das Bewirken von Verhaltensänderungen nicht den CO2-Ausstoss innerhalb eines festgesetzten Budgets beenden.

      Und die Beendigung des CO2 Ausstoßes innerhalb eines Budgets ist das notwendige und letztlich unverhandelbare Ziel der Klimapolitik.

      Deshalb sind Preiserhöhungen und das Bewirken von Verhaltensänderungen eben keine zielführenden Maßnahmen der Klimapolitik, die eine vollständige Dekarbonisierung innerhalb eines gedeckelten Budgets zum Ziel hat.

      Märkte sind grundsätzlich klima- und nachhaltigkeitsblind. Damit Märkte im Dienst des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit funktionieren, müssen sie im Sinne der Nachhaltigkeit geregelt werden. Eine dieser Regelungen wird in Zukunft die Budgetierung von CO2 und die Aufteilung des Budgets beinhalten.

      Was die Kritik an der Agenda 2030 und die SDGs angeht: SDG 8 lautet: „Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern“. Unter Punkt 3 der Einleitung der Erklärung heißt es: „Wir sind außerdem entschlossen, die Bedingungen für ein nachhaltiges, inklusives und dauerhaftes Wirtschaftswachstum, geteilten Wohlstand und menschenwürdige Arbeit für alle zu schaffen ….“ Ich sehe nicht, dass da ein Thema verfehlt wird.
      Im Gegenteil: Auch für das Wirtschaftswachstum fordert die Agenda die grundsätzliche Transformation von der Nichtnachhaltigkeit zur Nachhaltigkeit. Was ist daran verfehlt?
      Wenn man fragt: Was ist nachhaltiges Wirtschaftswachstum? Dann kann man im Sinne der Agenda 2030 beantworten: Nachhaltiges Wirtschaftswachstum ist – u.a. – auch ein Wirtschaftswachstum mit Null CO2 Ausstoß.

      Was die Weltbevölkerung angeht: Die Agenda 2030 verlangt eine Transformation der Welt und zeigt, in welchen Bereichen diese Transformation stattfinden muss, damit die Weltbevölkerung, so wie sie ist, eine Zukunft haben kann. Warum sollte die Weltbevölkerung, so wie sie ist, nicht eine Zukunft haben können?

  2. Könnte es sein, dass beide recht haben, der Autor und der Kommentator? Preise sind die Sprache der modernen Wirtschaft. Wer ökonomisch denkt und handelt, orientiert sich an beobachtbaren und erwartbaren Preisen.
    Eine Preiserhöhung k a n n zur Reduzierung des Verbrauchs eines Gutes führen, sagt Matthais Schulze-Böing. M u s s aber nicht, sagt Thomas Weber. Was sollte an dem einen oder dem anderen falsch sein?

    Falsch ist aus meiner Sicht die Vorstellung, die ökologische (und die soziale) Krise ließen sich mit wirtschaftlichen Mitteln lösen oder auch nur entschärfen. Solange diejenigen, die wirtschaftliche Entscheidungen treffen, sich einzig und allein von ökonomischer Rationalität leiten lassen, wird nichts besser werden. Nur wenn der homo oeconomicus in seinen Entscheidungen berücksichtigt, dass sie und er auch natürliche und soziale Lebewesen sind, gibt es eine Chance. Für Kapitalismusfans ist das unwirtschaftliches Verhalten – genau das brauchen wir.

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